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Informationen zum Dokument  BGer 9C_757/2007  Materielle Begründung
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BGer 9C_757/2007 vom 03.01.2008
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
9C_757/2007
 
Urteil vom 3. Januar 2008
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
 
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
 
Gerichtsschreiber R. Widmer.
 
Parteien
 
Erbengemeinschaft der E.________ sel.,
 
K.________,
 
D.________,
 
Beschwerdeführerinnen,
 
beide vertreten durch Frau Renate Scherrer-Jost, Alpstrasse 6, 3314 Schalunen,
 
gegen
 
Groupe Mutuel, CM Fonction Publique, Administration, rue du Nord 5, 1920 Martigny, Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Krankenversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, vom 20. September 2007.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1932 geborene E.________ hatte sich am 3. März 2005 am Spital C.________ wegen eines Hirntumors einem operativen Eingriff unterzogen. Am 23. August 2005 verstarb sie. Die Krankenkasse Groupe Mutuel, CM Fonction Publique, bei welcher die Verstorbene bis zu ihrem Tod obligatorisch für Krankenpflege versichert gewesen war, lehnte es mit Verfügung vom 18. Dezember 2006 gegenüber den Erben der E.________ ab, die Behandlungskosten von umgerechnet Fr. 15'572.40 zu übernehmen, woran sie auf Einsprache der Erben hin mit Entscheid vom 8. März 2007 festhielt.
 
B.
 
Auf die von den Erbinnen der Verstorbenen, K.________ und D.________, am 12. April 2007 eingereichte Beschwerde trat das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 20. September 2007 zufolge Fristversäumnisses nicht ein.
 
C.
 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen die Erbinnen von E.________, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei festzustellen, dass die Beschwerde vom 12. April 2007 rechtzeitig eingereicht wurde und das kantonale Gericht sei anzuweisen, diese materiell zu beurteilen.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz zu Recht nicht auf die Beschwerde eingetreten ist, weil sie nach Ablauf der Frist von 30 Tagen eingereicht wurde.
 
1.1 Das kantonale Gericht erachtete die am 12. April 2007 der Post übergebene Beschwerde gegen den den Beschwerdeführerinnen am 12. März 2007 ausgehändigten Einspracheentscheid von 8. März 2007 als verspätet. Es gelangte gestützt auf Art. 82 Abs. 2 ATSG und die hiezu ergangene Rechtsprechung (BGE 133 V 96 E. 4.3.2 S. 97) zum Schluss, dass im vorliegenden Fall die kantonalen Rechtspflegebestimmungen anwendbar seien. Das Verfahrensrecht des Kantons Bern kenne keine Bestimmung, welche positivrechtlich den Stillstand der 30-tägigen Beschwerdefrist 7 Tage vor und nach Ostern regelt. Ebensowenig finde sich eine Norm, welche die Fristenstillstandsbestimmung des Art. 38 ATSG noch vor Ablauf der am 31. Dezember 2007 endenden Übergangsfrist gemäss Art. 82 Abs. 2 ATSG durch Verweisung bereits für anwendbar erklärt hat.
 
1.2 Die Beschwerdeführerinnen vertreten die Auffassung, Art. 38 Abs. 4 lit. a ATSG (Fristenstillstand vom 7. Tag vor Ostern bis und mit dem 7. Tag nach Ostern) sei aufgrund der Verweisungsnorm im kantonalen Recht (Art. 41 Abs. 3 des Gesetzes des Kantons Bern vom 23. Mai 1989 über die Verwaltungsrechtspflege; VRPG) im vorliegenden Fall anwendbar. Der gegenteilige Standpunkt der Vorinstanz verstosse gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
 
2.
 
