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Informationen zum Dokument  BGer 1B_203/2008  Materielle Begründung
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BGer 1B_203/2008 vom 15.08.2008
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1B_203/2008 /daa
 
Urteil vom 15. August 2008
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Féraud, Präsident,
 
Bundesrichter Aeschlimann, Fonjallaz,
 
Gerichtsschreiber Kessler Coendet.
 
Parteien
 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Markus Braun,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Gewaltdelikte, Molkenstrasse 15/17, Postfach,
 
8026 Zürich.
 
Gegenstand
 
Untersuchungshaft,
 
Beschwerde gegen die Verfügung vom 8. Juli 2008 des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich führt eine Strafuntersuchung gegen X.________ wegen Gewaltdelikten, die er in der Neujahrsnacht 2008 zusammen mit weiteren Angeschuldigten verübt haben soll. Der Beschuldigte wurde am 3. Januar 2008 festgenommen; er befindet sich seit dem 5. Januar 2008 in Untersuchungshaft. Am 8. Juli 2008 erstreckte der Haftrichter des Bezirks Zürich die zulässige Haftfrist bis zum 5. Oktober 2008; zugleich wies er ein am 26. Juni 2008 gestelltes Haftentlassungsgesuch ab.
 
B.
 
X.________ reicht mit Eingabe vom 23. Juli 2008 beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen gegen die Haftverfügung vom 8. Juli 2008 ein. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die unverzügliche Freilassung. Zudem stellt er ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung im bundesgerichtlichen Verfahren.
 
Die Staatsanwaltschaft spricht sich sinngemäss für die Abweisung der Beschwerde aus. Der Haftrichter hat Verzicht auf eine Vernehmlassung erklärt. In der Replik hält der Beschwerdeführer an seinen Begehren fest.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Der angefochtene Entscheid stützt sich auf kantonales Strafprozessrecht und kann mit der Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG angefochten werden. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, kann - unter dem Vorbehalt rechtsgenüglicher Rügen (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG) - auf die Beschwerde eingetreten werden.
 
2.
 
2.1 Die Untersuchungshaft darf nach Zürcher Strafverfahrensrecht nur angeordnet bzw. fortgesetzt werden, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird und ausserdem ein besonderer Haftgrund vorliegt (§ 58 Abs. 1 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich vom 4. Mai 1919 [StPO/ZH; LS 321]). Kollusionsgefahr als besonderer Haftgrund liegt vor, wenn aufgrund bestimmter Anhaltspunkte ernsthaft befürchtet werden muss, der Angeschuldigte werde Spuren oder Beweismittel beseitigen, Dritte zu falschen Aussagen zu verleiten suchen oder die Abklärung des Sachverhaltes auf andere Weise gefährden (§ 58 Abs. 1 Ziff. 2 StPO/ZH).
 
Der Beschwerdeführer bestreitet den dringenden Tatverdacht teilweise. Das Vorliegen von Kollusionsgefahr im Zeitpunkt des angefochtenen Entscheids stellt er gänzlich in Abrede. Dabei macht er eine Verletzung von verfassungsmässigen Individualrechten geltend.
 
2.2 Mit Blick auf den Tatverdacht liegt im Streit, ob der Beschwerdeführer dringend verdächtig ist, mit dem Hammer auf den Kopf des Geschädigten A.________ eingeschlagen und diesen schwer verletzt zu haben. Gegen diese Beurteilung des Haftrichters werden in der Beschwerde Einwände vorgebracht. Hingegen beanstandet der Beschwerdeführer den Tatverdacht nicht, soweit es um die Beteiligung an einem Angriff auf A.________ geht. Nach Darstellung des Beschwerdeführers ist es insbesondere nicht erstellt, ob der Geschädigte eine schwere Körperverletzung erlitt. Ferner habe die Staatsanwaltschaft gegen den Beschwerdeführer noch gar nicht wegen schwerer Körperverletzung ermittelt. Ob diese Vorbringen rechtsgenügliche Rügen im Sinne von Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG darstellen, muss nicht geprüft werden. Diese vermöchten ohnehin nicht durchzudringen.
 
