VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 6S.116/2005  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 6S.116/2005 vom 25.09.2005
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6S.116/2005 /pai
 
Urteil vom 25. September 2005
 
Kassationshof
 
Besetzung
 
Bundesrichter Schneider, Präsident,
 
Bundesrichter Wiprächtiger, Kolly, Karlen, Zünd,
 
Gerichtsschreiber Weissenberger.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Alexander Eckenstein,
 
gegen
 
Y.________,
 
Beschwerdegegner,
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Bahnhofplatz 3a, 4410 Liestal.
 
Gegenstand
 
Einstellung des Verfahrens (fahrlässige Tötung),
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Beschluss des Verfahrensgerichts in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft vom 21. Januar 2005.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Y.________ fuhr mit seinem Personenwagen am 10. November 2002 um 18.00 Uhr auf der A2 von Diegten her kommend in Richtung Basel. Es regnete stark und war bereits Nacht. Auf Grund der schlechten Sicht fuhr Y.________ mit rund 100 km/h auf dem rechten Fahrstreifen. Auf dem dreistreifigen Strassenabschnitt nach der Einfahrt Sissach wechselte Y.________ vom mittleren auf den rechten Fahrstreifen und fuhr die signalisierte Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h aus. Als er am Rastplatz "Sonnenberg" vorbeifuhr, nahm er einen weissen Personenwagen wahr, der am Ausgang des Rastplatzes vor der Einfahrt in die Autobahn unmittelbar nach dem Stopp-Signal - aber noch ausserhalb der Fahrbahn der Autobahn - mit brennenden Abblendlichtern abgestellt war. Als er den Blick wieder nach vorne richtete, erblickte er die dunkel gekleidete A.________, welche mitten auf dem rechten Fahrstreifen stand. Unmittelbar darauf prallte das Fahrzeug von Y.________ ungebremst in die Fussgängerin. A.________ wurde durch die Kollision sofort getötet.
 
B.
 
Mit Strafbefehl vom 7. Juli 2004 sprach das Statthalteramt Sissach Y.________ der fahrlässigen Tötung schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 1'000.--.
 
Auf Einsprache von Y.________ hin stellte die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft das Verfahren wegen fahrlässiger Tötung mangels hinreichenden Beweises ein und nahm die Verfahrenskosten auf die Staatskasse. Die vom Sohn (X.) des Opfers dagegen erhobene Beschwerde wies das Verfahrensgericht in Strafsachen Basel-Landschaft mit Beschluss vom 21. Januar 2005 ab.
 
C.
 
X.________ erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, den Beschluss des Verfahrensgerichts in Strafsachen aufzuheben und das Strafverfahren gegen Y.________ fortzusetzen.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1
 
1.1.1 Gemäss Art. 270 lit. e Ziff. 1 BStP (in der Fassung gemäss BG vom 23. Juni 2000, in Kraft seit 1. Januar 2001) steht die Nichtigkeitsbeschwerde dem Opfer zu, wenn es sich vorher am Verfahren beteiligt hat und soweit der Entscheid seine Zivilansprüche betrifft oder sich auf deren Beurteilung auswirken kann. Diese Bestimmung stimmt mit Art. 8 Abs. 1 lit. c Opferhilfegesetz (OHG; SR 312.5) überein, wonach das Opfer den Gerichtsentscheid mit den gleichen Rechtsmitteln anfechten kann wie der Beschuldigte, wenn es sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hat und soweit der Entscheid seine Zivilansprüche betrifft oder sich auf deren Beurteilung auswirken kann. Art. 270 lit. e Ziff. 1 BStP verweist denn auch ausdrücklich auf die genannte Norm des OHG.
 
Bei Nichtigkeitsbeschwerden gegen den einen Einstellungsbeschluss bestätigenden Gerichtsentscheid ist nach der Rechtsprechung die Legitimation des Opfers unabhängig davon gegeben, ob es bis zu diesem Zeitpunkt im Strafverfahren Zivilforderungen adhäsionsweise geltend gemacht hat oder nicht (BGE 122 IV 139 E. 1; 120 IV 44 E. 4a). Das Opfer muss aber darlegen, aus welchen Gründen und inwiefern sich der angefochtene Entscheid auf welche Zivilforderung auswirken kann (BGE 123 IV 254 E. 1). Enthält eine Nichtigkeitsbeschwerde keine Ausführungen darüber, ist auf die Beschwerde gleichwohl einzutreten, sofern sich der Sachlage und insbesondere der Art des in Frage kommenden Delikts, unmittelbar und ohne Zweifel entnehmen lässt, welche Zivilforderungen das Opfer geltend machen könnte, und auch klar ersichtlich ist, inwiefern der angefochtene Entscheid sich negativ auf diese Forderungen auswirken kann (BGE 127 IV 185 E. 1a).
 
