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Informationen zum Dokument  BGer 2C_612/2010  Materielle Begründung
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BGer 2C_612/2010 vom 30.11.2010
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
2C_612/2010
 
Urteil vom 30. November 2010
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichter Karlen, Stadelmann,
 
Gerichtsschreiber Feller.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Peter Buholzer,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Dienststelle für Steuern des Kantons Luzern.
 
Gegenstand
 
Staats- und Gemeindesteuer sowie direkte Bundessteuer 2008,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 18. Juni 2010.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________, geboren 1935, ist Bezügerin von Ergänzungsleistungen zur AHV-Altersrente; sie wohnt noch in einer eigenen Wohnung. In einer Beilage zur Steuererklärung ersuchte ihr Steuervertreter um Steuererlass. Am 20. November 2009 erging die Veranlagungsverfügung, womit die Steuerpflichtige mit einem steuerbaren Einkommen von Fr. 21'800.-- (Staats- und Gemeindesteuern) bzw. Fr. 22'200 (direkte Bundessteuer) veranlagt wurde. Was das Erlassgesuch betrifft, wurde festgehalten, dass ein Steuererlass schon im Veranlagungsverfahren selbst, wie er nach kantonalem Recht unter gewissen Voraussetzungen zulässig sei, nicht gewährt werde. Dagegen erhob die Steuerpflichtige Einsprache, indem sie ihren Antrag um Gewährung des Steuererlasses wiederholte; die Einsprache war an die Gemeinde Horw adressiert, welche die Sache der für Einsprachen zuständigen Steuerkommission übermittelte. Diese wies die Einsprache am 22. Januar 2010 ab, weil die Voraussetzungen für einen Voraussteuererlass im Veranlagungsverfahren bei X.________ nicht erfüllt seien. Die Steuerkommission wies darauf hin, dass für die Beurteilung eines Steuererlassgesuchs die Steuererlass-Kommission der Gemeinde Horw zuständig sei.
 
Am 18. Februar 2010 reichte X.________ beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern eine Beschwerde ein; sie beantragte die Gewährung des Steuererlasses oder die Aufhebung des Einspracheentscheids vom 22. Januar 2010 und Rückweisung an die dafür zuständige Behörde. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde sowohl betreffend Staats- und Gemeindesteuern wie auch betreffend direkte Bundessteuer mit Urteil vom 18. Juni 2010 ab (Ziff. 1 und 2 des Dispositivs); zudem lehnte es das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab (Ziff. 3 des Dispositivs) und auferlegte die amtlichen Kosten von Fr. 400.-- X.________ (Ziff. 4 des Dispositivs).
 
B.
 
Mit Rechtsschrift vom 22. Juli 2010 beantragt X.________ dem Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und die Sache zurückzuweisen, damit das ordentliche Verfahren der Prüfung des Steuererlasses nach Eintritt der Rechtskraft der Veranlagung erfolgen könne; evtl. sei nur Ziff. 4 des Urteilsdispositivs (Auferlegung der amtlichen Kosten von Fr. 400.--) aufzuheben.
 
Das Verwaltungsgericht hat die Akten eingereicht; es beantragt Abweisung der Beschwerde. Seitens der kantonalen Steuerbehörde ist keine Vernehmlassung eingegangen. Die Eidgenössische Steuerverwaltung beantragt Abweisung der Beschwerde.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Dem Vertreter der Beschwerdeführerin wurde am 6. September 2010 Frist bis zum 17. September 2010 zur Einreichung einer Vollmacht angesetzt. Er kam dieser Aufforderung wegen Ferienabwesenheit erst am 27. September 2010 nach. Unter den gegebenen Umständen, namentlich weil sich eine umfassende Bevollmächtigung durch die Beschwerdeführerin zweifelsfrei aus den Akten ergibt, rechtfertigt sich ein Nichteintreten auf die Beschwerde gestützt auf Art. 42 Abs. 5 BGG nicht.
 
1.2 Der Rechtsstreit betrifft allein die Frage des Steuererlasses, sodass die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 83 lit. m BGG unzulässig ist und nur die subsidiäre Verfassungsbeschwerde (Art. 113 ff. BGG) offensteht, womit allein die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden kann (Art. 116 BGG). Daran ändert der Umstand nichts, dass das angefochtene Urteil im Rahmen des Steuerveranlagungsverfahrens ergangen ist; da es auf kantonalem Recht beruht, könnten selbst mit dem ordentlichen Rechtsmittel weitgehend nur Rügen verfassungsrechtlicher Natur erhoben werden (vgl. Art. 95 BGG; BGE 135 III 513 E. 4.3 S. 521 f.; 134 II 349 E. 3 S. 351 f.). Solche Rügen sind spezifisch geltend zu machen und zu begründen (Art. 106 Abs. 2 BGG).
 
1.3 Die Beschwerdeführerin macht nicht mehr geltend, dass ihr Erlassgesuch im Veranlagungsverfahren selber hätte geprüft werden müssen. Mit der vorliegenden Beschwerde will sie, trotz der darüber hinausgehenden Formulierung des Rechtsbegehrens, letztlich allein die Aufhebung der Kostenauflage im vorinstanzlichen Verfahren erwirken. Sie erachtet den Kostenentscheid des Verwaltungsgerichts als stossend und rügt insofern - in einer den Anforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG genügenden Weise - die Verletzung des Willkürverbots.
 
