VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer B 76/2004  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer B 76/2004 vom 25.10.2005
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
B 76/04
 
Urteil vom 25. Oktober 2005
 
III. Kammer
 
Besetzung
 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Seiler; Gerichtsschreiberin Keel Baumann
 
Parteien
 
L.________, 1933, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt David Husmann, Untermüli 6, 6300 Zug,
 
gegen
 
Personalvorsorgestiftung der Firma X.________ AG, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Advokat Dr. Hans-Ulrich Stauffer, Rümelinsplatz 14, 4001 Basel
 
Vorinstanz
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
 
(Entscheid vom 1. Juni 2004)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der am 7. November 1933 geborene L.________ war bei der Firma X.________ AG als Arbeitnehmer tätig und in dieser Eigenschaft bei der Personalvorsorgestiftung der Firma X.________ AG vorsorgeversichert (nachfolgend: Personalvorsorgestiftung).
 
Die IV-Stelle des Kantons Zürich sprach ihm und seiner Ehefrau mit Verfügung vom 14. Mai 1996 rückwirkend ab 1. Februar 1995 eine ganze Ehepaarrente basierend auf einem Invaliditätsgrad von 100 % zu. Von der Personalvorsorgestiftung bezog er eine Invalidenrente der beruflichen Vorsorge in der Höhe von Fr. 16'920.-, was 40 % des versicherten Jahreslohnes entsprach. Mit Wirkung auf Ende November 1998, in welchem Monat L.________ das 65. Altersjahr erreicht hatte, stellte die Personalvorsorgestiftung ihre Invalidenleistungen ein und richtete L.________ ab 1. Dezember 1998 eine Altersrente in der Höhe von Fr. 8342.- bzw. Fr. 9977.- einschliesslich Teuerung aus.
 
B.
 
Mit Eingabe vom 13. November 2003 liess L.________ Klage erheben und beantragen, es seien ihm Rentenleistungen in der Höhe der bisher gestützt auf das Reglement ausgerichteten Invalidenleistungen zu bezahlen, nebst Zins zu 5 % seit jeweiligem Rentenfälligkeitstag. Mit Entscheid vom 1. Juni 2004 wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Klage ab.
 
C.
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt L.________ das im kantonalen Verfahren gestellte Rechtsbegehren erneuern.
 
Die Personalvorsorgestiftung schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Stellungnahme.
 
D.
 
Nach Abschluss des Schriftenwechsels hat der Rechtsvertreter der Vorsorgeeinrichtung geltend gemacht, dass das von L.________ beigezogene, nach den Akten seit 1. September 1990 geltende Vorsorgereglement nie in Kraft getreten und aus diesem Grunde das seit 1. Januar 1988 geltende Reglement massgebend sei. Der Rechtsvertreter des L.________ erhielt Gelegenheit, hiezu Stellung zu nehmen, wovon er in seiner Eingabe vom 7. Oktober 2000 Gebrauch gemacht hat.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Die vorliegende Streitigkeit unterliegt der Gerichtsbarkeit der in Art. 73 BVG erwähnten richterlichen Behörden, welche sowohl in zeitlicher als auch in sachlicher Hinsicht zuständig sind (BGE 130 V 104 Erw. 1.1, 112 Erw. 3.1.2, 128 II 389 Erw. 2.1.1, 128 V 258 Erw. 2a, 120 V 18 Erw. 1a, je mit Hinweisen).
 
2.
 
Im Beschwerdeverfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen ist die Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts nicht auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt, sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (Art. 132 OG).
 
3.
 
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz zu Recht einen Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Altersrente in der Höhe der bisher ausgerichteten Invalidenrente verneint hat.
 
4.
 
4.1 Für den obligatorischen Bereich der beruflichen Vorsorge sieht Art. 26 Abs. 3 Satz 1 BVG vor, dass der Anspruch auf Invalidenleistungen mit dem Tode des Anspruchsberechtigten oder mit dem Wegfall der Invalidität erlischt. Im Unterschied zur Rente der Invalidenversicherung ist demnach die BVG-Invalidenrente eine Leistung auf Lebenszeit; sie wird nicht durch die BVG-Altersrente abgelöst, wenn der Bezüger das gesetzliche Rücktrittsalter (Art. 13 Abs. 1 BVG) erreicht (BGE 118 V 100; vgl. auch BGE 123 V 123 Erw. 3a; Urteile B. vom 23. März 2001, B 2/00, und M. vom 14. März 2001, B 69/99). Hingegen kann reglementarisch vorgesehen werden, dass die Invalidenrente bei Erreichen des Rücktrittsalters in eine Altersrente überführt wird. In diesem Falle muss die sie ablösende Altersrente mindestens der bisherigen Invalidenleistung entsprechen, d.h. gleichwertig sein (Urteil B. vom 23. März 2001, B 2/00, Erw. 2b).
 
