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Informationen zum Dokument  BGer 4A_380/2012  Materielle Begründung
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BGer 4A_380/2012 vom 18.02.2013
 
{T 0/2}
 
4A_380/2012
 
 
Urteil vom 18. Februar 2013
 
 
I. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
 
Bundesrichter Corboz, Kolly,
 
Bundesrichterinnen Kiss, Niquille,
 
Gerichtsschreiber Kölz.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Y.________,
 
vertreten durch Rechtsanwälte
 
Dr. Thomas Müller und Stefan Gäumann,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwälte
 
Thomas Reimann, Martin Rust, Marjolaine Jakob,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Prozessführungsbefugnis des ausländischen
 
Konkursverwalters,
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 21. Mai 2012.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
D.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
 
Erwägung 2
 
2.1. Mit Beschwerde in Zivilsachen können Rechtsverletzungen nach Art. 95 und 96 BGG gerügt werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 135 III 397 E. 1.5). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG).
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2.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden. Es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen, und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 134 III 102 E. 1.1 S. 104; 133 II 249 E. 1.4.1; 132 II 257 E. 2.5).
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Erwägung 3
 
 
Erwägung 4
 
4.1. Die Beschwerdeführerin rügt, der angefochtene Entscheid verletzte die Bestimmungen des schweizerischen internationalen Konkursrechts.
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4.2. Gemäss dem in der Schweiz geltenden sogenannten "gelockerten" Territorialitätsprinzip sind die Wirkungen eines im Ausland eröffneten Konkurses im Inland wie folgt beschränkt:
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4.3. Auf die dargelegten Grundsätze stützte das Bundesgericht denn auch sein Urteil vom 26. Oktober 2011, in dem es entschied, die Vorinstanz sei auf die Hauptklage des Beschwerdegegners zu Recht nicht eingetreten. Es führte zur Begründung aus, nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sei nicht danach zu unterscheiden, auf welchem Rechtsgrund die Forderung beruhe, die der ausländische Konkursverwalter in der Schweiz geltend mache. Vielmehr knüpfe die Rechtsprechung stets am Zweck der in der Schweiz angehobenen Klage an. Bestehe dieser darin, das Haftungssubstrat für die Konkursgläubiger um in der Schweiz gelegene Vermögenswerte zu vergrössern, diene die Klage der Durchführung des (ausländischen) Konkurses und sei dem Konkursverwalter die direkte Klage wegen der territorialen Wirkung des Konkurses grundsätzlich untersagt (E. 2.3.4). In Anwendung dieser finalen Betrachtungsweise erwog das Bundesgericht sodann, die der Klage des Beschwerdegegners zu Grunde liegende Vergleichs- und Auseinandersetzungsvereinbarung betreffe die einvernehmliche Regelung von konkursrechtlichen Anfechtungsansprüchen. Diese Ansprüche hätten auch eine Liegenschaft in St. Moritz umfasst, deren Verkaufserlös den Gläubigern hätte zugute kommen sollen. Auf den damit vorliegenden Fall, dass ein in der Schweiz gelegener Vermögenswert in die ausländische Konkursmasse überführt werden solle, fänden die Art. 166 ff. IPRG Anwendung (E. 2.4). Die mit der Beschwerdeführerin abgeschlossenen Vergleiche - so das Bundesgericht weiter - stellten Verwertungshandlungen dar, die nach dem Gesagten mit Bezug auf die Liegenschaft in St. Moritz einzig im Rahmen