Nach der Rechtsprechung bleiben u.a. auf dem Gebiete der obligatorischen Krankenpflegeversicherung die bei Inkrafttreten des ATSG gültig gewesenen kantonalen Regelungen zur Rechtspflege während der Übergangsfrist von Art. 82. Abs. 2 ATSG, das heisst bis zum 31. Dezember 2007 oder bis zu einer vorzeitigen Anpassung an das ATSG, anwendbar (BGE 133 V 96 E. 4.3.2 S. 97). Im nämlichen Urteil hat das Eidgenössische Versicherungsgericht festgestellt, dass eine Bestimmung des Verfahrensrechts des Kantons Freiburg (Art. 7 Abs. 2 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes; VRG), wonach die bundesrechtlichen Bestimmungen, insbesondere diejenigen im Bereich der Sozialversicherungen, vorbehalten bleiben, nichts ändert. Art. 7 Abs. 2 VRG kommt mit Blick auf das ATSG nur deklaratorische Bedeutung im Sinne eines unechten Vorbehalts zu, indem diese Bestimmung lediglich zum Ausdruck bringt, dass das ATSG - einschliesslich dessen Übergangsbestimmungen von Art. 82 ATSG - infolge des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts Vorrang hat vor gegebenenfalls abweichendem kantonalem Recht. Mit Art. 7 Abs. 2 VRG vergleichbare Bestimmungen materiellrechtlicher oder formellrechtlicher Natur, wie sie auf kantonaler Ebene verbreitet anzutreffen sind, haben jedenfalls in Sachgebieten, welche das Bundesrecht abschliessend normiert hat, keinen eigenen Regelungsgehalt. Der Bundesgesetzgeber hat mit dem Erlass von Art. 60 Abs. 2 ATSG in Verbindung mit Art. 38 ATSG die Frage des in erstinstanzlichen bundessozialversicherungsrechtlichen Beschwerdeverfahren zu beachtenden Fristenstillstandes abschliessend kodifiziert. Davon abweichende, positive oder negative kantonale Regelungen bleiben auf dem Gebiet derjenigen Bundessozialversicherungszweige, auf welche sich das erstinstanzliche Beschwerdeverfahren schon vor Inkrafttreten des ATSG nach kantonalem Recht gerichtet hatte, innerhalb der 5-jährigen Übergangsfrist so lange anwendbar, bis der kantonale Gesetzgeber seine Vorschriften nach Massgabe von Art. 82 Abs. 2 ATSG angepasst hat (BGE 133 V 96 E. 4.4.5 S. 101).
 
3.
 
Das Verfahrensrecht des Kantons Bern enthält in Art. 41 VRPG eine Art. 7 Abs. 2 VRG des Kantons Freiburg vergleichbare Bestimmung. Während in Abs. 1 und 2 die Berechnung der Fristen geregelt ist, bleiben laut Abs. 3 besondere Fristbestimmungen des Bundesrechts (sowie der Abstimmungs- und Wahlgesetzgebung) vorbehalten. Auch diese Norm ist lediglich deklaratorischer Natur, indem sie den verfassungsmässigen Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV) in die kantonale Verfahrensordnung übernimmt. Weitergehende Bedeutung kann Art. 41 Abs. 3 VRPG entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerinnen nicht zugebilligt werden. Insbesondere lässt sich Derartiges auch nicht der in der Beschwerde zitierten Literaturstelle (Merkli/Aeschlimann/Herzog, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechspflege im Kanton Bern, Bern 1997, S. 291, N 9-11 zu Art. 41 Abs. 3 VRPG) entnehmen. Dass die Norm als echter Vorbehalt zu Gunsten abweichenden Bundesrechts, d.h. der Anwendung der ATSG-Fristenstillstandsbestimmungen, verstanden werden müsste, welchem eigenständige Bedeutung zukommt, ergibt sich aus dem Kommentar nicht. Es hat daher dabei zu bleiben, dass Art. 41 Abs. 3 VRPG keinen eigenen Regelungsgehalt hat (E. 2 hievor).
 
4.
 
Da das anwendbare kantonale Recht keine Vorschrift kennt, welche positivrechtlich den Stillstand der hier zur Diskussion stehenden Beschwerdefrist vorsehen würde, wurde das am 12. April 2007, einen Tag nach Ende der vom 13. März bis 11. April 2007 laufenden 30-tägigen Frist, der Post übergebene Rechtsmittel verspätet eingereicht. Die Vorinstanz ist daher zu Recht nicht auf die Beschwerde eingetreten. Der Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 9 BV; vergleiche BGE 127 I 31 E. 3a S. 36; Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts U 113/06 vom 8. Mai 2006; siehe auch BGE 127 I 31 E. 3a S. 36) kann kein Erfolg beschieden sein. Die Beschwerdeführerinnen vermögen keine unrichtige Auskunft einer zuständigen Stelle oder eine andere Vertrauensgrundlage namhaft zu machen, die eine vom geltenden Recht abweichende Behandlung gebieten würde. Eine Konsultation der Gesetzestexte, welche die Rechtsuchenden zu Folgerungen veranlasst, die nicht mit der massgebenden Rechtsauffassung in Einklang stehen, ist unter dem Gesichtswinkel des Vertrauensschutzes ohne Belang.
 
5.
 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten den unterlegenen Beschwerdeführerinnen aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
6.
 
Da die Beschwerde offensichtlich unbegründet ist, wird sie im Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG, insbesondere ohne Durchführung eines Schriftenwechsels, erledigt.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden den Beschwerdeführerinnen auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 3. Januar 2008
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Meyer Widmer
 
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