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Informationen zum Dokument  BGer 5C.209/2005  Materielle Begründung
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BGer 5C.209/2005 vom 23.09.2005
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
5C.209/2005 /blb
 
Urteil vom 23. September 2005
 
II. Zivilabteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Raselli, Präsident,
 
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Marazzi,
 
Gerichtsschreiber Möckli.
 
Parteien
 
X.________,
 
Berufungskläger,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Lisa Zaugg,
 
gegen
 
Y.________,
 
Berufungsbeklagte.
 
Gegenstand
 
Besuchsrecht,
 
Berufung gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 8. Juni 2005.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________ und Y.________ sind die Eltern des am 20. Januar 1999 geborenen A.________. Sie lernten sich seinerzeit in der Winterthurer Hausbesetzerszene kennen, in welcher der Vater noch immer lebt und aktiv ist. Nach der Geburt des Sohnes lebten die Parteien noch ca. ein Jahr zusammen. Im Verlauf des Jahres 2001 kam es zu Auseinandersetzungen über das Besuchsrecht, worauf die Mutter an die Vormundschaftsbehörde gelangte.
 
B.
 
Am 29. November 2004 regelte die Vormundschaftsbehörde den persönlichen Verkehr zwischen Vater und Sohn dahingehend, dass sie ein Besuchsrecht an jedem ersten und dritten Wochenende pro Monat von Samstagmorgen bis Sonntagabend sowie ein Ferienrecht von zwei Wochen gewährte, wobei das Besuchs- und Ferienrecht bei den Grosseltern in H.________ auszuüben war und der Beistand diese Vorschriften zu überwachen hatte. Daneben wurden dem Vater verschiedene Auflagen gemacht (Rücksichtnahme auf die alters- und entwicklungsmässigen Bedürfnisse von A.________; Verbot, mit A.________ an unbewilligten Kundgebungen teilzunehmen und sich in widerrechtlich besetzte Häuser zu begeben; Auflage, dass durch das väterliche oder das Verhalten der Mitbewohner keine Gefährdung für A.________ entsteht).
 
Mit Beschluss vom 25. Februar 2005 wies der Bezirksrat Winterthur den hiergegen erhobenen Rekurs des Vaters ab.
 
Mit Urteil vom 8. Juni 2005 modifizierte das Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, die Modalitäten des persönlichen Verkehrs dahingehend, dass es das Besuchsrecht an jedem zweiten Wochenende gewährte und nur die Übergaben sowie die Übernachtungen von A.________ bei den Grosseltern in H.________ stattzufinden haben, wobei es den Vater verpflichtete, die Mutter spätestens bei der Rückgabe nach den Besuchswochenenden bzw. bei den Ferien jeweils in der Wochenmitte und am Ende über das Tagesprogramm zu informieren.
 
C.
 
Gegen das Urteil des Obergerichts hat der Vater am 17. August 2005 Berufung eingereicht mit den Begehren um Gewährung eines Besuchsrechts an jedem zweiten Wochenende von Freitagabend bis Sonntagabend und eines Ferienrechts von drei Wochen, ohne irgendwelche Beschränkungen, Weisungen oder Auflagen, sowie den Anträgen auf Anhörung von A.________, Neuregelung der kantonalen Kosten und Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Es wurde keine Berufungsantwort eingeholt.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Der Berufungskläger rügt zunächst eine Verletzung von Art. 273 ZGB und macht geltend, Konflikte zwischen den Eltern würden keine Beschränkung des Besuchsrechts rechtfertigen. Was angemessen sei, beurteile sich im Übrigen nach dem Zeitgeist, und nach heutiger Auffassung gehöre der Freitagabend zum Wochenende. Desgleichen dürften inzwischen drei Ferienwochen die Norm sein.
 
1.1 Eltern, denen die elterliche Sorge oder Obhut nicht zusteht, und das unmündige Kind haben gegenseitig Anspruch auf angemessenen persönlichen Verkehr (Art. 273 Abs. 1 ZGB).
 
