VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 9C_118/2012  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 9C_118/2012 vom 13.02.2013
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
9C_118/2012
 
Urteil vom 13. Februar 2013
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Kernen, Präsident,
 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
 
Gerichtsschreiber Traub.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
M.________,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Britta Keller,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Pensionskasse A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. René Schwarzmann,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Berufliche Vorsorge,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
 
vom 19. Dezember 2011.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der 1960 geborene M.________, Vater dreier zwischen 1992 und 1996 geborener Kinder, gelernter Landwirt, war seit November 1993 bis 2006 als Bewachungsmitarbeiter bei der Firma A.________ angestellt gewesen und damit bei der Pensionskasse A.________ berufsvorsorgeversichert. Wegen anhaltender Rückenbeschwerden und daraus folgenden Arbeitsunfähigkeiten wurde das Arbeitsverhältnis in gegenseitigem Einverständnis auf Ende Februar 2006 beendet (Auflösungsvereinbarung vom 28. November 2005). Die Pensionskasse sprach M.________ eine Invalidenrente, Kinderinvalidenrenten sowie eine IV-Zusatzrente von insgesamt Fr. 1'661.- monatlich ab Dezember 2005 gestützt auf eine Erwerbseinbusse von 35 % zu (Mitteilung der Pensionskasse vom 14. Dezember 2005).
 
Die Invalidenversicherung verneinte einen Rentenanspruch des M.________, da kein invalidisierender Gesundheitsschaden bestehe. Es liege aus medizinischer Sicht eine volle Arbeitsfähigkeit als Hausmann und als Bewachungsmitarbeiter sowie in allen leichten bis mittelschweren Tätigkeiten vor (Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 3. Dezember 2007).
 
Mit Schreiben vom 17. Februar 2009 stellte die Pensionskasse die Invalidenrente auf Ende März 2009 ein.
 
B.
 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die Klage auf Weiterausrichtung der Rentenleistung ab. Überdies verneinte das kantonale Gericht den Anspruch auf unentgeltliche Rechtsvertretung, da die Klage aussichtslos sei (Entscheid vom 19. Dezember 2011).
 
C.
 
M.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen. Er beantragt die Weiterausrichtung der Rentenleistungen ab April 2009. Für das kantonale Beschwerdeverfahren sei ihm die unentgeltliche Rechtsvertretung zu bewilligen. Eventuell sei die Sache zur neuen Beurteilung an das kantonale Gericht zurückzuweisen. Überdies sei ihm für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Prozessführung zu gewähren, und es sei ihm in der Person von Rechtsanwältin Britta Keller eine unentgeltliche Rechtsvertreterin beizugeben.
 
Die Pensionskasse beantragt die Abweisung der Beschwerde. Die Vorinstanz und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Stellungnahme.
 
Erwägungen:
 
1.
 
1.1 Strittig ist, ob der Beschwerdeführer über März 2009 hinaus Anspruch auf Invalidenleistungen aus beruflicher Vorsorge hat, weil die bis dahin ausgerichteten Renten unabänderlich sind oder jedenfalls zum erwähnten Zeitpunkt hin unter keinem Rechtstitel aufgehoben werden dürfen.
 
1.2 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
 
1.3 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft indessen - unter Beachtung der Begründungspflicht in Beschwerdeverfahren (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) - grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr aufgegriffen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).
 
2.
 
2.1 Im Hinblick auf die Frage, ob die strittige Rente grundsätzlich abänderlich sei, stützte sich die Vorinstanz zu Recht auf das in SVR 2010 BVG Nr. 34 S. 129 (Urteil 9C_889/2009 E. 2.2) Gesagte. Danach kann insbesondere im Bereich der überobligatorischen Vorsorge und dort, wo die Vorsorgeeinrichtung den Rentenentscheid ohne Bindung an jenen der Invalidenversicherung getroffen hat, aus der bisherigen Ausrichtung einer (weder verfügten noch gerichtlich überprüften) Rente nicht auf einen Anspruch für die Zukunft geschlossen werden in dem Sinne, dass die Einstellung der Zahlungen lediglich nach einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen (Art. 17 Abs. 1 ATSG; vgl. hier auch Art. 47 Abs. 2 des Reglements der Pensionskasse A.________ [Fassung von Januar 2005]) zulässig wäre. Es liegt namentlich keine Willkür (Art. 9 BV) vor, wenn ein Vorsorgeträger von der früheren - befristeten - Anerkennung eines Rentenanspruchs in besserer Erkenntnis der Sach- oder Rechtslage Abstand nimmt und in der Folge keine Leistungen mehr ausrichtet.
 
