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Informationen zum Dokument  BGer 1B_79/2008  Materielle Begründung
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BGer 1B_79/2008 vom 21.04.2008
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1B_79/2008
 
Urteil vom 21. April 2008
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Féraud, Präsident,
 
Bundesrichter Aeschlimann, Eusebio,
 
Gerichtsschreiberin Scherrer.
 
Parteien
 
X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Patrick A. Schaerz,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz,
 
Archivgasse 1, 6430 Schwyz.
 
Gegenstand
 
Einstweilige Freilassung aus dem Strafvollzug; Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung,
 
Beschwerde gegen die Rechtsverweigerung des Präsidiums des Kantonsgerichts des Kantons Schwyz.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Das Strafgericht des Kantons Schwyz sprach X.________ am 6. November 2003 des gewerbsmässigen Betrugs und der mehrfachen Urkundenfälschung schuldig und verurteilte sie zu drei Jahren Zuchthaus.
 
Mit Urteil vom 30. Mai 2006 hiess das Kantonsgericht Schwyz die Berufung der Verurteilten teilweise gut. Im Übrigen bestätigte es die Schuldsprüche des Strafgerichts und verurteilte X.________ zu einer Zuchthausstrafe von 30 Monaten.
 
Das Bundesgericht wies die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und die staatsrechtliche Beschwerde am 2. Dezember 2006 ab (Urteil 1P.154/2006 und 6S.345/2006).
 
Seit dem 21. Mai 2007 befindet sich X.________ im Strafvollzug.
 
B.
 
Mit Schreiben vom 29. November 2007 gelangte sie ans Kantonsgericht des Kantons Schwyz und beantragte in erster Linie die Aufhebung der genannten kantonalen Urteile und die Wiederaufnahme des Verfahrens vor erster Instanz. Weiter ersuchte sie u.a. darum, "unverzüglich einstweilen" aus dem Strafvollzug entlassen zu werden.
 
C.
 
Der Kantonsgerichtspräsident erliess hierauf am 30. November 2007 eine Zwischenverfügung, in welcher er der Gesuchstellerin - wie von dieser beantragt - eine Nachfrist bis 31. Januar 2007 setzte, um das Revisionsgesuch zu ergänzen und eine deutsche Übersetzung eines graphologischen Gutachtens einzureichen. Soweit ein Antrag in der Sache unterbleibe, könne auf das Revisionsgesuch nicht eingetreten werden. Gleichzeitig wurde das kantonale Strafgericht eingeladen, die Akten nach Erledigung des bei ihm hängigen Verfahrens dem Kantonsgericht einzureichen.
 
Diese Verfügung focht die Gesuchstellerin nicht an, sondern bat am 31. Januar 2008 um eine zusätzliche Fristerstreckung, welche ihr am 4. Februar 2008 letztmals gewährt wurde.
 
Mit Schreiben vom 3. März 2008 forderte der Kantonsgerichtspräsident den Staatsanwalt des Kantons Schwyz auf, sich bis 20. März 2008 zum ergänzten Revisionsbegehren vom 28. Februar 2008 vernehmen zu lassen.
 
Daraufhin gelangte die Gesuchstellerin am 4. März 2008 an den Kantonsgerichtspräsidenten und ersuchte ihn erneut, sie unverzüglich einstweilig aus dem Strafvollzug zu entlassen bzw. unverzüglich einen entsprechenden Entscheid in dieser Sache gemäss § 157d Abs. 2 der kantonalen Verordnung über den Strafprozess vom 28. August 1974 (StPO/SZ; SRSZ 233.110) zu fällen.
 
D.
 
Am 5. März 2008 legte der Kantonsgerichtspräsident der Gesuchstellerin schriftlich seinen Standpunkt dar, wonach eine einstweilige Freilassung im Sinne von § 157d Abs. 2 StPO/SZ weder eine Haftprüfung noch eine Überprüfung einer auf unbestimmte Dauer ausgesprochenen freiheitsentziehenden Massnahme darstelle. Die Gesuchstellerin sei rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten verurteilt. Art. 5 Abs. 4 EMRK gelange nicht zur Anwendung. Eine provisorische Entlassung aus dem Strafvollzug komme nach kantonalem Prozessrecht nur in Frage, wenn das Revisionsgesuch mit grosser Wahrscheinlichkeit gutzuheissen sei und voraussichtlich zu einem Freispruch oder mindestens einer wesentlichen Reduktion der Strafe führen werde. Dies gelte es nach Anhörung der Staatsanwaltschaft zu prüfen. Im Übrigen wies der Kantonsgerichtspräsident die Beschwerdeführerin auf die Möglichkeit zur Rechtsverzögerungsbeschwerde ans Bundesgericht hin.
 
E.
 
Mit Eingabe vom 19. März 2008 erhebt X.________ beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen wegen Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung. Sie beantragt, der Präsident des Kantonsgerichts Schwyz sei raschmöglichst anzuweisen, die Sache unverzüglich an die Hand zu nehmen und innert 48 Stunden resp. eventuell innert gerichtlich festgelegter Frist darüber zu entscheiden. Eventualiter sei die Beschwerdeführerin in Anordnung einer vorsorglichen Massnahme gemäss Art. 104 BGG superprovisorisch aus dem Strafvollzug zu entlassen.
 