Die Vorstellungen darüber, was in durchschnittlichen Verhältnissen als angemessenes Besuchsrecht zu gelten habe, gehen in Lehre und Praxis auseinander, wobei regionale Unterschiede festzustellen sind und eine Tendenz zur Ausdehnung des Besuchsrechts besteht (vgl. Schwenzer, Basler Kommentar, N. 15 zu Art. 273 ZGB). Als oberste Richtschnur für die Ausgestaltung des Besuchsrechts gilt immer das Kindeswohl, das anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls zu beurteilen ist; allfällige Interessen der Eltern haben zurückzustehen (BGE 123 III 445 E. 3b S. 451; 127 III 295 E. 4a S. 298; 130 III 585 E. 2.1 S. 588). Weil der Richter bei der Festlegung des Besuchsrechts auf sein Ermessen verwiesen ist (Art. 4 ZGB), übt das Bundesgericht in konstanter Rechtsprechung eine gewisse Zurückhaltung (BGE 120 II 229 E. 4a S. 235; 131 III 209 E. 3 S. 210).
 
1.2 Die Auseinandersetzungen zwischen den Parteien sind oder waren nach der Darstellung in angefochtenen Beschluss teilweise heftig. Die Behauptung des Berufungsklägers, das Obergericht habe das Besuchsrecht wegen diesen Konflikten "beschränkt", trifft indes nicht zu:
 
Zum einen übersieht er, dass ein Besuchsrecht an jedem zweiten Wochenende sowie ein Ferienrecht von zwei Wochen dem entspricht, was in weiten Landesteilen - soweit ersichtlich, auch im Kanton Zürich - üblich ist; ob dabei das Besuchswochenende den Freitagabend einschliesst oder nicht, fällt ebenso ins richterliche Ermessen wie die Gewährung einer dritten Ferienwoche. Zum anderen übergeht der Berufungskläger, dass das Obergericht das Besuchsrecht nicht wegen der elterlichen Auseinandersetzungen als solchen, sondern wegen des Kindeswohls nicht im anbegehrten Mass erweitert hat. Das Bundesgericht hat auch in seinen neulichen Entscheiden, wonach die üblichen Konflikte zwischen den Eltern für sich allein nicht zu einer Beschränkung des Besuchsrechts führen dürfen (BGE 130 III 585; 131 III 209), keinen Zweifel daran gelassen, dass das Kindeswohl stets die oberste Richtschnur bildet (E. 2.2.1 S. 588 f. bzw. E. 5 S. 212). Im vorliegenden Fall kann aufgrund der konkreten Umstände eine Erweiterung des Besuchs- und Ferienrechts im verlangten Sinn nicht zur Diskussion stehen, und die vorinstanzliche Erwägung, das gewährte Recht auf persönlichen Umgang sei im vorliegenden Fall bereits grosszügig bemessen, erweist sich als bundesrechtskonform.
 
2.
 
Der Berufungskläger hält sodann die Auflagen bei der Ausübung des Besuchsrechts für bundesrechtswidrig. Es gehe nicht an, wegen eines einmaligen Fehlverhaltens anzuordnen, dass die Übergabe stets bei den Grosseltern zu erfolgen und A.________ auch dort zu übernachten habe.
 
2.1 Die Vormundschaftsbehörde kann Eltern ermahnen und ihnen Weisungen erteilen, wenn sich die Ausübung oder Nichtausübung des persönlichen Verkehrs für das Kind nachteilig auswirkt oder wenn eine Ermahnung oder eine Weisung aus anderen Gründen geboten ist (Art. 273 Abs. 2 ZGB). Gegenstand einer solchen Weisung kann insbesondere auch die Auflage sein, das Kind nur in Gegenwart einer Vertrauensperson zu besuchen (Hegnauer, Berner Kommentar, N. 117 zu Art. 273 ZGB m.w.H.). Wird das Wohl des Kindes durch den persönlichen Verkehr gefährdet, kann den Eltern das Recht auf persönlichen Verkehr sogar ganz verweigert oder entzogen werden (vgl. Art. 274 Abs. 2 ZGB). Das für alle Besuchsrechtsrestriktionen anwendbare Gebot der Verhältnismässigkeit (vgl. Schwenzer, a.a.O., N. 23 zu Art. 273 und N. 16 zu Art. 274 ZGB) bzw. die Prinzipien der Proportionalität und Subsidiarität verlangen, dass den zur Diskussion stehenden Bedrohungen nicht durch geeignete mildere Massnahmen begegnet werden kann.
 