2.2 Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, er habe auch aufgrund der konkreten Umstände der Leistungszusprache nach Treu und Glauben davon ausgehen dürfen, die Invalidenleistungen seien unabänderlich.
 
2.2.1 Dazu erwog das kantonale Gericht Folgendes: Aus einem Schreiben der Beklagten vom 14. Dezember 2005 gehe klar hervor, dass dem Kläger mit Wirkung ab 1. Dezember 2005 eine auf einer Erwerbsunfähigkeit von 35 % beruhende Invalidenrente sowie eine der Bevorschussung von Leistungen der Invalidenversicherung dienende Zusatzrente ausgerichtet werden sollte. Auch wenn die im Ingress dieses Schreibens verwendete Formulierung, der Kläger werde "per 30. November 2005 vorzeitig zu 35 % in den Ruhestand versetzt", nicht präzise gewesen sei, liessen sich keine Anhaltspunkte dafür finden, dass die Vorsorgeeinrichtung dem Kläger entgegen den einschlägigen Bestimmungen des Reglements lebenslange unabänderliche Leistungen zugesichert habe. Im gleichen Schreiben werde darauf hingewiesen, dass Änderungen zur Anpassung von Rentenleistungen führten. Auch aus dem Umstand, dass der Vertrauensarzt das Festlegen eines Revisionstermins nicht für notwendig gehalten habe, könne nicht auf die Unabänderlichkeit der zugesprochenen Rente geschlossen werden. Eine solche Zusicherung würde dem Grundsatz der beruflichen Vorsorge zuwiderlaufen, wonach Leistungen einer gesetzlichen, statutarischen oder reglementarischen Grundlage bedürfen und die Destinatäre ihrer Versicherungsdeckung entsprechend gleichzubehandeln sind.
 
2.2.2 Diese Würdigung ist jedenfalls nicht willkürlich. Nach Art. 47 Abs. 2 des Reglements der Pensionskasse kann die Invalidenrente neu festgesetzt oder aufgehoben werden, wenn das Ausmass der Erwerbsunfähigkeit ändert. Den Umständen nach war klar, dass die Rente wegen einer teilweisen Arbeitsunfähigkeit infolge von Rückenproblemen zugesprochen wurde. Unter dem Titel "Invalidenrente" teilte die Vorsorgeeinrichtung dem Beschwerdeführer am 14. Dezember 2005 die auszurichtenden Leistungen im Einzelnen mit ("Invalidenrente", "Kinderinvalidenrenten" und "IV-Zusatzrente"). Aus der - missverständlichen - Formulierung, er werde "per 30. November 2005 vorzeitig zu 35 % in den Ruhestand versetzt", kann der Beschwerdeführer, wie die Vorinstanz zutreffend erwog, keinen lebenslänglichen Rechtsanspruch ableiten.
 
3.
 
Damit hatte die Vorinstanz noch zu prüfen, ob über März 2009 hinaus ein reglementarischer Anspruch auf Invalidenleistungen bestehe. Sie ging davon aus, ab April 2009 habe überwiegend wahrscheinlich keine rentenrelevante Erwerbsunfähigkeit mehr bestanden; dem Kläger sei auch unter dem Gesichtspunkt der psychischen Befindlichkeit die angestammte und jede andere leichte bis mittelschwere Tätigkeit wieder vollumfänglich zumutbar.
 
