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Informationen zum Dokument  BGer 2C_1115/2012  Materielle Begründung
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BGer 2C_1115/2012 vom 11.06.2013
 
{T 0/2}
 
2C_1115/2012
 
 
Urteil vom 11. Juni 2013
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichter Seiler,
 
Bundesrichter Stadelmann,
 
Gerichtsschreiberin Dubs.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Amt für Migration und Personenstand des Kantons Bern,
 
Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern.
 
Gegenstand
 
Widerruf der Niederlassungsbewilligung und Wegweisung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung,
 
vom 5. Oktober 2012.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Der kosovarische Staatsangehörige X.________ (geb. 3. Januar 1989) reiste im April 1994 im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz ein, wo ihm eine Niederlassungsbewilligung erteilt wurde.
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B.
 
Mit Verfügung vom 21. September 2011 widerrief das Amt für Migration und Personenstand des Kantons Bern, Migrationsdienst, die Niederlassungsbewilligung von X.________ und wies ihn aus der Schweiz weg.
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C.
 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 9. November 2012 beantragt X.________, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 5. Oktober 2012 aufzuheben, dem Beschwerdeführer die Niederlassungsbewilligung zu belassen und von dessen Wegweisung aus der Schweiz abzusehen.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist gegen den kantonal letztinstanzlichen Endentscheid betreffend den Widerruf der Niederlassungsbewilligung zulässig, weil grundsätzlich ein Anspruch auf das Fortbestehen dieser Bewilligung besteht (vgl. Art. 83 lit. c [e contrario], Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG; BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S.4). Als Adressat des angefochtenen Urteils ist der Beschwerdeführer zur Ergreifung des Rechtsmittels legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Eingabe einzutreten.
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1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, wie die Vorinstanz ihn festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt bzw. vom Bundesgericht von Amtes wegen berichtigt oder ergänzt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist (vgl. BGE 138 I 49 E. 7.1 S. 51) oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 97 Abs. 1 BGG bzw. Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine entsprechende Rüge, welche rechtsgenüglich substantiiert vorzubringen ist (vgl. Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 136 II 304 E. 2.5 S. 314 mit Hinweisen), setzt zudem voraus, dass die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Auf rein appellatorische Kritik an der Sachverhaltsermittlung oder der Beweiswürdigung tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 137 II 353 E. 5.1 S. 356.). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG; vgl. BGE 136 III 123 E. 4.4.3 S. 129).
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Erwägung 2
 
2.1. Nach Art. 63 Abs. 2 i.V.m. Art. 62 lit. b des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG; SR 142.20) kann die Niederlassungsbewilligung auch nach einem - wie hier - länger als 15 Jahre dauernden ununterbrochenen und ordnungsgemässen Aufenthalt in der Schweiz widerrufen werden, wenn der Ausländer zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Als längerfristig gilt eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr (BGE 135 II 377 E. 4.2 S. 379 ff.), wobei es keine Rolle spielt, ob die Freiheitsstrafe bedingt, teilbedingt oder unbedingt ausgesprochen wurde (Urteil 2C_515/2009 vom 27. Januar 2010 E. 2.1).
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2.2. Ein Widerruf der Niederlassungsbewilligung rechtfertigt sich jedoch nur, wenn die jeweils im Einzelfall vorzunehmende Interessenabwägung die entsprechende Massnahme auch als verhältnismässig erscheinen lässt. Dabei sind namentlich die Schwere des Verschuldens, der Grad der Integration bzw. die Dauer der bisherigen Anwesenheit sowie die dem Betroffenen und seiner Familie drohenden Nachteile zu berücksichtigen (BGE 135 II 377 E. 4.3 ff. S. 381 ff.; vgl. Art. 96 Abs. 1 AuG). Die Niederlassungsbewilligung eines Ausländers, der sich schon seit langer Zeit hier aufhält, soll zwar nur mit besonderer Zurückhaltung widerrufen werden, doch ist dies bei wiederholter bzw. schwerer Straffälligkeit selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn er hier geboren ist und sein ganzes bisheriges Leben im Land verbracht hat (vgl. das Urteil 2C_562/2011 vom 21. November 2011 E. 3.3 und der Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte [EGMR] Trabelsi gegen Deutschland vom 13. Oktober 2011 [Nr. 41548/06], Ziff. 53 ff.). Bei schweren Straftaten, Rückfall und wiederholter Delinquenz besteht - überwiegende private oder familiäre Bindungen vorbehalten - auch in diesen Fällen ein öffentliches Interesse daran, zur Aufrechterhaltung der Ordnung bzw. Verhütung von (weiteren) Straftaten die Anwesenheit des Ausländers zu beenden (vgl. BGE 139 I 31 E. 2.3.1 und 2.3.2 S. 33 f. mit Hinweisen). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stützt sich bei der Beurteilung der Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Massnahmen im Rahmen von Art. 8 Ziff. 2 EMRK auf die gleichen Aspekte (vgl. BGE 139 I 31 E. 2.3.3 S. 34 ff. mit Hinweisen; BGE 135 II 377 E. 4.3 S. 381 f.; ANDREAS ZÜND/THOMAS HUGI YAR, Aufenthaltsbeendende Massnahmen im schweizerischen Ausländerrecht, insbesondere unter dem Aspekt des Privat- und Familienlebens, EuGRZ 2013, S. 1 ff., 4 ff.).
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Erwägung 3
 