2.2 Entgegen den sinngemässen Ausführungen des Berufungsklägers - die sich teilweise ohnehin gegen den für das Bundesgericht verbindlich festgestellten Sachverhalt richten - hat sich das Obergericht bei seiner Anordnung, dass die Übergaben und Übernachtungen bei den Grosseltern stattzufinden haben, von sachlichen Gründen leiten lassen. Betreffend die Übernachtungen hat es ausgeführt, dass die Bewohner das gegenwärtig besetzte Haus gegebenenfalls per Ende September 2005 verlassen müssen und nicht klar sei, wo bzw. unter welchen Bedingungen der Berufungskläger inskünftig leben werde. Sodann bestehe für A.________ eine erhöhte Gefahr, dass er in (gewalttätige) Auseinandersetzungen hineingezogen werde, zumal der Berufungskläger bzw. seine Gruppe sich mit Rechtsradikalen anlege. Das Obergericht hat auch auf den Vorfall vom 31. Oktober 2004 verwiesen, bei dem der Berufungskläger A.________ während eines Polizeieinsatzes auf das Dach bzw. die Terrasse des besetzten Hauses mitgenommen und A.________ grosse Angst gehabt hat.
 
Die polemischen Vorbringen (konsequenterweise müssten dann alle Kinder von Asylbewerbern prophylaktisch fremdplatziert werden, weil es auch hier immer wieder zu Übergriffen von Rechtsextremen komme; ein Eishockey- oder Fussballmatch sei statistisch gesehen gefährlicher; Eltern, die rauchen oder Auto fahren, würden ebenfalls ihre Kinder gefährden) sind nicht geeignet aufzuzeigen, inwiefern die Vorinstanz die einschlägigen Normen des Bundesrechts falsch angewandt haben soll (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Im Übrigen laufen auch die Ausführungen in der Berufungsschrift darauf hinaus, dass der Berufungskläger konkrete Vorfälle, aber auch sein wenig kindergerechtes Verhalten bagatellisiert, was erkennen lässt, dass er sich der effektiven Gefahren kaum bewusst ist und er sich auch wenig in die Bedürfnisse eines sechsjährigen Kindes einfühlen kann. In der Vergangenheit ist es erwiesenermassen zu Polizeieinsätzen und nächtlichen Übergriffen Rechtsradikaler gekommen, und der Berufungskläger hat wiederholt erkennen lassen, dass er auch weiterhin die Auseinandersetzung mit der Polizei und Rechtsradikalen nicht scheuen wird. Die Anordnung, dass der sechsjährige A.________ bei seinen Grosseltern übernachtet, stellt vor diesem Hintergrund eine notwendige und gleichzeitig den Grundsatz der Verhältnismässigkeit - ein begleitetes Besuchsrecht wäre viel einschneidender - wahrende Massnahme dar.
 
2.3 Gleiches gilt für die Anordnung, dass die Übergabe von A.________ ebenfalls bei den Grosseltern zu erfolgen habe. Dies gibt dem erst sechsjährigen Knaben einen gewissen Rahmen bei der oft turbulenten Ausübung des Besuchsrechts. Das Obergericht hat denn auch festgehalten, dass sich A.________ bei den Grosseltern wohl fühlt und die dortige Umgebung beruhigend auf ihn wirkt. Inwiefern angesichts der konkreten Umstände mit der angeordneten Massnahme Bundesrecht verletzt sein soll, ist nicht ersichtlich.
 