eines IPRG-Konkurses erfolgen dürften und in die Zuständigkeit des schweizerischen Konkursverwalters fielen. Ausschlaggebend sei dabei, dass die Parteien mit der Vereinbarung die Verwertung von Schuldnervermögen bezweckt hätten, und nicht, dass der Beschwerdegegner im Rahmen der Verwertung einen privatrechtlichen Vergleich abgeschlossen habe. Da der Beschwerdegegner nicht um Anerkennung des ausländischen Konkursdekrets in der Schweiz nachgesucht habe, sei er nicht befugt, in der Schweiz einen Prozess zu führen, mit dem er Rechte verfolge, die er aus den zur Verwertung seines Anfechtungsanspruchs abgeschlossenen Vereinbarungen betreffend das in der Schweiz liegende Grundstück ableite (E. 2.5).
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4.4. Die Beschwerdeführerin moniert, die Vorinstanz habe aus der bundesgerichtlichen Praxis zu Unrecht den Schluss gezogen, dem Beschwerdegegner fehle 
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4.5. Zur Begründung ihres Standpunkts beruft sich die Beschwerdeführerin im Wesentlichen auf eine im Schrifttum vertretene Auffassung, wonach sich aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Prozessführungsbefugnis ausländischer Konkursverwaltungen nicht ergebe, letztere könnten (abgesehen von den Befugnissen nach Art. 168 und Art. 171 IPRG) in der Schweiz überhaupt keine Prozesse führen und seien "rechtlich quasi als inexistent anzusehen" (Oberhammer, Kurze Urteilsbesprechungen und -hinweise, ZZZ 2008/09 S. 435-438; siehe auch 
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4.6. Nach der gebotenen finalen Betrachtungsweise sind bei der Beurteilung der Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters die konkreten Verhältnisse zu beachten, die Anlass zum fraglichen Gerichtsverfahren geben: Wenngleich die vorliegende Widerklage gemäss der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz keine in der Schweiz liegenden Vermögenswerte zum Gegenstand hat, ist nicht zu verkennen, dass die darin gestellten Rechtsbegehren in engem sachlichen Zusammenhang zu den Bestrebungen des Insolvenzverwalters stehen, in der Schweiz gelegenes Vermögen in die Konkursmasse einzubeziehen: Wie die Hauptklage des Beschwerdegegners beruht die Widerklage der Beschwerdeführerin auf der Vergleichs- und Auseinandersetzungsvereinbarung vom 30. April bzw. 17. September 2001, mit der die Anfechtungsansprüche der deutschen Konkursmasse gegen die Beschwerdeführerin - offenbar im Sinne einer Gesamtlösung - geregelt wurden. Die Vergleiche stellten nun jedoch, wie das Bundesgericht in seinem Entscheid betreffend die Hauptklage entschieden hat, Verwertungshandlungen dar, die mit Bezug auf die in St. Moritz gelegene Liegenschaft zwingend in die Zuständigkeit des schweizerischen Konkursverwalters gefallen wären (Erwägung 4.3). Die Beschwerdeführerin verlangt mit der Widerklage die Rückabwicklung der auf die Vergleichs- und Auseinandersetzungsvereinbarung gestützten Verwertungshandlungen, wobei sie zur Begründung im Hauptstandpunkt zusammengefasst vorbringt, dass der Erwerb der Liegenschaft in St. Moritz durch den Insolvenzverwalter einer Bewilligung nach dem Bundesgesetz vom 16. Dezember 1983 über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (BewG; SR 211.412.41) bedurft hätte und die Vergleichs- und Auseinandersetzungsvereinbarung demnach wegen Verstosses gegen das BewG ungültig sei. Sie beruft sich also auf einen Umstand im Zusammenhang mit der Verwertung des in der Schweiz gelegenen Grundstücks, woraus sie die Ungültigkeit der Vergleichs- und Auseinandersetzungsvereinbarung 
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Erwägung 5
 
