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Informationen zum Dokument  BGer I 267/2005  Materielle Begründung
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BGer I 267/2005 vom 06.10.2005
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
I 267/05
 
Urteil vom 6. Oktober 2005
 
IV. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiberin Hofer
 
Parteien
 
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Z.________, 1955, Beschwerdegegner, handelnd durch seinen Beistand
 
Vorinstanz
 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
 
(Entscheid vom 26. Februar 2005)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der 1955 geborene Z.________ war zuletzt seit September 1999 als Metzger in der R.________ AG tätig. Am 7. Februar 2001 meldete er sich wegen Lungenproblemen bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Bern tätigte Abklärungen in erwerblicher und medizinischer Hinsicht. Mit Verfügung vom 18. März 2003 lehnte sie das Leistungsbegehren ab. Die gegen den diese Verfügung bestätigenden Einspracheentscheid vom 8. August 2003 erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 5. Januar 2004 ab, soweit es darauf eintrat. Gleichzeitig überwies es die Akten an die Verwaltung zur Prüfung beruflicher Massnahmen.
 
Die IV-Stelle sprach dem Versicherten daraufhin am 8. März 2004 berufliche Eingliederungsmassnahmen in Form von Berufsberatung und Abklärung der beruflichen Eingliederungsmöglichkeiten durch ihre Berufsberatung zu. Der Schlussbericht über die beruflichen Eingliederungsmöglichkeiten erging am 19. April 2004. Zudem wurde der Bericht des Hausarztes Dr. med. K.________ vom 6. Mai 2004 eingeholt. Anschliessend wies die IV-Stelle Z.________ mit Schreiben vom 20. Mai 2004 auf seine Mitwirkungspflichten hin und ersuchte ihn um Mitteilung bis 14. Juni 2004, ob er bereit sei, bei beruflichen Massnahmen der Invalidenversicherung mitzumachen. Für den Fall, dass er dies verneine, drohte sie ihm die Abweisung seines Gesuchs an. Der Versicherte meldete sich in der Folge am 26. Mai 2004 telefonisch bei der IV-Stelle. Mit Verfügung vom 21. Juni 2004 verneinte diese eine Kostengutsprache für berufliche Eingliederungsmassnahmen, da sich der Versicherte nicht in der Lage fühle, einer ganztägigen Erwerbstätigkeit nachzugehen und sich lediglich für einen Arbeitsversuch in der geschützten Werkstatt nachmittags während zwei bis drei Stunden bereit erklärt habe. Daran hielt die Verwaltung auf Einsprache hin mit Entscheid vom 7. Oktober 2004 fest.
 
B.
 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 26. Februar 2005 gut, hob den Einspracheentscheid vom 7. Oktober 2004 auf und wies die Sache zur weiteren Prüfung der beruflichen Massnahmen an die Verwaltung zurück.
 
C.
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die IV-Stelle die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids.
 