3.1. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil vom 31. März 2010 unter anderem wegen mehrerer Raubüberfälle, vorsätzlicher schwerer Körperverletzung und fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von achteinhalb Jahren verurteilt. Damit besteht nach Art. 63 Abs. 2 i.V.m. Art. 62 lit. b AuG unbestrittenerweise ein Grund, die Niederlassungsbewilligung zu widerrufen.
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3.2. Zu Recht ging die Vorinstanz von einem ausländerrechtlich sehr schweren Verschulden des Beschwerdeführers aus und schloss unter anderem aufgrund der wiederholten und immer schwereren Straffälligkeit sowie der bestehenden Rückfallgefahr auf ein erhebliches öffentliches Interesse an der Entfernung des Beschwerdeführers aus der Schweiz aus. Dagegen wendet der Beschwerdeführer im bundesgerichtlichen Verfahren nichts mehr ein, weshalb diesbezüglich auf die ausführlichen Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden kann.
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Erwägung 4
 
Der Beschwerdeführer rügt jedoch, der Bewilligungswiderruf verletze Art. 8 EMRK und sei unverhältnismässig. Er macht geltend, die Vorinstanz habe zu einseitig auf das Sicherheitsinteresse der Schweiz abgestellt und die privaten Interessen ungenügend berücksichtigt.
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4.1. Der Beschwerdeführer kam im Alter von fünf Jahren in die Schweiz und ist hier aufgewachsen. Wie die Vorinstanz festgestellt hat, kann aber trotz langer Aufenthaltsdauer (wobei seit 2008 in Unfreiheit) nicht von einer gelungenen Integration des Beschwerdeführers gesprochen werden. Was der Beschwerdeführer, der sich als überdurchschnittlich integriert betrachtet, diesbezüglich vorbringt, vermag daran nichts zu ändern. Entgegen seiner Behauptung kann aus dem Umstand, dass er bis zu seinem dreizehnten Altersjahr während drei Jahren Mitglied eines Fussballklubs war, nichts betreffend seine Integration als Erwachsener abgeleitet werden. Der Beschwerdeführer absolviert im Massnahmevollzug eine Schreinerlehre, womit ihm nach seiner Entlassung - ob in der Schweiz oder im Heimatland - beruflich ein Neuanfang bevorsteht. Dass die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Schweiz günstiger sein mögen und der Beschwerdeführer hier allenfalls bessere Berufschancen hätte, ist ausländerrechtlich nicht entscheidend. Der Beschwerdeführer spricht die heimatliche Sprache und sein Heimatland ist ihm aufgrund von Besuchsaufenthalten nicht völlig unbekannt. Wie aus den Strafakten hervorgeht, pflegte er im Übrigen auch in der Schweiz Kontakte zu Kollegen aus dem Balkan. Zudem besitzen seine Eltern im Kosovo unbestrittenermassen ein Haus, was auf weiter bestehende Verbindungen der Familie zum Ursprungsland schliessen lässt und die Eingliederung des Beschwerdeführers in die heimatlichen Verhältnisse erleichtern wird. Gewiss wird es den Beschwerdeführer hart treffen, die Schweiz verlassen zu müssen, und ihm nicht leicht fallen, im Kosovo Fuss zu fassen, jedoch ist ihm die Ausreise in sein Heimatland nicht unzumutbar.
