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Informationen zum Dokument  BGer 9C_1026/2012  Materielle Begründung
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BGer 9C_1026/2012 vom 13.02.2013
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
9C_1026/2012
 
Urteil vom 13. Februar 2013
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Kernen, Präsident,
 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
 
Gerichtsschreiber Scartazzini.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________, vertreten durch
 
Rechtsanwalt Christian Jaeggi,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
IV-Stelle Bern, Scheibenstrasse 70,
 
3014 Bern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 20. November 2012.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Nach Aktenergänzung im Anschluss an den Rückweisungsentscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 26. August 2009 durch u.a. Einholung eines polydisziplinären Gutachtens der Medizinischen Abklärungsstation (MEDAS) vom 5. Mai 2011 sowie Beurteilung der medizinischen Situation (inkl. Verlauf/Prognose) durch Frau Dr. med. F.________, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, Regionaler Ärztlicher Dienst (RAD), vom 24. August 2011 lehnte die IV-Stelle Bern nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens den Leistungsanspruch des A.________ (geb. 1964) mangels einer invalidisierenden gesundheitlichen Beeinträchtigung im Rechtssinne ab (Verfügung vom 7. Mai 2012).
 
B.
 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 20. November 2012 ab.
 
C.
 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben und es sei die IV-Stelle zu verpflichten, ihm rückwirkend ab 1. September 2002 zuzüglich Verzugszins "eine IV-Rente" auszurichten; eventualiter seien ihm berufliche Massnahmen oder weitere IV-Leistungen zu gewähren. Mit Eingabe vom 10. Januar 2013 lässt der Beschwerdeführer neue Rügen vorbringen und neue Anträge stellen.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann eine - für den Ausgang des Verfahrens entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) - Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder wenn sie auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 132 V 393). Frei überprüfbare Rechtsfrage ist, ob beim Beschwerdeführer ein invalidisierender Gesundheitsschaden vorliegt (Urteil 9C_176/2011 vom 29. Juni 2011 E. 4.1 mit weiteren Hinweisen).
 
2.
 
Streitig und zu prüfen ist zur Hauptsache, ob der Beschwerdeführer an einer invalidisierenden gesundheitlichen Beeinträchtigung leidet, welche den Anspruch auf eine Invalidenrente begründet (Art. 4, 28 und 28a IVG in Verbindung mit Art. 6-8 ATSG). Das kantonale Gericht hat die im Rahmen dieser Bestimmungen zur Beurteilung der Streitsache massgeblichen materiell- und beweisrechtlichen Grundsätze nach der Rechtsprechung zutreffend dargestellt. Auf die entsprechenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid wird verwiesen.
 
3.
 
3.1 Das Verwaltungsgericht ist zum Schluss gekommen, es lägen keine hinreichenden Beeinträchtigungen der Gesundheit in somatischer Hinsicht und damit keine Einschränkungen in der Arbeitsfähigkeit (mehr) vor, welche eine rentenrelevante Invalidität begründen würden oder zumindest vorübergehend hätten begründen können (angefochtener Entscheid E. 3.3.2 in fine, S. 17). Diese Feststellung ist für das Bundesgericht verbindlich, auch unter Berücksichtigung der in der Beschwerde (S. 8 Ziff. 8) angerufenen Ergebnisse der neuropsychologischen Untersuchung, welche nicht ausreichend berücksichtigt worden seien (nicht quantifizierbare kognitive Störungen im Rahmen eines Schmerzsyndroms nach Commotio cerebri und zweifacher HWS-Distorsion mit erheblichen somatoformen Anteilen, am ehesten in Form einer Somatisierungsstörung mit Betroffenheit aller untersuchten Leistungsbereiche).
 
