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Informationen zum Dokument  BGer 6B_326/2007  Materielle Begründung
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BGer 6B_326/2007 vom 26.02.2008
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6B_326/2007
 
6B_381/2007
 
6B_585/2007 /hum
 
Sitzung vom 26. Februar 2008
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Schneider, Präsident,
 
Bundesrichter Wiprächtiger, Ferrari, Zünd, Mathys,
 
Gerichtsschreiber Störi.
 
Parteien
 
X.________, Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich,
 
Amtsleitung, Feldstrasse 42, 8090 Zürich,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
6B_326/2007
 
Bedingte Entlassung aus der Verwahrung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des
 
Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4. Abteilung,
 
vom 30. Mai 2007;
 
6B_381/2007
 
Psychiatrische Begutachtung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Amtes für
 
Justizvollzug des Kantons Zürich vom 13. Juli 2007;
 
6B_585/2007
 
Neubegutachtung; Rechtsverweigerung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des
 
Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4. Abteilung,
 
vom 19. September 2007.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Zürich vom 19. Mai 1998 wurde X.________ unter anderem wegen mehrfachen versuchten Mordes, mehrfacher schwerer Körperverletzung, mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern und mehrfacher Schändung zu 17 Jahren Zuchthaus verurteilt. Das Gericht ordnete weiter die Verwahrung im Sinne von Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 aStGB an und schob den Vollzug der Freiheitsstrafe zu diesem Zweck in Anwendung von Art. 43 Ziff. 2 Abs. 1 aStGB auf.
 
Am 12. Mai 2000 wies das Bundesgericht eine Nichtigkeitsbeschwerde gegen dieses Urteil ab, soweit es darauf eintrat. Mit Verfügung vom 3. August 2000 regelte das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich den Vollzug der Verwahrung, und seit dem 15. November 2000 hält sich X.________ in der Anstalt Y.________ auf.
 
B.
 
Mit Verfügung vom 26. Juli 2006 lehnte das Amt für Justizvollzug die probeweise Entlassung von X.________ aus dem Vollzug der Verwahrung ab. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hiess eine dagegen gerichtete Beschwerde am 7. Februar 2007 teilweise gut und hob die angefochtene Verfügung insoweit auf, als mit dieser eine Begutachtung durch eine unabhängige sachverständige Person abgelehnt bzw. nicht angeordnet wurde. Die Sache wurde an das Amt für Justizvollzug zurückgewiesen, damit dieses die Frage der bedingten Entlassung nach Massgabe des am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen neuen Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs prüfe. Auf eine hiergegen vom Amt für Justizvollzug erhobene Beschwerde in Strafsachen trat das Bundesgericht mangels Legitimation des Amtes am 4. Mai 2007 nicht ein (BGE 133 IV 121).
 
C.
 
Bereits am 8. Februar 2007 hatte X.________ erneut seine Entlassung aus dem Verwahrungsvollzug beantragt, was das Amt für Justizvollzug mit Verfügung vom 19. Februar 2007 ablehnte. Auf einen Rekurs von X.________ hin hielt die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich fest, nach dem anwendbaren neuen Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches habe der Vollzug der Freiheitsstrafe dem Vollzug der Verwahrung vorauszugehen. Da X.________ zwei Drittel der Strafe verbüsst habe, sei eine bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug zu prüfen, wofür nach Art. 64 Abs. 3 StGB das Gericht zuständig sei. Das Gesuch um bedingte Entlassung sei daher dem Obergericht des Kantons Zürich zur Behandlung zu überweisen. Eine Beschwerde gegen diese Verfügung der Direktion der Justiz und des Innern wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 30. Mai 2007 ab.
 
D.
 
Am 19. Juni 2007 gelangte X.________ an die Direktion der Justiz und des Innern und verlangte, dass, nachdem das Bundesgericht am 4. Mai 2007 auf die Beschwerde des Amtes für Justizvollzug gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 7. Februar 2007 nicht eingetreten sei, nunmehr in Befolgung dieses Entscheides ein psychiatrisches Gutachten einzuholen sei. Das Amt für Justizvollzug, an welches die Eingabe weitergeleitet wurde, verweigerte dies mit Schreiben vom 13. Juli 2007, im Wesentlichen mit der Begründung, dass nach dem neuen Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs die Verbüssung der Freiheitsstrafe dem Vollzug der Verwahrung vorangehe, womit für eine allfällige bedingte Entlassung die Zuständigkeit des Obergerichts gegeben sei.
 
Der Rekurs von X.________ an die Direktion der Justiz und des Innern blieb ebenso erfolglos wie seine Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, welches sie am 19. September 2007 abwies, soweit es darauf eintrat.
 
E.
 
X.________ hat dem Bundesgericht mehrere Beschwerden eingereicht. Zunächst wendet er sich mit Eingabe vom 29. Juni 2007 (6B_326/2007) gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 30. Mai 2007. Er beantragt, diesen aufzuheben und die Freiheitsstrafe von 17 Jahren unter Anrechnung von zwei Dritteln der Strafe als vollzogen zu erklären oder die Freiheitsstrafe zu Gunsten einer Massnahme aufzuschieben.
 
