VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 8C_685/2009  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 8C_685/2009 vom 23.10.2009
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
8C_685/2009
 
Urteil vom 23. Oktober 2009
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
 
Bundesrichterinnen Leuzinger, Niquille,
 
Gerichtsschreiberin Schüpfer.
 
Parteien
 
Öffentliche Arbeitslosenkasse Baselland, Bahnhofstrasse 32, 4133 Pratteln,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
S.________,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Arbeitslosenversicherung (Insolvenzentschädigung),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, vom 17. April 2009.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der 1973 geborene S.________ war seit dem 1. Oktober 2003 bei der Firma S.________ als Sanierungsfacharbeiter tätig. Am 31. Juli 2008 wurde über den Arbeitgeber der Konkurs eröffnet. S.________ machte im Konkurs eine Forderung im Betrag von Fr. 38'996.- für während der Monate März bis Juli 2008 unbezahlt gebliebenen Lohn, den 13. Monatslohn vom 1. Januar 2008 bis 31. Juli 2008, Ferienansprüche sowie Spesen geltend und stellte am 31. August 2008 bei der Arbeitslosenversicherung Antrag auf Insolvenzentschädigung in der Höhe von Fr. 24'300.-. Das kantonale Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Baselland, Abteilung Öffentliche Arbeitslosenkasse, lehnte mit Verfügung vom 15. September 2008 seine Leistungspflicht mit der Begründung ab, der Versicherte habe seine Schadenminderungspflicht nicht in genügendem Masse wahrgenommen. Auch auf Einsprache hin hielt sie daran fest (Entscheid vom 8. Oktober 2008).
 
B.
 
Das Kantonsgericht Basel Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, hiess die gegen den Einspracheentscheid geführte Beschwerde mit Entscheid vom 17. April 2009 gut, hob den Einspracheentscheid mit der Begründung auf, es liege keine Verletzung der Schadenminderungspflicht vor, die mit einer Leistungsverweigerung zu sanktionieren wäre, und wies die Sache an die Vorinstanz zurück, damit diese die weiteren Anspruchsvoraussetzungen prüfe und über den Anspruch auf Insolvenzentschädigung neu verfüge. Zudem wird im Entscheid festgehalten, es handle sich um einen Zwischenentscheid im Sinne des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) welcher nur bei Vorliegen von bestimmten, eng umschriebenen Voraussetzungen angefochten werden könne.
 
C.
 
Die Öffentliche Arbeitslosenkasse Baselland führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und stellt den Antrag, auf ihre Beschwerde sei einzutreten und der Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 17. April 2009 sei in Bestätigung des Einspracheentscheides vom 8. Oktober 2008 aufzuheben.
 
Hans Ulrich Schneeberger und das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) verzichten auf Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) ist zulässig gegen Entscheide, die das Verfahren abschliessen (Art. 90 BGG) sowie gegen selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide über die Zuständigkeit und über Ausstandsbegehren (Art. 92 Abs. 1 BGG). Gegen andere selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide ist die Beschwerde nach Art. 93 BGG zulässig, sofern - alternativ - der Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Abs. 1 lit. a) oder die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Abs. 1 lit. b).
 
1.2 In BGE 133 V 477 hat sich das Bundesgericht mit den in Art. 90 bis 93 BGG geregelten End-, Teil- sowie Vor- und Zwischenentscheiden befasst und erwogen, ein Rückweisungsentscheid schliesse das Verfahren nicht ab und sei somit nach der Regelung des BGG kein Endentscheid.
 
1.3 Ob ein Zwischen- oder Endentscheid vorliegt, kann offen gelassen werden, wenn das Bundesgericht auch auf die Beschwerde gegen einen Zwischenentscheid eintreten würde, das heisst, wenn die Beschwerde der Arbeitslosenkasse unter den in Art. 93 Abs. 1 lit. a und b BGG erwähnten Voraussetzungen zulässig ist.
 
