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Informationen zum Dokument  BGer 6B_174/2013  Materielle Begründung
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BGer 6B_174/2013 vom 20.06.2013
 
{T 0/2}
 
6B_174/2013
 
 
Urteil vom 20. Juni 2013
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Mathys, Präsident,
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
 
nebenamtlicher Bundesrichter Rüedi,
 
Gerichtsschreiber Briw.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ueli Vogel-Etienne,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, Postfach 6250, 3001 Bern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Fahrlässige Tötung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung, 1. Strafkammer, vom 10. Januar 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
A.a. Die 72-jährige A.________ (nachfolgend: Patientin) trat wegen einer Oberarmfraktur, die sie sich bei einem Sturz am Vortag zugezogen hatte, am 27. April 2009 in das Spital ein. Wegen ihres gesundheitlichen Zustandes wurde sie zuerst auf die Medizinische Abteilung verlegt. Die Ärzte entschieden sich erst am 18. Mai 2009 zur Operation. Die Patientin wurde als schwerstkrank eingestuft (ASA-Score 5). Während der Operation erfolgte eine Bluttransfusion. Dabei ereignete sich ein sogenannter Transfusionszwischenfall. Der Patientin mit der Blutgruppe 0+ wurde die nicht kompatible Erythrozytenkonzentration A+ verabreicht.
1
A.b. Während der Operation holten die Assistenzärztin X.________ und die Unterassistentin E.________ das im Labor bereitgestellte Blut für die Patientin ab, nämlich zwei Beutel mit der Blutgruppe A+ und zwei mit der Blutgruppe A-. Diese stellten sie in den Kühlschrank des Operationssaals. Für die Transfusion nahmen sie zuerst einen Beutel der Blutgruppe A+ mit und kontrollierten ihn im Operationssaal, indem sie die Angaben auf der gelben Transfusionskarte mit denjenigen auf dem Blutbeutel verglichen. Sie stellten keine Unregelmässigkeiten fest und transfundierten das Blut der Patientin. In gleicher Weise gingen sie bei der Transfusion des zweiten Beutels der Blutgruppe A+ vor. Für E.________ war dies die erste Bluttransfusion, an der sie beteiligt war. X.________ hatte bereits viermal an einer Transfusion mitgewirkt.
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A.c. Wie sich herausstellte, hatte die Laborantin F.________ am 18. Mai 2009 den Auftrag erhalten, für die Patientin Blutkonserven bereit zu stellen. Gleichzeitig musste sie Blut für zwei weitere Patienten testen. F.________ druckte zuerst die Blutgruppenkarte der Patientin mit der korrekten Angabe der Blutgruppe 0+ auf einem weissen A4-Blatt aus. Danach führte sie die Kontrolle der drei Blutproben durch. Sie pipettierte das Blut in eine Test-Batterie, eine sogenannte Testkarte. Diese steckte sie anschliessend in einen ID-Reader. Dort wurde sie eingescannt, visuell geprüft und an das Computersystem geschickt. Die Testung hatte für die Patientin die Blutgruppe A+ ergeben. F.________ stellte hierauf die erwähnten vier Blutbeutel bereit. Jedem Blutbeutel legte sie eine gelbe Transfusionskarte bei. Nach ihrer Aussage fügte sie zu den beiden Blutbeuteln A- auch die zusammengefaltete weisse Blutgruppenkarte mit der korrekt eingetragenen Blutgruppe 0+ der Patientin hinzu. Diese vier Blutbeutel stellte sie in den Kühlschrank, von wo sie - wie erwähnt - während der Operation von der Assistenzärztin X.________ und der Unterassistentin E.________ abgeholt wurden.
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B.
 