Wie sich aus den Akten ergibt, wurde der Beschwerdeführer bereits in der ersten polizeilichen Einvernahme mit dem umstrittenen Tatverdacht konfrontiert. Die Staatsanwaltschaft hat im Haftverlängerungsantrag vom 2. Juli 2008 ausgeführt, der Tatverdacht beziehe sich zumindest auf eine versuchte schwere Körperverletzung. Im angefochtenen Entscheid begründet der Haftrichter einlässlich und nachvollziehbar, gestützt auf welche Indizien er zum dringenden Verdacht einer schweren Körperverletzung gelangt ist. Im Haftprüfungsverfahren genügt der Nachweis von konkreten Verdachtsmomenten, wonach das inkriminierte Verhalten mit erheblicher Wahrscheinlichkeit die fraglichen Tatbestandsmerkmale erfüllen könnte (vgl. BGE 116 Ia 143 E. 3c S. 146; Urteil 1P.90/2005 vom 23. Februar 2005, E. 2.2, in: Pra 95/2006 Nr. 1 S. 1). Inwiefern die Erwägungen des angefochtenen Entscheids zum umstrittenen Tatverdacht diesen Voraussetzungen nicht entsprechen sollen, tut der Beschwerdeführer nicht dar.
 
2.3 Zur Hauptsache wehrt sich der Beschwerdeführer gegen die Annahme, es sei weiterhin Kollusionsgefahr gegeben.
 
Die strafprozessuale Haft wegen Kollusionsgefahr soll verhindern, dass der Angeschuldigte die Freiheit oder einen Urlaub dazu missbrauchen würde, die wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhaltes zu vereiteln oder zu gefährden. Die theoretische Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in Freiheit kolludieren könnte, genügt indessen nicht, um die Fortsetzung der Haft oder die Nichtgewährung von Urlauben unter diesem Titel zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr konkrete Indizien für die Annahme von Verdunkelungsgefahr sprechen. Das Vorliegen des Haftgrunds ist nach Massgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu prüfen (BGE 132 I 21 E. 3.2 S. 23 mit Hinweisen).
 
Konkrete Anhaltspunkte für Kollusionsgefahr können sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts namentlich ergeben aus dem bisherigen Verhalten des Angeschuldigten im Strafprozess, aus seinen persönlichen Merkmalen, aus seiner Stellung und seinen Tatbeiträgen im Rahmen des untersuchten Sachverhalts sowie aus den persönlichen Beziehungen zwischen ihm und den ihn belastenden Personen. Bei der Frage, ob im konkreten Fall eine massgebliche Beeinträchtigung des Strafverfahrens wegen Verdunkelung droht, ist auch der Art und Bedeutung der von Beeinflussung bedrohten Aussagen bzw. Beweismittel, der Schwere der untersuchten Straftaten sowie dem Stand des Verfahrens Rechnung zu tragen (BGE 132 I 21 E. 3.2.1 S. 23 f. mit Hinweisen). Je weiter das Strafverfahren vorangeschritten ist und je präziser der Sachverhalt bereits abgeklärt werden konnte, desto höhere Anforderungen sind an den Nachweis von Verdunkelungsgefahr zu stellen (BGE 132 I 21 E. 3.2.2 S. 24).
 
2.4 Der Haftrichter hat Kollusionsgefahr im Verhältnis zu den Mitangeschuldigten und den Zeugen bejaht. Der Beschwerdeführer hält diese Beurteilung für willkürlich. Er legt entscheidendes Gewicht auf die Äusserung im Haftverlängerungsantrag vom 2. Juli 2008, wonach die Zeugeneinvernahmen abgeschlossen seien. Ergänzend legt der Beschwerdeführer dar, auch die Mitangeschuldigten seien eingehend zur Sache befragt worden. Es müssten nur noch Abklärungen an längst gesicherten Beweismitteln vorgenommen werden; bei deren Auswertung vermöge er nichts zu verdunkeln. Insgesamt erachtet er die Kollusionsgefahr als rein theoretischer Natur.
 
