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Informationen zum Dokument  BGer 1P.545/2005  Materielle Begründung
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BGer 1P.545/2005 vom 10.11.2005
 
Tribunale federale
 
{T 1/2}
 
1P.545/2005 /ggs
 
Urteil vom 10. November 2005
 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Féraud, Präsident,
 
Bundesrichter Nay, Reeb,
 
Gerichtsschreiber Steinmann.
 
Parteien
 
1. Demokratisches Nidwalden,
 
2. Claudia Dillier-Küchler,
 
3. Vreni Perret-Karlen,
 
Beschwerdeführerinnen,
 
gegen
 
Kanton Nidwalden, 6370 Stans, vertreten durch den Rechtsdienst des Kantons Nidwalden, Dorfplatz 2, 6371 Stans,
 
Verfassungsgericht des Kantons Nidwalden, Rathausplatz 1, 6371 Stans.
 
Gegenstand
 
Art. 34 BV, Vorbereitung der Wahl des Landrates,
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil
 
des Verfassungsgerichts des Kantons Nidwalden
 
vom 7. Juli 2005.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der Regierungsrat des Kantons Nidwalden fasste am 8. März 2005 gestützt auf die Kantonsverfassung und das Wahl- und Abstimmungsgesetz den "Beschluss über die Zahl der in jeder politischen Gemeinde zu wählenden Miglieder des Landrates". Aufgrund der kantonalen Einwohnerstatistik setzte er im Hinblick auf die Gesamterneuerungswahl des Landrates im Jahre 2006 die Anzahl der zu wählenden Landratsmitglieder für die einzelnen Wahlkreise fest. Diese variiert zwischen 11 Mandaten für die politische Gemeinde Stans und 2 Mandaten für die politische Gemeinde Emmetten. Nach der Rechtsmittelbelehrung konnte dieser Beschluss innert 20 Tagen beim Verfassungsgericht des Kantons Nidwalden angefochten werden (Amtsblatt des Kantons Nidwalden vom 16. März 2005).
 
Mit Beschluss vom 5. April 2005 "über die Gesamterneuerungswahl des Landrates" setzte der Regierungsrat gestützt auf das Gesetz über die Verhältniswahl die Wahl des Landrates auf den 26. März 2006 fest und ordnete im Einzelnen die Fristen an für die Einreichung der Wahlvorschläge, die öffentliche Auflage und die Einsprachemöglichkeit, die Wahlablehnung, die Bereinigung der Wahlvorschläge sowie die Zustellung der Wahlvorschläge (Amtsblatt vom 13. April 2005).
 
B.
 
Das Demokratische Nidwalden, Claudia Dillier-Küchler und Vreni Perret-Karlen erhoben am 15. April 2005 beim Verfassungsgericht des Kantons Nidwalden Beschwerde und stellten die folgenden Anträge:
 
1. Der Kanton Nidwalden sei zu verhalten, die Wahlen in den Landrat (kantonales Parlament) so zu gestalten, dass sie den Anforderungen des Bundesrechts, insb. Art. 8 und Art. 34 Abs. 2 BV, sowie der Kantonsverfassung, insb. Art. 2 Abs. 2 und Art. 8 KV, genügen;
 
2. eventualiter habe das Gericht selbst Anordnungen zu treffen, um sicher zu stellen, dass die Wahlen in den Landrat im Jahre 2006 bundes- bzw. kantonsverfassungskonform durchgeführt werden; (...)"
 
Mit Urteil vom 7. Juli 2005 trat das Verfassungsgericht auf die Beschwerde nicht ein. Es stellte im Wesentlichen fest, dass der Beschluss über die Zahl der in jeder politischen Gemeinde zu wählenden Miglieder des Landrates vom 8. März 2005 innert 20 Tagen hätte angefochten werden müssen, dass diese Frist nicht eingehalten worden sei und dass der Beschluss über die Festsetzung der Landratswahl vom 5. April 2005 als blosser Vollzugs- und Bestätigungsakt nicht der Beschwerde unterliege.
 
C.
 
