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Informationen zum Dokument  BGer 2C_655/2012  Materielle Begründung
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BGer 2C_655/2012 vom 13.02.2013
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
2C_655/2012
 
Urteil vom 13. Februar 2013
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichter Seiler,
 
Bundesrichter Stadelmann,
 
Gerichtsschreiberin Genner.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Denis G. Giovannelli,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Amt für Migration Basel-Landschaft,
 
Parkstrasse 3, 4402 Frenkendorf,
 
Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft, Regierungsgebäude, Rathausstrasse 2, 4410 Liestal.
 
Gegenstand
 
Widerruf der Niederlassungsbewilligung und Wegweisung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, vom 25. April 2012.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
A.a Der türkische Staatsangehörige X.________ wurde am 21. Februar 1984 in der Schweiz geboren und erhielt in der Folge eine Niederlassungsbewilligung. Er besuchte die obligatorischen Schulen und absolvierte eine Anlehre als Verkäufer.
 
A.b X.________ trat bereits als Jugendlicher strafrechtlich in Erscheinung, namentlich wegen sexueller Belästigung (zwei Anzeigen im Jahr 1997). Als Erwachsener wurde er folgendermassen verurteilt:
 
5. November 2003: bedingte Gefängnisstrafe von acht Monaten wegen Raubs;
 
31. März 2006: bedingte Gefängnisstrafe von sechs Monaten wegen mehrfachen Diebstahls, mehrfacher Sachbeschädigung und mehrfachen Hausfriedensbruchs;
 
2. November 2007: Geldstrafe von zehn Tagessätzen wegen Sachbeschädigung;
 
11. Mai 2009: 13 Monate Freiheitsstrafe und Busse von Fr. 100.-- wegen Angriffs, Raufhandels und einfacher Körperverletzung (mit einem gefährlichen Gegenstand) und Übertretung des Transportgesetzes, teilweise als Zusatzstrafe zum Urteil des Strafgerichtspräsidiums Basel-Landschaft vom 31. März 2006 und als Zusatzstrafe zum Urteil des Strafgerichtspräsidiums Basel-Stadt vom 2. November 2007;
 
3. Dezember 2010: sechs Monate Freiheitsstrafe und Busse von Fr. 200.-- wegen mehrfachen Diebstahls, mehrfachen Hausfriedensbruchs, Sachentziehung, Sachbeschädigung, Hehlerei, mehrfacher Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, mehrfacher Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz und Diensterschwerung, als Gesamtstrafe und als teilweise Zusatzstrafe zum Urteil des Strafgerichts Basel-Stadt vom 11. Mai 2009;
 
8. Juni 2011: Busse von Fr. 250.-- wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz.
 
Das Amt für Migration Basel-Landschaft (nachfolgend: Migrationsamt) verwarnte X.________ am 11. Februar 2004 sowie am 31. Mai 2010.
 
A.c Am 24. April 2012 waren in Bezug auf X.________ 44 Betreibungen im Gesamtbetrag von Fr. 44'097.15 und 40 Verlustscheine (davon 32 offene) im Gesamtbetrag von Fr. 47'873.45 registriert.
 
A.d Das Migrationsamt gewährte X.________ am 9. März 2011 das rechtliche Gehör betreffend den beabsichtigten Widerruf der Niederlassungsbewilligung. X.________ liess sich dazu nicht vernehmen.
 
Am 16. Juni 2011 widerrief das Migrationsamt die Niederlassungsbewilligung und verpflichtete X.________ mit Wirkung auf den Zeitpunkt der (bedingten) Entlassung aus dem Strafvollzug zur Ausreise aus der Schweiz.
 
B.
 
X.________ focht diese Verfügung beim Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft an, welcher die Beschwerde am 13. September 2011 abwies. Das Kantonsgericht Basel-Landschaft bestätigte diesen Entscheid mit Urteil vom 25. April 2012.
 
C.
 
