VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 1C_590/2012  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 1C_590/2012 vom 17.05.2013
 
Bundesgericht
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1C_590/2012
 
Urteil vom 17. Mai 2013
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Merkli, Eusebio,
 
Gerichtsschreiber Störi.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Oskar Müller,
 
gegen
 
Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern, Abteilung Massnahmen, Postfach 4165, 6000 Luzern 4.
 
Gegenstand
 
Annullierung des Führerausweises auf Probe,
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 17. Oktober 2012 des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________ fuhr am 15. Oktober 2011, um ca. 12:35 Uhr, am Steuer eines Personenwagens auf der Gontenschwilerstrasse in Richtung Oberkulm. Dabei kam er in einer leichten Linkskurve von der Fahrbahn ab, verlor die Beherrschung über sein Fahrzeug und kollidierte mit dem Masten der parallel zur Strasse verlaufenden Eisenbahn sowie einem Obstbaum. Gegenüber der Polizei erklärten X.________ und seine Mutter, Y.________ wahrheitswidrig, das Unfallfahrzeug sei von letzterer gelenkt worden.
 
Am 16. Januar 2012 wurde X.________ von der Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm wegen Verletzung der Verkehrsregeln im Sinn von Art. 90 Abs. 1 SVG (Nichtanpassen der Geschwindigkeit an die Verhältnisse, Nichtbeherrschen des Fahrzeugs) sowie Gehilfenschaft zu Irreführung der Rechtspflege (Art. 304 Ziff. 1 StGB) zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen und einer Busse von 600 Franken verurteilt. Der Strafbefehl erwuchs in Rechtskraft.
 
Am 11. April 2012 annullierte das Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern den Führerausweis von X.________, da sich dieser nach einer ersten schweren Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsregeln mit dem Vorfall vom 15. Oktober 2011 während der (verlängerten) Probezeit eine zweite, diesmal mittelschwere Widerhandlung habe zu Schulden kommen lassen. Einer allfälligen Beschwerde entzog es die aufschiebende Wirkung.
 
Am 17. Oktober 2012 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern die Beschwerde von X.________ gegen diese Verfügung ab.
 
B.
 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt X.________ in der Sache, dieses Urteil des Verwaltungsgerichts sowie die Annullation seines Führerausweises für die Kategorie A1 aufzuheben und die Sache ans Strassenverkehrsamt zurückzuweisen, um diesbezüglich eine Massnahme als Folge des Unfalls vom 15. Oktober 2011 festzusetzen. Ausserdem ersucht er, seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung zu erteilen und das Strassenverkehrsamt anzuweisen, ihm den Führerausweis der Kategorie A1 auszuhändigen.
 
C.
 
Mit Verfügung vom 12. Dezember 2012 wies der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung das Gesuch um aufschiebende Wirkung ab.
 
D.
 
Das Verwaltungsgericht verzichtet auf Vernehmlassung. Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
 
E.
 
In seiner Replik hält X.________ an der Beschwerde fest.
 
Erwägungen:
 
1.
 
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über eine Administrativmassnahme im Strassenverkehr. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG offen; ein Ausnahmegrund ist nicht gegeben (Art. 83 BGG). Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Bundesrecht, was zulässig ist (Art. 95 lit. a, Art. 97 Abs. 1 BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist.
 
2.
 
2.1 Der Beschwerdeführer erwarb am 13. Oktober 2006 den Führerausweis für die Kategorien A1 (Motorräder mit einem Hubraum von nicht mehr als 125 cm3 und einer Motorleistung von höchstens 11 kW), F (Motorfahrzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit bis 45 km/h), G (Landwirtschaftliche Fahrzeuge) und M (Motorfahrräder).
 
Am 6. Dezember 2007 wurde dem Beschwerdeführer zudem der Führerausweis für die Kat. B (Motorwagen bis zu einem Gewicht von 3'500 kg und nicht mehr als acht Sitzplätzen ausser dem Führersitz) und B1 (Klein- und dreirädrige Motorfahrzeuge mit einem Leergewicht von nicht mehr als 550 kg) gemäss Art. 15a Abs. 1 SVG auf Probe erteilt. Am 27. August 2008 wurde ihm der Ausweis wegen einer schweren Widerhandlung gegen die Verkehrsregeln für drei Monate entzogen und die Probezeit um ein Jahr verlängert. Der als mittelschwere Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften eingestufte Vorfall vom 15. Oktober 2011 ereignete sich innerhalb der verlängerten Probezeit und führte damit nach Art. 15a Abs. 4 SVG zwingend zur Annullation des Führerausweises auf Probe. All das ist unbestritten. Hingegen vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung, er habe den Führerschein für die Kategorien A1 bereits definitiv erworben, weshalb seine Berechtigung zum Führen von Motorrädern bis 125 cm3 Hubraum vom Verfall seines Führerausweises auf Probe für die Kategorien B und B1 nicht betroffen sei.
 
2.2 Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Entscheid ausgeführt, eine Annullierung des Führerausweises auf Probe gemäss Art. 15a Abs. 4 SVG betreffe nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 35a VZV alle Kategorien und Unterkategorien (BGE 136 I 347 E. 4). Verfalle der Ausweis des Neulenkers während der Probezeit, so werde dieser annulliert, auch wenn der Ausweis in der Zwischenzeit unbefristet erteilt worden sei; die von Art. 15a Abs. 4 SVG in diesem Zusammenhang verwendete Formulierung "Führerausweis auf Probe" sei nicht abschliessend.
 
