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Informationen zum Dokument  BGer 9C_158/2009  Materielle Begründung
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BGer 9C_158/2009 vom 11.05.2009
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
9C_158/2009
 
Urteil vom 11. Mai 2009
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
 
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
 
Gerichtsschreiber Fessler.
 
Parteien
 
R.________, Beschwerdeführerin,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dieter Studer,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Thurgau, St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld, Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
 
vom 14. Januar 2009.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1948 geborene R.________ zog sich bei einem Verkehrsunfall am ... 2004 als Mitfahrerin eines Personenwagens verschiedene Verletzungen zu (u.a. Rippenbrüche und ein Hämatopneumothorax). Sie musste deswegen operiert und stationär behandelt werden. Im März 2005 meldete sich R.________ bei der Invalidenversicherung an und beantragte eine Rente. Nach Abklärungen und nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte die IV-Stelle des Kantons Thurgau mit Verfügung vom 12. August 2008 einen Rentenanspruch.
 
B.
 
Die Beschwerde der R.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau als Versicherungsgericht mit Entscheid vom 14. Januar 2009 ab.
 
C.
 
R.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren der Entscheid vom 14. Januar 2009 sei aufzuheben und ihr die gesetzlichen Leistungen zuzusprechen; eventualiter sei die Sache zu weiterer Abklärung und anschliessender Neuverfügung an die Verwaltung zurückzuweisen.
 
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde. Kantonales Gericht und Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Das kantonale Gericht ist davon ausgegangen, die Beschwerdeführerin hätte ohne den Unfall mit einem Arbeitspensum von 5 % resp. maximal 21,6 % im Hotel Restaurant X.________ gearbeitet. Daneben würde sie den (Zwei-Personen-)Haushalt führen. Dementsprechend ermittelte es den Invaliditätsgrad wie schon die IV-Stelle in Anwendung der gemischten Methode (Art. 28a Abs. 3 IVG; BGE 125 V 146 E. 2a-c S. 148 ff. in Verbindung mit BGE 130 V 343 und SVR 2006 IV Nr. 42, I 156/04). Bei einer Arbeitsunfähigkeit von 100 % im erwerblichen Bereich und einer Einschränkung im Haushalt von 16 % resultierte ein Invaliditätsgrad von höchstens 36 % (0.216 x 100 % + 0.784 x 16 %; zum Runden BGE 130 V 121), was für den Anspruch auf eine Rente nicht reicht (Art. 28 Abs. 2 IVG).
 
2.
 
Die Beschwerdeführerin rügt eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung und eine unhaltbare Beweiswürdigung sowie eine unrichtige Anwendung der Beweisregel der überwiegenden Wahrscheinlichkeit durch die Vorinstanz. Der Arbeitsvertrag vom ... 2004 sowie die Angaben des damaligen Geschäftsführers K.________ liessen nur den Schluss zu, dass sie zu 100 % im Hotel Restaurant X.________ gearbeitet hätte.
 
3.
 
3.1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil - von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen - den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen oder auf Rüge hin (Art. 97 Abs. 1 BGG) berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Die konkrete Beweiswürdigung ist wie die darauf beruhende Sachverhaltsfeststellung ebenfalls nur unter diesem eingeschränkten Blickwinkel überprüfbar (Urteil 9C_454/2009 vom 3. April 2009 E. 1.2 mit Hinweisen). Dasselbe gilt auch in Bezug auf die Frage, ob der erforderliche Beweisgrad für das Bestehen oder Nichtbestehen einer rechtserheblichen Tatsache erreicht ist (vgl. BGE 122 III 219 E. 3b S. 222 und Urteil 9C_688/2007 vom 22. Januar 2008 E. 2.3).
 
3.2 In welchem zeitlichen Umfang eine versicherte Person ohne gesundheitliche Beeinträchtigung erwerbstätig wäre, ist eine Tatfrage, soweit es um die Würdigung konkreter Umstände und nicht ausschliesslich um die Anwendung allgemeiner Lebenserfahrungssätze geht. Diesbezügliche Feststellungen der Vorinstanz sind somit für das Bundesgericht verbindlich, soweit sie nicht offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Urteil 9C_571/2007 vom 16. Oktober 2007 E. 3 mit Hinweis; vgl. auch BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399).
 
4.
 
4.1 Der «Arbeitsvertrag für Mitarbeiter mit unregelmässigem Arbeitspensum» vom ... 2004 sah als Anstellungsbeginn den ... 2004 vor und war auf unbestimmte Zeit abgeschlossen bei einer Probezeit von drei Monaten. Es war ein Bruttolohn von Fr. 3'100.- im Monat festgelegt. Der 13. Monatslohn richtete sich nach Art. 12 des einschlägigen Gesamtarbeitsvertrages. Das kantonale Gericht hat nicht festgestellt, der Vertrag sei - etwa aus versicherungsrechtlichen Überlegungen heraus - erst nach dem Unfall verfasst oder nachträglich abgeändert worden.
 