Mit Eingabe vom 4. Juli 2012 erhebt X.________ beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, allenfalls subsidiäre Verfassungsbeschwerde mit den Anträgen, das angefochtene Urteil sei aufzuheben; eventuell sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem beantragt X.________ die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege unter Beiordnung seines Rechtsvertreters.
 
Das Kantonsgericht verzichtet auf Vernehmlassung. Der Regierungsrat und das Bundesamt für Migration schliessen auf Abweisung der Beschwerde; das Migrationsamt hat sich nicht geäussert.
 
Mit Präsidialverfügung vom 6. Juli 2012 ist der Beschwerde antragsgemäss aufschiebende Wirkung erteilt worden.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Angefochten ist der letztinstanzliche, verfahrensabschliessende Entscheid eines kantonalen Gerichts auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, welcher grundsätzlich der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unterliegt (vgl. Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG, Art. 90 BGG, Art. 82 lit. a BGG). Gegen Entscheide über den Widerruf einer Niederlassungsbewilligung ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig, weil grundsätzlich ein Anspruch auf das Fortbestehen dieser Bewilligung gegeben ist (BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4). Ob der Anspruch auf Aufhebung des Widerrufs im konkreten Fall zu bejahen ist, betrifft nicht die Eintretensfrage, sondern die materielle Behandlung der Beschwerde (BGE 136 II 177 E. 1.1 S. 179). Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist somit zulässig. Demgemäss bleibt für die subsidiäre Verfassungsbeschwerde kein Raum, weshalb darauf nicht einzutreten ist (vgl. Art. 113 BGG).
 
1.2 Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, weshalb auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten einzutreten ist.
 
2.
 
2.1 Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 und Art. 96 BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). In Bezug auf die Verletzung von Grundrechten gilt eine qualifizierte Rüge- und Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254).
 
2.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur beanstandet bzw. vom Bundesgericht von Amtes wegen berichtigt oder ergänzt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG beruht (Art. 97 Abs. 1 BGG bzw. Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine entsprechende Rüge, welche rechtsgenüglich substanziiert vorzubringen ist (vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254), setzt zudem voraus, dass die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG).
 
3.
 
Der Beschwerdeführer moniert, die Vorinstanz habe eine seiner Rügen nicht behandelt und damit eine Gehörsverletzung begangen. Diese formelle Rüge ist vorab zu behandeln (vgl. BGE 138 I 232 E. 5.1 S. 237).
 
3.1 In der Beschwerde an die Vorinstanz habe er - der Beschwerdeführer - geltend gemacht, "Opfer" der höchstrichterlichen Praxisänderung geworden zu sein. Der Regierungsrat habe den Widerruf der Niederlassungsbewilligung auf Art. 62 lit. b AuG (SR 142.20) gestützt. Er habe auf die Praxis des Bundesgerichts zum ANAG (BS 1 121) aus dem Jahr 1999 Bezug genommen, wonach gemäss BGE 125 II 521 eine Ausweisung erst bei einer Verurteilung der betroffenen Person zu einer Freiheitsstrafe von zwei oder mehreren Jahren möglich gewesen sei. Weiter habe der Regierungsrat BGE 135 II 377 aus dem Jahr 2009 zitiert, wonach der Widerrufsgrund des Art. 62 lit. b AuG bereits bei einer ausgesprochenen Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr erfüllt sei. Gleichzeitig habe der Regierungsrat aber die herrschende Lehre erwähnt, welche den Widerrufsgrund der längerfristigen Freiheitsstrafe erst bei einer Verurteilung von deutlich über einem Jahr als erfüllt erachtet habe. Da er - der Beschwerdeführer - im Jahr 2009 zu einer Freiheitsstrafe von 13 Monaten verurteilt worden sei, sollte nicht von einer Freiheitsstrafe von deutlich über einem Jahr gesprochen werden. Er habe die Taten in den Jahren 2005 und 2007 verübt; in jener Zeit habe noch die höchstrichterliche Praxis gegolten, wonach eine Ausweisung erst bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei oder mehreren Jahren möglich gewesen sei. Es dürfe nicht sein, dass er "Opfer" der Revision des AuG und der damit zusammenhängenden höchstrichterlichen Gesetzeskonkretisierung werde.
 
