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Informationen zum Dokument  BGer 5A_693/2012  Materielle Begründung
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BGer 5A_693/2012 vom 12.06.2013
 
{T 0/2}
 
5A_693/2012
 
 
Urteil vom 12. Juni 2013
 
 
II. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
 
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Marazzi,
 
Gerichtsschreiberin Friedli-Bruggmann.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Philip Horber,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
B.________,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Abänderung Ehescheidungsurteil,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Schwyz, 1. Zivilkammer, vom 12. Juni 2012.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
A.________ (geb. 1963) und B.________ (geb. 1960) heirateten am 28. August 1992. Aus ihrer Ehe gingen die Tochter C.________ (geb. 1992) und der Sohn D.________ (geb. 1995) hervor. Mit Urteil des Tribunal de Première Instance Genève vom 30. April 2003 wurden die Parteien geschieden. In Bezug auf den Kindesunterhalt legte der Entscheid fest:
1
4. Donne acte aux parties de ce qu'elles s'engagent à subvenir chacune à l'entretien courant des enfants pendant leur période de prise en charge et à se partager les frais nécessaires ainsi que ceux qui ont été décidé d'un commun accord.
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5. Donne acte à B.________ de ce qu'il s'engage à prendre seul en charge les frais d'écolage de l'institut fréquenté actuellement par les enfants à l'étranger.
3
 
B.
 
Am 3. Oktober 2010 leitete B.________ ein Abänderungsverfahren ein. Er beantragte die alleinige elterliche Sorge für beide Kinder. Weiter sei die Mutter zu verpflichten, Kindesunterhalt zu bezahlen. Der zuständige Richter teilte B.________ am 28. Oktober 2010 mit, dass bezüglich der volljährigen Tochter im Abänderungsverfahren keine Anordnungen mehr getroffen werden könnten, worauf dieser seine Anträge auf den Sohn beschränkte. A.________ schloss auf Abweisung. Der Einzelrichter hörte den Sohn D.________ am 16. Juni 2011 persönlich an und befragte im Anschluss die Eltern. B.________ zog dabei den Antrag auf Zuteilung der alleinigen elterlichen Sorge zurück, machte dies indes schriftlich rückgängig.
4
 
C.
 
A.________ erhob am 4. November 2011 Berufung gegen dieses Urteil und verlangte dessen Aufhebung. Eventualiter sei das Scheidungsurteil dahingehend abzuändern, dass sie ab dem 4. Monat seit Rechtskraft des Urteils des Bezirksgerichts Höfe Fr. 100.-- und ab dem 7. Monat Fr. 250.-- pro Monat bezahle. Mit Anschlussberufung vom 15. Dezember 2011 beantragte B.________ erneut die Zuteilung der alleinigen elterlichen Sorge für den Sohn sowie eine Neuberechnung des Anteils, welchen A.________ an den Bedarfskosten des Sohnes von mindestens Fr. 2'410.-- übernehmen müsse. A.________ schloss auf Abweisung der Anschlussberufung.
5
 
D.
 
Mit Eingabe vom 14. September 2012 hat A.________ (nachfolgend Beschwerdeführerin) Beschwerde an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragt, das Urteil des Kantonsgerichts Schwyz sei bezüglich Unterhaltspflicht (Ziff. 1) aufzuheben oder eventualiter zur Neubeurteilung zurückzuweisen. Die vom Kantonsgericht getroffene Kostenregelung (Ziff. 2 und 3) sei ebenfalls aufzuheben und vom Bundesgericht neu festzusetzen, eventualiter zur Neufestsetzung an die Vorinstanz zurückzuweisen; alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten von B.________ (nachfolgend Beschwerdegegner).
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Angefochten sind die Fr. 30'000.-- übersteigenden vermögensrechtlichen Folgen eines kantonal letztinstanzlichen Entscheides betreffend Abänderung eines Scheidungsurteils (Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 lit. b, Art. 75 Abs. 1, Art. 90 BGG). Die Beschwerdeführerin ist gemäss Art. 76 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Die Beschwerdefrist (Art. 100 Abs. 1 BGG) ist ebenfalls eingehalten, womit die Beschwerde in Zivilsachen grundsätzlich zulässig ist.
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1.2. Nachdem das BGG keine Anschlussbeschwerde kennt (zu den vorliegend nicht gegebenen Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise von diesem Grundsatz abgewichen werden kann vgl. BGE 138 V 106 E. 2 S. 110 f.) und der Beschwerdegegner gegen den vorinstanzlichen Entscheid keine Beschwerde erhoben hat, ist auf seine über die Abweisung der Beschwerde hinausgehenden Anträge (weitergehende Rückwirkung der Unterhaltsbeiträge, Erhöhung des Betrages, Ausdehnung auf die mündige Tochter) nicht einzutreten.
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Erwägung 2
 
