VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 1C_11/2008  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 1C_11/2008 vom 25.09.2008
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1C_11/2008
 
Urteil vom 25. September 2008
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Féraud, Präsident,
 
Bundesrichter Aemisegger, Reeb,
 
Gerichtsschreiber Kappeler.
 
Parteien
 
Baugesellschaft X.________ bestehend aus
 
1. A.________ AG,
 
2. B.________ AG,
 
Beschwerdeführerinnen,
 
alle vertreten durch Fürsprecher Ernst Hauser,
 
gegen
 
Y.________,
 
Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecher Thomas Bircher,
 
Einwohnergemeinde Hilterfingen,
 
handelnd durch den Gemeinderat, 3652 Hilterfingen,
 
Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern, Rechtsamt, Reiterstrasse 11, 3011 Bern.
 
Gegenstand
 
Baubewilligung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung,
 
vom 26. November 2007.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Am 2. Juni 2005 reichte die Baugesellschaft "X.________", bestehend aus der A.________ AG und der B.________ AG (nachfolgend Baugesellschaft), bei der Einwohnergemeinde Hilterfingen ein Baugesuch ein für den Rückbau von Gebäuden eines früheren Gärtnereibetriebs und für die Errichtung von drei Mehrfamilienhäusern mit insgesamt 16 Wohnungen sowie von drei Doppeleinfamilienhäusern. Der westliche Teil der betreffenden Parzelle Gbbl. Nr. 00 liegt in der Wohn-/Gewerbezone WG 2, der östliche Teil in der Wohnzone W 2.
 
Das Gesuch wurde vom Gemeinderat Hilterfingen an das Regierungsstatthalteramt Thun weitergeleitet, das mit Verfügung vom 11. Juli 2005 seine Zuständigkeit zur Gesuchsbehandlung feststellte. Zudem ersuchte es unter anderem die Baupolizeibehörde Hilterfingen zum Bauvorhaben in Form eines Amtsberichts Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 16. August 2005 beantragte der Gemeinderat Hilterfingen neben einem hier nicht interessierenden Vorbehalt sowie unter verschiedenen Auflagen und Bedingungen die Erteilung der Baubewilligung.
 
Gegen das Bauvorhaben erhob unter anderem Y.________ als Eigentümer der nordöstlich an das Baugrundstück angrenzenden Parzelle Gbbl. Nr. 000 Einsprache. Mit Gesamtbauentscheid vom 9. Februar 2006 erteilte das Regierungsstatthalteramt Thun die nachgesuchte Baubewilligung und wies die genannte Einsprache ab.
 
B.
 
Gegen den Gesamtbauentscheid des Regierungsstatthalteramts Thun erhob Y.________ Beschwerde bei der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern (BVE). Die Direktion hiess die Beschwerde mit Entscheid vom 7. März 2007 gut, hob die Verfügung des Regierungsstatthalteramts Thun vom 9. Februar 2006 auf und wies das Baugesuch vom 2. Juni 2005 ab. Die Direktion erwog, dem Bauvorhaben könne keine "gute Gesamtwirkung" zugebilligt werden, weshalb es im Widerspruch zu den kommunalen Ästhetikvorschriften stehe.
 
Gegen diesen Entscheid erhob die Baugesellschaft Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern. Dieses wies die Beschwerde mit Urteil vom 26. November 2007 ab. Es erwog insbesondere gestützt auf den Bericht vom 30. Mai 2006 der Kantonalen Kommission zur Pflege der Orts- und Landschaftsbilder (OLK), das strittige Bauvorhaben lasse keine gute Gesamtwirkung entstehen. Angesichts der strengen kommunalen Gestaltungsvorschriften seien die Bedenken hinsichtlich Ästhetik von derartigem Gewicht, dass das Projekt nicht bewilligt werden könne.
 
C.
 
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 26. November 2007 erhebt die Baugesellschaft mit Eingabe vom 10. Januar 2008 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie stellt den Hauptantrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei ihr die Baubewilligung zu erteilen. Sie rügt eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV) und der Gemeindeautonomie (Art. 50 BV).
 