1.1.2 Opfer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG ist jede Person, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist. Nach Art. 2 Abs. 2 OHG werden u.a. die Kinder bei der Geltendmachung von Verfahrensrechten und Zivilansprüchen (Art. 8 und 9 OHG), soweit ihnen Zivilansprüche gegenüber dem Täter zustehen, dem Opfer gleichgestellt. Wird die Nichtigkeitsbeschwerde gegen einen Einstellungsbeschluss oder ein freisprechendes Urteil geführt, genügt es, dass eine die Opferstellung begründende Straftat in Betracht fällt (BGE 122 II 211 E. 3c).
 
1.2 Der Beschwerdeführer ist als Sohn seiner verstorbenen Mutter gemäss Art. 2 Abs. 2 OHG dem direkten Opfer gleichgestellt. Dieses ist bei dem zur Beurteilung stehenden Verkehrsunfall tödlich verletzt worden, wobei zumindest als Möglichkeit in Betracht fällt, dass den Beschwerdegegner ein strafrechtlicher Vorwurf trifft. Der Beschwerdeführer hat sich ferner vorher am kantonalen Verfahren beteiligt. Zwei der drei Legitimationsvoraussetzungen nach Art. 270 lit. e Ziff. 1 BStP sind damit erfüllt.
 
1.2.1 In der Beschwerde wird nicht dargelegt, aus welchen Gründen und inwiefern sich der angefochtene Entscheid auf welche Zivilforderung auswirken kann. Im kantonalen Verfahren teilte das Statthalteramt Sissach dem Beschwerdeführer am 20. Februar 2004 den Abschluss des Untersuchungsverfahrens gegen Y.________ mit und forderte ihn dazu auf, allfällige Beweisanträge sowie Schadenersatz- und Genugtuungsforderungen bis zum 8. März 2004 zu erheben. Der Anwalt des Beschwerdeführers reichte am 4. März 2004 folgende Antwort ein: "Bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom 20. Februar 2004 teile ich Ihnen namens und im Auftrag meines Mandanten mit, dass ich auf Beweisanträge sowie die Geltendmachung von Schadenersatz- und Genugtuungsforderungen im Rahmen des Strafverfahrens verzichte" (act. 192 und 193). Da der Beschwerdeführer seinen Verzicht auf das gesamte Strafverfahren bezog und sich eine allfällige Geltendmachung von Zivilforderungen in einem späteren Zeitpunkt nicht vorbehielt, ist diese Erklärung dahingehend zu verstehen, dass er gänzlich auf sein Recht verzichtete, adhäsionsweise Zivilforderungen im Strafverfahren gegen Y.________ geltend zu machen. Dementsprechend beurteilte der Strafbefehl vom 7. Juli 2004 keine Zivilforderungen und hat der Beschwerdeführer auch in den späteren Verfahrensschritten keine Absicht bekundet, Zivilforderungen einzubringen.
 
Bei dieser Sachlage stellt sich die Frage, ob das Legitimationserfordernis in Art. 270 lit. e Ziff. 1 BStP, wonach der Entscheid die Zivilansprüche des Opfers betreffen oder geeignet sein muss, sich auf deren Beurteilung auszuwirken, auch in der hier zu beurteilenden Konstellation erfüllt ist, in der sich der Strafentscheid auf die vom Opfer später möglicherweise in einem ordentlichen Zivilverfahren geltend gemachten Zivilforderungen auswirken kann, das Opfer aber im Strafverfahren darauf verzichtet hat, den für ihn günstigeren Weg des Adhäsionsprozesses zu beschreiten. Das ist aus den nachfolgenden Gründen zu verneinen.
 
1.2.2 Nach der Teilrevision des BStP gemäss Bundesgesetz vom 23.Juni 2000, in Kraft seit Januar 2001 (AS 2000 2791, 2724; BBl 1999 9518, 9606) ist der einfache Geschädigte in dieser Eigenschaft nicht mehr zur Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert, und zwar auch dann nicht, wenn sich der Entscheid auf die Beurteilung seiner Zivilforderung auswirken kann.
 
