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Informationen zum Dokument  BGer I 446/2005  Materielle Begründung
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BGer I 446/2005 vom 06.10.2005
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
I 446/05
 
Urteil vom 6. Oktober 2005
 
IV. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber Flückiger
 
Parteien
 
K.________, 1946, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprech Friedrich Affolter, Seestrasse 2, Bahnhofplatz, 3700 Spiez,
 
gegen
 
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
 
(Entscheid vom 4. Mai 2005)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1946 geborene K.________ meldete sich am 3. Juli 2003 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an und beantragte eine Rente. Die IV-Stelle Bern holte einen Bericht der Hausärztin med. prakt. S.________, Innere Medizin FMH, vom 31. Juli 2003 ein, welchem ein Operationsbericht (Kniearthroskopie mit medialer partieller Teilmeniskektomie) des Spitals X.________ vom 22. April 2002 beilag. Zudem liess die Verwaltung, nachdem die Versicherte die Angaben auf der Anmeldung am 22. März 2004 unter Hinweis auf Knieschmerzen beidseits, Arthrose und ein allgemeines Schmerzsyndrom ergänzt hatte, am 20. April 2004 einen Haushalt-Abklärungsbericht erstellen. Anschliessend verneinte die IV-Stelle mit Verfügung vom 28. April 2004 einen Rentenanspruch. Daran wurde - nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des IV-internen Abklärungsdienstes vom 10. Juni 2004 - mit Einspracheentscheid vom 12. Oktober 2004 festgehalten.
 
B.
 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern ab (Entscheid vom 4. Mai 2005).
 
C.
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt K.________ die Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheids und des Einspracheentscheids sowie die Rückweisung der Sache an die IV-Stelle zur weiteren Abklärung beantragen.
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
Mit Eingabe vom 27. Juni 2005 lässt die Beschwerdeführerin eine schriftliche Auskunft von Frau med. prakt. S.________ vom 17. Juni 2005 einreichen.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Ausserhalb der Rechtsmittelfrist und nicht im Rahmen eines zweiten Schriftenwechsels aufgelegte Aktenstücke werden, ungeachtet dessen, ob ihre spätere Einreichung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde angekündigt wurde, nur berücksichtigt, wenn sie neue erhebliche Tatsachen oder entscheidende Beweismittel im Sinne von Art. 137 lit. b OG darstellen und als solche eine Revision des Gerichtsurteils rechtfertigen könnten (BGE 127 V 353 ff., insbesondere 356 Erw. 3b in fine und Erw. 4). Dies trifft auf den mit der Eingabe vom 27. Juni 2005 aufgelegten Bericht von Frau med. prakt. S.________ vom 17. Juni 2005 nicht zu. Denn dieser enthält keine neuen Elemente, welche zu einer wesentlich abweichenden Beurteilung des Gesundheitszustandes der Versicherten führen könnten.
 
2.
 
In formeller Hinsicht lässt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör rügen, welche sie darin erblickt. dass ihr der Bericht der Hausärztin vom 31. Juli 2003 (mit Beilage) nicht vor dem Verfügungserlass zugestellt wurde. Diese Rüge ist unbegründet. Wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, müssen die Parteien gemäss Art. 42 ATSG vor Verfügungen, die durch Einsprache angefochten werden können, nicht angehört werden. Art. 44 ATSG führt im vorliegenden Fall schon deshalb zu keiner abweichenden Beurteilung, weil keine durch die Invalidenversicherung angeordnete medizinische Begutachtung stattfand, während Ablehnungsgründe gegenüber der Abklärungsperson, welche den Bericht vom 20. April 2004 verfasste, nie zur Diskussion standen.
 
3.
 
