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Informationen zum Dokument  BGer 6B_521/2012  Materielle Begründung
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BGer 6B_521/2012 vom 07.05.2013
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6B_521/2012
 
Urteil vom 7. Mai 2013
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Mathys, Präsident,
 
Bundesrichter Schneider, Oberholzer,
 
Gerichtsschreiber Briw.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Renzo Guzzi,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Betrug usw; Willkür, Anklageprinzip, Schuldfähigkeit, Strafzumessung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
 
des Kantons Zürich, I. Strafkammer,
 
vom 7. Juni 2012.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________ und Y.________ wurden vom Obergericht des Kantons Zürich am 24. Mai 2005 teilweise als Mittäter wegen mehrfachen Betrugs usw. mit 2 ½ Jahren Zuchthaus bzw. 18 Monaten Freiheitsstrafe bedingt bestraft (vgl. Urteil 6S.282/2005 vom 31. Januar 2007).
 
B.
 
Das Bezirksgericht Bülach bestrafte am 2. Dezember 2009 wegen teils in Mittäterschaft begangenen mehrfachen, teilweise versuchten Betrugs usw. X.________ mit einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren (teilweise als Zusatzstrafe zum obergerichtlichen Urteil von 2005), Y.________ mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren (mit Widerruf des im obergerichtlichen Urteil von 2005 gewährten bedingten Vollzugs) und Z.________ mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 2 Jahren (teils als Zusatzstrafe zum Strafbefehl von 2003).
 
Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte im Appellationsverfahren am 7. Juni 2012 X.________ (teilweise als Mittäter von Y.________) wegen mehrfachen, teilweise versuchten Betrugs und mehrfacher Hehlerei zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren. Y.________ verurteilte es wegen mehrfachen, teilweise versuchten Betrugs und mehrfacher Veruntreuung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten. Beide Verurteilungen ergingen teilweise als Zusatzstrafe zum Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 24. Mai 2005.
 
C.
 
X.________ (Verfahren 6B_521/2012) und Y.________ (paralleles Verfahren 6B_557/2012) erheben Beschwerden in Strafsachen.
 
X.________ beantragt, das obergerichtliche Urteil in den ihn betreffenden Dispositivziffern 1.1, 1.5, 2.1, 4.1-4.23, 5.1, 6.1 und 7 vollumfänglich aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei er in Aufhebung der Ziff. 2.1 mit einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten mit bedingtem Vollzug und einer Probezeit von 3 Jahren zu bestrafen. Er beantragt die unentgeltliche Rechtspflege.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Der Beschwerdeführer wurde in Ziff. 1.5 des Urteilsdispositivs freigesprochen. Auf den offensichtlich versehentlichen Antrag, das Urteil in diesem Punkt aufzuheben, ist nicht einzutreten.
 
2.
 
Das Bundesgericht ist an den festgestellten Sachverhalt gebunden (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann einzig gerügt werden, dieser sei offensichtlich unrichtig festgestellt worden oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (Art. 97 Abs. 1 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet "willkürlich" (BGE 136 II 304 E. 2.4). Die Auslegung und Anwendung des kantonalen Rechts beurteilt das Bundesgericht auf Bundesrechtsverletzung hin, namentlich Willkür (BGE 138 I 143 E. 2). Es prüft nur ausreichend begründete Rügen (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Allgemein gehaltene Einwände, lediglich erneute Bekräftigungen des im kantonalen Verfahren eingenommenen Standpunkts oder die blosse Behauptung des Gegenteils genügen nicht. In der Beschwerde muss anhand des angefochtenen Urteils präzise dargelegt werden, worin die Rechtsverletzung besteht. Genügt die Beschwerde diesen Anforderungen nicht, ist darauf nicht einzutreten (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 5; 134 II 244 E. 2.2).
 
3.
 
Der Beschwerdeführer bringt vor, gemäss dem Urteil hätten er und Y.________ mit den "Geldsammelaktionen" schon 1993 begonnen. Sie seien im Jahre 2005 von der Vorinstanz verurteilt worden. Nach der Anklageschrift vom 30. März 2009 hätten er, Y.________ und Z.________ 42 Personen durch Betrug geschädigt. In 25 Fällen sei er von der Vorinstanz schuldig gesprochen worden. Dabei sei ausschlaggebend, ob die Geschädigten von den damals bereits laufenden Untersuchungs- und Gerichtsverfahren Kenntnis hatten. In diesem Fall hätten die 25 Geschädigten unmöglich arglistig getäuscht werden können, weil die erste Verurteilung grosse Publizität entfaltet habe. Die Geschädigten hätten dazu befragt und konfrontiert werden müssen. Die vorinstanzliche antizipierte Beweiswürdigung möge "bezüglich verschiedener Fragen noch akzeptabel sein", nicht aber zur arglistigen Täuschung und Kenntnis der Geschädigten von den laufenden Strafverfahren. Die Vorinstanz komme mit einer "globalen Erklärung" ihrer Begründungspflicht nicht nach. Sie hätte dies in jedem der 25 Fälle dartun müssen.
 
