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Informationen zum Dokument  BGer 8C_185/2008  Materielle Begründung
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BGer 8C_185/2008 vom 17.12.2008
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
8C_185/2008
 
Urteil vom 17. Dezember 2008
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
 
Bundesrichter Lustenberger, Bundesrichterin Leuzinger,
 
Gerichtsschreiberin Hofer.
 
Parteien
 
SWICA Gesundheitsorganisation, Römerstrasse 38, 8400 Winterthur, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
S.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Felix Rüegg, St. Urbangasse 2, 8001 Zürich.
 
Gegenstand
 
Unfallversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 16. Januar 2008.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1962 geborene S.________ arbeitete seit Mai 2001 als Leiterin Care bei der Firma X.________ und war dadurch bei der SWICA Versicherungen AG (nachfolgend: SWICA) obligatorisch unfallversichert. Am 28. Januar 2004 meldete sie der SWICA, sie sei am 31. Dezember 2003 beim Einsteigen in das Fahrzeug auf Eis ausgeglitten und habe sich beim Sturz beide Knie sowie die rechte Hüfte und Schulter verletzt. Der am 30. Januar 2004 konsultierte Dr. med. A.________, Spezialarzt für orthopädische Chirurgie, fand eine schmerzhafte Adduktion mit Druckschmerz auf dem AC-Gelenk, veranlasste gleichentags eine Röntgenuntersuchung und diagnostizierte eine Schulterkontusion. Die SWICA anerkannte ihre Leistungspflicht und kam für die medizinische Versorgung vom 30. Januar 2004 auf.
 
Am 28. September 2004 begab sich S.________ wegen Schmerzen in der Schulter erneut in die Behandlung des Dr. med. A.________. Dieser führte am 6. Mai 2005 wegen eines subacromialen Impingements mit Verdacht auf Rotatorenmanschettenruptur rechts eine Schulterarthroskopie durch. Dabei wurde ein Limbusabriss mit instabilem Bizepsanker und dezentrierter Bizepssehne der rechten Schulter festgestellt, welche am 17. Mai 2005 chirurgisch angegangen wurde. Die SWICA kam erneut für die Heilbehandlung auf und richtete Taggelder aus. Mit Schreiben vom 31. Mai 2005 teilte sie der Versicherten mit, sie betrachte die Behandlung vom 28. September 2004 und die ab 6. Mai 2005 eingetretene Arbeitsunfähigkeit als Rückfall, weshalb sich das Taggeld auf der Basis des unmittelbar davor erzielten Lohnes berechne. In diesem Sinne verfügte sie nach weiteren Abklärungen am 15. August 2006. An dieser Beurteilung hielt sie mit Einspracheentscheid vom 26. März 2007 fest.
 
B.
 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 16. Januar 2008 unter Verneinung eines Rückfalles gut, hob den Einspracheentscheid vom 26. März 2007 auf und wies die Sache zur Neuberechnung des Taggeldes auf der Basis des vor dem Unfall vom 31. Dezember 2003 bezogenen Lohnes im Sinne der Erwägungen an die SWICA zurück.
 
C.
 
Die SWICA führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben.
 
S.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Gemäss Art. 42 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht eingetreten (Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG). Das Bundesgericht prüft grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).
 
Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
 
2.
 
Streitig und zu prüfen ist der Taggeldanspruch.
 
2.1 Taggelder und Renten werden nach dem versicherten Verdienst bemessen (Art. 15 Abs. 1 UVG). Als versicherter Verdienst für die Bemessung der Taggelder gilt der letzte vor dem Unfall bezogene Lohn (Art. 15 Abs. 2 UVG). Gemäss Art. 15 Abs. 3 Satz 3 UVG erlässt der Bundesrat Bestimmungen über den versicherten Verdienst in Sonderfällen, namentlich bei langdauernder Taggeldberechtigung (lit. a), Berufskrankheiten (lit. b), Versicherten, die nicht oder noch nicht den berufsüblichen Lohn erhalten (lit. c) sowie Versicherten, die unregelmässig beschäftigt sind (lit. d).
 
2.2 Auf Verordnungsstufe bestimmt Art. 22 Abs. 2 UVV, der versicherte Verdienst entspreche - bis zum Höchstbetrag gemäss Art. 22 Abs. 1 UVV - dem nach der Bundesgesetzgebung über die AHV massgebenden Lohn mit bestimmten Abweichungen. Grundlage für die Bemessung der Taggelder bildet der letzte vor dem Unfall bezogene Lohn, einschliesslich noch nicht ausbezahlter Lohnbestandteile, auf die ein Rechtsanspruch besteht (Art. 22 Abs. 3 UVV). Art. 23 UVV legt den massgebenden Lohn für das Taggeld in Sonderfällen fest. Gemäss Abs. 8 dieser Bestimmung ist bei Rückfällen der unmittelbar zuvor bezogene Lohn, mindestens aber ein Tagesverdienst von 10 Prozent des Höchstbetrages des versicherten Tagesverdienstes massgebend, ausgenommen bei Rentnern der Sozialversicherung. Die Anwendung von Art. 23 Abs. 8 UVV hängt nicht davon ab, ob der vor dem Unfall erzielte Lohn höher war als derjenige unmittelbar vor dem Rückfall oder ob es sich umgekehrt verhält.
 