D.
 
Die Direktion und das Verwaltungsgericht beantragen in ihren Vernehmlassungen, die Beschwerde sei abzuweisen. Ebenso stellt der Beschwerdegegner in seiner Eingabe vom 31. März 2008 den Antrag auf Abweisung der Beschwerde. Die Einwohnergemeinde Hilterfingen verzichtet auf eine Stellungnahme.
 
Zu den erwähnten Stellungnahmen haben sich die Beschwerdeführerinnen mit Eingabe vom 29. April 2008 geäussert; sie halten an ihren bisherigen Standpunkten und Anträgen fest. Im darauf folgenden Schriftenwechsel haben die Direktion und das Verwaltungsgericht weitere Bemerkungen vorgebracht, jedoch keine neuen Anträge gestellt. Die Einwohnergemeinde Hilterfingen verweist in ihrer Stellungnahme vom 14. Mai 2008 auf die Standpunkte der Beschwerdeführerinnen, zu denen sie keine Ergänzungen anzubringen hat. Der Beschwerdegegner hält in seiner Eingabe vom 9. Juni 2008 an seinen bisherigen Anträgen und Ausführungen fest.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Gegen den kantonal letztinstanzlichen Entscheid steht grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (Art. 82 ff. BGG). Dieses Rechtsmittel steht auch auf dem Gebiet des Raumplanungs- und Baurechts zur Verfügung; das Bundesgerichtsgesetz enthält dazu keinen Ausschlussgrund (vgl. BGE 133 II 249 E. 1.2 S. 251; 409 E. 1.1 S. 411).
 
1.2 Der angefochtene Entscheid stützt sich in der Sache auf kantonales bzw. kommunales Planungs- und Baurecht. Da dessen Verletzung keinen Beschwerdegrund nach Art. 95 BGG darstellt, kann der Entscheid nur darauf überprüft werden, ob er auf willkürlicher Gesetzesanwendung beruht oder sonstwie gegen übergeordnetes Recht verstösst (vgl. BGE 133 II 249 E. 1.2.1 S. 251 f.).
 
Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, der angefochtene Entscheid verletzte in verschiedener Hinsicht das Willkürverbot (Art. 9 BV) und die Gemeindeautonomie (Art. 50 BV). Sie bringen somit zulässige Beschwerdegründe vor. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde vorbehältlich genügend begründeter Rügen (Art. 106 Abs. 2 i.V.m. Art. 42 Abs. 2 BGG) einzutreten.
 
2.
 
Die Beschwerdeführerinnen rügen, die Vorinstanz habe der Bau- und Planungskommission Hilterfingen die Zuständigkeit zur ästhetischen Beurteilung des strittigen Bauvorhabens in willkürlicher Anwendung des kantonalen und kommunalen Rechts abgesprochen.
 
2.1 Das Verwaltungsgericht führt aus, Art. 22 Abs. 1 des Dekrets vom 22. März 1994 über das Baubewilligungsverfahren (Baubewilligungsdekret, BewD) sehe vor, dass die Baubewilligungsbehörde die kantonale Fachstelle konsultieren müsse, wenn gegen ein Vorhaben unter anderem Bedenken oder Einwände wegen Beeinträchtigung des Ortsbilds oder der Landschaft bestünden. Die Konsultation örtlicher Fachstellen könne nach Art. 22 Abs. 2 BewD erfolgen, wenn diese leistungsfähig seien. Die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit seien dabei hoch anzusetzen und würden vorab von städtischen (gemeindeeigenen) oder regionalen Fachstellen erfüllt, die mit mehreren ausgewiesenen Fachleuten besetzt seien und regelmässig Fragen der Bauästhetik begutachteten. Bau- und Planungskommissionen kleinerer Gemeinden genügten diesen Anforderungen hingegen nicht. Es sei daher nicht zu beanstanden, dass die BVE bei ihrem Entscheid auf die Ästhetikbeurteilung der OLK abgestellt habe und nicht auf diejenige der Bau- und Planungskommission der Einwohnergemeinde Hilterfingen.
 
