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Informationen zum Dokument  BGer 8C_79/2008  Materielle Begründung
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BGer 8C_79/2008 vom 19.08.2008
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
8C_79/2008
 
Urteil vom 19. August 2008
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
 
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Lustenberger,
 
Gerichtsschreiberin Kopp Käch.
 
Parteien
 
E.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Walter A. Stöckli, Schmiedgasse 10, 6472 Erstfeld,
 
gegen
 
IV-Stelle Uri, Dätwylerstrasse 11, 6460 Altdorf UR,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Uri, Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 14. Dezember 2007.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der 1954 geborene E.________ meldete sich am 2. Juni 2003 unter Hinweis auf eine am 26. November 2001 durchgeführte Herzoperation bei der Invalidenversicherung zum Bezug einer Rente an. Nach Abklärung der gesundheitlichen und erwerblichen Verhältnisse, insbesondere nach Durchführung einer Abklärung in der beruflichen Abklärungsstelle Y.________ (Bericht vom 21. Juli 2004), verneinte die IV-Stelle des Kantons Uri - ausgehend von einem Invaliditätsgrad von 29% - mit Verfügung vom 25. Oktober 2004 und Einspracheentscheid vom 8. März 2005 einen Rentenanspruch des Versicherten. Eine dagegen erhobene Beschwerde hiess das Obergericht des Kantons Uri mit Entscheid vom 30. September 2005 in dem Sinne gut, als es den Einspracheentscheid aufhob und die Sache an die IV-Stelle zurückwies, damit sie nach Vornahme weiterer Abklärungen zum psychischen Zustand von E.________ über dessen Rentenanspruch neu verfüge.
 
Nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens des Dr. med. A.________, Institut für medizinische Begutachtung (IMB), vom 22. Mai 2006 sowie weiterer medizinischer Berichte und Durchführung des Vorbescheidverfahrens wies die IV-Stelle mit Verfügung vom 16. November 2006 das Leistungsbegehren von E.________ - ausgehend von einem Invaliditätsgrad von 32% - erneut ab.
 
B.
 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Uri nach Einreichung eines Berichts des Dienstes X.________ vom 23. Januar 2007 und der Klinik B.________ vom 13. August 2007 durch den Versicherten mit Entscheid vom 14. Dezember 2007 ab.
 
C.
 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt E.________ beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei festzustellen, dass bei ihm ein Invaliditätsgrad von mindestens 70%, eventuell mindestens 60%, subeventuell mindestens 50%, subsubeventuell mindestens 40% bestehe, eventuell sei die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung.
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
D.
 
Mit Eingabe vom 28. März 2008 lässt E.________ ein versicherungspsychiatrisches Gutachten des Dr. med. C.________, Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 20. März 2008 nachreichen, welches der Vorinstanz und der IV-Stelle zur Kenntnisnahme zugestellt wurde.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde ans Bundesgericht zu prüfen, ob der angefochtene Gerichtsentscheid in der Anwendung der massgeblichen materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen (u.a.) Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). In der Beschwerde ist darzutun, inwiefern diese Voraussetzung für eine nachträgliche Einreichung von Beweismitteln erfüllt sein soll (BGE 133 III 393 E. 3 S. 395).
 
2.
 
Im vorinstanzlichen Entscheid sind die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze zum Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 IVG) sowie zur Invaliditätsbemessung bei erwerbstätigen Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 16 ATSG) zutreffend dargelegt worden. Richtig sind auch die Ausführungen über die Aufgabe des Arztes oder der Ärztin im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 256 E. 4 S. 261) sowie über den Beweiswert und die Beweiswürdigung medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352). Darauf wird verwiesen.
 
3.
 
Streitig und zu prüfen ist der Invaliditätsgrad des Versicherten und in diesem Zusammenhang zunächst die Einschränkung in der Arbeitsfähigkeit.
 