3.
 
Aufgrund der bei den Akten liegenden Berichte des behandelnden Arztes zog sich die Beschwerdegegnerin am 31. Dezember 2003 bei einem Sturz unter anderem eine Kontusion der rechten Schulter zu. Da die Beschwerden anhielten, suchte sie am 30. Januar 2004 Dr. med. A.________ auf, welcher eine schmerzhafte Adduktion und einen Druckschmerz auf dem AC-Gelenk vorfand und eine Röntgenuntersuchung durchführte. Als erste Diagnose vermutete er eine Verletzung des AC-Gelenkes. Am 3. November 2004 beschrieb er eine auf der linken Seite deutlich verhärtete Schultergürtelmuskulatur und eine dadurch scheinbar tiefer hängende rechte Schulter mit schmerzhafter Abduktion und abgeschwächter Aussenrotation rechts. Ein sehr deutlicher Schmerz entstehe durch forcierte Adduktion des erhobenen Armes und Druck auf das rechte AC-Gelenk. Im Bericht vom 26. Juli 2007 führte der Chirurg aus, bei anhaltenden Beschwerden, welche im Verlaufe der Zeit eher zugenommen hätten, habe er am 6. Mai 2005 eine Schulterarthroskopie durchgeführt und eine ausgedehnte Limbusverletzung mit Lockerung des Bizepsankers sowie eine Avulsion der Supraspinatussehne festgestellt. Am 17. Mai 2005 sei alsdann eine Tenodese der langen Bizepssehne und ein Debridement von Limbus und Supraspinatussehne erfolgt. Weil keine ordentliche Besserung eingetreten sei, habe er am 19. März 2007 nochmals eine Schulterarthroskopie rechts vorgenommen und bei früher als erwartet geheiltem Limbus ein Debridement und ein Limbusrepair gemacht. Die Schulterproblematik bezeichnete Dr. med. A.________ in den Berichten vom 3. November 2004 und 27. Mai 2005 als unfallkausal. Die Beschwerdeführerin hat die Unfallkausalität der Schulterbeschwerden und damit auch ihre grundsätzliche Leistungspflicht ausdrücklich anerkannt. Streitig ist einzig, ob der Taggeldanspruch aufgrund des Grundfalles oder eines Rückfalles entstanden ist.
 
4.
 
4.1 Vorinstanz und Beschwerdegegnerin gehen davon aus, bei der Wiederaufnahme der Behandlung am 28. September 2004 sei der Grundfall noch nicht abgeschlossen gewesen, weshalb das Taggeld nach Art. 22 Abs. 3 UVV zu bemessen und unter Berücksichtigung des Höchstbetrages des versicherten Verdienstes im Sinne von Art. 22 Abs. 1 UVV festzusetzen sei.
 
4.2 Die Beschwerdeführerin nimmt demgegenüber einen Rückfall zum Unfall vom 31. Dezember 2003 an und begründet dies mit fehlenden Arztkonsultationen für die rechte Schulter zwischen dem 30. Januar und dem 28. September 2004. Praxisgemäss habe sie nach der Cortisonbehandlung von Ende Januar 2004 keine Verfügung erlassen, da keine weitere Leistungsübernahme streitig gewesen sei. Falls kurze Zeit später erneut Untersuchungen notwendig geworden wären, die medizinische Massnahmen ausgelöst hätten, wäre sie für diese Kosten im Grundfall aufgekommen. Da dies nicht der Fall gewesen sei, habe sie von einer Heilung der Schulterbeschwerden ausgehen können. Mit der Wiederaufnahme der Behandlung im September 2004 sei es zu einem Wiederauffklackern einer vermeintlich geheilten Krankheit gekommen.
 