Z.________ schliesst sinngemäss auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht die Sache zu Recht zur weiteren Prüfung beruflicher Massnahmen in Form von Berufsberatung und Abklärung der beruflichen Eingliederungsmöglichkeiten an die IV-Stelle zurückgewiesen hat. Da es um Massnahmen geht, die am 8. März 2004 zugesprochen wurden, sind im vorliegenden Verfahren das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG) und die dazu ergangene Verordnung vom 11. September 2002 sowie die am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Änderungen des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung vom 21. März 2003 (4. IVG-Revision) und die entsprechende Verordnung vom 21. Mai 2003 in zeitlicher Hinsicht anwendbar. Nach Art. 7 Abs. 1 IVG (in der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung) ist die anspruchsberechtigte Person verpflichtet, die Durchführung aller Massnahmen, die zu ihrer Eingliederung ins Erwerbsleben oder in einen dem Erwerbsleben gleichgestellten Aufgabenbereich (Aufgabenbereich) getroffen werden, zu erleichtern. Kommt die anspruchsberechtigte Person ihrer Mitwirkungspflicht nicht nach, so können ihr die Leistungen, auch wenn es sich um eine Eingliederung in den Aufgabenbereich handelt, nach Art. 21 Abs. 4 ATSG gekürzt oder verweigert werden. Art. 21 Abs. 4 ATSG hat folgenden Wortlaut: Entzieht oder widersetzt sich eine versicherte Person einer zumutbaren Behandlung oder Eingliederung ins Erwerbsleben, die eine wesentliche Verbesserung der Erwerbsfähigkeit oder eine neue Erwerbsmöglichkeit verspricht, oder trägt sie nicht aus eigenem Antrieb das ihr Zumutbare dazu bei, so können ihr die Leistungen vorübergehend oder dauernd gekürzt oder verweigert werden. Sie muss vorher schriftlich gemahnt und auf die Rechtsfolgen hingewiesen werden; ihr ist eine angemessene Bedenkzeit einzuräumen. Behandlungs- oder Eingliederungsmassnahmen, die eine Gefahr für Leben und Gesundheit darstellen, sind nicht zumutbar. Art. 21. Abs. 4 ATSG stimmt inhaltlich weitgehend mit der Regelung von Art. 10 Abs. 2 IVG und Art. 31 IVG überein, welche bis 31. Dezember 2002 in Kraft standen. Die hiezu ergangene Rechtsprechung ist somit weiterhin zu beachten (SVR 2005 IV Nr. 30 S. 113).
 
2.
 
2.1 Das kantonale Gericht hat erwogen, der Versicherte sei am 20. Mai 2004 nicht zu einer konkreten Eingliederungsmassnahme, sondern zur Bekundung seiner Bereitschaft zur Mitwirkung bei der beruflichen Eingliederung aufgefordert worden. In der Folge habe er sich grundsätzlich, wenn auch zu Unrecht nur in beschränktem Umfang zur Teilnahme an beruflichen Massnahmen bereit erklärt. Ob er bei der beruflichen Eingliederung genügend kooperiert habe, lasse sich nicht schlüssig beurteilen. Das Vorgehen der IV-Stelle, welche nach durchgeführtem Mahn- und Bedenkzeitverfahren weitere Eingliederungsmassnahmen wegen ungenügender Kooperation generell abgelehnt habe, ohne zuvor überhaupt eine konkrete Massnahme angeordnet zu haben, könne nicht geschützt werden.
 
2.2 Die Beschwerde führende IV-Stelle macht geltend, es sei in der Regel sinnlos, die Kooperationsbereitschaft anhand einer konkret angeordneten Massnahme zu überprüfen und nach durchgeführtem Mahn- und Bedenkzeitverfahren zu sanktionieren, wenn aufgrund von Äusserungen der betroffenen Person von vornherein klar sei, dass diese durch ihr Verhalten letztlich ein Scheitern von zumutbaren Massnahmen verursachen werde. Die Anordnung einer konkreten Massnahme dürfe aus Praktikabilitätsgründen nicht verlangt werden, wenn die versicherte Person im Voraus erkläre, sie werde die Rahmenbedingungen nicht einhalten.
 
3.
 