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4.2. Was die vom Beschwerdeführer fgerügte Verletzung von Art. 8 EMRK anbelangt, hat die Vorinstanz zutreffend ausgeführt, dass und weshalb der volljährige Beschwerdeführer sich hinsichtlich seiner Beziehung zu seinen Eltern und Geschwistern, die ausser der Mutter offenbar in der Schweiz eingebürgert sind, nicht auf einen Anspruch auf Achtung des Familienlebens berufen kann.
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Auf den Schutz des Familienlebens beruft sich der Beschwerdeführer aber vor allem auch im Zusammenhang mit seiner Beziehung zu seiner Freundin. Sie ist italienische Staatsangehörige, lebt offenbar schon lange in der Schweiz und verfügt vermutlich über ein gefestigtes Anwesenheitsrecht. Gemäss den Angaben des Beschwerdeführers begann die Beziehung zu seiner Freundin im Jahre 2008 und damit nur kurze Zeit, bevor er in Untersuchungshaft genommen wurde. Die Betroffenen haben folglich nie zusammen gelebt. Seither beschränkt sich die Beziehung auf telefonische Kontakte und Begegnungen zusammen mit der Familie im Rahmen der wöchentlichen Besuchszeiten im Massnahmezentrum. Es kann daher keineswegs von einer eheähnlichen Beziehung gesprochen werden. Der Beschwerdeführer hat zwar Heiratsabsichten geäussert, aber konkrete Bemühungen sind diesbezüglich nicht ersichtlich. Die Vorinstanz hat detailliert dargelegt, unter welchen Voraussetzungen sich aus einer partnerschaftlichen Beziehung ein Bewilligungsanspruch gestützt auf Art. 8 EMRK ergeben kann, und hat zu Recht erwogen, dass vorliegend keine unter den Schutzbereich dieser staatsvertraglichen Bestimmung fallende Beziehung gegeben ist. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, vermag die Würdigung der Vorinstanz nicht zu erschüttern.
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4.3. Das öffentliche Interesse an der Entfernung des Beschwerdeführers überwiegt somit sein privates Interesse sowie dasjenige seiner Freundin/Verlobten und Angehörigen an seinem Verbleib in der Schweiz, selbst wenn die (familiäre) Beziehung deshalb eventuell nur noch unter erschwerten Bedingungen gelebt werden kann (vgl. BGE 129 II 215 E. 3.4 und 4.1 S. 218; zu der hier zwar nicht anwendbaren Zweijahresregel vgl. BGE 120 Ib 6 E. 4b S. 14, unter Hinweis auf BGE 110 Ib 201). Die verfügte fremdenpolizeiliche Massnahme erweist sich als verhältnismässig.
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Erwägung 5
 
5.1. Zusammenfassend ergibt sich, dass der Widerruf der Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers weder Bundes- noch Staatsvertragsrecht verletzt. Dies führt zur Abweisung der Beschwerde. Zur Begründung kann ergänzend auf die Erwägungen im vorinstanzlichen Urteil verwiesen werden.
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5.2. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 65 f. BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Amt für Migration und Personenstand des Kantons Bern, Migrationsdienst, der Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 11. Juni 2013
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Zünd
 
Die Gerichtsschreiberin: Dubs
 
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