4.2 Den Grundsatz, dass die Invalidenrente lebenslänglich ausgerichtet wird beziehungsweise die Altersrente mindestens gleich hoch wie die bis zur Pensionierung gewährte Invalidenrente sein muss, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht zwar in BGE 127 V 259 auf den weitergehenden Bereich der beruflichen Vorsorge ausgedehnt. Nach einer eingehenden Auseinandersetzung mit der im Schrifttum hieran geäusserten Kritik hat es in BGE 130 V 369 indessen eine Änderung der Rechtsprechung vorgenommen, welche das kantonale Gericht in seinem Entscheid bereits vorweggenommen hat. Danach gilt, dass die Vorsorgeeinrichtungen im weitergehenden Bereich der beruflichen Vorsorge bestimmen können, dass der Anspruch auf eine Invalidenrente nur bis zum Erreichen des Rentenalters besteht, bzw. Altersleistungen erbringen können, die geringer als die vor Erreichen des Pensionierungsalters ausgerichtete Invalidenrente sind.
 
5.
 
5.1 Zwischen den Parteien besteht Uneinigkeit in der Frage des anwendbaren Reglements: Während sich der Beschwerdeführer auf das von ihm eingereichte, nach den Akten ab 1. September 1990 geltende Reglement (nachfolgend: Reglement 1990) stützt, hält die Vorsorgeeinrichtung das seit 1. Januar 1988 in Kraft stehende Reglement (nachfolgend: Reglement 1988) für einschlägig mit der Begründung, beim Reglement 1990 handle es sich um ein Musterreglement des Rückversicherers, welches vom Stiftungsrat nie verabschiedet worden sei. Wie es sich damit verhält, kann indessen offen bleiben, weil beide Regelwerke - wie sich aus nachstehenden Erwägungen ergibt - vorliegend zum selben Ergebnis führen.
 
5.2 Die Reglemente der Beschwerdegegnerin sehen in beiden Fassungen in Art. 3.1.1 folgende Leistungen vor: bei Erreichen des Schlussalters eine lebenslange Altersrente und Pensionierten-Kinderrenten; bei Erwerbsunfähigkeit (Invalidität) eine Invalidenrente, Invaliden-Kinderrenten und die Befreiung von der Beitragszahlung. In Art. 3.5.9 Satz 5 Reglement 1990 bzw. Art. 3.4.9 Satz 5 Reglement 1988 wird ausgeführt, dass der Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsleistungen bei Erreichen des Schlussalters (daneben auch wenn der Grad der Erwerbsunfähigkeit weniger als einen Viertel beträgt oder mit dem Tod) erlischt. Auch wenn die einzig im Reglement 1990 enthaltene Bestimmung des Art. 3.2.1 Satz 1 Anwendung fände, wonach auf die Witwen-, Waisen-, Invaliden- und Invaliden-Kinderrenten vor Erreichen des Schlussalters kein Anspruch entsteht, wenn ein Unfallversicherer gemäss Unfallversicherungsgesetz [UVG] oder die Militärversicherung gemäss Militärversicherungsgesetz [MVG] leistungspflichtig ist, vermöchte der Beschwerdeführer - entgegen der von ihm vertretenen Auffassung - aus ihr nichts zu seinen Gunsten abzuleiten. Denn diese Norm bezieht sich einzig auf die Koordination mit der Unfall- und Militärversicherung; hinsichtlich des (in Art. 3.5.9 Satz 5 Reglement 1990 [Art. 3.4.9 Satz 5 Reglement 1988] eindeutig und abschliessend geregelten) Zeitpunktes des Erlöschens der Erwerbsunfähigkeitsleistungen lässt sich ihr nichts entnehmen. Auch in der die Altersleistungen regelnden Bestimmung des Art. 3.3 Reglement 1990 bzw. Art. 3.2 Reglement 1988 - namentlich in dem die Höhe der Altersrente normierenden Art. 3.3.2 Reglement 1990 bzw. Art. 3.2.2 Reglement 1988 - wird nicht vorgesehen, dass die Altersrente nicht geringer als die bis zum Erreichen des Rücktrittsalters ausgerichtete Invalidenrente sein darf. Damit muss es bei der Feststellung sein Bewenden haben, dass der Beschwerdeführer auch aus den massgebenden reglementarischen Bestimmungen keinen Anspruch auf eine Altersrente in der Höhe der bisher ausgerichteten Invalidenrente beanspruchen kann.
 