Die Vorinstanz stellt fest, es sei bereits im Urteil von 2005 in extenso dargelegt worden, dass es sich beim "Nigeriageschäft" um ein Fantasiegebilde handelte. Die Darlehensaufnahmen seien im Wesentlichen nicht bestritten. Die mehrheitlich betagten Geschädigten seien immer wieder mit neuen Geschichten vertröstet worden und könnten nicht mehr angeben, wann und mit welcher Begründung die Angeklagten von ihnen Geld verlangten. Auf die Einvernahme sei zu verzichten (Urteil S. 52).
 
Die Vorinstanz prüfte die Vorbringen und konnte sich in ihrer Begründung auf die wesentlichen Punkte beschränken (BGE 136 I 229 E. 5.2). Es handelte sich um Serienbetrügereien nach demselben Muster, wobei der Beschwerdeführer das Vertrauen der Geschädigten ausnützte. In solchen Fällen sind generelle Ausführungen zu einer Deliktsgruppe grundsätzlich zulässig (nachfolgend E. 4). Der Beschwerdeführer bestreitet die Zulässigkeit der antizipierten Beweiswürdigung mit Recht nicht (BGE 136 I 229 E. 5.3). Er legt nicht dar, in welchen Fällen und inwiefern die vorinstanzliche Würdigung unhaltbar sein sollte. Die Vorbringen sind appellatorisch, so dass darauf nicht einzutreten ist.
 
4.
 
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anklageprinzips. Es brauche eine Anleitung, um die 124-seitige Anklageschrift zu verstehen. Die Vorinstanz habe sich fast zweieinhalb Jahre Zeit genommen, um in ihrer umfänglichen (258-seitigen) Urteilsbegründung die Mängel der Anklageschrift zu korrigieren.
 
Die Vorinstanz kommt zum Ergebnis, die Anklage sei zwar etwas umständlich formuliert, eine Verletzung des Anklageprinzips sei aber nicht auszumachen. Im Einzelnen kommt sie darauf bei der Sachverhaltsprüfung zurück (Urteil S. 35).
 
Das Anklageprinzip gewährleistet das rechtliche Gehör und die Verteidigungsrechte des Angeklagten (BGE 120 IV 348 E. 2b). Damit die Anklageschrift ihre doppelte Funktion der Umgrenzung und Information wahrnehmen kann, muss sie hinreichend präzise formuliert sein (vgl. BGE 133 IV 235 E. 6.2; 120 IV 348 E. 2b; 103 Ia 6 E. 1d).
 
Die Vorinstanz beurteilt die Anklageschrift nach dem kantonalen Recht (Urteil S. 32 ff.). Die Auslegung und Anwendung des kantonalen Rechts prüft das Bundesgericht unter dem Gesichtspunkt der Willkür. Die Vorbringen sind appellatorisch.
 
Die Vorinstanz stellt zudem fest, die eingeklagten Fälle seien in tatsächlicher Hinsicht gleich gelagert und unterschieden sich auch bezüglich Opfergesichtspunkten nicht wesentlich, weshalb von eigentlichen Serienbetrügereien gesprochen werden könne (Urteil S. 62). Diese wurden nach ähnlichem Muster begangen (Urteil S. 62 und 204). Es war deshalb zweckmässig, in der Anklageschrift den einzelnen Sachverhalten einen allgemeinen Teil voranzustellen. Das Vorgehen ist bei gleich gelagerten Serienstraftaten zulässig, bei denen die Täter nach demselben, auf eine ganze Opfergruppe angelegten Handlungsmuster vorgehen (BGE 119 IV 284 E. 5a betreffend die betrügerische Erlangung von Darlehen sowie Urteil 6B_740/2011 vom 3. April 2012 E. 2.5.1 mit Hinweisen).
 
Die Rechtsfragen der Arglist und Opfermitverantwortung beim Kreditbetrug behandelt die Vorinstanz eingehend. Darauf ist zu verweisen (Urteil S. 59 ff.; BGE 135 IV 76 E. 5.2 sowie Urteil 6S.168/2006 vom 6. November 2006 E. 1.2 mit Hinweisen).
 
5.
 
