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Informationen zum Dokument  BGer 2D_140/2007  Materielle Begründung
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BGer 2D_140/2007 vom 13.08.2008
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
2D_140/2007
 
Urteil vom 13. August 2008
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Merkli, Präsident,
 
Bundesrichter Hungerbühler, Karlen
 
Gerichtsschreiber Häberli.
 
Parteien
 
1. X.________,
 
2. Y.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Steuerverwaltung des Kantons Bern,
 
Brünnenstrasse 66, 3018 Bern.
 
Gegenstand
 
Erlass der Kantons- und Gemeindesteuern 2004-2006,
 
subsidiäre Verfassungsbeschwerde gegen die Erlassentscheide der Steuerverwaltung des Kantons Bern vom 10. Dezember 2007.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Am 10. Juli 2007 ersuchten X.________ und Y.________ die Steuerverwaltung des Kantons Bern rückwirkend um Erlass der Kantons- und Gemeindesteuern 2004 bis 2006. Die Steuern der Jahre 2004 und 2005 in der Höhe von 2'008.30 bzw. 2'347 Franken hatten sie zu diesem Zeitpunkt bereits gänzlich bezahlt, während von der Steuerrechnung 2006 über 2'385.25 Franken noch eine Restanz von 820.80 Franken offen war. Mit Entscheiden vom 10. Dezember 2007 wies die Steuerverwaltung das Gesuch ab, weil bei X.________ und Y.________ keine finanzielle Notlage im Sinne der einschlägigen gesetzlichen Regelung bestehe.
 
B.
 
Am 17. Dezember 2007 haben X.________ und Y.________ beim Bundesgericht subsidiäre Verfassungsbeschwerde eingereicht mit dem Antrag, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und ihren Erlassgesuchen zu entsprechen.
 
Die Steuerverwaltung des Kantons Bern beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten, eventuell diese abzuweisen.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid (vgl. Art. 240 Abs. 5 des Berner Steuergesetzes vom 21. Mai 2000 [StG/BE]; ursprüngliche Fassung, in Kraft bis Ende 2007), der sich auf kantonales Recht stützt und gegen den auf Bundesebene nur die subsidiäre Verfassungsbeschwerde offen steht (vgl. Art. 83 lit. m und Art. 113 BGG). Weil die Berner Steuerpflichtigen bei Vorliegen gewisser Voraussetzungen über einen Rechtsanspruch auf Steuererlass verfügen (vgl. Art. 240 Abs. 1 StG/BE in Verbindung mit Art. 35 Abs. 1 und Art. 42 der kantonalen Bezugsverordnung vom 18. Oktober 2000 [BEZV]; vgl. auch Art. 240 Abs. 5 StG/BE in der Fassung vom 24. Februar 2008), werden die Beschwerdeführer durch den abschlägigen Erlassentscheid in rechtlich geschützten Interessen betroffen und sind insoweit zur subsidiären Verfassungsbeschwerde legitimiert (vgl. Urteil 2D_40/2007 vom 25. Mai 2007 i.S. J.). Angesichts der zweijährigen Übergangsfrist gemäss Art. 130 Abs. 3 BGG kann gegen einen derartigen Erlassentscheid - bis zum Inkrafttreten des neuen Art. 240 Abs. 7 StG/BE (Fassung vom 24. Februar 2008), welcher neu den Rekurs an die kantonale Steuerrekurskommission für zulässig erklärt - noch unmittelbar die subsidiäre Verfassungsbeschwerde erhoben werden, auch wenn es sich bei der Steuerverwaltung des Kantons Bern nicht um eine zulässige Vorinstanz des Bundesgerichts nach Art. 114 in Verbindung mit Art. 86 Abs. 2 BGG handelt (vgl. Urteil 2D_40/2007 vom 25. Mai 2007 i.S. J.).
 