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die Vorinstanz führt aus, angesichts des schwerwiegenden Vorwurfs erscheine die Anklageschrift als knapp. Die Beschwerdeführerin habe aber ohne Weiteres erkennen können, welcher Sachverhalt und welche Straftat ihr vorgeworfen wurden. Dabei stünden weder die gängigen Standards noch die Handlungsanweisung im Vordergrund. Vielmehr gehe aus der Anklageschrift hervor, dass ihr vorgeworfen werde, sie habe als Assistenzärztin die Blutkonserven vor deren Verabreichung nicht mit der Blutgruppenkarte der Patientin verglichen. Die Plädoyernotizen zeigten, dass über den Vorwurf keine Zweifel bestanden.
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1.2. Gemäss Art. 9 Abs. 1 StPO kann eine Straftat nur gerichtlich beurteilt werden, wenn die Staatsanwaltschaft gegen eine bestimmte Person wegen eines genau umschriebenen Sachverhalts beim zuständigen Gericht Anklage erhoben hat. Die Anklageschrift bezeichnet "möglichst kurz, aber genau die der beschuldigten Person vorgeworfene Tat" (Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO). Der Anklagegrundsatz bestimmt den Prozessgegenstand (Umgrenzungsfunktion) und bezweckt den Schutz der Verteidigungsrechte (Informationsfunktion). Er garantiert den Anspruch auf rechtliches Gehör (BGE 133 IV 235 E. 6.2; 126 I 19 E. 2a). Erhöhte Anforderungen können sich bei Unterlassungs- und Fahrlässigkeitstaten stellen, beim unechten Unterlassungsdelikt insbesondere hinsichtlich des (im früheren Recht ungeschriebenen) Tatbestandsmerkmals der Garantenstellung (BGE 116 Ia 202 E. 2).
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1.3. Im Strafbefehl wurde der Beschwerdeführerin vorgeworfen, sie habe "als verantwortliche Assistenzärztin bei der Kontrolle der für (die Patientin) bestimmten Blutkonserven diese - entgegen der Handlungsanweisung (des Spitals) vom 28.12.2005 und den gängigen Standards - nicht mit der Blutgruppe bzw. der Blutgruppenkarte (der Patientin) verglichen und die Blutkonserven transfundiert, wodurch sie (der Patientin) Blut einer inkompatiblen Blutgruppe verabreichte, weshalb diese starb" (kantonale Akten, act. 442).
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Erwägung 2
 