5.3 Nach Auffassung des Beschwerdeführers ist die Vorsorgeeinrichtung für den Fall, dass die massive Rentenreduktion bei Erreichen des Rücktrittsalters im Reglement eine Stütze finden würde, aus culpa in contrahendo leistungspflichtig (vgl. dazu auch Riemer, Die überobligatorische berufliche Vorsorge im Schnittpunkt von BVG-Obligatorium und Vertragsrecht [zusätzliche Bemerkungen zu BGE 127 V 259 ff.]). Da sich indessen die Höhe der Altersrente nach Gesetz (Art. 14 Abs. 1 BVG in der bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung) und Reglement (Art. 3.3.2 Reglement 1990 bzw. Art. 3.2.2 Reglement 1988) richtet, könnte eine allfällige Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten nicht mit einer Erhöhung der Rente kompensiert werden. Soweit der Beschwerdeführer damit sinngemäss ein Begehren auf Leistung von Schadenersatz im Umfang der Renteneinbusse stellt, kann darauf mangels Anfechtungsgegenstandes nicht eingetreten werden.
 
6.
 
6.1 Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, die Vorinstanz habe sich mit seinem des Weitern erhobenen Einwand, dass die gemäss massgebendem Reglement errechnete Altersrente nicht einmal den BVG-Minimalvorschriften zur Höhe der lebenslangen Invalidenrente entspreche, überhaupt nicht auseinandergesetzt, was eine Verletzung seines Anspruches auf rechtliches Gehör darstelle.
 
6.2 Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheids dar, welcher in die Rechtsstellung einer Person eingreift. Dazu gehört insbesondere deren Recht, sich vor Erlass des in ihre Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 129 II 504 Erw. 2.2, 127 I 56 Erw. 2b, 127 III 578 Erw. 2c, 126 V 131 Erw. 2b; zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin geltende Rechtsprechung: BGE 126 I 16 Erw. 2a/aa, 124 V 181 Erw. 1a, 375 Erw. 3b, je mit Hinweisen).
 
Das Recht, angehört zu werden, ist formeller Natur. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs führt ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst zur Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Es kommt mit anderen Worten nicht darauf an, ob die Anhörung im konkreten Fall für den Ausgang der materiellen Streitentscheidung von Bedeutung ist, d.h. die Behörde zu einer Änderung ihres Entscheides veranlasst wird oder nicht (BGE 127 V 437 Erw. 3d/aa, 126 V 132 Erw. 2b mit Hinweisen).
 
Nach der Rechtsprechung kann eine - nicht besonders schwerwiegende - Verletzung des rechtlichen Gehörs als geheilt gelten, wenn die betroffene Person die Möglichkeit erhält, sich vor einer Beschwerdeinstanz zu äussern, die sowohl den Sachverhalt wie die Rechtslage frei überprüfen kann. Die Heilung eines - allfälligen - Mangels soll aber die Ausnahme bleiben (BGE 127 V 437 Erw. 3d/aa, 126 I 72, 126 V 132 Erw. 2b, je mit Hinweisen).
 
6.3 Indem sich die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid darauf beschränkt hat, die nach ihrer Darstellung einzig streitige Frage zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer eine Altersrente in Höhe der bis zum Erreichen des Rücktrittsalters ausgerichteten Invalidenrente zusteht (vgl. dazu Erw. 5 hievor), und auf den weiter erhobenen Einwand, dass die Altersrente in der ausgerichteten Höhe nicht einmal den BVG-Mindestvorschriften zur Höhe der lebenslangen Invalidenrente entspreche, nicht eingegangen ist, hat sie das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzt. Da diese im angefochtenen Entscheid nicht behandelte Frage für den Ausgang des Rechtsstreites nach der Höhe der dem Beschwerdeführer zustehenden Altersrente entscheidend ist, wiegt die Gehörsverletzung schwer und ist einer Heilung nicht zugänglich, auch wenn das Eidgenössische Versicherungsgericht die streitige Frage umfassend prüfen kann (vgl. Erw. 2 hievor). Denn die zur Beurteilung erforderliche Schattenrechnung ist vorinstanzlich nur zur Edition offeriert, aber nicht vorgelegt worden. Die Sache wird daher an das kantonale Gericht zurückgewiesen, damit es die Höhe der dem Beschwerdeführer zustehenden Altersrente prüfe.
 
7.
 
Da es um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine Gerichtskosten zu erheben.
 
Dem in der Hauptsache (Anspruch auf eine Altersrente in der Höhe der bisher ausgerichteten Invalidenrente; Erw. 5 hievor) unterliegenden Beschwerdeführer steht eine reduzierte Parteientschädigung zu (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 Abs. 3 OG). Die Beschwerdegegnerin kann als Trägerin der beruflichen Vorsorge gemäss BVG praxisgemäss keine Parteientschädigung beanspruchen (Art. 159 Abs. 2 OG; BGE 126 V 149 Erw. 4a, 118 169 Erw. 7, 117 V 349 Erw. 8 mit Hinweis).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, insoweit teilweise gutgeheissen, als der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 1. Juni 2004 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Die Personalvorsorgestiftung der Firma X.________ AG hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 800.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 25. Oktober 2005
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Die Präsidentin der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).