1.2 Mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde kann einzig die Verletzung verfassungsmässiger Rechte geltend gemacht werden (Art. 116 BGG), wobei hiefür das sog. Rügeprinzip gilt (Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254). Dieses verlangt, dass der Beschwerdeführer in seiner Eingabe dartut, welche verfassungsmässigen Rechte inwiefern durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind; das Bundesgericht untersucht nicht von sich aus, ob der angefochtene kantonale Entscheid verfassungsmässig ist, sondern prüft nur rechtsgenügend vorgebrachte, klar erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen (BGE 110 Ia 1 E. 2 S. 3 f.; 119 Ia 197 E. 1d S. 201). Die Beschwerdeführer beanstanden die angefochtenen Erlassentscheide, ohne in der verlangten Weise darzutun, dass und inwiefern ein Verstoss gegen verfassungsmässige Rechte vorliegen soll. Ihre Eingabe vermag damit den formellen Anforderungen an die Begründung einer subsidiären Verfassungsbeschwerde nicht zu genügen. Selbst wenn man über diesen Mangel hinwegsehen und von einer sinngemässen Anrufung des Willkürverbotes ausgehen wollte, vermöchte die Beschwerde aus den folgenden Gründen nicht durchzudringen:
 
2.
 
2.1 Ein Entscheid verstösst dann gegen das Willkürverbot (Art. 9 BV), wenn er offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Er ist nicht schon dann willkürlich, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre (vgl. BGE 134 I 140 E. 5.4 S. 148). Zudem hebt das Bundesgericht einen Entscheid nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 131 I 467 E. 3.1 S. 473 f.).
 
2.2 Gemäss Art. 240 Abs. 1 StG/BE werden im Kanton Bern rechtskräftig festgesetzte Kantons-, Gemeinde- oder Kirchensteuern sowie Zinsen, Gebühren oder Bussen (ganz oder teilweise) erlassen, wenn ihre Zahlung mit einer erheblichen Härte verbunden ist. Der Steuererlass soll zu einer langfristigen und dauernden Sanierung der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen beitragen, weshalb er diesem selber und nicht seinen Gläubigern zugute zu kommen hat (Art. 34 Abs. 1 BEZV). Massgebend für den Entscheid über das Erlassgesuch sind die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen, wobei es auf die Situation im Zeitpunkt des Entscheids (unter Berücksichtigung der Zukunftsaussichten) ankommt (Art. 36 Abs. 1 BEZV). Art. 42 BEZV zählt insbesondere folgende Steuererlassgründe auf: eine offensichtliche Härte der gesetzlichen Ordnung oder stossende Ungerechtigkeit des Einzelfalls, die vom Gesetzgeber weder vorausgesehen noch beabsichtigt worden ist (lit. a); eine Belastung mit ausserordentlichen Familienlasten und Unterhaltsverpflichtungen, durch welche die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der steuerpflichtigen Person wesentlich eingeschränkt wird, so dass die Bezahlung der Steuern sie in eine Notlage bringen würde (lit. b); die Bezahlung des geschuldeten Steuerbetrags würde für den Steuerpflichtigen ein Opfer darstellen, das in einem offenbaren Missverhältnis zu seiner finanziellen Leistungsfähigkeit steht und ihm daher nicht zugemutet werden kann, wobei ein solches Missverhältnis dann vorliegen kann, wenn die Steuerschuld trotz Einschränkung der Lebenshaltungskosten auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum in absehbarer Zeit nicht vollumfänglich beglichen werden kann (lit. c); erhebliche Geschäfts- und Kapitalverluste von selbstständig Erwerbstätigen und juristischen Personen, wenn die wirtschaftliche Existenz der Unternehmung und Arbeitsplätze gefährdet sind (vorausgesetzt wird dabei ein teilweiser Forderungsverzicht der anderen gleichrangigen Gläubiger; lit. d); hohe Krankheits- und Pflegekosten, die nicht von Dritten getragen werden, soweit sie für die steuerpflichtige Person eine Notlage herbeiführen und nicht bereits im ordentlichen Verfahren berücksichtigt wurden (lit. e; ursprüngliche Fassung, in Kraft bis Ende 2007) sowie im Falle einer für die steuerpflichtige Person unzumutbaren Belastung oder Verwertung des Vermögens zur Tilgung der Steuerschulden (insbesondere wenn es sich dabei um einen unentbehrlichen Bestandteil der Altersvorsorge handelt; lit. f).
 
3.
 