3.2 In psychischer Hinsicht ist das kantonale Gericht zum Ergebnis gelangt, dass die von den MEDAS-Gutachtern diagnostizierte mittelgradige depressive Episode (ICD-10 F32.1) als Begleiterscheinung der mehrfach diagnostizierten somatoformen Schmerzstörung (ICD-10 F45.4) aufzufassen ist, und nicht als selbstständige vom Schmerzsyndrom losgelöste psychische Komorbidität; es liege eine (reaktive) Begleiterscheinung des syndromalen Zustands und der psychosozialen Belastungsfaktoren, insbesondere der Arbeitslosigkeit, vor (angefochtener Entscheid E. 3.3.3 in fine S. 17 unten f.). Auch diese Tatsachenentscheidung ist für das Bundesgericht verbindlich (Art. 105 Abs. 1 BGG); von einer offensichtlich unrichtigen (unhaltbaren, willkürlichen, vgl. BGE 132 III 209 E. 2.1 S. 211; zum Begriff der Willkür BGE 137 I 1 E. 2.4 S. 5 mit Hinweisen) Feststellung des massgeblichen Sachverhalts bzw. Berücksichtigung von erheblichen Beweisen kann in Anbetracht der umfangreichen medizinischen Unterlagen, welche bald diese, bald jene Komponente eines insgesamt äusserst diffusen Beschwerdebildes in den Vordergrund stellen, nicht die Rede sein.
 
3.3 Die Beschwerde rügt denn auch lediglich eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes bezüglich des für die "Überwindbarkeit der sogenannten Schmerzstörung" erheblichen Sachverhaltes; entsprechend den Kriterien gemäss der Rechtsprechung BGE 130 V 352 ("Foerster-Kriterien") seien dem Arzt oder Gutachter spezifische Fragen vorzulegen, damit darüber befunden werden könne. In diesem Kontext komme die Vorinstanz zum Schluss, Anhaltspunkte für einen primären Krankheitsgewinn seien nicht ersichtlich (angefochtener Entscheid E. 3.3.3 S. 18 unten), was offensichtlich unrichtig sei, lasse sich doch dem psychiatrischen Teilgutachten vom 31. März 2011 entnehmen, dass die präsentierte Schmerzstörung im Rahmen des narzisstischen Gesamtbildes die einzige Möglichkeit sein dürfte, auf den unbewältigten innerseelischen Konflikt, die Diskrepanz zwischen Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und der Realität, zu reagieren, weshalb hier durchaus von einem deutlichen primären Krankheitsgewinn zu sprechen sei.
 
Die Rüge ist an sich begründet, führt aber (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) nicht zu einem anderen Ergebnis. Zum einen verlangt das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung (BGE 130 V 352 und seitherige vgl. SVR 2013 IV Nr. 9 S. 21, 8C_842/2011 E. 4.2 mit Hinweisen), dass die - neben der psychischen Komorbidität in Betracht fallenden - Komorbiditätskriterien in ausgeprägter Weise erfüllt sind. Das trifft hier offensichtlich nicht zu: Eine Begleitkrankheit ist nicht aktenkundig, die neuropsychologischen Störungen sind nicht quantifizierbar. Obwohl die prämorbide narzisstische Persönlichkeitsstruktur seit Jahren bekannt ist, erfolgte keine Anpassung der psychiatrischen Behandlung. Von einem sozialen Rückzug kann allein schon wegen der über all die Jahre seit den beiden Unfällen von 2001 und 2006 aufrechterhaltenen Tätigkeit als Politiker (mit zuletzt am 23. September 2012 erfolgter Wiederwahl in die Legislative) keine Rede sein. Die Morbiditätskriterien nach der Rechtsprechung BGE 130 V 352 sind somit nicht in der erforderlichen Weise erfüllt. Zum andern hat Dr. med. W.________ als psychiatrischer Teilgutachter der MEDAS zwar wohl einen primären Krankheitsgewinn angenommen (aus den in der Beschwerde dargelegten Gründen); doch geht allein aus seiner Formulierung ("dürfte") hervor, dass es sich letztlich bloss um eine psychiatrisch mehr oder weniger plausible Hypothese handelt, die aber dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 130 V 393 E. 3.3 S. 396; 129 V 222 E. 4.3.1 S. 224; 125 V 146 E. 2c S. 150 mit Hinweisen) nicht genügt. Eine solche psychiatrische Hypothese genügt jedenfalls dann nicht als leistungsbegründender Sachverhalt, wenn, wie die RAD-Psychiaterin in ihrer Stellungnahme zutreffend bemerkte, greifbare Anhaltspunkte aus der Lebenswelt der versicherten Person bestehen, die eine limitierende psychiatrische Störung ernsthaft in Frage stellen. Daher kann auch der an sich eindeutig lautenden Stellungnahme zur Arbeitsfähigkeit (50 % aus rein psychiatrischer Sicht) keine genügende Beweiskraft zugemessen werden. Die beiden in den Akten liegenden psychiatrischen Gutachten des Dr. med. B.________ vermögen daran nichts zu ändern, weil sie ebenso wenig einen schlüssigen Nachweis arbeitslimitierender Auswirkungen der psychischen Störungen erbringen. Mangels Beweisbarkeit des anspruchsbegründenden Sachverhalts ist eine Auseinandersetzung mit der Noveneingabe vom 10. Januar 2013 obsolet.
 