In der Regel richtet sich eine Opferbeschwerde gegen einen Freispruch oder eine Einstellung. Gegen das Strafurteil, durch das der Angeschuldigte beispielsweise freigesprochen wird, kann das Opfer Rechtsmittel im Strafpunkt grundsätzlich nur erheben, wenn es, soweit zumutbar, seine Zivilansprüche aus strafbarer Handlung im Strafverfahren geltend gemacht hat. Dies wird in Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG zwar nicht deutlich gesagt, ergibt sich aber aus Sinn und Zweck von Art. 8 und 9 OHG, wie sie auch im Schlussbericht der Studienkommission und in der bundesrätlichen Botschaft beschrieben werden. Das Strafverfahren darf nicht nur ein Vehikel zur Durchsetzung von Zivilforderungen in einem Zivilprozess sein, den das Opfer erst nach Abschluss des Strafprozesses, je nach dessen Ausgang, anzustrengen gedenkt. Das Opfer soll nach der Konzeption des OHG nicht gewissermassen "mit Hilfe" eines ihm allenfalls erst im Rechtsmittelverfahren erstrittenen, für es günstigen Strafurteils erstmals in einem gesonderten Zivilprozess Zivilansprüche einbringen. Vielmehr soll es, soweit zumutbar, seine Zivilansprüche aus strafbarer Handlung im Strafverfahren geltend machen. Wenn es dies tut, ist es unter den in Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG ausdrücklich genannten Voraussetzungen zur Ergreifung von Rechtsmitteln im Strafpunkt legitimiert. Wohl ist es dem Opfer frei gestellt, ob es im Strafverfahren eine Zivilforderung geltend machen will oder nicht. Verzichtet es jedoch darauf, obschon das Einbringen einer Zivilforderung im Hauptverfahren zumutbar wäre, dann ist es zur Ergreifung von Rechtsmitteln im Strafpunkt im Sinne von Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG nicht legitimiert (BGE 120 IV 44 E. 4b S.53 f.). In diesen Fällen wird das Opfer hinsichtlich der Legitimation zur Nichtigkeitsbeschwerde wie ein einfacher Geschädigter behandelt. Der Verlust der Beschwerdelegitimation beim Verzicht auf die adhäsionsweise Geltendmachung von Zivilforderungen ist die Kehrseite der vom Opferhilfegesetz angestrebten Stärkung der Stellung des Opfers und von dessen Angehörigen im Strafprozess.
 
Diese Erwägungen gelten grundsätzlich auch für Einstellungsurteile oder -beschlüsse. Allerdings kann vom Opfer nicht verlangt werden, dass es in Verfahren, die in keine Anklage gemündet sind und eingestellt wurden, bereits Zivilforderungen adhäsionsweise geltend gemacht hat (BGE 122 IV 139 E. 1; 120 IV 44 E. 4a). Verzichtet das Opfer aber wie hier vor Abschluss des Strafverfahrens und Erlass eines Strafbefehls vorbehaltlos und generell darauf, im Strafverfahren Zivilansprüche geltend zu machen, ist es in Bezug auf die Beschwerdelegitimation nach Art. 270 lit. e Ziff. 1 BStP dem Opfer gleichzustellen, das - obwohl zumutbar - im Strafverfahren, das zum teilweisen oder gänzlichen Freispruch des Angeklagten führte, keine Zivilansprüche aus strafbarer Handlung geltend gemacht hat. Denn sonst würde das Strafverfahren in diesen Fällen ebenfalls nur ein Vehikel zur Durchsetzung von Zivilforderungen in einem Zivilprozess darstellen, den das Opfer erst nach Abschluss des Strafprozesses allenfalls anzustrengen gedenkt.
 
1.2.3 Der Beschwerdeführer hat auf die Geltendmachung von Zivilansprüchen im Strafverfahren gegen den Beschwerdegegner generell und vorbehaltlos verzichtet. Damit kann sich der angefochtene (Einstellungs-)Beschluss nicht auf die - gar nicht verlangte - adhäsionsweise Beurteilung seiner Zivilansprüche auswirken. Der Beschwerdeführer ist deshalb nicht zur Nichtigkeitsbeschwerde gestützt auf Art. 270 lit. e Abs. 1 BStP legitimiert. Die Verletzung von Rechten, die ihm das Opferhilfegesetz einräumt, macht der Beschwerdeführer nicht geltend.
 
2.
 
Auf die Beschwerde ist daher nicht einzutreten. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer dessen Kosten.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Auf die Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft und dem Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 25. September 2005
 
Im Namen des Kassationshofes
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).