2.2 Die Beschwerdeführerinnen bringen dagegen im Wesentlichen vor, die Kompetenz der Bau- und Planungskommission Hilterfingen, das strittige Bauvorhaben auf seine Einordnung zu überprüfen, stütze sich auf Art. 65 Abs. 1 des kantonalen Baugesetzes vom 9. Juni 1985 (BauG/BE) ab, der in Art. 66 lit. b des Baureglements der Einwohnergemeinde Hilterfingen (GBR) näher ausgeführt sei. Indem das Verwaltungsgericht diese kompetenzgemässe Aufgabenerfüllung der Bau- und Planungskommission Hilterfingen als "nicht hinreichend" bezeichne, übergehe es eine klare Zuständigkeitsregelung.
 
2.3 Gemäss Art. 9 BV hat jede Person Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür behandelt zu werden. Nach der ständigen Praxis des Bundesgerichts liegt Willkür in der Rechtsanwendung vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid jedoch nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist. Dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar erscheint oder sogar vorzuziehen wäre, genügt nicht (BGE 132 I 13 E. 5.1 S. 17 f.; 131 I 467 E. 3.1 S. 473 f., je mit Hinweisen).
 
Nach dem von den Beschwerdeführerinnen angesprochenen Art. 65 Abs. 1 BauG sind die Gemeinden in ihrer Ortsplanung im Rahmen der Gesetzgebung und der übergeordneten Planung frei. Gegenstand dieser Regelung ist somit die Ortsplanung, während sie sich zu den Kompetenzen im Baubewilligungsverfahren nicht äussert. Dies trifft ebenso auf den von den Beschwerdeführerinnen erwähnten Art. 69 Abs. 2 lit. c BauG zu, der allein die Kompetenz der Gemeinden zur näheren Ordnung des Ortsbild- und Landschaftsschutzes mittels Vorschriften im Baureglement umschreibt. Ausdrücklich geregelt werden die Zuständigkeiten im Baubewilligungsverfahren hingegen von Art. 33 BauG. Baubewilligungsbehörde ist danach - abgesehen von hier nicht massgebenden Ausnahmen - der Regierungsstatthalter. Für eine parallele und gleichwertige Zuständigkeit der Einwohnergemeinde Hilterfingen zur Rechtsanwendung im Rahmen des hier zur Diskussion stehenden Baubewilligungsverfahrens bleibt somit kein Raum. Die Vorinstanz hat daher nicht in willkürlicher Weise gegen eine Zuständigkeitsregel verstossen, als sie beim angefochtenen Entscheid nicht auf die Ästhetikbeurteilung der Bau- und Planungskommission Hilterfingen abgestellt hat.
 
3.
 
3.1 Die Beschwerdeführerinnen rügen weiter, die Vorinstanz habe die Rechtsprechung des Bundesgerichts und auch ihre eigene Rechtsprechung zum Beurteilungsspielraum und zum Ermessen der Gemeinden auf dem Gebiet der Ästhetikbeurteilung von Bauvorhaben in willkürlicher Weise nicht berücksichtigt. Sie hätte den Standpunkt der Gemeinde nur dann ausser acht lassen dürfen, wenn er sich als unhaltbar erwiesen hätte. An einem solchen Prüfungsergebnis fehle es jedoch im vorliegenden Fall.
 
3.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts steht der Baubewilligungsbehörde bei der Auslegung und Handhabung von Ästhetikklauseln regelmässig ein besonderer Ermessensspielraum zu, der im Rechtsmittelverfahren zu beachten ist (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1P.678/2004 vom 21. Juni 2005 E. 4, publiziert in ZBl 107/2006 S. 430). Auf diese Rechtsprechung kann sich die Einwohnergemeinde Hilterfingen im vorliegenden Fall indessen nicht berufen, da sie nicht Baubewilligungsbehörde ist. Hingegen steht ihr ein aus der Gemeindeautonomie folgender Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs zu, da die Anwendung ihres Baureglements durch kantonale Behörden strittig ist (vgl. BGE 116 Ia 52 E. 2 S. 54 f.).
 
