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Informationen zum Dokument  BGer 8C_129/2009  Materielle Begründung
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BGer 8C_129/2009 vom 15.09.2009
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
8C_129/2009
 
Urteil vom 15. September 2009
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
 
Bundesrichterinnen Leuzinger, Niquille,
 
Gerichtsschreiber Holzer.
 
Parteien
 
F.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt David Husmann,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Zürich Versicherungs-Gesellschaft,
 
Mythenquai 2, 8002 Zürich,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern
 
vom 16. Dezember 2008.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1979 geborene F.________ war als Verkäuferin der M.________ AG bei der Zürich Versicherungs-Gesellschaft (nachstehend: die Zürich) gegen die Folgen von Unfällen versichert, als am 8. Juli 2004 der von ihr gelenkte VW Golf seitwärts von einem Opel Omega gerammt wurde. Nach einer notfallmässigen Überführung der Versicherten in das Spital X.________ diagnostizieren die Ärzte am 9. Juli 2004 eine Distorsion der Halswirbelsäule (HWS), eine Kniekontusion rechts, eine Kontusion der Lendenwirbelsäule (LWS) sowie eine leichte Nierenkontusion rechts. Die Zürich anerkannte ihre Leistungspflicht für die Folgen dieses Ereignisses und erbrachte die gesetzlichen Leistungen, stellte diese jedoch mit Verfügung vom 18. Juli 2006 rückwirkend per 1. Januar 2005 ein, da die über dieses Datum hinaus anhaltend geklagten Beschwerden nicht in einem natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zum Unfallereignis stünden. Daran hielt die Versicherung mit Einspracheentscheid vom 12. Januar 2007 grundsätzlich fest, anerkannte jedoch ihre Leistungspflicht bis zum Verfügungszeitpunkt (18. Juli 2006).
 
B.
 
Die von F.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 16. Dezember 2008 ab.
 
C.
 
Mit Beschwerde beantragt F.________ sinngemäss, die Zürich sei unter Aufhebung des Einsprache- und des kantonalen Gerichtsentscheides zu verpflichten, ihre Leistungen auch über den 18. Juli 2006 hinaus zu erbringen.
 
Während die Zürich auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).
 
1.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
 
1.3 Gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG sind Noven im letztinstanzlichen Verfahren grundsätzlich unzulässig (vgl. zur Geltung dieses Grundsatzes im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung: BGE 135 V 194 E. 3.4 S. 199 f.). Die Voraussetzungen, unter denen die von der Beschwerdeführerin neu eingereichten Unterlagen ausnahmsweise zulässig wären, sind vorliegend nicht erfüllt, so dass diese unbeachtet bleiben müssen.
 
2.
 
Die Zusprechung von Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung setzt grundsätzlich das Vorliegen eines Berufsunfalles, eines Nichtberufsunfalles oder einer Berufskrankheit voraus (Art. 6 Abs. 1 UVG). Der Unfallversicherer haftet jedoch für einen Gesundheitsschaden nur insoweit, als dieser nicht nur in einem natürlichen, sondern auch in einem adäquaten Kausalzusammenhang zum versicherten Ereignis steht (BGE 129 V 177 E. 3 S. 181). Das kantonale Gericht hat die spezielle Adäquanzprüfung, welche bei Schleudertraumen der Halswirbelsäule und bei schleudertraumaähnlichen Verletzungen (BGE 134 V 109) vorzunehmen ist, zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
 
3.
 
Streitig und zu prüfen ist die Leistungspflicht der Zürich für die nach dem 18. Juli 2006 anhaltend geklagten Beschwerden der Versicherten.
 
4.
 