4.3 Ein Rückfall wird definiert als das Wiederaufflackern einer vermeintlich geheilten Krankheit, welche zu ärztlicher Behandlung und/oder zu (weiterer) Arbeitsunfähigkeit führt (BGE 118 V 293 E. 2c S. 296; RKUV 2006 Nr. U 570 S. 74, U 357/04 E. 1.5.2; 2005 Nr. U 557 S. 388, U 244/04 E. 3.2). Art. 23 Abs. 8 UVV gelangt zur Anwendung, wenn der (Grund-)Fall zunächst abgeschlossen werden konnte, sei es mit oder ohne Zusprechung einer Rente (RKUV 2006 Nr. U 570 S. 74, U 357/04 E. 1.5.2). Der Fallabschluss hat in Form einer Verfügung zu erfolgen, wenn und solange die (weitere) Erbringung erheblicher Leistungen zur Diskussion steht (BGE 132 V 412 E. 4 S. 417; Art. 124 UVV). Erlässt der Versicherer stattdessen nur ein einfaches Schreiben, erlangt dieses in der Regel jedenfalls dann rechtliche Verbindlichkeit, wenn die versicherte Person nicht innerhalb eines Jahres Einwände erhebt (BGE 134 V 145). Standen zu einem bestimmten Zeitpunkt keine Leistungen mehr zur Diskussion, kann ein Rückfall auch vorliegen, ohne dass der versicherten Person mitgeteilt wurde, der Versicherer schliesse den Fall ab und stelle seine Leistungen ein. In dieser Konstellation ist entscheidend, ob zum damaligen Zeitpunkt davon ausgegangen werden konnte, es werde keine Behandlungsbedürftigkeit und/oder Arbeitsunfähigkeit mehr auftreten. Dies ist im Rahmen einer ex-ante-Betrachtung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zu beurteilen. Dabei kommt der Art der Verletzung und dem bisherigen Verlauf eine entscheidende Rolle zu. Lag ein vergleichsweise harmloser Unfall mit günstigem Heilungsverlauf vor, welcher nur während relativ kurzer Zeit einen Anspruch auf Leistungen begründete, wird tendenziell eher von einem stillschweigend erfolgten Abschluss auszugehen sein als nach einem kompliziert verlaufenen Heilungsprozess. Andererseits ist der Leistungsanspruch unter dem Aspekt des Grundfalles und nicht unter demjenigen eines Rückfalles zu prüfen, wenn die versicherte Person während der leistungsfreien Zeit weiterhin an den nach dem Unfall aufgetretenen Beschwerden gelitten hat bzw. wenn Brückensymptome gegeben sind, die das Geschehen über das betreffende Intervall hinweg als Einheit kennzeichnen (Urteile 8C_102/2008 vom 26. September 2008 und 8C_433/2007 vom 26. August 2008).
 
5.
 
5.1 Am 17. Mai 2005 teilte die Beschwerdeführerin der Versicherten auf entsprechende Anfrage hin per mail mit, es liege kein Rückfall im Sinne von Art. 11 UVV vor, da der Grundfall noch nicht abgeschlossen sei. Im Schreiben vom 31. Mai 2005 ging der Unfallversicherer dann jedoch gestützt auf die getroffenen Abklärungen davon aus, bei der Behandlung vom 28. September 2004 handle es sich um einen Rückfall. Die Beschwerdegegnerin hatte daher bis zu jenem Zeitpunkt keinen Anlass, Einwände zu erheben.
 
5.2 Dr. med. A.________ hat in seiner Krankengeschichte zwischen dem 30. Januar und dem 28. September 2004 keine Konsultationen vermerkt. Daraus allein kann indessen nicht geschlossen werden, die Unfallfolgen seien im Sinne der Definition des Rückfalls geheilt gewesen. Brückensymptome können naturgemäss auch relativ harmloser Natur sein und dürfen in der Regel nicht nur dann anerkannt werden, wenn sie auch durchgängig ärztlich behandelt wurden (Urteil 8C_433/2007 vom 26. August 2008). Mit Blick auf die medizinischen Befunde und Diagnosen erscheinen die Angaben der Versicherten glaubhaft, es sei nach der Cortisonbehandlung der rechten Schulter Ende Januar 2004 kein vollständig beschwerdefreies Intervall gefolgt. Wenn Nachkontrollen der Schulter unterblieben, hatte dies seinen Grund in anderen gesundheitlichen Problemen, deren Behandlung im Vordergrund stand. So musste sich die Beschwerdegegnerin in der ersten Hälfte des Jahres 2004 einer Fussoperation unterziehen. Bei den Akten liegen Abrechnungen für eine entsprechende Behandlung im Spital Y.________ vom 10. Mai bis 16. August 2004 und Belege für eine Untersuchung in der Klinik Z.________ vom 1. Juli 2004. In Anbetracht des Sturzes auf Eis, der daraus resultierenden Schulterbeschwerden und der erneuten Arztkonsultation rund acht Monate nach der letzten Behandlung konnte während des Zeitraums bis zur Geltendmachung weiterer Leistungen nicht mit hinreichender Zuverlässigkeit angenommen werden, die Unfallfolgen seien geheilt gewesen. Die Behandlung ab dem 28. September 2004 ist daher dem durch das Ereignis vom 31. Dezember 2003 ausgelösten Grundfall zuzuordnen und nicht als Rückfall zu behandeln.
 
5.3 Dementsprechend findet Art. 23 Abs. 8 UVV keine Anwendung. Das Taggeld berechnet sich daher nach der allgemeinen Regel von Art. 22 Abs. 3 UVV, also auf der Basis des vor dem Unfall vom 31. Dezember 2003 bezogenen, über dem Einkommen vor dem Rückfall liegenden Lohnes, welcher seinerseits durch den Höchstbetrag des versicherten Verdienstes nach Art. 22 Abs. 1 UVV zu begrenzen ist. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.
 
6.
 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG). Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie hat der Beschwerdegegnerin überdies eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 500.- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 17. Dezember 2008
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
Ursprung Hofer
 
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