3.1 Der Beschwerdeführer wendet ein, die Vorinstanz gehe bei dieser Feststellung von der Einschätzung der Invalidenversicherung (ablehnende Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 3. Dezember 2007) aus; diese stütze sich ihrerseits auf ein Gutachten einer Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS, angeblich vom 15. Februar 2007), das sich nicht in den Akten des berufsvorsorgerechtlichen Verfahrens befinde. Stelle das kantonale Gericht dennoch darauf ab, so verfalle es in Willkür und verletze es das rechtliche Gehör. Dem kann nicht zugestimmt werden. Die Vorinstanz hat nicht zur Hauptsache auf das - in der Tat nicht in den Akten liegende - MEDAS-Gutachten abgestellt, sondern auf Berichte des Vertrauensarztes der Beschwerdegegnerin, des Internisten Dr. P.________ vom 24. Januar 2008, 3. Februar und 29. März 2009 sowie der Klinik X.________ vom 20. August 2009. Diese Berichte vermitteln das klare Bild einer vollständigen Arbeitsfähigkeit. Entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers beziehen sich die aktuellsten Beurteilungen des Dr. P.________ vom 3. Februar und 29. März 2009 nicht nur auf das Leistungsvermögen des Beschwerdeführers als Hausmann, sondern allgemein auf angepasste Tätigkeiten. Allein schwere körperliche Arbeiten wie diejenige eines selbständigen Gärtners sind eher ungeeignet (vgl. Bericht der Klinik X.________ vom 20. August 2009). Jedenfalls nicht bundesrechtswidrig ist im Übrigen die vorinstanzliche Schlussfolgerung, wonach Dr. P.________ trotz fehlender objektiver somatischer Befunde eine Invalidenrente (nur) aufgrund psychischer Belastungen befürwortet habe, nunmehr aber sei dem Kläger auch unter dem Gesichtspunkt der psychischen Befindlichkeit jede leidensangepasste Tätigkeit uneingeschränkt zumutbar. Tatsächlich stellte der Vertrauensarzt zunächst neben wechselnden lumbalen Rückenschmerzen noch eine psychische Belastung aufgrund der Trennung von der Ehefrau fest, was zu einer Verschlechterung des Stimmungszustandes geführt habe; es sei nach wie vor ein Arbeitspensum von ca. 65 % zumutbar (Bericht vom 24. Januar 2008). Im Bericht vom 3. Februar 2009 schätzte Dr. P.________ den Beschwerdeführer ausgehend vom zwischenzeitlich eingetretenen Wegfall der psychosozialen Belastungssituation als "bei der angepassten Tätigkeit 100 % leistungsfähig" ein. Die gelöste psychosoziale Problematik habe zu einer Stabilisierung beigetragen; der Patient sehe sich selber nicht mehr als psychiatrisch behandlungsbedürftig an. Eine Invalidisierung sei nicht mehr gerechtfertigt. Aus diesem Hergang folgt, dass die früher attestierte Teilarbeitsunfähigkeit weitgehend von äusseren Belastungsfaktoren abhing.
 
3.2 Weiter rügt der Beschwerdeführer die Nichtberücksichtigung des Berichtes der Klinik X.________ vom 20. August 2009. Ausschlaggebend ist indessen nicht die dort vermerkte Segmentdegeneration im Bereich der Lendenwirbelsäule, sondern die Folgerung, die in der abschliessenden Beurteilung gezogen wird. Danach gehen die rezidivierenden (belastungs- und bewegungsabhängigen) Kreuzschmerzen nicht mit genügend Leidensdruck einher, um eine Operation zu indizieren; im Falle einer Exazerbation werde Physiotherapie empfohlen. Der Bericht widmet sich nicht in erster Linie der Frage nach der Arbeitsfähigkeit. Soweit indes festgestellt wird, eine schwere körperliche Arbeit sei nicht sinnvoll, stimmt er ohne Weiteres mit der Einschätzung des Dr. P.________ vom 3. Februar 2009 (vollumfängliche Leistungsfähigkeit in angepassten Tätigkeiten) überein.
 
3.3 Schliesslich macht der Beschwerdeführer geltend, er habe in den Jahren 2010 und 2011 erneute Bandscheibenvorfälle operieren lassen müssen. Die gesundheitliche Entwicklung nach dem massgebenden Beurteilungszeitpunkt (Ende März 2009) kann nicht Gegenstand dieses Verfahrens bilden.
 
3.4 Mit Blick darauf, dass die bei den Akten liegenden ärztlichen Stellungnahmen keine Diskrepanzen aufweisen und das nicht aufgelegte MEDAS-Gutachten zuhanden der Invalidenversicherung keine wesentliche Entscheidungsgrundlage bildet, erübrigt sich eine weitere Abklärung.
 
4.
 
Angesichts des eindeutigen Sachverhalts und der klaren Rechtslage ist es vertretbar, wenn das kantonale Gericht die unentgeltliche Verbeiständung wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerdeführung verweigert hat.
 
5.
 
Die letztinstanzliche Beschwerde ist offensichtlich unbegründet (Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG). Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege kann nicht entsprochen werden (vgl. Art. 64 BGG; BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135). Von der Erhebung von Gerichtskosten wird indes umständehalber abgesehen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung und Rechtsverbeiständung) wird abgewiesen.
 
3.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 13. Februar 2013
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Kernen
 
Der Gerichtsschreiber: Traub
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).