Das kantonale Gericht hat die seit 1. Januar 2003 geltenden, mit dem früheren Recht inhaltsgleichen (BGE 130 V 343; SVR 2005 IV Nr. 21 S. 83 Erw. 4 mit Hinweisen) Bestimmungen über den Begriff der Invalidität bei erwerbstätigen (Art. 8 Abs. 1 ATSG; Art. 4 Abs. 1 IVG) und nicht erwerbstätigen Versicherten (Art. 8 Abs. 3 ATSG; Art. 5 Abs. 1 IVG [beide Normen wurden per 1. Januar 2004 ohne materielle Auswirkungen erneut geändert]), die Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG in der bis Ende 2003 gültig gewesenen, Art. 28 Abs. 1 IVG in der seit 1. Januar 2004 geltenden Fassung) sowie die Ermittlung des Invaliditätsgrades bei nicht erwerbstätigen, insbesondere im Haushalt tätigen Personen nach der spezifischen Methode durch Betätigungsvergleich (Art. 28 Abs. 2bis IVG; Art. 27 IVV; vgl. dazu SVR 2005 IV Nr. 21 S. 83 f. Erw. 4 und 5.1 mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
 
4.
 
Streitig und zu prüfen ist der Rentenanspruch. Dieser basiert auf dem Invaliditätsgrad, welcher unbestrittenermassen nach der für Nichterwerbstätige geltenden spezifischen Methode zu ermitteln ist.
 
4.1 Verwaltung und Vorinstanz stellten auf den Haushalt-Abklärungsbericht vom 20. April 2004 ab, welcher einen Behinderungsgrad von 18 % ergab. Die Beschwerdeführerin lässt dagegen einwenden, die Hausärztin med. prakt. S.________ habe in ihrem Bericht vom 31. Juli 2003 auf Grund der Kniebeschwerden eine Arbeitsunfähigkeit von lediglich 50 % festgestellt, wobei ausserdem die zusätzlich vorhandenen Beschwerden an Rücken und Ellenbogen berücksichtigt werden müssten.
 
4.2 Ausschlaggebend für die Feststellung der Behinderung Nichterwerbstätiger im anerkannten Aufgabenbereich ist nicht die medizinisch-theoretische Arbeitsunfähigkeit, sondern wie sich der Gesundheitsschaden in der nichterwerblichen Betätigung konkret auswirkt, was durch die Abklärung an Ort und Stelle (im Haushalt der versicherten Person) erhoben wird (Meyer-Blaser, Der Rechtsbegriff der Arbeitsunfähigkeit und seine Bedeutung in der Sozialversicherung, namentlich für den Einkommensvergleich in der Invaliditätsbemessung, in: Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.], Schmerz und Arbeitsunfähigkeit, St. Gallen 2003, S. 55 f.; AHI 2001 S. 161 Erw. 3c; vgl. auch BGE 130 V 99 Erw. 3.3.1). Nach der Rechtsprechung ist der durch die IV-Stelle entsprechend den Randziffern 3092 ff. des Kreisschreibens über Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung (in der seit 1. Januar 2004 Fassung) eingeholte Bericht über die Abklärung vor Ort im Regelfall das geeignete Mittel zur Ermittlung des Invaliditätsgrades von im Haushalt tätigen Versicherten (SVR 2005 IV Nr. 21 S. 84 Erw. 5.1 mit Hinweisen).
 
4.3 Die Rechtsprechung hat für die Beurteilung des Beweiswertes von Berichten über Abklärungen an Ort und Stelle, welche der Beurteilung des Betreuungsaufwandes in Hauspflege (BGE 128 V 93 Erw. 4), der Eingliederungswirksamkeit eines Hilfsmittels (AHI 2003 S. 218 Erw. 2.3.2) oder der Hilflosigkeit mit Blick auf die Hilflosenentschädigung (BGE 130 V 63 Erw. 6.2) dienen, bestimmte Regeln formuliert. Danach ist erforderlich, dass der Bericht von einer qualifizierten Person verfasst wird, die Kenntnis der örtlichen und räumlichen Verhältnisse sowie der sich aus den medizinischen Diagnosen ergebenden Beeinträchtigungen und Behinderungen hat. Weiter sind die Angaben des oder der Versicherten zu berücksichtigen und divergierende Meinungen der Beteiligten im Bericht aufzuzeigen. Der Berichtstext schliesslich muss inhaltlich plausibel, begründet und mit Bezug auf die konkreten Einschränkungen angemessen detailliert abgefasst sein sowie mit den an Ort und Stelle erhobenen Angaben übereinstimmen. Trifft dies alles zu, ist der Abklärungsbericht voll beweiskräftig. Das Gericht greift diesfalls in das Ermessen der Abklärungsperson nur ein, wenn klar feststellbare Fehleinschätzungen oder Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Abklärungsresultate (z.B. infolge von Widersprüchlichkeiten) vorliegen. Das gebietet insbesondere der Umstand, dass die fachlich kompetente Abklärungsperson näher am konkreten Sachverhalt ist als das im Beschwerdefall zuständige Gericht.
 