3.1 Die IV-Stelle hat dem Beschwerdegegner am 8. März 2004 Berufsberatung und Abklärung der beruflichen Eingliederungsmöglichkeiten durch ihre Berufsberatung zugesprochen. Nach Art. 69 Abs. 2 IVV beschafft die IV-Stelle die erforderlichen Unterlagen, insbesondere über den Gesundheitszustand, die Tätigkeit, die Arbeits- und Eingliederungsfähigkeit der versicherten Person sowie die Zweckmässigkeit bestimmter Eingliederungsmassnahmen. Zu diesem Zweck können Berichte und Auskünfte verlangt, Gutachten eingeholt, Abklärungen an Ort und Stelle vorgenommen sowie Spezialisten der öffentlichen oder privaten Invalidenhilfe beigezogen werden. Laut Schlussbericht der Abteilung Berufliche Eingliederung der IV-Stelle vom 19. April 2004 kann der Versicherte dem medizinisch ausgewiesenen Zumutbarkeitsprofil nichts abgewinnen. Dieser fühle sich von den Ärzten nicht richtig beurteilt, verstanden und behandelt und verweise auf das Zeugnis des Hausarztes sowie Aussagen seiner Betreuer vom Regionalen Sozialdienst, die ihn als nicht mehr arbeitsfähig betrachteten. Da er sich als völlig arbeitsunfähig einschätze, sei er auch nicht bereit, sich ernsthaft mit der Stellenvermittlung und Arbeitssuche zu befassen. Zudem sei er wegen akuter Alkoholprobleme nicht in der Lage zu arbeiten und Arbeitgebern und geschützten Werkstätten nicht zumutbar. Am 20. Mai 2004 wurde der Beschwerdegegner unter Hinweis auf Art. 21 Abs. 4 ATSG aufgefordert, mitzuteilen, ob er bei beruflichen Massnahmen der Invalidenversicherung überhaupt mitmachen wolle. Daraufhin meldete sich dieser gemäss einer Aktennotiz des Berufsberaters am 26. Mai 2004 telefonisch und erklärte, er sei nicht bereit und aus seiner Sicht aus gesundheitlichen Gründen auch nicht in der Lage, ganztags bei angepassten Bedingungen zu arbeiten. Morgens müsse er den Haushalt erledigen und für sich und seine Mutter kochen. Für einen Arbeitsversuch in der geschützten Werkstatt sei er bereit, aber nur nachmittags während zwei bis höchstens drei Stunden. Dieser Vorschlag werde auch von der Fürsorgebehörde unterstützt. Weiter hielt der Berufsberater in der Aktennotiz fest, der Versicherte habe wissen wollen, ob er nun der Mitwirkungspflicht nachgekommen sei. Er habe diesem bestätigt, dass er sich zuverlässig gemeldet und die gesetzte Frist eingehalten habe und dass er die Angaben protokollieren und nach Bern an die IV-Stelle weiterleiten werde. Über das weitere Vorgehen werde dort entschieden, und er werde wieder informiert. Am 21. Juni 2004 wurde eine Kostengutsprache für berufliche Massnahmen abgewiesen.
 
3.2 Es kann offen bleiben, ob es erforderlich gewesen wäre, dem Beschwerdegegner eine konkrete berufliche Massnahme zu eröffnen. Auch die Vorinstanz hat die IV-Stelle nicht verpflichtet, die Kooperationsbereitschaft anhand einer konkreten Massnahme zu überprüfen, sondern hat dieser vielmehr das weitere Vorgehen zur Prüfung des Anspruchs auf berufliche Eingliederungsmassnahmen freigestellt. Dem kantonalen Gericht ist sodann darin beizupflichten, dass sich die Eingliederungsfähigkeit aufgrund der bestehenden Aktenlage nicht schlüssig beurteilen lässt. Hinzu kommt, dass der Beschwerdegegner gestützt auf die telefonische Antwort des Berufsberaters vom 26. Mai 2004 in guten Treuen davon ausgehen durfte, dass er sich richtig verhalten hat. Die IV-Stelle hätte ihn daher vor Erlass der Verfügung vom 21. Juni 2004 darauf hinweisen müssen, dass auf seine Darlegungen nicht Rücksicht genommen werden könne und er seiner Schadenminderungspflicht nur dann rechtsgenüglich nachkomme, wenn er sich im Rahmen des ihm objektiv Zumutbaren und nicht entsprechend seinen Vorstellungen beruflichen Eingliederungsmassnahmen zur Verfügung stelle.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 6. Oktober 2005
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin:
 
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