Mit Eingabe vom 19. Juli 2007 (6B_381/2007) führt er sodann Beschwerde gegen das Schreiben des Amtes für Justizvollzug vom 13. Juli 2007 und mit Eingabe vom 27. September 2007 (6B_585/2007) gegen den dieses bestätigenden Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 19. September 2007.
 
Das Amt für Justizvollzug und das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich haben auf Stellungnahme zu den Beschwerden verzichtet. Das Bundesamt für Justiz vertritt in seiner Vernehmlassung vom 7. November 2007, ohne einen Antrag zu stellen, die Rechtsauffassung, der Beschwerdeführer befinde sich seit dem Inkrafttreten des neuen Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches im Strafvollzug, womit für seine allfällige Entlassung das Gericht und nicht die Vollzugsbehörde zuständig sei.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Der Beschwerde in Strafsachen unterliegen namentlich auch Entscheide über den Vollzug von Strafen und Massnahmen (Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG). Die Beschwerde kann sich allerdings nur gegen den Entscheid der letzten kantonalen Instanz richten (Art. 80 Abs. 1 BGG). Dieses Erfordernis ist erfüllt, soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Entscheide des Verwaltungsgerichts vom 30. Mai 2007 und vom 19. September 2007 wendet, nicht hingegen, was die Beschwerde vom 19. Juli 2007 (6B_381/2007) gegen das Schreiben des Amtes für Justizvollzug vom 13. Juli 2007 betrifft. Darauf ist nicht einzutreten. Die beiden Entscheide des Verwaltungsgerichts lehnen eine bedingte Entlassung des Beschwerdeführers aus der Verwahrung ab. Zwar trifft zu, dass unter diesen Umständen dem Obergericht des Kantons Zürich obliegt, darüber zu befinden, ob der Beschwerdeführer nach Verbüssung von zwei Dritteln der Strafe aus dem Strafvollzug zu entlassen sei. Doch handelt es sich deswegen bei den beiden Entscheiden des Verwaltungsgerichts nicht um blosse Zwischenentscheide. Vielmehr lehnen diese endgültig die Entlassung aus der Verwahrung ab, so dass sie als Endentscheide zu qualifizieren sind (Art. 90 BGG) und folglich auch unter diesem Gesichtspunkt auf die beiden Beschwerden gegen die Entscheide des Verwaltungsgerichts einzutreten ist.
 
2.
 
2.1 Der Beschwerdeführer ist vom Geschworenengericht des Kantons Zürich am 19. Mai 1998 zu 17 Jahren Zuchthaus verurteilt worden, und überdies wurde gegen ihn die Verwahrung ausgesprochen. Nach dem damals massgebenden System des Verhältnisses von Freiheitsstrafe und Verwahrung ging die Verwahrung vor und war die Freiheitsstrafe aufzuschieben (Art. 43 Ziff. 2 Abs. 1 aStGB). Für den Fall der Aufhebung der Massnahme (Art. 43 Ziff. 4 StGB) hatte der Richter über die Vollstreckung der aufgeschobenen Freiheitsstrafe zu entscheiden (Art. 43 Ziff. 5 StGB), wobei die Dauer des Freiheitsentzugs durch Vollzug der Massnahme in einer Anstalt auf die Dauer der aufgeschobenen Freiheitsstrafe anzurechnen war (Art. 43 Ziff. 5 StGB).
 
Nach dem neuen Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches geht demgegenüber der Vollzug der Freiheitsstrafe der Verwahrung voraus (Art. 64 Abs. 2 StGB). Ist schon während des Vollzugs der Freiheitsstrafe zu erwarten, dass der Täter sich in Freiheit bewährt, so verfügt das Gericht die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe frühestens auf den Zeitpunkt hin, an welchem der Täter zwei Drittel davon verbüsst hat (Art. 64 Abs. 3 StGB).
 
Übergangsrechtlich bestimmt zunächst Art. 388 Abs. 1 StGB, dass Urteile, die in Anwendung des bisherigen Rechts ausgesprochen worden sind, nach bisherigem Recht vollzogen werden, wobei gemäss Abs. 3 dieses Artikels allerdings die Bestimmungen des neuen Rechts über das Vollzugsregime sowie über die Rechte und Pflichten des Gefangenen auch auf Täter anwendbar sind, die nach bisherigem Recht verurteilt worden sind. Diese allgemeine Übergangsregelung für den Vollzug früherer Urteile wird für die aktuelle Revision des Allgemeinen Teils durch besondere Schlussbestimmungen der Änderung vom 13. Dezember 2002 ergänzt. Gemäss Ziff. 2 Abs. 1 der Schlussbestimmungen gilt in Bezug auf das Massnahmenrecht, dass die neuen Bestimmungen von Art. 56 - 65 und Art. 90 StGB auch auf diejenigen Täter anwendbar sind, die vor deren Inkrafttreten eine Tat begangen haben oder beurteilt worden sind. Nach Ziff. 2 Abs. 2 der Schlussbestimmungen überprüft zudem das Gericht bis spätestens zwölf Monate nach dem Inkrafttreten des neuen Rechts, ob bei Personen, die nach den Art. 42 und 43 Ziff. 1 Abs. 2 des bisherigen Rechts verwahrt worden sind, die Voraussetzungen einer therapeutischen Massnahme (Art. 59 - 61 oder 63) gegeben sind. Trifft dies zu, so ordnet das Gericht die entsprechende Massnahme an; andernfalls wird die Verwahrung nach neuem Recht weitergeführt.
 
