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Informationen zum Dokument  BGer 6B_794/2008  Materielle Begründung
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BGer 6B_794/2008 vom 01.12.2008
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6B_794/2008/sst
 
Urteil vom 1. Dezember 2008
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Schneider, Präsident,
 
Bundesrichter Favre, Zünd,
 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.
 
Parteien
 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch
 
Rechtsanwalt Thomas Fingerhuth,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh., Rathaus, 9043 Trogen, Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Strafzumessung; Beschleunigungsgebot,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
 
von Appenzell Ausserrhoden, 1. Abteilung, vom 21. Januar 2008.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Das Obergericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden verurteilte X.________ am 21. Januar 2008 zweitinstanzlich wegen mehrfacher Veruntreuung (Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 StGB), gewerbsmässigen Betrugs (Art. 146 Abs. 2 StGB), mehrfachen betrügerischen Konkurses (Art. 163 Ziff. 1 Abs. 1 StGB), Gläubigerschädigung durch Vermögensverminderung (Art. 164 Ziff. 1 StGB), mehrfacher Misswirtschaft (Art. 165 Ziff. 1 StGB), mehrfacher Urkundenfälschung (Art. 251 Ziff. 1 StGB) sowie Erschleichens einer Falschbeurkundung (Art. 253 Abs. 1 und 2 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren, unter Anrechnung der Untersuchungshaft und des vorzeitigen Strafvollzugs.
 
B.
 
Dagegen gelangt der Verurteilte mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz im Sinne der Erwägungen.
 
C.
 
Mit Eingabe vom 20. November 2008 verzichtet das Obergericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden auf eine Stellungnahme zur Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell Ausserrhoden schliesst in ihrer Eingabe vom 24. November 2008 auf Abweisung der Beschwerde.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Strafzumessung gemäss Art. 47 ff. StGB. Er beanstandet zum einen, dass die Vorinstanz seiner im mittleren Grade verminderten Schuldfähigkeit nur bei der Einsatzstrafe Rechnung getragen habe, nicht aber bei deren angemessenen Erhöhung wegen mehrfacher Tatbegehung und Deliktsmehrheit im Sinne von Art. 49 Abs. 1 StGB. Insoweit liege eine Verletzung von Art. 47 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 StGB vor. Zum andern bringt er vor, dass im Verfahren vor der Vorinstanz nicht nur von einer einjährigen, sondern vielmehr von einer mindestens dreijährigen Verfahrensverzögerung auszugehen sei, die in diesem Umfang bei der Strafzumessung keine Berücksichtigung gefunden habe und nicht mit einer bloss dreimonatigen Strafreduktion abgegolten werden könne. Der Beschwerdeführer erachtet insoweit Art. 6 Ziff. 1 EMRK als verletzt.
 
2.
 
2.1 Gemäss Art. 47 Abs. 1 StGB misst das Gericht die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben, die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters. Die Bewertung des Verschuldens wird in Art. 47 Abs. 2 StGB dahingehend präzisiert, dass dieses nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt wird, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden.
 
2.2 Hat der Täter durch eine oder mehrere Handlungen die Voraussetzungen für mehrere gleichartige Strafen erfüllt, so verurteilt ihn das Gericht gemäss Art. 49 Abs. 1 StGB zu der Strafe der schwersten Tat (sog. Einsatzstrafe) und erhöht deren Dauer unter Berücksichtigung aller entsprechenden Strafzumessungsgründe angemessen (sog. Asperationsprinzip). Die Einsatzstrafe bildet also die Grundlage der Erhöhung bzw. der Asperation.
 
Gemäss Art. 19 Abs. 2 StGB mildert das Gericht die Strafe, wenn der Täter zur Zeit der Tat nur teilweise fähig war, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln. Die Strafmilderung ist dabei nach neuem Recht obligatorisch. Doch hat das Bundesgericht bereits unter altem Recht den Grundsatz aufgestellt, dass einer verminderten Schuldfähigkeit mindestens strafmindernd Rechnung zu tragen ist (BGE 127 IV 101 E. 2b; 118 IV 1 E. 2). Die Herabsetzung der Strafe hat dabei nicht linear nach einem bestimmten Tarif zu erfolgen. Eine leichte, mittlere oder schwere Verminderung der Schuldfähigkeit führt daher nicht zwingend zu einer schematischen Reduktion der Strafe um 25, 50 oder 75%. Die Verminderung der Schuldfähigkeit ist bei der Strafzumessung aber im ganzen Ausmass zu berücksichtigen; die Herabsetzung der Strafe muss daher in einem bestimmten Verhältnis zur festgestellten Verminderung der Schuldfähigkeit stehen (BGE 134 IV 132 E. 6.2; 129 IV 22 E. 6.2; 118 IV 1 E. 2).
 