2.1. Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig bedeutet "willkürlich" im Sinne von Art. 9 BV (BGE 136 II 304 E. 2.4). Die Willkürrüge muss in der Beschwerde anhand des angefochtenen Entscheids präzise vorgebracht und begründet werden (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 138 I 171 E. 1.4; 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 5).
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2.2. Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Vorinstanz nehme willkürlich an, sie habe die Weisung vom 21. September 2005 (act. 27; unten E. 3.3.2) bzw. die Handlungsanweisung vom 28. Dezember 2005 (oben E. 1.3) am Tag der Operation gekannt. Die Weisung sei erst nach der Operation am Kühlschrank des Operationssaals angebracht worden.
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2.2.1. Die Vorinstanz führt aus, die Beschwerdeführerin habe am 22. Juni 2009, rund einen Monat nach der Operation, ausgesagt, die Weisung zu kennen, weil sie am Kühlschrank im Operationssaal aufgemacht sei. Am 20. Oktober 2010 habe sie diese Aussage bestätigt. Erst an der Hauptverhandlung vom 20. Oktober 2011 habe sie erklärt, sie habe die Weisung am Tag der Operation nicht gekannt, weil sie erst nach dem 18. Mai 2009 aufgehängt worden sei. Die Beschwerdeführerin habe bei der Befragung vom 22. Juni 2009 im Präsens zu Protokoll gegeben, die Weisung zu kennen (act. 100). Damit beziehe sich die isolierte Aussage vordergründig auf den Zeitpunkt der Befragung. Werde die im Präteritum gestellte Frage ("Kannten Sie diese Weisung bzw. Handlungsanweisung?") sowie der Kontext dieser Frage gewürdigt, werde klar, dass sie sich auf den Kenntnisstand der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Operation am 18. Mai 2009 bezog. Weiter sei anzunehmen, dass sie unverzüglich darauf hingewiesen hätte, dass sie die Weisung im Zeitpunkt der Befragung kenne, aber zum Zeitpunkt der Operation nicht gekannt habe. Die Aussage an der Hauptverhandlung vom 20. Oktober 2011 sei eine Schutzbehauptung. Unter Berücksichtigung der zentralen Bedeutung der Erstaussage im Rahmen der Glaubhaftigkeitsprüfung sei auf die Einvernahme vom 22. Juni 2009 abzustellen (Urteil S. 19).
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2.2.2. In der Einvernahme wurde dem Leitenden Arzt, Dr. C.________, die Aussage der Beschwerdeführerin vorgelegt, wonach sie nicht gewusst habe, dass sie die Blutkonserven mit der Blutgruppenkarte vergleichen musste. Er antwortete: "Peinlich. Wenn sie das nicht wusste, hätte sie jemanden fragen müssen, wie sie es machen muss" (act. 166/12). Auf die Frage, wie die Einführung/Anleitung/Ausbildung der Assistenzärzte der Anästhesie im Spital zur fraglichen Zeit erfolgte, erklärte Dr. C.________, er sei mehrheitlich in einem anderen Spital aktiv. Wie das hier jeweils ausgesehen hatte, habe er nicht genau mitbekommen (act. 166/11). Die Transfusionsmedizin gehöre zur Grundausbildung. Es gebe Handlungsanweisungen. Ansonsten müsse man fragen (act. 166/14). Verbindlich sei die Blutgruppenkarte (act. 166/12).
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2.2.3. Unbestritten ist, dass Weisung und Handlungsanweisung im Zeitpunkt der Operation im Spital massgebend waren und die Pflegefachfrauen auf der Intensivpflegestation diese kannten und sich danach richteten. Aus dieser Tatsache und der zweifelhaften Aussage der Beschwerdeführerin vom 22. Juni 2009 lässt sich angesichts des Grundsatzes in dubio pro reo nicht mit haltbaren Gründen schliessen, dass die Beschwerdeführerin die Weisung im Zeitpunkt der Operation kannte (entgegen Urteil S. 20).
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2.3. Die Beschwerdeführerin beanstandet die vorinstanzlichen Feststellungen zur Kontrolle von Blutkonserven vor der Transfusion. Einen Standard habe es allenfalls auf der Intensivstation gegeben, nicht in der Anästhesie, wo es nicht üblich gewesen sei, Blutkonserven auch anhand der Blutgruppenkarte zu überprüfen.
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2.3.1. Die Vorinstanz stellt fest (Urteil S. 21), es gehöre zum gängigen Ablauf einer Bluttransfusion, das zu verabreichende Blut mit der Blutgruppenkarte des Patienten zu vergleichen. Sie stützt sich auf das Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Bern. Nach diesem ergibt sich das Standardprozedere aus der spitalinternen Weisung und Handlungsanweisung. Vor der Verabreichung von Blut muss überprüft werden, ob die Beschriftungen der Blutkonserven mit den dazugehörigen Transfusionskarten übereinstimmen. Diese Blutgruppen sind anschliessend mit der Blutgruppe des Empfängers mittels Blutgruppenkarte zu vergleichen (act. 232). Nach dem Gutachten ist nicht nachvollziehbar, warum die Beschwerdeführerin das nicht getan hatte. Dass sie keine Blutgruppenkarte gesehen hatte, hätte sie veranlassen müssen, eine solche anzufordern (act. 234).
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2.3.2. Das Gutachten stützt sich auch auf die Weisung und die Handlungsanweisung, die im Spital massgebend waren (vgl. act. 227, 232, 234). Wie dargelegt (oben E. 2.2.3), kann in dubio pro reo nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin die beiden Dokumente kannte. Wie der Leitende Arzt erklärte (oben E. 2.2.2), hätte sie aber in ihrer Funktion wissen müssen, dass die Blutgruppenkarte der Patientin zur Kontrolle beizuziehen war.
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2.3.3. Nach ihren Angaben hatte die Laborantin F.________ den beiden Blutbeuteln der Gruppe A- die ausgedruckte weisse Blutgruppenkarte mit der korrekt eingetragenen Blutgruppe 0+ der Patientin beigelegt, als sie diese in den Kühlschrank stellte (oben Bst. A.c). Die Laborantin faltete die Blutgruppenkarte zusammen und legte sie in eine der ebenfalls zusammengefalteten Transfusionskarten für die Blutbeutel mit der Blutgruppe A-. Sie war davon ausgegangen, dass diese (wegen der geringeren Haltbarkeit) zuerst transfundiert würden. Die Beschwerdeführerin verwendete aber die beiden Blutbeutel mit der Blutgruppe A+ zuerst. Die beiden anderen Blutbeutel nahm eine Pflegeassistentin nach der Operation mit auf die Intensivstation. Weil zuerst die Blutgruppe A+ transfundiert wurde, blieb die Blutgruppenkarte von der Beschwerdeführerin unentdeckt und eine Abgleichung mit den Blutkonserven und der Transfusionskarte unterblieb (Urteil S. 19). Erst die Pflegefachfrauen verglichen die Blutkonserven mit der mitgelieferten Blutgruppenkarte (Urteil S. 33).
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2.4. Zusammengefasst fehlt der Nachweis, dass die Beschwerdeführerin die Weisung oder die Handlungsanweisung kannte. Weiter muss in dubio pro reo angenommen werden, dass die Kontrolle im massgeblichen Zeitraum so vorgenommen wurde, wie das die Beschwerdeführerin schilderte. Indessen hätte die Beschwerdeführerin nach der Ansicht des Gutachtens und des Leitenden Arztes der Anästhesie in ihrer Funktion wissen oder in Erfahrung bringen müssen, dass die Blutgruppenkarte für die Kontrolle zwingend war.
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Erwägung 3
 