2.
 
2.1 Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung liegt Willkür namentlich dann vor, wenn der angefochtene Entscheid (auch) im Ergebnis offensichtlich unhaltbar ist oder sonstwie in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 134 I 140 E. 5.4 S. 148; 132 I 13 E. 5.1 S. 18).
 
2.2 Der Steuererlass ist im Kanton Luzern wie folgt geregelt:
 
Gemäss § 200 des Steuergesetzes des Kantons Luzern vom 22. November 1999 (StG) können Steuerpflichtigen, für die infolge einer Notlage die Bezahlung der Steuern, Bussen, Zinsen und Kosten eine grosse Härte bedeuten würde, die geschuldeten Beträge ganz oder teilweise erlassen werden (Abs. 1). Soweit eine Notlage, die zu einem vollständigen Erlass berechtigt, schon bei der Veranlagung offensichtlich gegeben ist, kann sie im Veranlagungsverfahren berücksichtigt werden (Abs. 2). Nach einem diesbezüglichen Merkblatt findet Absatz 2 nicht auf sämtliche Empfänger von Ergänzungsleistungen Anwendung; Erlass bereits im Veranlagungsstadium wird dem Steuerpflichtigen mit Ergänzungsleistungen nur gewährt, wenn er in einem Heim lebt oder Bezüger von wirtschaftlicher Sozialhilfe ist. Der Mechanismus der Abgrenzung zwischen ordentlichem Erlassverfahren und Erlass im Veranlagungsverfahren ist nicht ohne weiteres verständlich. Namentlich wird beim Steuerpflichtigen, auf dessen Erlassbegehren im Rahmen der Veranlagung nicht eingegangen wird, Unsicherheit darüber entstehen, wie er sein Anliegen ohne Gefahr des Rechtsverlustes im weiteren Verlauf wirksam einbringen soll. Solche Verunsicherungen sind voraussehbar, und es darf von den Behörden erwartet werden, dass diesfalls unbürokratisch informiert wird.
 
Die Beschwerdeführerin hebt hervor, dass sie mit ihrem Anliegen mehrfach an - nach den jeweiligen Umständen für sie plausibel als zuständig erscheinende - Behörden gelangt sei; keine dieser Behörden habe ihr verdeutlicht, wie sie vorzugehen habe. Unter anderem steht fest, dass sie sich zu einem gewissen Zeitpunkt auch an die im Endeffekt für den Erlass zuständige Gemeindebehörde gewandt hatte, von wo aus die Sache aber ins Einspracheverfahren für umstrittene Veranlagungen verwiesen wurde. Die Beschwerdeführerin legt plausibel dar und es ergibt sich aus den Akten, dass sich der Verfahrensverlauf für sie verschlungen gestaltete und ihr erst durch das Urteil des Verwaltungsgerichts klar wurde, dass sie in ihrer Situation die Rechtskraft der Veranlagung abwarten müsse und dies auch ohne Risiko tun könne. Es bestehen denn auch keine Zweifel darüber, dass sie - wäre sie rechtzeitig genügend informiert gewesen - auf den Rechtsmittelweg verzichtet hätte.
 
Zusammenfassend wird in der Beschwerdeschrift Folgendes festgehalten: "Ich kann auch kein wirkliches Fehlverhalten bei der Eingabe auf Steuererlass erkennen. Jedoch den Verlauf dieses Verfahrens bis zum Urteil des Verwaltungsgerichtes des Kt. Luzern finde ich stossend und in keiner Art rechtswürdig gegenüber einem Bürger, vor allem einem Bürger, der zur Deckung seines Lebensbedarfs auf eine Ergänzungsleistung angewiesen ist. Dass solche Bürger schlussendlich aufgrund eines unnötigen und vermeidbaren Verfahrens noch kostenpflichtig werden, erscheint mir, dürfte in diesem Staate Schweiz nicht geschehen." Auch wenn sich keiner der mit dem Anliegen der Beschwerdeführerin konfrontierten Behörden ein rechtswidriges Verhalten vorhalten lässt, ist ihrer vorstehend wortwörtlich wiedergegebenen Schlussfolgerung beizupflichten. Ihr unter den gegebenen Umständen Kosten aufzuerlegen, erweist sich im Ergebnis als stossend und ist unhaltbar. Die Beschwerde ist insofern gutzuheissen und Ziff. 4 des Dispositivs des angefochtenen Urteils wegen Verletzung des Willkürverbots aufzuheben.
 
3.
 
Bei diesem Verfahrensausgang sind von der im Wesentlichen obsiegenden Beschwerdeführerin keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ebenso rechtfertigt es sich, von einer Kostenauflage an den Kanton Luzern abzusehen. Eine Parteientschädigung ist nicht geschuldet, da die Beschwerdeführerin sich nicht durch einen Anwalt vertreten liess. Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird damit gegenstandslos.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Ziff. 4 des Dispositivs des Urteils des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 18. Juni 2010 wird aufgehoben.
 
2.
 
Es werden keine Kosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 30. November 2010
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
Zünd Feller
 
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