Nach der Rechtsprechung ist den Strafmilderungsgründen, wie etwa der verminderten Schuldfähigkeit nach Art. 19 Abs. 2 StGB, sowohl bei der Einsatzstrafe als auch bei deren angemessenen Erhöhung nach Art. 49 Abs. 1 StGB in dem Sinne Rechnung zu tragen, dass nicht nur die Einsatzstrafe tiefer angesetzt wird, sondern auch die mit Blick auf die Schärfung infolge Konkurrenz zwingend erforderliche Erhöhung weniger stark ausfällt (BGE 116 IV 300 E. 2a und c/dd; Urteil des Bundesgerichts vom 5. September 2006, 6S.270/2006 E. 6.1; JÜRG-BEAT ACKERMANN, Basler Kommentar, Strafrecht I, 2. Aufl., Art. 49 N. 48).
 
2.3 Das in Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Ziff. 3 lit. c UNO-Pakt II festgeschriebene Beschleunigungsgebot verpflichtet die Behörden, das Strafverfahren voranzutreiben, um den Beschuldigten nicht unnötig über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe im Ungewissen zu lassen. Wird eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes festgestellt, ist diesem Umstand angemessen Rechnung zu tragen. Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, wie schwer der Beschuldigte durch die Verfahrensverzögerung getroffen wurde, andererseits aber auch, wie gravierend die ihm vorgeworfenen Straftaten sind und welche Strafe ausgesprochen werden müsste, wenn keine Verletzung des Beschleunigungsgebotes vorliegen würde. Rechnung zu tragen ist den Interessen der Geschädigten und der Komplexität des Falls. Ebenso ist in Betracht zu ziehen, wer die Verfahrensverzögerung zu vertreten hat. Das Gericht ist verpflichtet, die Verletzung des Beschleunigungsgebotes ausdrücklich festzuhalten und gegebenenfalls darzulegen, in welchem Ausmass es diesen Umstand berücksichtigt hat (BGE 133 IV 158 E. 8; 130 IV 54 E. 3; 124 I 139 E. 2a; 119 Ib 311 E. 5b).
 
3.
 
3.1 Die Vorinstanz setzt die Einsatzstrafe im angefochtenen Entscheid für das von ihr als gravierendste Tat beurteilte Delikt, den gewerbsmässigen Betrug, fest. Aufgrund der objektiven Tatschwere und des erheblichen Verschuldens erachtet sie dafür eine Strafe von fünf Jahren als angemessen. Wegen der Strafschärfung aufgrund der mehrfachen Tatverübung und der Deliktsmehrheit gemäss Art. 49 Abs. 1 StGB erhöht sie diese Strafe um 24 Monate (angefochtener Entscheid, S. 61/ 62). Wegen der Strafmilderung aufgrund der konkret festgestellten im mittleren Grade verminderten Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers gemäss Art. 19 Abs. 2 StGB reduziert sie die Einsatzstrafe um 30 Monate bzw. um 50% (angefochtener Entscheid, S. 64). Dass der Verminderung der Schuldfähigkeit nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auch im Rahmen der Straferhöhung infolge Konkurrenz nach Art. 49 Abs. 1 StGB im Ausmass der festgestellten Verminderung Rechnung zu tragen wäre bzw. zu tragen ist, berücksichtigt die Vorinstanz zu Unrecht nicht. Die Straferhöhung um 24 Monate ist folglich unter dem Gesichtspunkt der Strafmilderung wegen verminderter Schuldfähigkeit zu hoch ausgefallen und daher, wie in der Beschwerde richtig ausgeführt wird, entsprechend der festgestellten mittelgradigen Verminderung der Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers auch im Rahmen der Erhöhung um 50%, also konkret um 12 Monate, zu reduzieren. Der angefochtene Entscheid verletzt insoweit Bundesrecht.
 