2.2 Erklären die Schlussbestimmungen der Änderung vom 13. Dezember 2002 für schon beurteilte Täter das neue Recht über die Massnahmen als anwendbar und verweisen sie diesbezüglich explizit auf die Art. 56 - 65, so gilt dies auch für die Bestimmung von Art. 64 Abs. 2, wonach der Vollzug der Freiheitsstrafe der Verwahrung vorausgeht. Bei einem verwahrten Täter, der zugleich zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, gilt diese folglich übergangsrechtlich als vollstreckt, soweit sich der Verurteilte während der gesamten Dauer der ausgefällten Freiheitsstrafe im Verwahrungsvollzug befunden hat. Diesfalls hat der Richter nach Ziff. 2 Abs. 2 der Schlussbestimmungen lediglich noch zu prüfen, ob anstelle der Verwahrung nach neuem Recht eine therapeutische Massnahme anzuordnen oder aber die Verwahrung weiterzuführen ist. Wenn demgegenüber der Verurteilte sich noch nicht so lange in der Verwahrung befand, dass die zugleich angeordnete, aber aufgeschobene Freiheitsstrafe als vollzogen gelten kann, so kommt es darauf an, ob die Dauer des bisherigen Verwahrungsvollzugs wenigstens zwei Dritteln der Freiheitsstrafe entspricht. Diesfalls hat der Richter gemäss Art. 64 Abs. 3 StGB zu prüfen, ob zu erwarten ist, dass sich der Täter in Freiheit bewährt und folglich bedingt entlassen werden kann. Wenn dies nicht der Fall ist, erfolgt die weitere Prüfung nach Ziff. 2 Abs. 2 der Schlussbestimmungen, ob die Verwahrung durch eine therapeutische Massnahme zu ersetzen ist. Können schliesslich aufgrund der Verwahrung noch nicht zwei Drittel der Freiheitsstrafe als vollzogen gelten, bleibt es vorerst bei der Prüfung der Frage, ob die Verwahrung durch eine therapeutische Massnahme zu ersetzen ist.
 
2.3 Der Beschwerdeführer hat in Anrechnung des bisherigen Verwahrungsvollzugs bereits mehr als zwei Drittel der Freiheitsstrafe verbüsst, so dass der Richter sowohl zu prüfen hat, ob er aus der Freiheitsstrafe bedingt entlassen werden kann, als auch, ob die angeordnete Verwahrung durch eine therapeutische Massnahme zu ersetzen ist.
 
Der Beschwerdeführer wird aufgrund der neuen Vollzugsregelung und ihrer übergangsrechtlichen Anwendung nicht schlechter gestellt als bisher. Während nach altem Recht durch die Vollzugsbehörde zu prüfen war, ob der Grund der Massnahme entfallen ist (Art. 43 Ziff. 4 StGB) und - bejahendenfalls - alsdann der Richter über die Vollstreckung der aufgeschobenen Freiheitsstrafe zu befinden hatte (Art. 43 Ziff. 5 StGB), ist nach neuem Recht zu prüfen, ob der Beschwerdeführer aus dem Strafvollzug zu entlassen ist, was zugleich bedeuten würde, dass er die Verwahrung nicht anzutreten hätte. Diese umgekehrte Vorgehensweise führt in keiner Weise zu einer Verschärfung der ihm auferlegten Sanktionen, so dass der übergangsrechtlichen Anwendung des neuen Rechts nichts entgegensteht.
 
Damit aber ist nicht zu beanstanden, wenn das Verwaltungsgericht die Entlassung aus der Verwahrung abgelehnt hat, weil übergangsrechtlich der Vollzug der Strafe vorgeht und das Obergericht über eine allfällige Entlassung zu befinden hat.
 
3.
 
Der Beschwerdeführer hat ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt, das gutgeheissen werden kann (Art. 64 Abs. 1 BGG), so dass keine Kosten zu erheben sind.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Auf die Beschwerde 6B_381/2007 wird nicht eingetreten.
 
2.
 
Die Beschwerden 6B_326/2007 und 6B_585/2007 werden abgewiesen.
 
3.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.
 
4.
 
Es werden keine Kosten erhoben.
 
5.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung, dem Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich und dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 26. Februar 2008
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Schneider Störi
 
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