2.4 Mit dem gegen die übrigen Weisungen und Mahnungen vorgetragenen Argument, diese seien sinnlos und damit überflüssig, ist keine Verletzung von Bundesrecht darzutun. Auch in diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass der Beklagte seinen Sohn in der Vergangenheit mit wenig kindergerechtem Verhalten konkreten Gefährdungen ausgesetzt hat und aufgrund seiner Äusserungen keine Garantie besteht, dass es in Zukunft nicht mehr zu Gefährdungssituationen kommt.
 
3.
 
Der Berufungskläger rügt schliesslich, dass der sechsjährige A.________ in Verletzung von Art. 144 Abs. 2 ZGB vom Obergericht nicht angehört worden sei.
 
3.1 Art. 144 Abs. 2 ZGB bestimmt, dass bei Anordnungen über Kinder diese in geeigneter Weise durch das Gericht oder durch eine beauftragte Drittperson persönlich anzuhören sind, soweit nicht ihr Alter oder andere wichtige Gründe dagegen sprechen. Diese Norm findet auf alle gerichtlichen Verfahren Anwendung, in denen Kinderbelange zu regeln sind. Das Bundesgericht hat in dem vom Berufungskläger angerufenen, zur Publikation bestimmten Urteil 5C.63/2005 vom 1. Juli 2005 im Sinn einer Richtlinie festgehalten, dass die Kinderanhörung grundsätzlich ab dem vollendeten sechsten Altersjahr möglich ist.
 
Dieses Schwellenalter, ab dem eine Anhörung grundsätzlich in Frage kommt, ist jedoch zu unterscheiden von der kinderpsychologischen Erkenntnis, dass formallogische Denkoperationen erst ab ungefähr elf bis dreizehn Jahren möglich sind und auch die sprachliche Differenzierungs- und Abstraktionsfähigkeit erst ab diesem Alter entwickelt ist (vgl. Felder/Nufer, Die Anhörung des Kindes aus kinderpsychologischer Sicht, in: Vom alten zum neuen Scheidungsrecht, Bern 1999, N. 4.131). Vor diesem Alter geht es bei der Kinderanhörung einzig darum, dass sich das urteilende Gericht ein persönliches Bild machen kann und über ein zusätzliches Element bei der Sachverhaltsfeststellung und Entscheidfindung verfügt (vgl. Bräm, Die Anhörung des Kindes im neuen Scheidungsrecht, in: AJP 1999, S. 1569; Schweighauser, in: Praxiskommentar zum Scheidungsrecht, N. 7 zu Art. 144 ZGB). Soweit jedoch das Kind seinen Anspruch nicht selbst wahrnehmen kann, setzt seine Anhörung einen entsprechenden Antrag einer Verfahrenspartei voraus; diesfalls ist das Gericht zur Anhörung verpflichtet, weil sie als Pflichtrecht ausgestaltet ist (Urteil 5C.63/2005, E. 1.2.4; Rumo-Jungo, Die Anhörung des Kindes, in: AJP 1999, S. 1579).
 
3.2 Der sechsjährige A.________ kann seinen Anspruch auf Anhörung noch nicht selbst wahrnehmen und der Berufungskläger bringt nicht vor, im kantonalen Verfahren einen Antrag auf dessen Anhörung gestellt zu haben. Aus diesem Grund erweist sich seine Kritik als unbegründet, weil das Obergericht nach dem Gesagten ohne Verletzung von Bundesrecht von einer Anhörung absehen durfte.
 
Unzulässig ist schliesslich der Antrag auf Anhörung durch das Bundesgericht, weil im Berufungsverfahren keine neuen Beweismittel eingereicht bzw. beantragt werden können (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG).
 
4.
 
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Berufung in allen Teilen offensichtlich unbegründet und demnach abzuweisen ist. Weil sie als von Anfang an aussichtslos bezeichnet werden muss, mangelt es an den materiellen Voraussetzungen für die unentgeltliche Rechtspflege. Das entsprechende Gesuch ist folglich abzuweisen (152 Abs. 1 OG) und der Berufungskläger wird kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Berufung wird abgewiesen.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Berufungskläger auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 23. September 2005
 
Im Namen der II. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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