3.2 Das rechtliche Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV verlangt, dass die Behörde die Vorbringen der betroffenen Person auch tatsächlich hört, prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus folgt die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich die betroffene Person über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinn müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (vgl. BGE 136 I 229 E. 5.2 S. 236 mit Hinweisen).
 
Die Vorinstanz hat die anwendbaren Rechtsgrundlagen korrekt zitiert und gestützt darauf konzis und nachvollziehbar begründet, warum ihrer Auffassung nach der Regierungsrat den Widerrufsgrund des Art. 62 lit. b AuG zu Recht als erfüllt erachtet hatte. Darin, dass die Vorinstanz auf die nicht nur unzutreffenden, sondern auch abwegigen übergangsrechtlichen Ausführungen des rechtskundig vertretenen Beschwerdeführers nicht näher eingegangen ist, liegt keine Gehörsverletzung.
 
3.3 Ob die Vorinstanz den Widerrufsgrund des Art. 62 lit. b AuG mit zutreffender Begründung bejaht hat, wird im Rahmen der materiellen Rügen (vgl. E. 6) zu prüfen sein.
 
4.
 
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Gebots von Treu und Glauben gemäss Art. 9 BV.
 
4.1 Entgegen den Ausführungen im vorinstanzlichen Urteil habe das Migrationsamt bei der Aussprechung der Verwarnung am 31. Mai 2010 Kenntnis des laufenden Verfahrens gegen den Beschwerdeführer wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz gehabt. Dennoch habe es nicht sofort den Widerruf der Niederlassungsbewilligung verfügt, sondern durch die Verwarnung beim Beschwerdeführer ein schützenswertes Vertrauen erweckt. Indem das Migrationsamt schliesslich am 16. Juni 2011 die Niederlassungsbewilligung in Kenntnis des letzten Strafverfahrens und trotz des seit 2010 straffreien Verhaltens des Beschwerdeführers widerrufen habe, habe es den Schutz des Vertrauens in den Rechtsstaat und in die Rechtssicherheit sowie das Verbot des widersprüchlichen und rechtsmissbräuchlichen Verhaltens in krasser Weise verletzt.
 
4.2 In Bezug auf den Vertrauensschutz im Ausländerrecht hat das Bundesgericht in Übereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen (vgl. Urteil 9C_419/2011 vom 17. September 2012 E. 4.2.1; BGE 131 V 472 E. 5) entschieden, dass das in Art. 9 BV verankerte Gebot von Treu und Glauben nach den Umständen, jedoch nur in engen Grenzen ein Recht auf die Erteilung einer Bewilligung verleihen kann. Dies ist namentlich der Fall, wenn die ausländische Person auf falsche Auskünfte der zuständigen Behörde vertraut und gestützt darauf unumkehrbare Vorkehrungen getroffen hat (Urteile 2C_40/2012 vom 15. Oktober 2012 E. 5; 2C_503/2009 vom 8. Januar 2010 E. 2.4 mit Hinweisen). Die gleichen Anforderungen müssen gelten, wenn die berechtigte Erwartung geschützt werden soll, dass eine Bewilligung nicht widerrufen wird.
 