2.5 Die Strafuntersuchung gegen den Beschwerdeführer ist zwar bereits fortgeschritten. Insbesondere ist aber die Befragung der verschiedenen Angeschuldigten noch nicht abgeschlossen. So wurden am 7. Juli 2008 getrennte Einvernahmen mit dem Beschwerdeführer und mit dem Mitangeschuldigten B.________ durchgeführt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft ist auf den 18. August 2008 eine zusätzliche Einvernahme mit dem weiteren Angeschuldigten C.________ als Auskunftsperson angesetzt. Dieser befindet sich mittlerweile wieder in Freiheit. Er hat den Beschwerdeführer in einer früheren Befragung belastet. Zu Unrecht versucht der Beschwerdeführer den Eindruck zu erwecken, die Einvernahmen der Angeschuldigten seien nicht mehr geeignet, etwas am Beweisergebnis zu ändern. Es verhält sich keineswegs so, dass der Sachverhalt, insbesondere zur Frage der Tatbeiträge der beiden Hauptangeschuldigten X.________ und B.________, restlos geklärt wäre. In der Strafuntersuchung wird dem Vorwurf schwerer Straftaten nachgegangen. An der Wahrheitsfindung besteht daher ein erhebliches öffentliches Interesse. Entsprechend wichtig ist die Vermeidung von Kollusionsgefahr.
 
Der Beschwerdeführer gab in der Einvernahme vom 7. Juli 2008 in allgemeiner Weise zu, dass vor seiner Verhaftung ein Treffen der Angeschuldigten bei ihm zu Hause stattgefunden hatte und diese dort Absprachen zu künftigen Aussagen getroffen hatten. Er behauptet in der Replik an das Bundesgericht, auch die Zeugen hätten sich untereinander abgesprochen. Ausserdem habe sich C.________ seit der Haftentlassung mit Zeugen besprechen können. Sofern es zutrifft, dass bereits Abmachungen unter Beteiligten über die Aussagen erfolgt sind, verringert dieser Umstand die Kollusionsgefahr im heutigen Zeitpunkt nicht wesentlich. Die Ausführungen des Beschwerdeführers lassen vielmehr den Schluss zu, dass gerade bezüglich C.________ hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme von Kollusionsgefahr vorliegen.
 
2.6 Da eine Kollusionsgefahr im Verhältnis zu den Mitangeschuldigten bejaht werden durfte, kommt es nicht darauf an, ob eine solche auch bezüglich der Zeugen gegeben ist. Allfällige Mängel bei der Feststellung des Sachverhalts zur Kollusionsgefahr gegenüber Zeugen sind somit für den Ausgang des Verfahrens nicht entscheidend; es erübrigt sich, auf die diesbezüglichen Vorwürfe einzugehen (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG). Darüber hinaus ist es im vorliegenden Fall auch nicht erforderlich, Rügen zur Frage zu erörtern, ob Kollusionsgefahr selbst nach Abschluss der Untersuchung angenommen werden dürfte. Schliesslich sind mildere Massnahmen als die Aufrechterhaltung der Haft weder geltend gemacht noch ersichtlich.
 
3.
 
Beiläufig bemängelt der Beschwerdeführer, die Untersuchung werde nicht genügend rasch vorangetrieben. Er macht der Staatsanwaltschaft insbesondere zum Vorwurf, dass sie die DNA-Analyse der angeblichen Blutspuren auf dem möglichen Tatwerkzeug erst nach dem Ergehen des angefochtenen Entscheids angeordnet hat. Diesen Vorwurf erhebt er vor dem Hintergrund, dass sich dieses Werkzeug bereits seit Januar 2008 in Händen der Staatsanwaltschaft befindet. Dem Haftrichter ist jedoch beizupflichten, wenn er für die bisherige Untersuchungsführung eine Verletzung des Beschleunigungsgebots insgesamt verneint hat.
 
4.
 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Da die Voraussetzungen gemäss Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG vorliegen, ist dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung bewilligt.
 
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.
 
2.2 Rechtsanwalt Markus Braun wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Gewaltdelikte, und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 15. August 2008
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Féraud Kessler Coendet
 
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