1.4 Ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG muss rechtlicher Natur und somit auch mit einem für die Beschwerde führende Partei günstigen Endentscheid nicht oder nicht vollständig behebbar sein. Das Bundesgericht soll sich grundsätzlich nur einmal mit einem Fall befassen müssen und diesen hierbei insgesamt beurteilen können. Deshalb sind Ausnahmen von diesem Grundsatz restriktiv zu handhaben, zumal, die Parteien keiner Rechte verlustig gehen, wenn der Zwischenentscheid prinzipiell noch zusammen mit dem Endentscheid anfechtbar ist. Das Bundesgericht nimmt einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG an, wenn eine beschwerdebefugte Behörde durch einen Rückweisungsentscheid gezwungen wird, eine ihrer Ansicht nach rechtswidrige Verfügung zu erlassen. Da die Behörde ihren eigenen Entscheid mangels formeller Beschwer nicht anfechten kann, könnte er rechtskräftig werden, ohne dass sie je Gelegenheit hatte, ihn dem Bundesgericht zu unterbreiten. Um diese Situation zu vermeiden, darf eine zur Beschwerdeführung legitimierte Behörde unter Berufung auf Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bereits gegen den Rückweisungsentscheid oder einen ihn bestätigenden Entscheid an das Bundesgericht gelangen. Die entsprechenden Überlegungen gelten gemäss Rechtsprechung auch für Behörden, die auf einen Rückweisungsentscheid hin nicht selber neu verfügen müssen, wenn sie in der interessierenden Sache zwar beim Bundesgericht beschwerdebefugt sind, nicht jedoch bei der dem Bundesgericht vorgelagerten Instanz (Urteile 8C_817/2008 vom 19. Juni 2009 E. 4.2.1, 2C_258/2008 vom 27. März 2009 E. 3.5 ff., 8C_969/2008 vom 2. März 2009 E. 3.2, 2C_420/2008 vom 3. Februar 2009 E. 4.4 ff. und 2C_275/2008 vom 19. Juni 2008 E. 1.2, je mit Hinweisen). Vorliegend könnte die Arbeitslosenkasse ihre eigene Verfügung über die Ausrichtung von Insolvenzentschädigung nicht beim kantonalen Gericht anfechten, weshalb die Voraussetzung von Art. 93 Ziff. 1 lit. a BGG erfüllt ist. Auf die Beschwerde wird eingetreten.
 
2.
 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG; Ausnahme: Beschwerden gemäss Art. 97 Abs. 2 BGG [Art. 105 Abs. 3 BGG]). Wie die Sachverhaltsfeststellung ist auch die vorinstanzliche Ermessensbetätigung im Verfahren vor Bundesgericht nur beschränkt überprüfbar. Eine Angemessenheitskontrolle (vgl. BGE 126 V 75 E. 6 S. 81 [zu Art. 132 lit. a OG]) ist dem Gericht verwehrt; es hat nur zu prüfen, ob die Vorinstanz ihr Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt, mithin überschritten, unterschritten oder missbraucht hat (vgl. BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399).
 
3.
 
3.1 Im vorinstanzlichen Entscheid werden die Bestimmungen und Grundsätze zum Anspruch auf Insolvenzentschädigung (Art. 51 Abs. 1 und Art. 58 AVIG; vg zu auch BGE 134 V 88), zum Umfang des Anspruchs (Art. 52 Abs. 1 AVIG) sowie zu den Pflichten des Arbeitnehmers im Konkurs- oder Pfändungsverfahren (Art. 55 Abs. 1 AVIG; BGE 114 V 56 E. 3d S. 59; ARV 2002 Nr. 8 S. 62, C 91/01, und Nr. 30 S. 190, C 367/01; ARV 1999 Nr. 24 S. 140, C 183/97) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
 
3.2 Die Bestimmung von Art. 55 Abs. 1 AVIG, wonach der Arbeitnehmer im Konkurs- oder Pfändungsverfahren alles unternehmen muss, um seine Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber zu wahren, bezieht sich dem Wortlaut nach auf das Konkurs- und Pfändungsverfahren. Sie bildet jedoch Ausdruck der allgemeinen Schadenminderungspflicht, welche auch dann Platz greift, wenn das Arbeitsverhältnis vor der Konkurseröffnung aufgelöst wird (BGE 114 V 56 E. 4 S. 60; ARV 1999 Nr. 24 S. 140, C 183/97). Eine ursprüngliche Leistungsverweigerung infolge Verletzung der Schadenminderungspflicht im Sinne der zu Art. 55 Abs. 1 AVIG ergangenen Rechtsprechung setzt voraus, dass der versicherten Person ein schweres Verschulden, also vorsätzliches oder grobfahrlässiges Handeln oder Unterlassen vorgeworfen werden kann (vgl. URS BURGHERR, Die Insolvenzentschädigung, 2004, S. 166). Das Ausmass der geforderten Schadenminderungspflicht richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls.
 