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe darauf vertraut, dass die Niederlassungsbewilligung nicht widerrufen werde. Er verkennt, dass die Verwarnung vom 31. Mai 2010 im Zusammenhang mit der am 11. Mai 2009 erfolgten Verurteilung zu 13 Monaten Freiheitsstrafe zu sehen ist: Das entsprechende Urteil des Strafgerichts Basel-Stadt war am 1. März 2010 in Rechtskraft erwachsen. Anstatt in diesem Zeitpunkt den Widerruf der Niederlassungsbewilligung zu verfügen, hat das Migrationsamt eine letzte Verwarnung ausgesprochen; es hat dabei das laufende Strafverfahren explizit erwähnt. Dem Beschwerdeführer musste deshalb klar sein, dass er die drohende Massnahme kaum mehr würde abwenden können. Dies begründet jedoch kein berechtigtes Vertrauen dahingehend, dass die Behörde vom Widerruf der Bewilligung absehen würde. Eine Vertrauensgrundlage ist auch nicht dadurch entstanden, dass das Migrationsamt mit dem Widerruf zugewartet hat, bis der Beschwerdeführer erneut (rechtskräftig) verurteilt wurde. Vielmehr war dies - in Anbetracht der Möglichkeit eines Freispruchs - sogar angezeigt. Der Beschwerdeführer kann sich somit nicht auf eine Vertrauensgrundlage berufen. Auch die übrigen Voraussetzungen des Vertrauensschutzes, namentlich eine falsche Zusicherung des Migrationsamts sowie unumkehrbare Dispositionen auf Seiten des Beschwerdeführers, sind nicht erfüllt. Eine Verletzung des Rechts auf Treu und Glauben ist daher zu verneinen.
 
5.
 
Der Beschwerdeführer macht eine unvollständige Sachverhaltsfeststellung und willkürliche Beweiswürdigung im Sinn von Art. 97 Abs. 1 BGG geltend.
 
Er müsste im Fall einer Wegweisung sofort in den türkischen Militärdienst treten; dieser dauere 15 Monate. Als Sohn kurdisch-stämmiger Auswanderer würde ihm zudem eine menschenrechtsverletzende und schikanöse Behandlung drohen. Indem die Vorinstanz den zu leistenden Militärdienst nur mit einem Satz erwähnte, ihn aber nicht berücksichtigte, habe sie den Sachverfalt unvollständig festgestellt und Beweise willkürlich gewürdigt.
 
Welche Beweise die Vorinstanz willkürlich gewürdigt haben soll, geht aus der Beschwerde nicht hervor. Sodann entbehrt die Behauptung, der Beschwerdeführer wäre im Militärdienst menschenrechtsverletzender und schikanöser Behandlung ausgesetzt, jeglicher Grundlage. Die Rüge ist nicht hinreichend substanziiert, so dass darauf nicht einzugehen ist (vgl. E. 2.2).
 
6.
 
Die Vorinstanz bestätigte den Widerruf der Niederlassungsbewilligung gestützt auf Art. 63 Abs. 1 lit. a AuG in Verbindung mit Art. 62 lit. b AuG. Zudem kam sie zum Schluss, auch der Widerrufsgrund des Art. 63 Abs. 1 lit. b AuG sei erfüllt.
 
6.1 Gemäss Art. 63 Abs. 1 lit. a AuG in Verbindung mit Art. 62 lit. b AuG kann die Niederlassungsbewilligung widerrufen werden, wenn die ausländische Person zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt oder gegen sie eine strafrechtliche Massnahme angeordnet wurde. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung fällt unter den Begriff der längerfristigen Freiheitsstrafe jede Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr (BGE 135 II 377 E 4.2), wobei die Strafe sich zwingend auf ein einziges Strafurteil stützen muss (BGE 137 II 297 E. 2).
 
6.2 Der Beschwerdeführer macht sinngemäss geltend, die Praxis zu Art. 62 lit. b AuG sei auf ihn nicht anwendbar und die Unterstellung unter das AuG stelle eine unzulässige echte Rückwirkung dar, da zur Zeit der Begehung der Straftaten das AuG noch nicht in Kraft gestanden habe.
 
Am 1. Januar 2008 ist das AuG in Kraft getreten. Praxisgemäss bleibt in analoger Anwendung von Art. 126 Abs. 1 AuG das bisherige (materielle) Recht anwendbar, wenn ein Ausweisungsverfahren noch vor Inkrafttreten des neuen Rechts eröffnet worden ist (vgl. Urteile 2C_745/2008 vom 24. Februar 2009 E. 1.2.3; 2C_701/2008 vom 26. Februar 2009 E. 2).
 