5.1. Die Beschwerdeführerin berief sich mit Bezug auf die Zuständigkeit der Erstinstanz für die Beurteilung der Widerklagebegehren in ihrer Widerklagebegründung auf Art. 8 IPRG, eventualiter auf Art. 6 Ziff. 3 LugÜ (SR 0.275.12), die beide die Zuständigkeit des Gerichts, an dem eine Hauptklage anhängig ist, auch für die Widerklage begründen, sofern zwischen Haupt- und Widerklage ein sachlicher Zusammenhang besteht respektive wenn die Widerklage auf denselben Vertrag oder Sachverhalt wie die Hauptklage selbst gestützt wird. Der Beschwerdegegner bestritt daraufhin die international-örtliche Zuständigkeit des Bezirksgerichts mit der Begründung, diese verstosse gegen die ausschliessliche Zuständigkeit am Ort der streitgegenständlichen Grundstücke respektive gegen die in einer Gesellschafts-Vereinbarung (zwischen dem damaligen Insolvenzverwalter über das Vermögen von A.________, dem Insolvenzverwalter über das Vermögen der Z.________ GmbH & Co. KG sowie der Beschwerdeführerin) enthaltene Schiedsklausel. Die Vorinstanz äusserte sich im angefochtenen Beschluss nicht ausdrücklich zur Frage der Zuständigkeit für die Widerklage. Sie führte aber immerhin aus, die Beschwerdeführerin strebe "vom Zweck her eine Aussonderung jener Vermögenswerte an, die sie aufgrund der Vereinbarungen vom 30. April bzw. 17. September 2001 der Konkursmasse des deutschen Konkursverfahrens bereits zur Verwertung überlassen" habe, womit die Klage einen "klaren konkursrechtlichen Charakter" habe (vgl. Erwägung 3).
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Selbst wenn sich aus der entsprechenden Qualifikation der Widerklage - wie die Beschwerdeführerin der Vorinstanz entgegenhält - nicht das Fehlen der Prozessführungsbefugnis des Beschwerdegegners ergeben sollte, kann immerhin der Schluss der Vorinstanz, eine Zulassung und Behandlung der Widerklage würde "dem auf dem Boden des 'negativen' Territorialprinzips fussenden Schweizer Recht in Konkursangelegenheiten" widersprechen, sinngemäss so verstanden werden, dass die Vorinstanz nebst der Prozessführungsbefugnis des Beschwerdegegners auch die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte zur Beurteilung der Widerklagebegehren für nicht gegeben hielt. Diese Auffassung ist denn auch nicht zu beanstanden:
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5.2. Die Zuständigkeit ergibt sich zunächst nicht aus dem Lugano-Übereinkommen. Gemäss Art. 1 Ziff. 2 lit. b LugÜ (der Art. 1 Abs. 2 Ziff. 2 des Übereinkommens vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen [aLugÜ; AS 1991 2436] entspricht) sind Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren ausdrücklich vom Anwendungsbereich dieses Übereinkommens ausgenommen. Neben dem Insolvenzverfahren als solchem (Gesamtverfahren) sind damit auch sogenannte Einzelverfahren gemeint. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sind allerdings "Entscheidungen, die sich auf ein Insolvenzverfahren beziehen, [...] nur dann von der Anwendung des Übereinkommens ausgeschlossen, wenn sie unmittelbar aus diesem Verfahren hervorgehen und sich eng innerhalb des Rahmens eines Konkurs- oder Vergleichsverfahrens [...] halten" (grundlegend: Urteil des EuGH vom 22. Februar 1979 C-133/78 
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5.3. Die Zuständigkeit der Vorinstanzen für die vorliegende Widerklage kann aber auch nicht auf das IPRG abgestützt werden: Wohl behält das SchKG in Art. 30a die Bestimmungen des IPRG vor. Daraus darf indessen nicht geschlossen werden, Art. 8 IPRG begründe für 
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5.4. Nach dem Gesagten steht fest, dass die vorliegende Widerklage angesichts ihrer konkursrechtlichen Natur, unabhängig von der Prozessführungsbefugnis des Beschwerdegegners, jedenfalls mangels Zuständigkeit des angerufenen schweizerischen Gerichts nicht zulässig ist. Die Vorinstanz hat demnach, indem sie auf die Widerklage nicht eintrat, kein Bundesrecht verletzt.
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Erwägung 6
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 50'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 60'000.-- zu entschädigen.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 18. Februar 2013
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Klett
 
Der Gerichtsschreiber: Kölz
 
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