4.1 Die Beschwerdeführerin macht unter Hinweis auf die bei ihr mittels MRI nachgewiesen Diskusprotusionen im Bereich der Halswirbelsäule geltend, auch über den 18. Juli 2006 hinaus noch an im Sinne der Rechtsprechung organisch hinreichend nachweisbaren Unfallfolgen zu leiden. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. In ihrem Bericht vom 23. August 2004 führt Dr. med. V.________, Fachärztin für Radiologie, aus, keine Anhaltspunkte für eine Contusio spinalis oder für posttraumatische Skelettveränderungen gefunden zu haben. Dass die Ärztin die Schäden an den Bandscheiben somit nicht als unfallbedingt, sondern implizit als degenerativ qualifiziert, entspricht der anerkannten Erfahrungstatsache im Bereich des Unfallversicherungsrechts, wonach solche Veränderungen nur ganz ausnahmsweise als im eigentlichen Sinne unfallbedingt angesehen werden können (Urteil 8C_1020/2008 vom 8. April 2009 E. 4.1 mit Hinweis). Trotz des jungen Alters der Versicherten im Unfallzeitpunkt erscheint eine unfallfremde Veränderung in der Halswirbelsäule nicht als unwahrscheinlich, wird doch das Prädilektionsalter für die zervikale Diskusprotusion mit dem 30.-45. Lebensjahr angegeben (Krämer, Bandscheibenbedingte Erkrankungen, 3. Aufl. 1994, S. 92). Da bei Fehlen unfallbedingter Wirbelkörperfrakturen oder struktureller Läsionen an der Wirbelsäule in der Regel nach sechs bis neun Monaten, spätestens jedoch nach einem Jahr davon auszugehen ist, die durch den Unfall verursachte Verschlimmerung des Vorzustandes habe sich auf jenen Zustand zurückgebildet, der sich aufgrund des schicksalsmässigen Verlaufs des krankhaften Vorzustandes auch ohne Unfall mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eingestellt hätte (SVR 2008 UV Nr. 11 S. 34, U 290/06 E. 4.2.1 mit weiteren Hinweisen), können die über den 18. Juli 2006 hinaus persistierenden Beschwerden nicht durch die organisch nachgewiesenen Wirbelsäuleschäden erklärt werden.
 
4.2 Kann von der Fortsetzung der ärztlichen Behandlung keine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes des Versicherten mehr erwartet werden, so hat der Versicherungsträger den Fall grundsätzlich gestützt auf Art. 19 Abs. 1 UVG unter Einstellung von Heilbehandlung und Taggeld sowie Prüfung des Anspruchs auf eine Invalidenrente und eine Integritätsentschädigung abzuschliessen. Steht in diesem Zeitpunkt der Entscheid der Invalidenversicherung über berufliche Eingliederungsmassnahmen noch aus, so ist der Anspruch auf eine Übergangsrente im Sinne von Art. 30 UVV in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 UVG zu prüfen. In beiden Fällen ist vorab zu beurteilen, ob die geklagten Beschwerden noch natürlich und adäquat kausal durch ein versichertes Unfallereignis verursacht worden sind (Urteil 8C_304/2008 vom 1. April 2009 E. 3). Somit ist nicht zu beanstanden, dass Vorinstanz und Beschwerdegegnerin als massgebenden Zeitpunkt für die Adäquanzprüfung den 18. Juli 2006 festlegten, obwohl zu diesem Zeitpunkt der Entscheid über Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung noch ausstehend war.
 
5.
 
5.1 Die Vorinstanz bejahte den natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis vom 8. Juli 2004 und den über den 18. Juli 2006 hinaus anhaltend geklagten, organisch nicht hinreichend nachweisbaren Beschwerden der Versicherten. Die Beschwerdegegnerin weist indessen zu Recht darauf hin, dass die getätigten Abklärungen den durch BGE 134 V 109 E. 9 S. 121 ff. erhöhten Anforderungen an den Nachweis einer Kausalität nicht genügen. Auf weitere Abklärungen zum natürlichen Kausalzusammenhang könnte indessen verzichtet werden, wenn eine Prüfung der Adäquanz ergäbe, dass ein allfälliger natürlicher Kausalzusammenhang nicht adäquat und somit nicht rechtsgenüglich wäre (vgl. etwa die Urteile 8C_80/2009 vom 5. Juni 2009 E. 5 und 8C_698/2008 vom 27. Januar 2009 E. 3).
 