Grundsätzlich steht es im Ermessen der Migrationsbehörde zu entscheiden, in welchem Zeitpunkt sie ein Widerrufsverfahren einleiten will. Vorliegend geschah dies mit der Gewährung des rechtlichen Gehörs am 9. März 2011. Somit richtet sich der Widerruf der Bewilligung nach den Bestimmungen des AuG, wobei auch die zugehörige Rechtsprechung zu beachten ist. Für die Frage des intertemporalen Rechts im vorliegenden Zusammenhang ist weder das Datum der verfahrensauslösenden Verurteilung noch jenes der ihr zugrunde liegenden Straftaten von Belang.
 
6.3 Da der Beschwerdeführer rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 13 Monaten verurteilt wurde, ist der Widerrufsgrund im Sinn von Art. 62 lit. b AuG erfüllt. Es kann daher offen bleiben, ob die Vorinstanz den Widerrufsgrund des Art. 63 Abs. 1 lit. b AuG, der einen schwerwiegenden Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder deren Gefährdung voraussetzt, zu Recht als erfüllt erachtet hat. Die hohen Schulden des Beschwerdeführers sowie die übrigen Verurteilungen dürfen im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung gemäss Art. 96 Abs. 1 AuG (vgl. E. 7) jedoch berücksichtigt werden.
 
7.
 
Der Beschwerdeführer macht geltend, der Widerruf der Niederlassungsbewilligung sei unverhältnismässig.
 
7.1 Bei gegebenen Voraussetzungen ist der Widerruf der Bewilligung nur gerechtfertigt, wenn er sich nach einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenwägung als verhältnismässig erweist (vgl. Art. 96 Abs. 1 AuG). Dabei sind namentlich die Schwere des Verschuldens, der Grad der Integration bzw. die Dauer der bisherigen Anwesenheit sowie die dem Betroffenen und seiner Familie drohenden Nachteile zu berücksichtigen (BGE 135 II 377 E. 4.3 S. 381).
 
7.2 Ausgangspunkt und Massstab für die Schwere des Verschuldens und die fremdenpolizeiliche Interessenabwägung im Rahmen eines Bewilligungsentzugs gestützt auf Art. 62 lit. b AuG (Verurteilung zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe) ist die vom Strafgericht verhängte Strafe (BGE 129 II 215 E. 3.1 S. 216). Der Beschwerdeführer wurde im Alter von 25 Jahren zu einer Freiheitsstrafe von 13 Monaten verurteilt. Dabei handelte es sich bereits um die vierte Verurteilung in fünfeinhalb Jahren; der Beschwerdeführer war mehrmals - so auch diesmal - während der Probezeit rückfällig geworden. Das Strafgericht Basel-Stadt erwog in seinem Urteil vom 11. Mai 2009, der ohne wirklichen Anlass erfolgte gewalttätige Übergriff auf das Opfer sei äusserst gravierend und absolut unverzeihlich, auch wenn berücksichtigt werde, dass der Beschwerdeführer angetrunken gewesen sei. Der Schlag mit dem Bierglas mitten ins Gesicht hätte buchstäblich ins Auge gehen und dem Opfer einen bleibenden Schaden zufügen können. Das Strafgericht verwies auf die Vorstrafen und den kurzen Zeitraum von nur drei Monaten zwischen der Tatbegehung und der Verurteilung vom 31. März 2006. Es attestierte dem Beschwerdeführer ein "beachtliches Aggressions- und Gewaltpotenzial" sowie eine "gehörige Unbelehrbarkeit". Von einer "wirklichen Geständigkeit oder Reue" könne nicht die Rede sein. Zwar habe der Beschwerdeführer seine Beteiligung am Raufhandel und am Angriff nicht bestritten; die Schuld daran habe er jedoch mit der Behauptung, provoziert worden zu sein, dem Geschädigten zuschieben wollen.
 