Soweit vorliegend der Erlass von bereits bezahlten Steuern betroffen ist, kann eine Verletzung des Willkürverbots zum Vornherein ausgeschlossen werden: Ein rückwirkender Erlass ist im Kanton Bern nur für Steuerbeträge möglich, die unter (ausdrücklichem oder sich aus den Umständen ergebendem) Vorbehalt bezahlt worden sind (Art. 40 Abs. 2 BEZV). Dass die Beschwerdeführer einen derartigen Vorbehalt angebracht hätten oder dass aus den Umständen auf einen solchen hätte geschlossen werden müssen, ist weder geltend gemacht noch ersichtlich.
 
4.
 
Voraussetzung für die Gutheissung der Beschwerde bezüglich der offenen Steuerschuld für 2006 wäre, dass die Verweigerung des Steuererlasses bzw. die Verneinung einer finanziellen Notlage bei den Beschwerdeführern durch die Berner Steuerverwaltung geradezu unhaltbar ist. Entsprechendes ist nicht der Fall:
 
4.1 Wenn sich die Beschwerdeführer auf Art. 42 lit. c BEZV und den Umstand berufen, dass sie Ergänzungsleistungen beziehen, verkennen sie, dass es gemäss der genannten Bestimmung nicht auf den Anspruch auf Ergänzungsleistungen, sondern allein auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum des Steuerpflichtigen ankommt. Dieser Unterschied ist darum entscheidend, weil die Ergänzungsleistungen bei den Beschwerdeführern zwar gewiss nicht zu Wohlstand führen, aber ihnen doch eine Lebenshaltung garantieren, die wesentlich über ihrem betreibungsrechtlichen Existenzminimum liegt. Die Bezahlung der offenen Steuerschuld in der Höhe von 820.80 Franken ist unter diesen Umständen zumutbar. Auch wenn die Beschwerdeführer unstreitig in bescheidenen finanziellen Verhältnissen leben, verstösst es nicht gegen das Willkürverbot, wenn die Steuerverwaltung eine finanzielle Notlage im Sinne von Art. 42 lit. c BEZV verneint hat.
 
4.2 Die Beschwerdeführerin musste Ende letzten Jahres für rund einen Monat hospitalisiert werden, weshalb sie - wegen der Beitragspflicht der Versicherten an die Kosten von Spitalaufenthalten (vgl. Art. 64 Abs. 5 des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung [KVG; SR 832.10] und Art. 104 der Verordnung vom 27. Juni 1995 über die Krankenversicherung [KVV; SR 832.102]) - eine zusätzliche finanzielle Belastung befürchtet. Die Beschwerdeführer machen mithin geltend, sich aufgrund von hohen Krankheits- bzw. Pflegekosten in einer Notlage im Sinne von Art. 42 lit. f BEZV zu befinden. An sich wäre dies denkbar, zumal Art. 36 Abs. 1 BEZV eine Berücksichtigung der Zukunftsaussichten für die Beurteilung der finanziellen Verhältnisse ermöglicht (vgl. E. 2). Die Steuerverwaltung weist diesbezüglich jedoch zu Recht darauf hin, dass derartige zusätzliche Krankheitskosten zumindest teilweise durch höhere Ergänzungsleistungsansprüche kompensiert werden (vgl. Art. 14 Abs. 1 lit. g in Verbindung mit Art. 34 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2006 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung [ELG; SR 831.30]) sowie die Verordnung über die Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten bei den Ergänzungsleistungen [AS 1998 239; 2000 81; 2002 3728; 2003 4299; 2004 5399]). Zur Zeit ist damit eine Notlage im Sinne von Art. 42 lit. f BEZV zumindest nicht derart offensichtlich, dass die Steuerverwaltung einen Steuererlass vernünftigerweise nicht mehr verweigern durfte; der angefochtene Entscheid erscheint deshalb auch mit Blick auf die allenfalls wegen des Spitalaufenthalts der Beschwerdeführerin zu entrichtenden Kostenbeiträge nicht verfassungswidrig.
 
5.
 
Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde erweist sich demnach als unbegründet, soweit darauf überhaupt eingetreten werden kann.
 
Bei diesem Verfahrensausgang werden die Beschwerdeführer kostenpflichtig, wobei ihrer schwierigen Situation bei der Bemessung der Gerichtsgebühr Rechnung getragen wird (vgl. Art. 65 f. BGG). Parteientschädigung ist keine auszurichten (vgl. Art. 68 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden den Beschwerdeführern unter Solidarhaft auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern und der Steuerverwaltung des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 13. August 2008
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Merkli Häberli
 
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