VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 1B_237/2007  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 1B_237/2007 vom 08.01.2008
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1B_237/2007
 
Urteil vom 8. Januar 2008
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Féraud, Präsident,
 
Bundesrichter Aeschlimann, Eusebio,
 
Gerichtsschreiber Kessler Coendet.
 
Parteien
 
X.________, Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Bahnhofplatz 3a, 4410 Liestal.
 
Gegenstand
 
Abweisung des Gesuchs um Verteidigerwechsel,
 
Beschwerde gegen die Verfügung vom 15. Oktober 2007 des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung
 
Zivil- und Strafrecht.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Das Strafgericht Basel-Landschaft verurteilte X.________ am 24. August 2007 wegen Vermögens-, Urkunden- und Verkehrsdelikten zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe. Der Verurteilte erklärte gegen das Urteil die Appellation; das Rechtsmittelverfahren ist beim Kantonsgericht Basel-Landschaft hängig. Der Angeklagte befindet sich in Sicherheitshaft.
 
B.
 
Am 30. Juli 2007 hatte das Präsidium des Strafgerichts das Begehren von X.________ um Wechsel seines Offizialverteidigers abgelehnt. X.________ gelangte gegen diese Verfügung an das Kantonsgericht, das die Beschwerde am 14. August 2007 abwies. Auf eine hiergegen erhobene Beschwerde in Strafsachen trat das Bundesgericht mit Urteil vom 19. September 2007 mangels hinreichender Beschwerdebegründung nicht ein (Verfahren 1B_193/2007).
 
C.
 
Mit Schreiben vom 24. August 2007 und weiteren Eingaben ersuchte der Angeklagte das Kantonsgericht erneut um die Bewilligung des Verteidigerwechsels. Das Kantonsgericht wies dieses Gesuch mit Verfügung vom 15. Oktober 2007 ab. Dabei erwog es, die neuen Vorbringen würden zu keiner anderen Beurteilung führen.
 
D.
 
Gegen die Verfügung vom 15. Oktober 2007 reicht X.________ beim Bundesgericht wiederum Beschwerde in Strafsachen ein. Er beantragt im Wesentlichen, das Kantonsgericht sei anzuweisen, ihm einen neuen Offizialverteidiger zu bestellen. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren.
 
Das Kantonsgericht und die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft schliessen auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. X.________ hat zu diesen Eingaben Stellung genommen.
 
E.
 
Der Instruktionsrichter im bundesgerichtlichen Verfahren hat mit Verfügung vom 6. Dezember 2007 das Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der aufschiebenden Wirkung abgewiesen.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Auf das Beschwerdeverfahren ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (BGG; SR 173.110) anwendbar (Art. 132 Abs. 1 BGG).
 
1.1 Der angefochtene Entscheid erging im Rahmen eines Strafverfahrens. Er stützt sich auf kantonales Strafprozessrecht. Hiergegen fällt die Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG in Betracht (vgl. zur Veröffentlichung bestimmtes Urteil 1B_84/2007 vom 11. September 2007, E. 2).
 
1.2 Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen Zwischenentscheid, der das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer nicht abschliesst. Gegen Vor- und Zwischenentscheide, die weder die Zuständigkeit noch den Ausstand betreffen (vgl. dazu Art. 92 BGG), ist die Beschwerde an das Bundesgericht - von hier nicht betroffenen Ausnahmen abgesehen - nur unter den Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG zulässig. Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG sieht die Beschwerdemöglichkeit vor, wenn der angefochtene Zwischenentscheid dem Beschwerdeführer einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann. Im Folgenden ist zu prüfen, ob eine solche Konstellation hier gegeben ist. Nach Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG steht die Beschwerde gegen einen Zwischenentscheid ferner offen, wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde; eine derartige Konstellation liegt hier offensichtlich nicht vor.
 
1.3 Im Verfahren der Beschwerde in Strafsachen entspricht der Begriff des nicht wieder gutzumachenden Nachteils gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG demjenigen des früheren Art. 87 Abs. 2 OG bezüglich der Anfechtbarkeit eines Zwischenentscheids mit der staatsrechtlichen Beschwerde. Folglich muss der nicht wieder gutzumachende Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nicht bloss tatsächlicher, sondern rechtlicher Natur sein (BGE 133 IV 139 E. 4 S. 141; vgl. auch genanntes Urteil 1B_84/2007 vom 11. September 2007, E. 4).
 
1.4 Die Abweisung eines Gesuchs um einen Wechsel des Offizialverteidigers hat, besondere Umstände vorbehalten, keinen nicht wieder gutzumachenden, rechtlichen Nachteil zur Folge. Die Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Gesuchsteller und dem Verteidiger verunmöglicht eine wirksame Verteidigung in aller Regel nicht. Der bisherige Offizialverteidiger bleibt verpflichtet, im Einvernehmen mit dem Mandanten oder in dessen mutmasslichem Interesse eine geeignete Verteidigungsstrategie festzulegen und diese im Verfahren zu vertreten (genanntes Urteil 1B_84/2007, E. 4 mit Hinweis auf BGE 126 I 207 E. 2b S. 211 zu Art. 87 Abs. 2 OG).
 