2.3 Das ASTRA wendet ein, der Beschwerdeführer sei gar nicht im Besitz eines unbefristeten Ausweises für die Kategorien A1, F, G und M gewesen, da nach Art. 24a Abs. 2 VZV die vor der Erteilung des Führerausweises auf Probe erworbenen Unterkategorien und Spezialkategorien ebenfalls auf das Ablaufdatum des Führerausweises auf Probe befristet würden. Der vom Beschwerdeführer am 13. Oktober 2006 erworbene Ausweis für die Unterkategorie A1 sei damit entgegen seiner Auffassung ebenfalls befristet gewesen. Der angefochtene Entscheid des Verwaltungsgerichts sei damit im Ergebnis zutreffend, gehe aber in der Begründung fehl: unbefristete Ausweise könnten nicht nach Art. 35a Abs. 1 und 2 VZV annulliert, sondern nur entzogen werden.
 
2.4 Der Einwand des ASTRA trifft zu. Nach der klaren Vorschrift von Art. 24a Abs. 2 VZV wurde der vom Beschwerdeführer am 13. Oktober 2006 erworbene Ausweis der Unterkategorie A1 mit der Erteilung des Führerausweises der Kategorie B auf Probe vom 6. Dezember 2007 ebenfalls auf dessen Ablaufdatum befristet. Die Annullierung des Führerausweises vom 11. April 2012 gilt dementsprechend sowohl für die Kategorie B als auch die Unterkategorie A1, die Rüge ist unbegründet.
 
2.5 Der Beschwerdeführer macht geltend, das ASTRA lege nicht dar, auf welcher formellen gesetzlichen Grundlage eine unbefristete Fahrerlaubnis in eine befristete umgewandelt werden dürfe. Die vom Bundesrat in Art. 24a VZV vorgenommene Befristung könne daher nicht rechtens sein. Er rügt damit sinngemäss eine Verletzung des Grundsatzes der Gewaltentrennung sowie des Gesetzmässigkeitsprinzips (Art. 5 Abs. 1 und Art. 36 Abs. 1 BV). Danach müssen bei einer Delegation von rechtssetzenden Befugnissen an die Exekutive die Grundzüge einer die Rechtsstellung der Bürger schwerwiegend betreffenden Regelung im Gesetz selber enthalten sein (BGE 130 I 113 E. 2.4; 125 I 173 E. 4a; 104 Ia 305 E. 3c S. 310; 103 IV 192 E. 2; Häfelin/Haller/Keller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 8. A. Zürich 2012, Rz. 1860 f.).
 
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Bundesrat wird in Art. 106 Abs. 1 SVG ausdrücklich zum Erlass von Vollzugsbestimmungen ermächtigt, und der Führerausweis auf Probe ist in Art. 15a SVG in den Grundzügen geregelt. Danach wird der Führerausweis für Motorräder und Motorwagen zunächst nur auf Probe erteilt, der Inhaber muss Weiterbildungskurse besuchen, bei einer Widerhandlung, die zu einem Ausweisentzug führt, wird die dreijährige Probezeit um ein Jahr verlängert, bei einer zweiten derartigen Widerhandlung verfällt der Ausweis, worauf nach frühestens einem Jahr und nach einer verkehrspsychologischen Begutachtung wiederum ein Lernfahrausweis erteilt werden kann. Art. 24a VZV ist eine Vollzugsbestimmung zu dieser gesetzlichen Regelung. Sie hält zunächst in Abs. 1 fest, dass der Führerausweis der Kategorien A und B nur auf Probe erteilt wird, sofern der Bewerber nicht über einen unbefristeten Ausweis der Kategorie A oder B verfügt. Diese Bestimmung wiederholt die bereits im formellen Gesetz enthaltene Regelung und lockert sie etwas, indem Inhaber eines unbefristeten Ausweises für die Kategorie A bei Erfüllen der Voraussetzungen direkt einen unbefristeten Ausweis der Kategorie B erhalten und umgekehrt. Das gilt aber nach Art. 24a Abs. 2 VZV nicht für die Unterkategorien: wer nur im Besitz eines unbefristeten Ausweises für eine Unterkategorie - z.B. A1 - ist, erhält den Ausweis für die Kategorie A oder B zunächst auf Probe, wobei diesfalls auch der zuvor (unbefristet) erworbene Ausweis für die Unterkategorie auf das Ablaufdatum des Führerausweises auf Probe befristet wird. Damit wird sichergestellt, dass der Neulenker, der die Probezeit nicht besteht, weil ihm zweimal der Ausweis entzogen werden musste, die Fahrberechtigung für alle Kategorien und Unter- bzw. Spezialkategorien verliert. Das wird klarerweise von Sinn und Zweck von Art. 15a SVG - dem Ausschluss von Neulenkern, die sich im Verkehr nicht bewähren, von der Teilnahme am Strassenverkehr zur Hebung der Verkehrssicherheit - gedeckt, da diese auch durch das unsichere Lenken eines leichten Motorrads von 125 cm3 Hubraum erheblich beeinträchtigt wird. Die Rüge, der Bundesrat habe mit dem Erlass der Vollzugsbestimmung von Art. 24a VZV den ihm von Art. 15a SVG eingeräumten Rechtssetzungsspielraum überschritten und damit das Legalitäts- sowie das Gewaltentrennungsprinzip verletzt, ist unbegründet.
 
3.
 
Damit ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern und dem Bundesamt für Strassen Sekretariat Administrativmassnahmen schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 17. Mai 2013
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Der Gerichtsschreiber: Störi
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).