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 20 StGB. Der Privatgutachter habe eine narzisstische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Die Vorinstanz masse sich eine fachärztliche Kompetenz an. Die Tat des bald 80-Jährigen sei derart abstrus, dass sich die Frage der Zurechnungsfähigkeit stelle. Dass er daran geglaubt habe, das riesige Guthaben auszulösen, sei das anormale Element.
 
Die Vorinstanz führt aus, die Frage der Zurechnungsfähigkeit sei bereits im Urteil von 2005 erörtert worden. Die Beteuerung, an das Geschäft zu glauben, sei deliktsspezifisch. Die diagnostizierte "wahnhafte Störung" lasse das Tatmotiv, mit den Darlehen die grossen Guthaben auszulösen, ausser Betracht. Der Beschwerdeführer habe dieses Ziel unter Inkaufnahme des Totalverlustes angestrebt. Es sei auch nicht ersichtlich, inwiefern die im neuen Arztbericht diagnostizierte narzisstische Störung einen relevanten Einfluss auf die wohldurchdachte Vorgehensweise gehabt habe. Es bestünden keine Hinweise auf eine relevante psychische Störung, weshalb die Befragung des Arztes als unnötig erscheine (Urteil S. 39 ff., 42 und 208).
 
Die Vorinstanz konnte willkürfrei auf ein deliktsspezifisches Vorgehen schliessen, das keinen Anlass für zweifelhafte Schuldfähigkeit im Sinne von Art. 20 StGB bietet. Der Begriff des normalen Menschen ist nicht eng zu fassen. Der Täter muss vielmehr in hohem Masse in den Bereich des Abnormen fallen (BGE 116 IV 273 E. 4b). Wer alles daran setzt, seine Schulden zu bezahlen, handelt nicht abnorm. Er macht sich strafbar, wenn er dies mit betrügerischen Mitteln erreichen will.
 
6.
 
Der Beschwerdeführer ficht die Strafzumessung als willkürlich an. Die Vorinstanz habe sich dogmatisch korrekt mit den Kriterien der Strafzumessung auseinandergesetzt und in einer vertieften Betrachtungsweise das Ergebnis herausgearbeitet. Das Ergebnis überrasche aber. Die Verletzung des Beschleunigungsgebots hätte zwingend zu einer erheblicheren Strafminderung führen müssen. Die Vorinstanz verkenne die Problematik, wenn sie ihm keine aufrichtige Reue und Einsicht zubillige. Sie schätze die Strafempfindlichkeit falsch ein.
 
Der Beschwerdeführer handelte mit seinen Mittätern über Jahre hinweg nach demselben Muster, das sie bereits früher praktiziert hatten, wobei die Vorinstanz nur die Delinquenz in den Jahren 2000 bis 2006 beurteilt. Die Vorinstanz legt die Grundsätze der Strafzumessung und der retrospektiven Konkurrenz ausführlich dar (Urteil S. 198 ff.). Für die hypothetische Einsatzstrafe von 3 Jahren betrachtet sie die nach ähnlichem Muster begangenen Betrugshandlungen mit über 100 Geldaufnahmen und einem Gesamtdeliktsbetrag von 1,3 Millionen Franken als Einheit (Urteil S. 204 f.). Diese Einsatzstrafe musste sie wegen der mehrfachen Hehlerei spürbar erhöhen (Urteil S. 210). Die Täterkomponenten beurteilte sie im Einzelnen. Es liegen keine aussergewöhnlichen Umstände vor, so dass nicht zu beanstanden ist, dass die Vorinstanz dem Beschwerdeführer lediglich eine leichte Strafminderung (Urteil S. 213 f.) wegen seines fortgeschrittenen Alters zubilligt (Urteile 6B_446/2011 vom 27. Juli 2012 E. 9.4 und 6B_470/2009 vom 23. November 2009 E. 2.5). Es verletzt auch kein Bundesrecht, dass sie die Strafe mangels Reue und Einsicht nicht mindert (Urteil S. 213). Die Vorinstanz gewährt aufgrund der überlangen Verfahrensdauer von über elf Jahren eine spürbare und unter dem Titel von Art. 48 lit. e StGB zusätzlich eine leichte Strafminderung (Urteil S. 217 und 218). Die Strafe ist auch im Ergebnis nicht als überhöht zu beanstanden.
 
7.
 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren abzuweisen (Art. 64 BGG). Es ist von einer Mittellosigkeit des Beschwerdeführers auszugehen. Seiner finanziellen Lage ist praxisgemäss mit herabgesetzten Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 und Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 7. Mai 2013
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Mathys
 
Der Gerichtsschreiber: Briw
 
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