Gegen diesen Entscheid des Verfassungsgerichts haben das Demokratische Nidwalden, Claudia Dillier-Küchler und Vreni Perret-Karlen beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Sie stellen den Antrag, das Verfassungsgerichtsurteil sei aufzuheben und das Verfassungsgericht sei anzuweisen, auf die Streitsache einzutreten. Die Beschwerdeführerinnen machen eine Verletzung von Art. 29 Abs. 1 BV wegen formeller Rechtsverweigerung geltend und bringen insbesondere vor, die Landratswahl sei erst mit dem Regierungsratsbeschluss vom 5. April 2005 angeordnet und diese Anordnung sei rechtzeitig mit Verfassungsbeschwerde angefochten worden.
 
Der Regierungsrat beantragt für den Kanton Nidwalden die Abweisung der Beschwerde. Das Verfassungsgericht hat unter Hinweis auf den angefochtenen Entscheid auf eine Vernehmlassung verzichtet.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Die Beschwerdeführerinnen sind ohne weiteres zur Rüge der Verletzung von Art. 29 Abs. 1 BV wegen formeller Rechtsverweigerung legitimiert. Auf die rechtzeitig erhobene Beschwerde ist einzutreten.
 
2.
 
2.1 Das Verfassungsgericht hat im angefochtenen Entscheid festgehalten, dass der mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene Regierungsratsbeschluss vom 8. März 2005 betreffend die Mandatsverteilung mit Beschwerde innert 20 Tagen hätte angefochten werden können und hätte angefochten werden müssen. Es ging somit davon aus, dass es sich dabei um eine Vorbereitungshandlung für die im Jahre 2006 abzuhaltende Landratswahl handle, und schloss daraus, dass der Regierungsratsbeschluss vom 5. April 2005 einen blossen Vollzugs- und Bestätigungsakt darstelle und daher wegen angeblich verfassungswidriger Mandatszuteilung nicht mehr in Frage gestellt werden könne.
 
Demgegenüber vertreten die Beschwerdeführerinnen die Auffassung, der Beschluss vom 8. März 2005 stelle lediglich einen Teil-Vorbereitungsakt dar. Die eigentliche Wahlanordnung sei erst mit dem Beschluss vom 5. April 2005 erfolgt. Ihre kantonale Beschwerde habe sich gegen die Festlegung der Landratswahl als Ganzes gerichtet; mit ihrer kantonalen Verfassungsbeschwerde hätten sie nur mittelbar die Mandatszahlen der örtlichen Wahlkreise angefochten.
 
2.2 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 89 OG sind Vorbereitungshandlungen zu Wahlen und Abstimmungen direkt im Anschluss an deren Erlass innert der 30-tägigen Frist mit Stimmrechtsbeschwerde anzufechten. Der Stimmberechtigte, der dies unterlässt, kann allfällige Mängel im Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen nicht mehr im Anschluss an deren Ergebnis vor Bundesgericht geltend machen (BGE 118 Ia 271 E. 1d S. 274, mit Hinweisen). Demgegenüber sind die Kantone gestützt auf ihre Organisationsautonomie frei, die Anfechtung von Vorbereitungshandlungen und die hierfür zu beachtenden Fristen anders zu ordnen und insbesondere Rügen, die sich gegen Vorbereitungshandlungen richten, auch noch bei der Anfechtung des Wahl- und Abstimmungsergebnisses zuzulassen (vgl. BGE 118 Ia 271 E. 1e S. 275).
 
Im vorliegenden Fall gehen sowohl die Beschwerdeführerinnen als auch das Verfassungsgericht davon aus, dass die Vorbereitungshandlungen für die Landratswahl von 2006 im Anschluss an deren Anordnung angefochten werden müssen und dass die Rüge, das Wahlverfahren widerspreche der Bundes- und Kantonsverfassung, nicht erst mit der Anfechtung des Wahlergebnisses erhoben werden könne.
 
Doch stellt sich im vorliegenden Zusammenhang die Frage, ob der Beschluss vom 8. März 2005 oder derjenige vom 5. April 2005 als ausschlaggebende Vorbereitungshandlung gelte.
 