1.5 Im Lichte der dargelegten Rechtsprechung fehlt es am verlangten rechtlichen Nachteil, soweit der Beschwerdeführer die Prozessführung durch seinen Offizialverteidiger kritisiert. Der Beschwerdeführer behauptet nicht ausdrücklich, in seinem Fall seien besondere Umstände gegeben, die ausnahmsweise ein Eintreten auf seine Beschwerde gebieten würden. Immerhin macht er in zweierlei Hinsicht eine Konfliktsituation zu seinem Verteidiger geltend, auf die nachfolgend näher einzugehen ist.
 
1.6 Der Beschwerdeführer beanstandet, der Verteidiger habe ohne sein Einverständnis Akten aus dem Strafverfahren einer Drittperson ausgehändigt. Insoweit ist ebenfalls kein rechtlicher Nachteil des Beschwerdeführers erkennbar, der ein Eintreten auf die Beschwerde in Strafsachen erfordern würde. Bei der Drittperson handelt es sich um einen weiteren Rechtsanwalt des Beschwerdeführers, der für diesen in Zivilverfahren tätig ist. Im Übrigen erhebt der Beschwerdeführer den betreffenden Vorwurf in pauschaler Weise; damit ist er nicht zu hören. Insbesondere führt er nicht aus, welche Aktenstücke sein Verteidiger dem anderen Rechtsvertreter im Einzelnen nicht hätte herausgeben dürfen.
 
1.7 Nach Meinung des Beschwerdeführers ist der Offizialverteidiger gegen ihn voreingenommen und setze sich daher zu wenig für ihn ein. Dabei verweist der Beschwerdeführer auf angebliche Anstände wegen der Bezahlung eines früheren Mandats in einer Zivilsache, das der Verteidiger für ihn wahrgenommen habe. In diesem Zusammenhang habe der Verteidiger ihm gegenüber sogar einmal gesagt, er überlege sich die Einreichung einer Strafanzeige wegen Betrugs.
 
1.7.1 Entsteht beim Offizialverteidiger eine Interessenkollision, so kann die Aufrechterhaltung einer wirksamen Verteidigung infrage gestellt sein. Insoweit drängt sich eine materielle Prüfung der Beschwerde gegen die Verweigerung des Verteidigerwechsels auf. In diesem Punkt erweist sich die Beschwerde indessen als unbegründet. Der Beschwerdeführer vermag nicht darzutun, dass die Erfüllung der Verteidigerpflichten wegen des angeblichen zusätzlichen Zivilmandats beeinträchtigt würde.
 
1.7.2 Es ist nicht aktenkundig, dass der Verteidiger gegen den Beschwerdeführer je ein Strafverfahren angestrengt hätte. Sofern der Verteidigte seinerseits gegen den Verteidiger Zivil-, Straf- oder Disziplinarverfahren einleitet, kann die Bewilligung eines Verteidigerwechsels angezeigt sein, zwingend ist dies aber nicht. Vielmehr gilt es diesfalls zu prüfen, ob der Verteidigte dabei stichhaltige Vorwürfe erhoben hat. Der Beschwerdeführer bringt vor, während des bundesgerichtlichen Verfahrens sei bei der Aufsichtskommission des kantonalen Anwaltsverbandes ein Verfahren gegen seinen Verteidiger anhängig gemacht worden. Ob diese Sachdarstellung zutrifft, mag dahingestellt bleiben. Ebenso wenig braucht erörtert zu werden, inwiefern der Beschwerdeführer zur Geltendmachung neuer Tatsachen vor dem Bundesgericht befugt ist. Nach seinen Angaben betrifft das angebliche aufsichtsrechtliche Verfahren nicht andere Kritikpunkte, als er in der Beschwerde in Strafsachen angesprochen hat. Somit ist auch mit Blick darauf keine andere Beurteilung der Beschwerde geboten.
 
2.
 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang wird der Beschwerdeführer an sich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat jedoch ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gemäss Art. 64 Abs. 1 BGG gestellt. Das Gesuch ist gutzuheissen, weil davon ausgegangen werden kann, dass der Beschwerdeführer bedürftig ist, und weil die Rechtsbegehren - jedenfalls teilweise - nicht von vornherein aussichtslos waren. Demzufolge sind keine Kosten zu erheben.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.
 
3.
 
Es werden keine Kosten erhoben.
 
4.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 8. Januar 2008
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Féraud Kessler Coendet
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).