3.1 Das kantonale Gericht ist in einlässlicher Würdigung der medizinischen Aktenlage, namentlich gestützt auf den Abklärungsbericht der Beruflichen Abklärungsstelle Y.________ vom 21. Juli 2004 und auf das psychiatrische Gutachten des Dr. med. A.________ vom 22. Mai 2006 zum Schluss gelangt, dass beim Beschwerdeführer keine rentenrelevante Beeinträchtigung des Leistungsvermögens vorliegt. Was die physisch bedingte Einschränkung der Arbeitsfähigkeit anbelangt, legte es dar, dass diese insbesondere durch die Berufliche Abklärungsstelle Y.________ hinreichend erstellt und unbestritten geblieben ist, weshalb diesbezüglich von der Zumutbarkeit eines ganztägigen Einsatzes mit einer Gesamtleistung von 80% in einer leichten, wechselbelastenden, nicht schweisstreibenden Tätigkeit unter Vermeidung extremer Witterungsbedingungen und ohne langes Knien oder Verharren in der Hocke sowie ohne Laufen auf unebenen Unterlagen ausgegangen werden könne. Bezüglich einer allfälligen Einschränkung der Arbeitsfähigkeit aus psychischen Gründen sodann legte die Vorinstanz dar, weshalb auf das Gutachten des Dr. med. A.________ vom 22. Mai 2006 abgestellt werden kann, und verneinte das Vorliegen einer diesbezüglichen Einschränkung sowohl in der angestammten als auch in sämtlichen Verweisungstätigkeiten.
 
3.2 Die Feststellung des Gesundheitsschadens, d.h. die Befunderhebung und die gestützt darauf gestellte Diagnose, sowie die aufgrund von medizinischen Untersuchungen gerichtlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit betreffen eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.) und sind mithin vom Bundesgericht nur auf ihre offensichtliche Unrichtigkeit hin überprüfbar (vgl. E. 1 hievor).
 
3.3 Der Versicherte macht unter Hinweis auf die bereits dem kantonalen Gericht vorgelegenen Berichte des Dienstes X.________ vom 23. Januar 2007 sowie der Klinik B.________ vom 13. August 2007 und auf das neu aufgelegte Privatgutachten des Dr. med. C.________ vom 20. März 2008 im Wesentlichen geltend, die vorinstanzliche Sachverhaltswürdigung bezüglich des psychischen Gesundheitszustandes sei willkürlich. Er rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäss Art. 29 Abs. 2 BV, da er sich weder habe zur Gutachterstelle äussern noch zu den Schlussfolgerungen Stellung nehmen oder Ergänzungsfragen einreichen können, sowie eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes gemäss Art. 43 Abs. 1 ATSG durch Verzicht auf die beantragten weiteren Abklärungen.
 
4.
 
4.1 Eine psychiatrische Exploration kann von der Natur der Sache her nicht ermessensfrei erfolgen. Sie eröffnet dem begutachtenden Psychiater daher praktisch immer einen gewissen Spielraum, innerhalb dessen verschiedene medizinisch-psychiatrische Interpretationen möglich, zulässig und zu respektieren sind, sofern der Experte lege artis vorgegangen ist. Daher und unter Beachtung der Divergenz von medizinischem Behandlungs- und Abklärungsauftrag kann es nicht angehen, eine medizinische Administrativ- oder Gerichtsexpertise stets dann in Frage zu stellen und zum Anlass weiterer Abklärungen zu nehmen, wenn die behandelnden Ärzte nachher zu unterschiedlichen Einschätzungen gelangen oder an solchen vorgängig geäusserten abweichenden Auffassungen festhalten. Anders verhält es sich hingegen, wenn die behandelnden Ärzte objektiv feststellbare Gesichtspunkte vorbringen, welche im Rahmen der psychiatrischen Begutachtung unerkannt geblieben und die geeignet sind, zu einer abweichenden Beurteilung zu führen (Urteil 8C_809/2007 vom 16. Mai 2008 E. 4.1 mit Hinweis).
 