3.2 Hingegen erweist sich die Beschwerde, soweit der Beschwerdeführer das Beschleunigungsgebot im Verfahren vor der Vorinstanz als verletzt rügt, als unbegründet. Wie sich aus dem angefochtenen Entscheid ergibt, räumt die Vorinstanz ein, dass das Verfahren insgesamt "recht lange" gedauert habe. Für das sich über ein Jahr lang hinziehende Wiedereinsetzungsverfahren (von Februar 2004 bis Mai 2005) nimmt sie eine Strafreduktion von drei Monaten vor, wodurch sie der diesbezüglichen Verfahrensverzögerung - wenn auch eher knapp, so doch ausreichend - Rechnung trägt. Ansonsten sieht die Vorinstanz die Verantwortlichkeit für die Verfahrensdauer beim Beschwerdeführer. Sie weist dabei namentlich auf die von Januar 2006 bis 2008 dauernde Verfahrenssistierung hin, welche mit Rücksicht auf die gesundheitliche Verfassung des Beschwerdeführers auf dessen Antrag erfolgte. Dass hierin keine von der Vorinstanz zu vertretende Verfahrensverzögerung liegt, bedarf keiner näheren Ausführungen.
 
Entgegen der Beschwerde ist eine weitere Verzögerung des vorinstanzlichen Verfahrens auch für den Zeitabschnitt von Januar 2004 bis 2006 nicht erkennbar. Abgesehen davon, dass in diese Zeit ohnehin ganz überwiegend das bereits erwähnte Wiedereinsetzungsverfahren fällt, für welches die Vorinstanz eine Herabsetzung der Strafe vorgenommen hat, ergeben sich aus den Akten für diese Zeit folgende Verfahrensschritte: Der Beschwerdeführer reichte am 7. Juli 2005 die Appellation bzw. die Appellationserklärung ein, welche der Staatsanwaltschaft am 13. Juli 2005 und den übrigen Verfahrensbeteiligten am 20. Juli 2005 zugestellt wurde. Mit Verfügung vom 28. Juli 2005 wurde die amtliche Verteidigung gewährt. Am 24. August 2005 wurde die Hauptverhandlung auf den 24. Januar 2006 festgesetzt. Mit Eingabe vom 8. Dezember 2005 ersuchte der Beschwerdeführer um deren Verschiebung auf einen späteren Zeitpunkt, was die Vorinstanz am 12. Dezember 2005 bewilligte. Mit Beschluss vom 24. Januar 2006 befand sie daher, wie angekündigt, lediglich über die beantragte neue Begutachtung des Beschwerdeführers.
 
Bei dieser Sachlage kann entgegen der Beschwerde nicht von einer weiteren relevanten Verfahrensverzögerung gesprochen werden, für welche die Vorinstanz einzustehen hätte. Das gilt im Übrigen auch für den Umstand, dass die Ausfertigung der schriftlichen Urteilsbegründung rund 7 Monate in Anspruch nahm. Dies erscheint zwar verhältnismässig lange, zumal es vor der Vorinstanz "nur noch" um die Strafzumessung ging. Jedoch handelt es sich in Anbetracht der konkreten Umstände nicht um einen übermässig ausgedehnten Zeitraum im Sinne einer eigentlichen Verfahrensverschleppung. Der Beschwerdeführer räumt denn auch selber ein, dass die Sache insgesamt doch recht "umfangreich" und "nicht ganz einfach" zu beurteilen war. Eine zusätzliche Reduktion der Strafe fällt daher unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des Beschleunigungsgebots ausser Betracht.
 
4.
 
Die Beschwerde ist nach dem Gesagten teilweise gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben, und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen. Der Beschwerdeführer wird im Rahmen seines Unterliegens kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Kanton Appenzell Ausserrhoden hat ihn für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, der Entscheid des Obergerichts des Kantons Appenzell Ausserrhoden vom 21. Januar 2008 aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten in der Höhe von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Der Kanton Appenzell Ausserrhoden hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht von Appenzell Ausserrhoden, 1. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 1. Dezember 2008
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
Schneider Arquint Hill
 
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