Allein die Deliktskarriere des Beschwerdeführers bis zur verfahrensauslösenden Verurteilung vom 11. Mai 2009 zeigt, dass er weder aus den ersten beiden Verurteilungen vom 5. November 2003 und vom 31. März 2006 noch aus der Verwarnung vom 11. Februar 2004 Lehren gezogen hat. Obwohl diese Verwarnung im Anschluss an die erste Verurteilung (zu immerhin acht Monaten Gefängnis bedingt) ausgesprochen worden war, delinquierte der Beschwerdeführer noch während der Probezeit erneut. Die fortgesetzte Uneinsichtigkeit des Beschwerdeführers lässt auf eine konkrete Rückfallgefahr schliessen, welche das öffentliche Interesse an seiner Wegweisung erhöht. In Anbetracht der Vorstrafen und der Tatsache, dass der Beschwerdeführer am 3. Dezember 2010 - nach der Verurteilung zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe im Sinn von Art. 62 lit. b AuG - erneut zu sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde, muss das Risiko der Rückfallgefahr als beträchtlich eingeschätzt werden. Die Vorinstanz weist in diesem Zusammenhang zu Recht auf eine erhebliche Bagatellisierungstendenz hin, welche der Beschwerdeführer anlässlich der Parteiverhandlung vom 25. April 2012 hat erkennen lassen. Die Vorinstanz würdigt auch den Strafbefehl vom 8. Juni 2011 (Busse wegen Erwerbs und Besitzes von Speed für den Eigenkonsum) korrekt, indem sie darin - trotz der geringen Schwere dieses Delikts - das Unvermögen des Beschwerdeführers, sich in die schweizerische Rechtsordnung einzufügen, bestätigt sieht. Mit Blick auf diese Begleitumstände und die Art der begangenen Delikte (davon mehrere Gewaltdelikte) ist von einem erheblichen ausländerrechtlichen Verschulden auszugehen. Es besteht daher ein wesentliches sicherheitspolizeiliches Interesse an der Wegweisung des Beschwerdeführers.
 
7.3 Dem genannten öffentlichen Interesse sind die privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz gegenüberzustellen. Je länger eine ausländische Person in der Schweiz gelebt hat, desto strengere Anforderungen sind an Entfernungs- und Fernhaltemassnahmen zu stellen. Solche sind indessen selbst bei ausländischen Personen der "zweiten Generation", die in der Schweiz geboren sind und hier ihr ganzes bisheriges Leben verbracht haben, bei Gewaltdelikten bzw. wiederholter schwerer Straffälligkeit nicht generell ausgeschlossen. Ausschlaggebend ist die Verhältnismässigkeit der Massnahme im Einzelfall, die praxisgemäss gestützt auf die gesamten wesentlichen Umstände geprüft werden muss (BGE 135 II 110 E. 2.1 S. 112).
 
7.3.1 Der Beschwerdeführer ist in der Schweiz geboren; er hat demnach sein ganzes bisheriges Leben hier verbracht. Dieser Umstand spricht für den Verbleib in der Schweiz.
 
7.3.2 Was die Integration betrifft, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, welche auf eine überdurchschnittliche Eingliederung in schweizerische Verhältnisse schliessen liessen. Aus der mehrjährigen Delinquenz des Beschwerdeführers ergibt sich vielmehr, dass die soziale Integration nicht gelungen ist. Die berufliche Integration ist als mässig zu beurteilen, nachdem der Beschwerdeführer - nach jahrelanger Sozialhilfeabhängigkeit - erst im September 2011 und damit nach dem Widerruf der Niederlassungsbewilligung durch das Migrationsamt begonnen hat, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Vorinstanz hat in diesem Zusammenhang zusätzlich negativ gewichtet, dass die Betreibungen und Verlustscheine sich auch nach Anstellungsbeginn vermehrt haben. Auch seine hohen Schulden hat der Beschwerdeführer erst unter dem Eindruck des drohenden Bewilligungsentzugs abzuzahlen begonnen, wobei die Bemerkung gegenüber der Vorinstanz, er tue dies "absolut freiwillig", Bedenken weckt. Der Beschwerdeführer scheint nicht verstanden zu haben, dass die Erfüllung privatrechtlicher und öffentlichrechtlicher Verpflichtungen in der schweizerischen Rechtsordnung erwartet wird und keine freiwillige Leistung darstellt. Insgesamt kann die Integration in schweizerische Verhältnisse nicht als erfolgreich bezeichnet werden.
 