4.2 In den vom Versicherten angerufenen Berichten werden keine objektiv feststellbaren Gesichtspunkte vorgebracht, welche im Rahmen der psychiatrischen Begutachtung durch Dr. med. A.________ unerkannt geblieben und die geeignet gewesen wären, zu einer abweichenden Beurteilung zu führen. Mit dem kantonalen Gericht ist das Gutachten des Dr. med. A.________ vom 22. Mai 2006 als umfassend, schlüssig und den rechtsprechungsgemässen Anforderungen an eine beweistaugliche und beweiskräftige Entscheidgrundlage (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352) genügend zu qualifizieren. Zwar ist dem Beschwerdeführer insoweit zuzustimmen, als die IV-Stelle ihm zur Wahrung seiner Gehörs- und Mitwirkungsrechte zumindest hätte Gelegenheit geben müssen, sich nachträglich zum Gutachten zu äussern und gegebenenfalls Ergänzungsfragen zu stellen, doch zeitigt dieser Verfahrensmangel keine weiteren Folgen, da der Versicherte alle formellen und materiellen Einwände gegen die Expertise im kantonalen Beschwerdeverfahren vor einer Instanz erheben konnte, die sowohl die Tat- wie auch die Rechtsfragen uneingeschränkt überprüft (vgl. Urteil 9C_330/2007 vom 28. September 2007 E. 4.1 mit Hinweisen).
 
4.3 Gemäss Gutachten des Dr. med. A.________ vom 22. Mai 2006 lassen sich aus psychiatrischer Sicht keine Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit erkennen. Den geklagten subjektiven Beschwerden - so der begutachtende Psychiater - komme kein Krankheitswert zu, da sie aus eigener Kraft überwunden werden könnten, die dazu nötige Willensanstrengung dem Versicherten möglich und zumutbar sei, er über die entsprechenden Ressourcen verfüge und sie ohne gesundheitliches Risiko einer objektiven Verschlimmerung möglich sei. Soweit sich in bereits der Vorinstanz vorgelegten medizinischen Berichten, namentlich denjenigen des Hausarztes Dr. med. D.________, abweichende Diagnosestellungen oder Schlussfolgerungen betreffend Einschränkung der Arbeitsfähigkeit finden, hat das kantonale Gericht überzeugend dargelegt, weshalb auf das von der IV-Stelle eingeholte psychiatrische Gutachten sowie die damit übereinstimmenden Berichte abzustellen ist. Zusammenfassend steht fest, dass die Tatsachenfeststellungen des kantonalen Gerichts zum Gesundheitszustand des Versicherten und der damit vereinbaren Arbeitsfähigkeit im Lichte der Akten und der Parteivorbringen weder offensichtlich unrichtig noch rechtsfehlerhaft sind. Da sich im Rahmen der freien, pflichtgemässen Würdigung der Beweise durch die Vorinstanz ein stimmiges und vollständiges Bild des Gesundheitszustandes ergab, welches nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit hinreichende Klarheit über den rechtserheblichen Sachverhalt vermittelte, verletzt deren Verzicht auf Beweisweiterungen im Sinne einer antizipierten Beweiswürdigung entgegen dem Beschwerdeführer kein Bundesrecht.
 
4.4 Ebenfalls nicht in Frage gestellt wird die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung schliesslich durch das neu aufgelegte versicherungspsychiatrische Gutachten des Dr. med. C.________ vom 20. März 2008, wobei die Zulässigkeit dieses Beweismittels offen gelassen werden kann [Art. 99 Abs. 1 BGG], weil dieses rund 16 Monate nach der Verfügung - welche in zeitlicher Hinsicht die Grenze der richterlichen Beurteilung bildet (BGE 129 V 167 E. 1 S. 169 mit Hinweis) - erstellt worden ist und eine aktuelle Diagnosestellung beinhaltet, aus welcher sich für die massgebenden Verhältnisse bis zum Verfügungszeitpunkt nichts ableiten lässt.
 
Der angefochtene Entscheid verletzt Bundesrecht nicht.
 
5.
 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG). Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen Verbeiständung) kann entsprochen werden, da die Bedürftigkeit ausgewiesen ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt geboten war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.
 
3.
 
Die Gerichtskosten für das bundesgerichtliche Verfahren von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.
 
4.
 
Rechtsanwalt Walter A. Stöckli, Erstfeld, wird als unentgeltlicher Anwalt des Beschwerdeführers bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- ausgerichtet.
 
5.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Uri, Verwaltungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 19. August 2008
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
Ursprung Kopp Käch
 
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