4.2 Der Vertrag vom ... 2004 enthält keine Angaben zum Arbeitspensum. Ist der zeitliche Umfang der Leistungspflicht des Arbeitnehmers nicht durch Kollektiv- oder Einzelarbeitsvertrag bestimmt, muss er zumindest objektiv bestimmbar sein. Insoweit bildet die zu leistende Arbeitszeit ein wesentliches Element (essentiale) des Arbeitsvertrages (Urteil 4C.381/1996 vom 20. Januar 1997 E. 2b, nicht publiziert in: BGE 123 III 84; Manfred Rehbinder in: Berner Kommentar, 2. Aufl. 1985, N. 8 zu Art. 321 OR).
 
4.2.1
 
4.2.1.1 Nach Feststellung der Vorinstanz hatte sich die Beschwerdeführerin der Abklärungsperson Haushalt und auch dem psychiatrischen Gutachter der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) gegenüber dahingehend geäussert, sie hätte ohne den Unfall eine Woche später eine 100 %-Stelle in einem Restaurant angetreten. Der damalige Geschäftsführer des Hotel Restaurant X.________, welcher den Vertrag vom ... 2004 unterzeichnet hatte, gab der IV-Stelle zur Auskunft, die Versicherte hätte mit einem Pensum von 100 % als Allrounderin arbeiten sollen.
 
4.2.1.2 Die übereinstimmenden Äusserungen der Vertragsparteien sprechen zwar dafür, dass tatsächlich ein Arbeitspensum von 100 % vereinbart worden war. Indessen geht es im Kontext nicht um die Bestimmbarkeit resp. die Festlegung des zeitlichen Umfangs der Leistungspflicht der Arbeitnehmerin nach den allgemeinen Regeln der Vertragsauslegung (vgl. dazu BGE 131 III 606 E. 4.1 und 4.2 S. 611 f. mit Hinweisen), wenn darüber Uneinigkeit zwischen den Parteien besteht. Es geht darum, ob eine (im Aufgabenbereich Haushalt beschäftigte) versicherte Person bei im Übrigen unveränderten Umständen ohne gesundheitliche Beeinträchtigung einem Erwerb nachginge und welche Tätigkeit in welchem zeitlichen Umfang sie ausübte. Diese Frage beurteilt sich nach den persönlichen, familiären, sozialen und erwerblichen Verhältnissen ebenso wie allfälligen Erziehungs- und Betreuungsaufgaben gegenüber Kindern. Ebenfalls zu berücksichtigen sind das Alter, die beruflichen Fähigkeiten, die Ausbildung sowie die persönlichen Neigungen und Begabungen (BGE 125 V 146 E. 2c S. 150; Urteil I 920/06 vom 16. Januar 2007 E. 3.1). Die gleich lautenden Erklärungen der Beschwerdeführerin und des damaligen Geschäftsführers des Hotel Restaurant X.________ im Abklärungsverfahren sind somit lediglich ein Indiz dafür, dass ein Vollzeitpensum vereinbart worden war.
 
4.2.1.3 Das kantonale Gericht hat die Akten dahingehend gewürdigt, beim Arbeitsverhältnis gemäss Arbeitsvertrag vom ... 2004 habe es sich überwiegend wahrscheinlich lediglich um eine Teilzeitstelle gehandelt. Abgesehen vom Übergang des «X.________» auf einen neuen Besitzer 2005, was aber für die Frage, in welchem zeitlichen Umfang sie in diesem Betrieb gearbeitet hätte, ohne Relevanz ist, äussert sich die Beschwerdeführerin nicht substantiiert zur vorinstanzlichen Beweiswürdigung. Der Schluss auf ein Teilzeitarbeitsverhältnis ist nicht offensichtlich unrichtig. Insbesondere spricht die Tatsache, dass die unfallbedingt nicht angetretene Stelle nicht durch eine andere Person besetzt wurde, gegen ein vollzeitliches Anstellungsverhältnis.
 
4.2.2 Für die Festlegung des ohne Unfall hypothetisch ausgeübten Arbeitspensums von maximal 21,6 % (E. 1) hat die Vorinstanz auf den zeitlichen Umfang (neun Stunden im Tag) des letzten und einzigen Arbeitsverhältnisses der Versicherten vom 1. Juni 2001 bis 31. Dezember 2002 als Mitarbeiterin in einer Reinigungsfirma abgestellt. Was dagegen in der Beschwerde vorgebracht wird, geht nicht über eine unzulässige appellatorische Kritik an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung hinaus (Urteil 9C_688/2007 vom 22. Januar 2008 E. 2.3). Insbesondere werden keine Ausführungen zum vorgesehenen Aufgabenbereich und zu anderen Umständen wie die betriebliche Organisation im Hotel Restaurant X.________ gemacht, welche Rückschlüsse auf das effektiv beabsichtigte Arbeitspensum erlaubten.
 
Die die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz betreffenden Rügen sind somit unbegründet. Ebenfalls kann nicht von einer unrichtigen Anwendung des im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrades der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 125 V 193 E. 2 S. 195) gesprochen werden.
 
5.
 
Die vorinstanzliche Invaliditätsbemessung ist weiter nicht angefochten. Es besteht kein Anlass zu einer näheren Prüfung (vgl. BGE 125 V 413 E. 1b und 2c S. 415 ff.; 110 V 48 E. 4a S. 53). Der angefochtene Entscheid verletzt Bundesrecht nicht.
 
6.
 
Dem Ausgang der Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau als Versicherungsgericht und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
 
Luzern, 11. Mai 2009
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Meyer Fessler
 
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