4.4 Die vorstehend wiedergegebenen Grundsätze gelten prinzipiell auch für die Würdigung eines Berichts über eine Abklärung an Ort und Stelle, welche im Hinblick auf die Bemessung der Invalidität im Haushalt vorgenommen wurde. Der Bericht vom 20. April 2004 wurde durch eine spezialisierte Abklärungsperson der IV-Stelle verfasst. Er gibt einleitend den Gesundheitszustand und die Beschwerden der Versicherten wieder. In erster Linie wird auf seit ca. sechs Jahren bestehende, zunehmende Kniebeschwerden, daneben auch auf (vergleichsweise weniger ausgeprägte) Schmerzen an Rücken, Schultern und Ellenbogen hingewiesen. Es folgen Angaben zur Situation im Haushalt, der aus der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann besteht, welcher seinerseits IV-Rentner ist, sowie zu den Wohnverhältnissen, dem Garten und den technischen Einrichtungen. Anschliessend werden - entsprechend den Regeln von Randziffer 3090 ff. des Kreisschreibens über Invalidität und Hilflosigkeit (KSIH) - die aus den gesundheitlichen Beeinträchtigungen folgenden Einschränkungen in den einzelnen, gewichteten Tätigkeitsbereichen beschrieben und beziffert. Damit wird der Bericht vom 20. April 2004 den erwähnten Anforderungen an eine beweiskräftige Stellungnahme grundsätzlich gerecht. Insbesondere erfolgte er in Kenntnis und unter Berücksichtigung des gesamten Beschwerdebildes.
 
4.5 Was die Quantifizierung der Einschränkung in den einzelnen Teilbereichen anbelangt, enthält der Bericht jeweils eine kurze, nachvollziehbare Begründung. Dabei wurde zu Recht berücksichtigt, dass ein behinderungsbedingter Mehraufwand bei der Erledigung von Haushaltarbeiten für die Invaliditätsbemessung nur relevant ist, wenn die versicherte Person während der zumutbaren Normalarbeitszeit im Haushalt nicht mehr alle Arbeiten bewältigen kann und daher in wesentlichem Masse der Fremdhilfe bedarf (ZAK 1984 S. 140). Praxisgemäss ist ausserdem von einer Mithilfe der Angehörigen auszugehen, welche - im Rahmen des Zumutbaren - über das im Gesundheitsfall übliche Mass hinausgeht (BGE 130 V 101 Erw. 3.3.3 mit Hinweisen). Insbesondere ist der im gleichen Haushalt lebende Ehemann, der eine Invalidenente bezieht, auf Grund der eherechtlichen Beistandspflicht (Art. 159 Abs. 3 ZGB) gehalten, die Beschwerdeführerin im Haushalt zu unterstützen, wobei es auch insoweit der Abklärungsperson obliegt, das zumutbare Ausmass festzulegen (Urteil R. vom 19. Oktober 2004, I 300/04, Erw. 6.2.2). Wenn darüber hinaus punktuell (etwa bei Grossreinigungen und Gartenarbeiten) die unentgeltlich geleistete Hilfe weiterer Angehöriger in Anspruch genommen wurde, lässt sich daraus nicht ableiten, die Versicherte sei in erheblichem Masse auf Fremdhilfe angewiesen. Die Einschränkung in den betroffenen Aufgabenbereichen wäre aus diesem Grund jedenfalls nicht in einem Ausmass zu erhöhen, welches einen Rentenanspruch begründen würde. Die dem Abklärungsbericht zu Grunde liegenden medizinischen Annahmen sind mit der diesbezüglichen Aktenlage vereinbar; zudem wurden neben der Knieproblematik auch die weiteren angegebenen Beschwerden berücksichtigt. Die Vorinstanz hat deshalb zu Recht auf die Feststellungen der Abklärungsperson abgestellt. Ergänzende medizinische Untersuchungen sind unter den gegebenen Umständen nicht erforderlich.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 6. Oktober 2005
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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