2.3 Die Wahl des Landrates ist in den Grundzügen in Art. 57 und 58 der Kantonsverfassung umschrieben. Danach besteht der Landrat aus 60 Mitgliedern. Für die Wahl bildet jede politische Gemeinde einen Wahlkreis. Jeder Wahlkreis wählt die Mitglieder, die ihm aufgrund der Einwohnerzahl zukommen. Jeder Wahlkreis hat Anspruch auf mindestens 2 Sitze.
 
Die Landratswahl im Einzelnen wird durch das Gesetz über die Verhältniswahl des Landrates (Gesetzessammlung 132.1) und das Gesetz über die politischen Rechte im Kanton (Gesetzessammlung 132.2) geordnet. Ersteres umschreibt die Landratswahl in allgemeiner Weise und ermächtigt den Regierungsrat, den Wahltag und die Fristen für die Einreichung von Wahlvorschlägen anzusetzen (Art. 2 f.). Letzteres gilt allgemein für Wahlen und Abstimmungen; im Kapitel über die Landratswahl (Art. 53 ff.) wird insbesondere die Sitzverteilung geregelt; nach Art. 56 Abs. 4 stellt der Regierungsrat durch Beschluss fest, wie viele Mitglieder des Landrates in jedem Wahlkreis zu wählen sind.
 
Die Regelung der Landratswahl auf Gesetzesstufe zeigt somit, dass zwischen der Mandatsverteilung einerseits und der Ansetzung der Wahl und der damit zusammenhängenden Fristen unterschieden wird. Daraus ist zu schliessen, dass den beiden Regierungsratsbeschlüssen vom 8. März und 5. April 2005 eine je eigenständige Bedeutung zukommt und jeder für sich genommen eine Vorbereitungshandlung im Hinblick auf die Landratswahl von 2006 darstellt. Bei dieser Sachlage hält es vor der Verfassung stand, dass von den Beschwerdeführerinnen verlangt wird, den Beschluss vom 8. März 2005 innert der Rechtsmittelfrist anzufechten, soweit sie die Mandatsverteilung als verfassungswidrig rügen wollen. Ob der Beschluss vom 5. April 2005 wegen anderer Rügen nicht auch angefochten werden könnte, wie das Verfassungsgericht annimmt, scheint fraglich, kann indessen offen gelassen werden.
 
Was die Beschwerdeführerinnen gegen den angefochtenen Entscheid einwenden, vermag keine Verfassungsverletzung zu belegen. Zum einen zeigt die Zweiteilung der Vorbereitung der Landsratswahl, dass schon der erste Beschluss über die Mandatsverteilung rechtzeitig wegen Verletzung der Bundes- und der Kantonsverfassung hätte angefochten werden müssen und sich die Beschwerdeführerinnen nicht darauf beschränken konnten, lediglich den zweiten Beschluss betreffend Termin und Fristen zu beanstanden. Die Anfechtung des Beschlusses vom 8. März 2005 war ihnen umso mehr zuzumuten, als die Frage der Mandatsverteilung im Kanton Nidwalden seit einiger Zeit Gegenstand von Diskussionen bildete (vgl. Verfassungsbeschwerde vom 15. April 2005). Zum andern kann nicht gesagt werden, dass die Beschwerdeführerinnen nur mittelbar die Mandatszahlen der örtlichen Wahlkreise im Visier hätten. Die mit dem Beschluss vom 8. März 2005 pro Wahlkreis festgelegte Mandatszahl bildete offensichtlich Ausgangspunkt ihrer Rüge vor dem Verfassungsgericht, die Mandatsverteilung halte vor der Bundes- und der Kantonsverfassung nicht stand. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass nach ihrer Auffassung eine verfassungsmässige Wahl möglicherweise durch eine andere Art der Auszählung realisiert werden könnte.
 
Damit hält das Nichteintreten des Verfassungsgerichts auf die verspätete kantonale Beschwerde der Beschwerdeführerinnen vor der Verfassung stand und erweist sich deren staatsrechtliche Beschwerde als unbegründet.
 
3.
 
Demnach ist die Beschwerde abzuweisen. Der Praxis zu den Stimmrechtsbeschwerden entsprechend kann auf die Erhebung von Kosten verzichtet werden.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Kosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführerinnen, dem Kanton Nidwalden und dem Verfassungsgericht des Kantons Nidwalden schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 10. November 2005
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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