Dass der Einwohnergemeinde Hilterfingen das rechtliche Gehör nicht oder in einer ungenügenden Weise gewährt worden sei, wird von den Beschwerdeführerinnen nicht geltend gemacht. Sie haben somit nicht substanziiert dargetan, dass die Vorinstanz in den bei der Ästhetikbeurteilung von Bauvorhaben bestehenden Autonomiebereich der Einwohnergemeinde Hilterfingen eingegriffen hätte. Die Vorinstanz ist daher nicht in Willkür verfallen, als sie die Ästhetikbeurteilung der Bau- und Planungskommission Hilterfingen kurz als rechtlich nicht haltbar qualifiziert hat (E. 5.5) und deren Argumenten sinngemäss nicht gefolgt ist.
 
4.
 
4.1
 
Die Beschwerdeführerinnen rügen ferner, die Vorinstanz habe ihre auf blosse Rechtskontrolle begrenzte Kognition in willkürlicher Weise überschritten und dabei ihr Ermessen an die Stelle desjenigen der Einwohnergemeinde Hilterfingen gesetzt.
 
4.2 Eine willkürliche Kognitionsüberschreitung durch die Vorinstanz wäre allenfalls dann zu bejahen, wenn sie ohne triftige Gründe vom Fachbericht der OLK abweichen oder sich auf diesen abstützen würde, auch wenn er offensichtlich mangelhaft wäre. Beides müsste von den Beschwerdeführerinnen substanziiert dargetan werden, was nicht zutrifft. Insbesondere stellt es keinen offensichtlichen Mangel dar, wenn im Bericht der OLK keine Beispiele von höherwertigen Bauten in der Umgebung aufgezeigt werden, an denen das strittige Bauvorhaben zu messen wäre. Nach dem Bericht der OLK liegt die Qualität des Ortes nicht im Einzelobjekt, sondern in seiner Bebauungsstruktur mit gleichartiger Ausrichtung der Bauvolumen und Anordnung der Firstrichtungen zum Hang. Am strittigen Bauvorhaben wird daher vorab kritisiert, dass diese zentralen Strukturmerkmale nicht berücksichtigt würden. Unter diesen Umständen erscheint es nicht als Mangel, dass im Bericht der OLK auf das Aufzeigen einzelner Vergleichsbauten verzichtet wird. Der Fachbericht, auf den sich die Vorinstanz wesentlich abgestützt hat, erweist sich somit nicht als offensichtlich mangelhaft. Die Rüge der willkürlichen Kognitionsüberschreitung durch die Vorinstanz ist daher unbegründet, soweit darauf überhaupt einzutreten ist.
 
5.
 
Die Rüge der Verletzung der Gemeindeautonomie hat im vorliegenden Zusammenhang keine selbständige Bedeutung, da das Bundesgericht bei Beschwerden wegen Verletzung der Gemeindeautonomie die Auslegung und Anwendung von kantonalem und kommunalem Gesetzes- und Verordnungsrecht auf Willkür hin prüft (vgl. BGE 131 I 91 E. 1 S. 93; 128 I 3 E. 2b S. 9, je mit Hinweisen). Wie in den E. 2 bis 4 dargelegt, verstösst der angefochtene Entscheid nicht gegen das Willkürverbot.
 
6.
 
Die Beschwerde ist daher abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
 
Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 und 5 BGG). Die Beschwerdeführerinnen haben dem Beschwerdegegner eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 4 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden den Beschwerdeführerinnen auferlegt.
 
3.
 
Die Beschwerdeführerinnen haben dem privaten Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren unter solidarischer Haftung eine Parteientschädigung von insgesamt Fr. 2'500.-- zu bezahlen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 25. September 2008
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Féraud Kappeler
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).