4.
 
4.1 Das kantonale Gericht hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, der Lohn des Versicherten sei im Monat März 2008 noch teilweise und vom April bis Juli 2008 überhaupt nicht mehr ausbezahlt worden. Die Lohnausstände seien lediglich mündlich geltend gemacht worden. Beim Versicherten handle es sich um den Bruder des Firmeninhabers. Die Vorinstanz hat insbesondere letzteren Sachverhalt als "mildernden Umstand" gewürdigt. Auf Grund des nahen persönlichen Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sei es nachvollziehbar, dass in der Zeit vor Auflösung des Arbeitsverhältnisses keine rechtlichen Schritte zur Realisierung der Lohnausstände unternommen worden seien. In Anbetracht dieser besonderen Umstände des Einzelfalles könne nicht von einer grobfahrlässigen Verletzung der Schadenminderungspflicht, die mit einer Leistungsverweigerung zu sanktionieren sei, gesprochen werden.
 
4.2 Nach konstanter Rechtsprechung - auf welche auch im angefochtenen Entscheid verwiesen wird - genügt es für die Erfüllung der Schadenminderungspflicht in der Regel nicht, wenn Lohnausstände lediglich mündlich gemahnt werden. Dies gilt beispielsweise, wenn es um eine langandauernde, das heisst über zwei bis drei Monate hinaus andauernde Nichterfüllung der vertraglichen Verpflichtung des Arbeitgebers geht; wenn überhaupt keine, also auch keine Akonto- oder Teilzahlung erfolgt; wenn aus der Sicht des Versicherten nicht mit guten Gründen damit gerechnet werden kann, dass sich bald eine Besserung der Situation ergibt und wenn nicht andere, im Einzelfall verständliche Gründe vorliegen, die ein Zuwarten mit zielgerichteten Schritten aus objektiver Sicht verständlich erscheinen lassen. Der Umstand allein, dass zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer verwandtschaftliche Beziehungen bestehen, gilt entgegen den Ausführungen des kantonalen Gerichts jedenfalls nicht als hinreichende Begründung für ein völliges Untätigbleiben während ungefähr fünf Monaten. Dass der Beschwerdeführer im Hinblick auf das bestehende Familienverhältnis von weiteren Massnahmen zur Realisierung der Lohnansprüche abgesehen hat, mag zwar aus persönlicher Sicht als verständlich erscheinen, hat unter arbeitslosenversicherungsrechtlichen Aspekten aber schon aus Gründen der Gleichbehandlung der Versicherten unberücksichtigt zu bleiben (vgl. Urteil C 240/05 vom 14. Februar 2006 E. 2.3).
 
Hier liegen überhaupt keine Sachverhaltselemente vor, die darauf hindeuten würden, dass der Versicherte etwas unternommen hätte, um zu seinem Lohn zu kommen. Das im vorinstanzlichen Verfahren erhobene Argument, die Löhne seien "von jeher" verspätet ausbezahlt worden, weshalb nicht mit einem Ausbleiben habe gerechnet werden müssen, ist nicht belegt. Im Gegenteil ist den Lohnabrechnungen zu entnehmen, dass der Grundlohn jeweils pünktlich in den letzten Tagen des laufenden Monats bezahlt worden ist. Zudem könnte dieses Argument lediglich bei verspäteter Zahlung von einigen Wochen, höchstens ein bis zwei Monate behelflich sein. Bei einem während mehreren Monaten dauernden Ausstand ist ein - tatenloses - Zuwarten nicht mehr als objektiv verständlich zu werten. Ausser der persönlich-verwandtschaftlichen Nähe zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hat das kantonale Gericht denn auch keine weiteren Umstände genannt, welche das Verhalten des Beschwerdegegners einsichtig und nachvollziehbar erschienen liessen, weshalb sein Entscheid in Gutheissung der Beschwerde aufgehoben und der Anspruch des Versicherten auf Insolvenzentschädigung wegen Verletzung der Schadenminderungspflicht vor der Konkurseröffnung verneint wird.
 
5.
 
Dem Verfahrensausgang entsprechend hat der unterliegende Beschwerdegegner die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, vom 17. April 2009 aufgehoben.
 
2.
 
Die Gerichtskosten für das bundesgerichtliche Verfahren von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, dem Staatssekretariat für Wirtschaft und dem Kantonales Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Baselland, schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 23. Oktober 2009
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
Ursprung Schüpfer
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).