7.3.3 Eine Übersiedlung in die Türkei wäre für den Beschwerdeführer mit Schwierigkeiten verbunden, da er dort keine nahen Verwandten hat. Immerhin gab er im vorinstanzlichen Verfahren an, dass noch einige Cousins seiner Mutter dort leben würden. Auch wenn dies nur entfernte Verwandte sind, wäre der Beschwerdeführer nicht völlig auf sich allein gestellt. Er ist jung, gesund und spricht die türkische Sprache; zudem ist er ledig und kinderlos. Unter diesen Umständen ist die Ausreise in die Türkei nicht unzumutbar, auch wenn der Beschwerdeführer sein Herkunftsland nur von Ferienaufenthalten kennt. Auch die Tatsache, dass er allenfalls Militärdienst leisten müsste, steht dieser Beurteilung nicht entgegen (vgl. Urteil 2C_66/2009 vom 1. Mai 2009 E. 3.3 am Ende).
 
7.4 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass dem privaten Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz ein erhebliches ordnungs- und sicherheitspolizeiliches Interesse an seiner Wegweisung gegenübersteht. Zudem dürfen generalpräventive Gesichtspunkte bei ausländischen Personen, welche sich nicht auf das FZA (SR 0.142.112.681) berufen können, im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt werden (Urteil 2C_679/2011 vom 21. Februar 2012 E. 3. 1). Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in der Schweiz geboren und aufgewachsen ist, und die zu erwartenden Schwierigkeiten bei einer Ausreise in die Türkeit vermögen für sich allein genommen das öffentliche Interesse an seiner Wegweisung nicht aufzuwiegen. Der angefochtene Entscheid erweist sich somit als verhältnismässig im Sinn von Art. 96 AuG.
 
8.
 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
 
8.1 Gemäss Art. 64 Abs. 1 BGG befreit das Bundesgericht eine Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der Gerichtskosten und von der Sicherstellung der Parteientschädigung, sofern ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Praxisgemäss sind Prozessbegehren als aussichtslos anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde; eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 mit Hinweisen).
 
Die vorstehenden Erwägungen haben gezeigt, dass der Beschwerde kaum Erfolgsaussichten beschieden waren. In Bezug auf die Verhältnismässigkeit des Bewilligungswiderrufs standen der Vielzahl negativer Aspekte (erhebliches Verschulden bei der verfahrensauslösenden Verurteilung, mehrere weitere Verurteilungen zu nicht geringfügigen Strafen, Rückfälle in der Probezeit, erhebliche Rückfallgefahr, hohe Schulden, mangelnde soziale und berufliche Integration) nur ein Aspekt gegenüber, welcher für einen Verbleib in der Schweiz sprach: Der Beschwerdeführer ist Angehöriger der zweiten Generation ausländischer Personen. Diese Verteilung der öffentlichen und privaten Interessen hat die Abweisung der Beschwerde erwarten lassen, zumal die Vorinstanz in fundierter Weise begründet hat, warum die Massnahme verhältnismässig ist. Aufgrund der Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels ist das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung abzuweisen, und dem Verfahrensausgang entsprechend sind dem Beschwerdeführer die Kosten zu auferlegen (vgl. Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
8.2 Es ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (vgl. Art. 68 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 13. Februar 2013
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Zünd
 
Die Gerichtsschreiberin: Genner
 
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