In rechtlicher Hinsicht sind alle Rügen gemäss Art. 95 f. BGG zulässig und das Bundesgericht wendet in diesem Bereich das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), was heisst, dass es behauptete Rechtsverletzungen (Art. 42 Abs. 2 BGG) mit freier Kognition prüft.
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Erwägung 3
 
3.1. Gemäss den Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Urteil, besuchten die beiden Kinder seit der Scheidung der Eltern im Jahr 2003 ein Internat in Indien. Wie im Scheidungsurteil vorgesehen, sei der Vater für diese Schulkosten der Kinder alleine aufgekommen. Nachdem die Tochter C.________ an eine amerikanische Schule gewechselt habe, sei ihr der Sohn D.________ nachgefolgt und besuche seit August 2010 die Lutheran High School of Saint Charles County in den USA. Auch nach dem Umzug in die USA habe unbestrittenermassen der Beschwerdegegner alleine die Kosten des Sohnes (wie auch der vom vorliegenden Verfahren nicht betroffenen Tochter) bezahlt. Die Schul- und übrigen Unterhaltskosten von D.________ in den USA bezifferte die Vorinstanz auf rund Fr. 1'760.-- pro Monat.
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3.2. Die Beschwerdeführerin sei zu 50% in der Personalabteilung der Stadt Genf angestellt und habe 2010 ein Nettomonatseinkommen von Fr. 3'430.-- erzielt, im Jahr 2011 leicht weniger. Indes sei ihr rückwirkend ab 1. August 2010 ein hypothetisches Einkommen von Fr. 5'700.-- anzurechnen. Dem stehe ein monatlicher Bedarf von Fr. 4'002.-- gegenüber. Sie sei wieder verheiratet.
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3.3. Ausgehend von diesen Sachverhaltsfeststellungen und in Erwägung, dass das Scheidungsurteil nur die Kostentragung für das Internat in Indien geregelt habe und die Schul- und Unterhaltskosten seit dem Wechsel in die USA wesentlich höher seien, befand die Vorinstanz, es liege eine erhebliche Veränderung der Verhältnisse vor, welche eine Neuregelung der Unterhaltsfrage rechtfertige. Eine allfällige Unterhaltspflicht könne die Beschwerdeführerin nicht mit der Begründung in Abrede stellen, sie sei mit dem Schulwechsel nicht einverstanden gewesen.
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Erwägung 4
 
Die Beschwerdeführerin bestreitet die Veränderung der Verhältnisse im Sinne von Art. 286 ZGB nicht. Sie wehrt sich aber in verschiedener Hinsicht gegen die Anrechnung des hypothetischen Einkommens.
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4.1. In erster Linie rügt sie, die Vorinstanz habe in willkürlicher Würdigung des vorgelegten Arztzeugnisses darauf geschlossen, dass sie mehr als 50% arbeiten könne.
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4.1.1. Dem Arztzeugnis von Dr. E.________ vom 2. November 2011 lässt sich entnehmen, dass die Beschwerdeführerin in den Jahren 2005 und 2006 Eierstockzysten operieren lassen musste. Im Jahr 2007 musste die linke Nebenniere infolge eines Tumors entfernt werden. Weiter hält die Ärztin fest:
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4.1.2. Die Vorinstanz erwog, dem Arztzeugnis sei kein Beweis einer anhaltenden Einschränkung der Arbeitsfähigkeit zu entnehmen. Die Operationen hätten vor fünf Jahren und mehr stattgefunden und sprächen per se nicht gegen eine Erhöhung des Arbeitspensums.
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4.1.3. Das Arztzeugnis erwähnt keine Arbeitsunfähigkeit (auch nicht eine teilweise Arbeitsunfähigkeit). Im Übrigen kann das Arztzeugnis, wie die verschieden Interpretationen durch die Vorinstanz und die Parteien zeigen, unterschiedlich ausgelegt werden. Weitere Arztzeugnisse hat die Beschwerdeführerin im kantonalen Verfahren nicht vorgelegt. Auch bezüglich der behaupteten Verschlechterung nach der Vertretung ihrer Kollegin bringt sie keinerlei Belege bei, obwohl es im Falle wesentlicher gesundheitlicher Beschwerden solche hätte geben müssen. Der Schluss der Vorinstanz, dass keine gesundheitlichen Gründe gegen eine Ausdehnung des Arbeitspensums sprächen, ist daher nicht willkürlich.
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4.2. Sodann kritisiert die Beschwerdeführerin die vorinstanzliche Feststellung als willkürlich, dass sie ihr Arbeitspensum freiwillig reduziert habe. Die Reduktion sei aufgrund ihrer Krankheit und der Operationen erfolgt.
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4.3. Weiter beanstandet die Beschwerdeführerin, dass ihr die Vorinstanz willkürlich fehlende Arbeitsbemühungen vorgeworfen habe. Aufgrund ihres Gesundheitszustands habe sie gar keine Arbeitsbemühungen tätigen müssen.
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4.4. Ihre weiteren Einwendungen gegen die Anrechnung eines hypothetischen Einkommens erschöpfen sich in appellatorischer Kritik (die Vorinstanz habe ihr quasi vorgeworfen, kein IV-Verfahren eingeleitet zu haben, und gleichzeitig gesundheitliche Einschränkungen verneint; die Beweise seien willkürlich gewürdigt worden; es fehle eine reale Möglichkeit einer Einkommenssteigerung). Mit den Erwägungen der Vorinstanz, wonach sie seit der Scheidung 2003 zumindest mehrheitlich arbeitstätig gewesen sei, dass sie keine Kinderbetreuungspflichten habe, dass eine Erhöhung unter Berücksichtigung der Ausbildung, ihres Alters und der Berufserfahrung möglich sei und dass sie auch nicht geltend gemacht habe, die Arbeitsmarktverhältnisse würden kein 100%-Pensum zulassen, setzt sich die Beschwerdeführerin nicht auseinander. Überdies beanstandet sie mit keinem Wort die von der Vorinstanz ermittelte Höhe des angerechneten hypothetischen Einkommens.
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Erwägung 5
 
