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Informationen zum Dokument  BGer 9C_703/2009  Materielle Begründung
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BGer 9C_703/2009 vom 30.10.2009
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
9C_703/2009
 
Urteil vom 30. Oktober 2009
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
 
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
 
Gerichtsschreiber R. Widmer.
 
Parteien
 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
 
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
D.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kreso Glavas,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 17. August 2009.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Verfügungen vom 29. und 30. November 2007 lehnte die IV-Stelle des Kantons St. Gallen nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren den Anspruch des 1957 geborenen D.________ auf berufliche Massnahmen und eine Invalidenrente ab.
 
B.
 
In teilweiser Gutheissung der von D.________ eingereichten Beschwerde hob das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen die Verfügungen vom 29. und. 30. November 2007 auf und wies die Sache zur weiteren Abklärung (berufliche Massnahmen oder Ausrichtung einer Rente) und zu neuer Verfügung an die IV-Stelle zurück (Entscheid vom 17. August 2009).
 
C.
 
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben.
 
Während D.________ auf Abweisung der Beschwerde schliessen lässt, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Da die Vorinstanz die Sache zu weiteren Abklärungen und neuer Verfügung an die Verwaltung zurückgewiesen hat, liegt ein Zwischenentscheid vor, der nicht im Sinne von Art. 92 BGG die Zuständigkeit oder den Ausstand betrifft und somit nur unter den Voraussetzungen des Art. 93 BGG selbstständig anfechtbar ist. Voraussetzung für die selbstständige Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden ist gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG zunächst, dass sie selbstständig eröffnet worden sind, was hier zutrifft. Erforderlich ist sodann alternativ, dass der angefochtene Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (lit. a) oder dass die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Mit der Gutheissung der Beschwerde liesse sich im vorliegenden Fall kein bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen. Die vorinstanzlich angeordneten Abklärungen betreffen zur Hauptsache die Frage, welche beruflichen Massnahmen für den Beschwerdegegner in Betracht fallen. Ein weitläufiges Beweisverfahren hat das Versicherungsgericht damit nicht angeordnet, sodass die zweite Voraussetzung (lit. b) klarerweise nicht erfüllt ist.
 
2.
 
Zu prüfen bleibt, ob der angefochtene Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken kann.
 
2.1 Massgebend dafür ist, ob der Nachteil auch mit einem für die Beschwerdeführerin günstigen Entscheid in Zukunft nicht behoben werden kann. Rechtsprechungsgemäss bewirkt ein Rückweisungsentscheid in der Regel keinen irreversiblen Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, da der Rechtsuchende ihn später zusammen mit dem neu zu fällenden Endentscheid wird anfechten können (vgl. Art. 93 Abs. 3 BGG). Ein Rückweisungsentscheid, mit dem eine Sache zur neuen Abklärung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, bewirkt in der Regel keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil, führt er doch bloss zu einer Verlängerung des Verfahrens. Wird jedoch die Verwaltung durch einen kantonalen Rückweisungsentscheid gezwungen, eine ihres Erachtens rechtswidrige Verfügung zu erlassen, hat dieser Entscheid für sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zur Folge (BGE 133 V 477 E. 5.2 S. 483; in BGE 134 V 392 nicht publizierte Erwägung 1 des Urteils 8C_682/2007 vom 30. Juli 2008).
 
2.2 Grundsätzlich ist nur das Dispositiv, nicht aber die Begründung eines Entscheides anfechtbar. Verweist das Dispositiv eines Rückweisungsentscheides ausdrücklich auf die Erwägungen, werden diese zu dessen Bestandteil und haben, soweit sie zum Streitgegenstand gehören, an der formellen Rechtskraft teil. Dementsprechend sind die Motive, auf die das Dispositiv verweist, für die Behörde, an welche die Sache zurückgewiesen wird, bei Nichtanfechtung verbindlich. Beziehen sich diese Erwägungen auf den Streitgegenstand, ist somit auch deren Anfechtbarkeit zu bejahen (BGE 113 V 159). Die Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden wurde im BGG zwar neu geregelt; an der Verbindlichkeit des auf die Erwägungen verweisenden kantonalen Rückweisungsentscheides für die Verwaltung im Falle der Nichtanfechtung hat sich mit dem Inkrafttreten des BGG am 1. Januar 2007 indessen nichts geändert (Urteil 9C_1005/2008 vom 5. März 2009; vgl. auch Urteil 4A_5/2008 vom 22. Mai 2008). Die Verbindlichkeit des auf seine Motive verweisenden Rückweisungsentscheides für die Verwaltung bedeutet umgekehrt auch unter der Herrschaft des BGG, dass die Erwägungen eines Rückweisungsentscheides, dessen Dispositiv nicht auf die Motive verweist, für die Verwaltung nicht verbindlich sind.
 
2.3 Dispositiv Ziff. 1 des angefochtenen Versicherungsgerichtsentscheides lautet wie folgt:
 
"In teilweiser Gutheissung der Beschwerde werden die Verfügungen vom 29. und 30. November 2007 aufgehoben und die Angelegenheit zur weiteren Abklärung (berufliche Massnahmen oder Ausrichtung einer Rente) und zu neuer Verfügung an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen."
 
Der Entscheid verweist damit nicht auf die Erwägungen, und diese bilden daher nicht Bestandteil des Dispositivs. Die IV-Stelle wird durch den beschwerdeweise angefochtenen Gerichtsentscheid nicht zum Erlass einer nach ihrem Dafürhalten rechtswidrigen Verfügung verpflichtet. Entgegen ihren Vorbringen wird sie durch das für die Anfechtung massgebende Dispositiv des vorinstanzlichen Entscheides nicht dazu verhalten, von einem rentenbegründenden Invaliditätsgrad von 55 % und bei der angeordneten Prüfung der Eingliederungsmöglichkeiten von einer Arbeitsunfähigkeit des Versicherten von 50 % auszugehen.
 
2.4 Die Voraussetzungen, unter denen die Anfechtung eines kantonalen Zwischenentscheides durch die Verwaltung ausnahmsweise nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zulässig ist, sind nicht erfüllt: Die IV-Stelle wird durch den vorinstanzlichen Rückweisungsentscheid nicht gezwungen, eine aus ihrer Sicht rechtswidrige Verfügung zu erlassen.
 
3.
 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden IV-Stelle aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese hat dem Beschwerdegegner überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der IV-Stelle des Kantons St. Gallen auferlegt.
 
3.
 
Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2000.- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 30. Oktober 2009
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Meyer Widmer
 
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