4.
 
Der Beschwerdeführer macht sodann unter Berufung auf das Urteil 8C_101/2011 geltend, es dürfe nicht auf den Bericht der RAD-Psychiaterin vom 24. August 2011 abgestellt werden, weil mit dem MEDAS-Gutachten ein externes Gutachten im Sinne von Art. 44 ATSG vorliege, von dem nicht allein gestützt auf Stellungnahmen versicherungsinterner Ärzte abgerückt werden dürfe. Dieser Einwand verkennt die hier gegebene besondere Beweislage, welche durch eine augenfällige Diskrepanz zwischen der psychiatrischen Befundlage und den sozialen Aktivitäten des Beschwerdeführers geprägt ist. Aus den vorstehenden Erwägungen erhellt, dass die Vorinstanz von der durch die MEDAS postulierten 50%igen Arbeitsunfähigkeit abrücken durfte, weil diese psychiatrisch und unter Berücksichtigung der gesamten Aktenlage beweismässig zu wenig gesichert ist.
 
Ebenfalls dringt die Berufung auf BGE 137 V 199 nicht durch: Wenn für die Beurteilung der vorübergehenden UVG-Leistungen die Rechtsprechung BGE 130 V 352 nicht zur Anwendung gelangt, bedeutet dies keineswegs, dass Invaliditätsleistungen auf der Grundlage der Beweislosigkeit zugesprochen werden müssten. Schliesslich rügt der Beschwerdeführer es ebenfalls als Verletzung der Begründungspflicht, dass dem angefochtenen Entscheid nicht zu entnehmen sei, weshalb bzw. ob die Vorinstanz eine drohende Invalidität (Art. 1novies IVV) als Voraussetzung für die vor- und letztinstanzlich beantragten beruflichen Massnahmen verneine. Diese Rüge ist ebenfalls unbegründet, weil sich die angefochtene Ablehnungsverfügung vom 7. Mai 2012 ihrem tatsächlichen rechtlichen Gehalt nach, auf welchen es für die Auslegung des Anfechtungs- und folglich die Festlegung des Streitgegenstandes allein ankommt (E. 2.2 von Urteil 9C_727/2010 vom 27. Januar 2012, nicht publiziert in BGE 138 V 23; BGE 135 V 141 E. 1.4.2 S. 145 f.), einzig auf den Rentenanspruch bezieht. Dem Beschwerdeführer bleibt es unbenommen, sich mit einem Eingliederungsgesuch an die Durchführungsstelle zu wenden.
 
5.
 
Bei diesem Verfahrensausgang hat der Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens zu tragen (Art. 66 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 13. Februar 2013
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Kernen
 
Der Gerichtsschreiber: Scartazzini
 
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