VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 6B_879/2008  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 6B_879/2008 vom 09.04.2009
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6B_879/2008
 
Urteil vom 9. April 2009
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Favre, Präsident,
 
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys,
 
Gerichtsschreiber Borner.
 
Parteien
 
M.________, Beschwerdeführer, vertreten durch
 
Rechtsanwalt Thomas Gattlen,
 
gegen
 
Generalprokurator des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, 3012 Bern,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Nachträgliches Verfahren betreffend Überprüfung der altrechtlich ausgesprochenen Verwahrung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 3. Strafkammer, vom 27. August 2008.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Das Kreisgericht II Biel-Nidau verurteilte M.________ am 29. Januar 1999 wegen Sexualdelikten und ordnete dessen Verwahrung an.
 
B.
 
Am 10. Dezember 2007 entschied das Kreisgericht, dass die altrechtliche Verwahrung als neurechtliche im Sinne von Art. 64 StGB weitergeführt wird.
 
Auf Appellation von M.________ bestätigte das Obergericht des Kantons Bern am 27. August 2008 den erstinstanzlichen Entscheid.
 
C.
 
M.________ führt Beschwerde und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie ein neues Gutachten einhole.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Der Beschwerdeführer macht geltend, das Gutachten erfülle die formellen Anforderungen an ein Gutachten nicht. Der Gutachter habe eine Frau mit einem lic.-phil.-Abschluss beigezogen, über deren Ausbildung weder dem angefochtenen Entscheid noch den Akten etwas zu entnehmen sei. Diese Frau habe als Erstunterzeichnerin des Gutachtens fungiert und zwei von den insgesamt vier Besprechungen mit dem Beschwerdeführer durchgeführt. Zudem sei das Gutachten in der Wir-Form erstattet worden. Indem die Vorinstanz ihr Urteil auf ein derartiges Gutachten abgestützt habe, habe sie Bundesrecht (Art. 56 Abs. 3 und 4 StGB) verletzt.
 
2.
 
Art. 56 StGB lautet:
 
Das Gericht stützt sich beim Entscheid über die Anordnung einer Massnahme nach den Artikeln 59-61, 63 und 64 sowie bei der Änderung der Sanktion nach Artikel 65 auf eine sachverständige Begutachtung. Diese äussert sich über:
 
a. die Notwendigkeit und die Erfolgsaussichten einer Behandlung des Täters;
 
b. die Art und die Wahrscheinlichkeit weiterer möglicher Straftaten; und
 
c. die Möglichkeiten des Vollzugs der Massnahme (Abs. 3).
 
Hat der Täter eine Tat im Sinne von Artikel 64 Absatz 1 begangen, so ist die Begutachtung durch einen Sachverständigen vorzunehmen, der den Täter weder behandelt noch in anderer Weise betreut hat (Abs. 4).
 
Diese (neue) Regelung bestimmt, in welchen Fällen der Richter einen Sachverständigen beiziehen und über welche Fragen sich das Gutachten aussprechen muss. Hinsichtlich der Qualifikation eines Gutachters besagt die Bestimmung lediglich, dass es sich um einen Sachverständigen handeln muss.
 
3.
 
Dass der Gutachter kein Sachverständiger sei, behauptet der Beschwerdeführer nicht. Folglich ist nur zu beurteilen, ob die andere Person einen unzulässigen Beitrag zum Gutachten beisteuerte.
 
Am Vortag der Verhandlung erkundigte sich die Vorinstanz telefonisch beim Gutachter. Dieser gab an, die fragliche Person sei Psychologin und habe beim Beschwerdeführer eine (Vor-)Untersuchung durchgeführt betreffend persönliche Verhältnisse, Gesundheitszustand etc. Er selbst habe den Beschwerdeführer zweimal untersucht und die forensische Anamnese erstellt. Die Befragung zum Delikt und die Sexualanamnese habe auch er durchgeführt. Die Beurteilung habe er mit der Psychologin diskutiert, sie stamme aber von ihm (act. 392).
 
Entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers ergibt sich somit aus den Akten, dass die Mitunterzeichnerin des Gutachtens diplomierte Psychologin ist. Dass sie die Hälfte der Befragungen durchgeführt haben soll, trifft auch nicht zu. Denn für das Gutachten wurde der Beschwerdeführer insgesamt dreimal exploriert (act. 129 ff.). Die Psychologin führte die erste Exploration durch, die sich im Gutachten in wenig mehr als zwei Seiten niederschlug (act. 130-132). Die beiden anderen des Gutachters umfassen demgegenüber beinahe 14 Seiten (act. 132- 145). Die Psychologin war im Zeitpunkt, als das Gutachten erstellt wurde, Mitarbeiterin des Instituts für forensische Psychiatrie und Psychotherapie in Langenthal und figurierte als solche auch auf dem Briefkopf des Gutachtens (act. 90).
 
Die interne Aktennotiz (act. 392) ist in dem Sinne nicht klar, als an die von der Psychologin durchgeführte Untersuchung betreffend persönliche Verhältnisse und Gesundheitszustand ein etc. angefügt ist. Dass der Gutachter die forensische Anamnese, die Befragung zum Delikt, die Sexualanamnese und insbesondere die Beurteilung selbst erarbeitet hat, wird jedoch deutlich. Das Argument des Beschwerdeführers, eine Psychologin sei nicht dazu ausgebildet, den Gesundheitszustand eines Exploranden zu beurteilen, geht an der Sache vorbei. Die Psychologin musste nämlich nicht irgendwelche Diagnosen stellen, sondern lediglich beim Beschwerdeführer Daten über seine Vorgeschichte, seine Krankengeschichte, sein Umfeld usw. erheben (sog. Eigenanamnese).
 
Dass die eigentliche Beurteilung des Beschwerdeführers - und zwar auch bloss teilweise - von der Psychologin stammen sollte, hat die Vorinstanz verneint (angefochtener Entscheid S. 22 lit. b). Die gegenteilige Behauptung des Beschwerdeführers stützt sich auf reine Mutmassungen. Bezeichnenderweise erachtete er es nicht für notwendig, an Schranken Beweisanträge zu stellen, um allenfalls vorhandene Zweifel auszuräumen.
 
Insgesamt ist festzustellen, dass die konkrete Mitarbeit der Psychologin beim Erstellen des Gutachtens nicht gegen Art. 56 Abs. 3 und 4 StGB verstösst. Der Vorwurf an die Vorinstanz, sie habe Bundesrecht verletzt, ist unbegründet.
 
4.
 
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Da seine Begehren von vornherein aussichtslos erschienen, ist das Gesuch abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Folglich wird er kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Bei der Bemessung der Kosten ist jedoch seinen finanziellen Verhältnissen Rechnung zu tragen.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 3. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 9. April 2009
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Favre Borner
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).