5.2
 
5.2.1 Die Schwere des Unfalles bestimmt sich nach dem augenfälligen Geschehensablauf und nicht nach den Kriterien, welche bei der Beurteilung der Adäquanz bei mittelschweren Unfällen Beachtung finden. Zu prüfen ist im Rahmen einer objektivierten Betrachtungsweise, ob der Unfall eher als leicht, als mittelschwer oder als schwer erscheint, wobei im mittleren Bereich gegebenenfalls eine weitere Differenzierung nach der Nähe zu den leichten oder schweren Unfällen erfolgt. Massgebend sind der augenfällige Geschehensablauf mit den sich dabei entwickelnden Kräften, nicht jedoch Folgen des Unfalles oder Begleitumstände, die nicht direkt dem Unfallgeschehen zugeordnet werden können. Derartigen dem eigentlichen Unfallgeschehen nicht zuzuordnenden Faktoren ist gegebenenfalls bei den Adäquanzkriterien Rechnung zu tragen. Dies gilt etwa für die - ein eigenes Kriterium bildenden - Verletzungen, welche sich die versicherte Person zuzieht, aber auch für - unter dem Gesichtspunkt der besonders dramatischen Begleitumstände oder besonderen Eindrücklichkeit des Unfalls zu prüfende - äussere Umstände, wie eine allfällige Dunkelheit im Unfallzeitpunkt oder Verletzungs- resp. gar Todesfolgen, die der Unfall für andere Personen nach sich zieht (SVR 2008 UV Nr. 8 S. 26, U 2/07 E. 5.3.1).
 
5.2.2 Die Versicherte war am 8. Juli 2004 mit ihrem VW Golf ausserorts unterwegs, als der Fahrer eines Opel Omega ihren Vortritt missachtete. In der Folge kam es zu einer seitlich-frontalen Kollision. Gemäss der von der Beschwerdegegnerin in Auftrag gegebenen Unfallanalyse vom 13. Juli 2005 führte diese dazu, dass sich das Fahrzeug der Versicherten um seine eigene Achse drehte und schliesslich von der Strasse geschleudert wurde. Der Experte errechnete bezogen auf den Fahrersitz des Personenwagens der Beschwerdeführerin eine kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung von 32 bis 42 Stundenkilometer. Aufgrund des augenfälligen Geschehensablaufs mit den sich dabei entwickelnden Kräften ist das Ereignis vom 8. Juli 2004 als mittelschwer, aber in Abweichung der vorinstanzlichen Beurteilung nicht im mittleren, sondern im Grenzbereich zu den schweren Unfällen zu qualifizieren. Daher genügt die Erfüllung eines der Adäquanzkriterien, um einen allfälligen natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Ereignis und den organisch nicht nachweisbaren Beschwerden als adäquat und damit als rechtsgenüglich erscheinen zu lassen.
 
5.3 Wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, erfüllt die Beschwerdeführerin das Adäquanzkriterium der erheblichen Beschwerden (vgl. BGE 134 V 109 E. 10.2.4 S. 128). Da bereits die Erfüllung dieses einen Kriteriums einen allfälligen natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis vom 8. Juli 2004 und den über den 18. Juli 2006 hinaus anhaltend geklagten Beschwerden als adäquat erscheinen lässt, brauchen die übrigen Kriterien nicht geprüft zu werden. Daraus folgt, dass die Frage, ob ein solcher natürlicher Kausalzusammenhang gegeben ist, nicht offengelassen werden kann. Somit ist die Beschwerde gutzuheissen und die Sache ist an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen, damit sie mittels einer polydisziplinären Begutachtung im Sinne von BGE 134 V 109 E. 9 S. 121 ff. abkläre, ob die geklagten Beschwerden noch natürlich kausal durch das Unfallereignis verursacht sind. Anschliessend wird sie über den Leistungsanspruch der Beschwerdegegnerin ab 18. Juli 2006 neu zu entscheiden haben.
 
6.
 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Als unterliegende Partei hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG; BGE 133 V 642 E. 5). Diese hat der Beschwerdeführerin überdies eine Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 16. Dezember 2008 und der Einspracheentscheid der Zürich Versicherungs-Gesellschaft vom 12. Januar 2007 werden aufgehoben. Die Sache wird an die Zürich Versicherungs-Gesellschaft zurückgewiesen, damit sie nach weiteren Abklärungen im Sinne der Erwägungen über den Leistungsanspruch der Beschwerdeführerin ab 18. Juli 2006 neu verfüge.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
 
3.
 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.
 
4.
 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern zurückgewiesen.
 
5.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 15. September 2009
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Ursprung Holzer
 
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