Zu prüfen bleibt die Rüge der Beschwerdeführerin, dass nicht rückwirkend ein hypothetisches Einkommen angerechnet werden könne.
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5.1. Die Vorinstanzen bestimmten den 1. August 2010 als massgebliches Datum, was sich mit dem Schulantritt des Sohnes in den USA deckt. Sie begründeten dies damit, dass die Parteien bereits im Februar desselben Jahres gewusst hätten, dass der Sohn dort eingeschult werde, womit die Beschwerdeführerin genügend Zeit gehabt hätte, sich auf die neuen Gegebenheiten einzustellen, d.h. ihr Arbeitspensum auszudehnen. Die Vorinstanz stützt sich namentlich auf ein Dokument vom 6. Oktober 2009, in welchem der Beistand der Kinder die Beschwerdeführerin auf ihre Unterhaltspflicht hingewiesen habe, sowie auf einen Beschluss der Vormundschaftsbehörde vom 24. Februar 2010.
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5.2. Die Beschwerdeführerin wendet ein, beim Schreiben des Beistands vom 6. Oktober 2009 habe es sich um eine E-Mail gehandelt, welche nur die Tochter betroffen habe. Auch dem Beschluss der Vormundschaftsbehörde habe sie nichts in Bezug auf eine konkrete Unterhaltspflicht zugunsten des Sohnes entnehmen können. Die Abänderungsklage sei vom Beschwerdegegner am 3. Oktober 2010 eingeleitet worden, das Urteil sei am 3. Oktober 2011 ergangen und sei noch nicht rechtskräftig. Indem die Vorinstanz für die Anrechnung des hypothetischen Einkommens auf den 1. August 2010 abgestellt habe, sei ihr keine angemessene Übergangsfrist gewährt worden. Ihr sei eine solche Frist (ab Rechtskraft des Urteils, welches sie zur Unterhaltszahlung verpflichte) zu gewähren.
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5.3. Im Scheidungsurteil vom 30. April 2003 war die Unterhaltsfrage zwischen den Parteien auf der Basis einer Scheidungskonvention geregelt worden. Die Beschwerdeführerin musste nach dieser Regelung für keine Schulkosten aufkommen. Das Urteil sah zudem keine automatische Anpassung vor für den Fall, dass die Kinder die Schule wechseln sollten.
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Erwägung 6
 
Angesichts des Ausgangs des Verfahrens sind die Gerichtskosten für das bundesgerichtliche Verfahren der Beschwerdeführerin zu 3/4 und dem Beschwerdegegner zu 1/4 aufzuerlegen. Die Parteikosten sind wettzuschlagen (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. In teilweiser Gutheissung der Beschwerde und dahingehender Abänderung des Urteils des Kantonsgerichts Schwyz vom 12. Juni 2012 wird der Beginn der Unterhaltspflicht der Beschwerdeführerin auf den 1. April 2011festgelegt.
 
2. Die Gerichtskosten für das bundesgerichtliche Verfahren von insgesamt Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin zu 3/4 und dem Beschwerdegegner zu 1/4 auferlegt.
 
3. Die Parteikosten werden wettgeschlagen.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Schwyz, 1. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 12. Juni 2013
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: von Werdt
 
Die Gerichtsschreiberin: Friedli-Bruggmann
 
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