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz verzichtet auf eine Vernehmlassung. Der Kantonsgerichtspräsident schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
 
In ihrer Replik vom 15. April 2008 hält die Beschwerdeführerin sinngemäss an ihren Anträgen fest.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Die Eintretensvoraussetzungen sind erfüllt und geben zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass.
 
2.
 
2.1 Gemäss Art. 5 Abs. 4 EMRK hat jede Person, die festgenommen oder der die Freiheit entzogen ist, das Recht zu beantragen, dass ein Gericht innerhalb kurzer Frist über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzuges entscheidet und ihre Entlassung anordnet, wenn der Freiheitsentzug nicht rechtmässig ist. Die Beschwerdeführerin befindet sich indes im ordentlichen, gerichtlich letztinstanzlich angeordneten Strafvollzug und hat am 29. November 2007 ein Revisionsgesuch eingereicht. Erfolgt eine Inhaftnahme am Ende eines gerichtlichen Verfahrens, d.h. als Ergebnis einer strafrechtlichen Verurteilung, wird die in Art. 5 Abs. 4 EMRK vorgesehene Kontrolle für die gesamte Dauer der Strafhaft von der gerichtlichen Verurteilung "absorbiert" (Mark E. Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, 2. Auflage, Zürich 1999, N. 367). Art. 5 Abs. 1 lit. a EMRK nennt denn als rechtmässigen Freiheitsentzug auch ausdrücklich denjenigen nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht. Während des ordentlichen Strafvollzuges gelangt Art. 5 Abs. 4 EMRK demnach grundsätzlich nicht zur Anwendung.
 
2.2 Zwar entsteht ein Anspruch auf Haftprüfung bei Fortdauer der Haft, wenn neue Umstände die Rechtmässigkeit der Haft nachträglich in Frage zu stellen vermögen (Villiger, a.a.O., N 368). Vorliegend steht jedoch noch keineswegs fest, ob dem Revisionsbegehren der Beschwerdeführerin Erfolg beschieden sein wird, auch wenn sie selber sich davon überzeugt zeigt. Es kann nicht angehen, jeweils schon mit Einreichung eines Revisionsgesuchs ein Haftprüfungsverfahren auszulösen. Einen derartigen Anspruch auf periodische Prüfung der gerichtlich angeordneten Strafhaft kennen weder Konvention noch Verfassung.
 
Wie der Kantonsgerichtspräsident in seiner Vernehmlassung zu Recht ausführt, kann sich die Haftprüfungsfrage erst nach einer allfälligen Gutheissung des Revisionsbegehrens stellen. § 157d Abs. 2 StPO/SZ ändert an dieser Ausgangslage nichts. Nach Abs. 1 der genannten Norm ordnet der Präsident des Kantonsgerichts die zur Prüfung des Revisionsgesuches erforderlichen Erhebungen und Beweisaufnahmen an, wenn sich das Gesuch nicht von vornherein als unbegründet erweist. Er kann den Untersuchungsrichter mit der Durchführung betrauen. Abs. 2 sieht die Möglichkeit vor, dass der Präsident schon vor dem Entscheid des Kantonsgerichtes die einstweilige Freilassung des Verurteilten verfügen oder die Untersuchungshaft anordnen kann. Daraus kann die Beschwerdeführerin keinen Anspruch auf sofortige Entlassung nach Einreichung eines Parteigutachtens ableiten. Solange keine gesicherten Anhaltspunkte für die mögliche Gutheissung der Revision vorliegen, ist ohne vertiefte Prüfung keine Haftentlassung angezeigt. Der Kantonsgerichtspräsident hat die Staatsanwaltschaft im Sinne von § 157d Abs. 1 StPO/SZ zur Vernehmlassung aufgefordert und die im Falle einer Revision gesetzlich vorgesehenen Schritte umgehend in die Wege geleitet. Infolgedessen ist ihm weder eine Verfassungs- noch eine Konventionsverletzung vorzuwerfen, zumal die Beschwerdeführerin selber mit ihren mehrfachen Fristerstreckungsgesuchen nicht zur Verfahrensbeschleunigung beiträgt.
 
3.
 
Insgesamt ist der Argumentation des Kantonsgerichtspräsidenten im Schreiben vom 5. März 2008 (siehe lit. D hiervor) vollumfänglich zu folgen. Eine Rechtsverzögerung liegt nicht vor, weshalb sich die Rügen der Beschwerdeführerin als unbegründet erweisen und die Beschwerde abzuweisen ist. Der Entscheid über die beantragte Anordnung einer vorsorglichen Massnahme im Sinne von Art. 104 BGG erübrigt sich damit. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft und dem Präsidium des Kantonsgerichtes des Kantons Schwyz schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 21. April 2008
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
Féraud Scherrer
 
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