3.1. Gemäss Art. 117 StGB wird bestraft, wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht. Der Tatbestand setzt den Tod einer Person, eine Sorgfaltspflichtverletzung sowie den Kausalzusammenhang zwischen Tod und Sorgfaltswidrigkeit voraus (Urteil 6S.570/2006 vom 6. März 2007 E. 3 [Freispruch von Ärzten mangels Adäquanz] mit Hinweis auf BGE 122 IV 145 [Freispruch eines unerfahrenen Arbeiters]).
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3.2. Assistenzärzte befinden sich in der Weiterbildung. Sie unterstehen der unmittelbaren Aufsicht von Kaderärzten (z.B. dem Leitenden Arzt) und Oberärzten. Zudem sollte das Weiterbildungsziel im Vordergrund stehen ( THOMAS EICHENBERGER, in: Moritz W. Kuhn/Thomas Poledna [Hrsg.], Arztrecht in der Praxis, 2. Aufl. 2007, S. 367).
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3.3. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass sie eine Kontrolle durchzuführen hatte. Sie sei aber nicht verpflichtet gewesen, die Bestimmung der Blutgruppe durch das Labor zu überprüfen (Beschwerde S. 37).
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3.3.1. Die Bestreitung ist nicht berechtigt. Die Beschwerdeführerin hatte nicht das Labor zu überprüfen. Sie musste die Kontrolle der Blutprodukte lege artis durchführen. Sie war für die intraoperative Kontrolle der Blutkonserven zum Zwecke der Transfusion zuständig und dafür verantwortlich (oben E. 2.3.2). Sie hatte damit eine Garantenstellung inne und die erforderlichen Massnahmen zu treffen. Sie kontrollierte einzig, ob die Beschriftungen der Blutkonserven mit den dazugehörigen Transfusionskarten übereinstimmten. Entscheidend aber war, ob das bereitgestellte Blut mit dem Blut der Empfängerin kompatibel war. Nur in diesem Fall durfte es transfundiert werden. Das war die eigentliche Fragestellung für die verantwortliche Assistenzärztin der Anästhesie. Denn es kam letztlich nicht auf den Abgleich der Transfusionskarten mit den Blutbeuteln an, sondern auf die Sicherstellung, dass die Patientin kein inkompatibles Blut erhielt.
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3.3.2. Die Vorinstanz geht anders als das Bundesgericht (oben E. 2.4) von einer Kenntnis der "Weisung Verabreichung von Blutprodukten" vom 21. September 2005 durch die Beschwerdeführerin im Operationszeitpunkt aus (Urteil S. 26). Dieses Dokument verweist für die Durchführung der Bluttransfusion auf die "Handlungsanweisung Bluttransfusion" vom 28. Dezember 2005. Entsprechend wäre von der Vorinstanz unter ihren Voraussetzungen nicht unbewusste (Urteil S. 35), sondern bewusste Fahrlässigkeit anzunehmen gewesen, weil die Beschwerdeführerin auf die ihr bekannte Weisung "nicht Rücksicht nahm" (Art. 12 Abs. 3 StGB). Es macht verschuldensmässig einen Unterschied, ob die Beschwerdeführerin als verantwortliche Assistenzärztin eine Tatbestandsverwirklichung mangels Kenntnis der beiden Dokumente nicht bedachte (unbewusste Fahrlässigkeit), oder ob sie - bei Kenntnis - sich darüber hinwegsetzte im Vertrauen darauf, dass schon nichts geschehen werde (bewusste Fahrlässigkeit). Im Ergebnis schloss die Vorinstanz richtig auf unbewusste Fahrlässigkeit (und wertete dies zugunsten der Beschwerdeführerin).
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3.3.3. Nach der Vorinstanz steht nicht die Bluttransfusion, sondern die vorgängig fehlende Kontrolle der Blutkonserven anhand der Blutgruppenkarte und damit ein Unterlassen und kein aktives Tun im Vordergrund (Urteil S. 22).
22
3.3.4. Unbehelflich ist das Vorbringen der Beschwerdeführerin, es sei ihr angesichts ihres Ausbildungsstandes, ihrer hierarchischen Einordnung und ihrer Instruktion nicht möglich gewesen, anders zu handeln.
23
3.4. Aufgrund der prozessualen Situation ist unter dem Gesichtspunkt des Kausalzusammenhangs einzig das Verhalten der Beschwerdeführerin zu beurteilen. Delegationsbefugnis und Vorgesetztenverantwortung als solche sind nicht Gegenstand des bundesgerichtlichen Verfahrens.
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3.4.1. Ein Verhalten ist im natürlichen Sinne kausal, wenn es nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch der eingetretene Erfolg entfiele. Dieses Verhalten muss nicht alleinige oder unmittelbare Ursache sein (BGE 125 IV 195 E. 2b). Beliebige Mitursachen können gemäss dieser Äquivalenztheorie zur strafrechtlichen Zurechnung führen.
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3.4.2. Die Rechtserheblichkeit einer äquivalenten Ursache beurteilt sich nach der Adäquanztheorie. Für die Beschwerdeführerin waren die Folgen einer Transfusion von inkompatiblem Blut ohne Weiteres vorhersehbar. Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit (ausführlich BGE 135 IV 56 E. 2.1 und E. 2.2) betreffen ihr eigenes Verhalten. Sie musste entgegen der Beschwerde nicht die Ereignisse im Labor voraussehen. Diese werden ihr nicht zugerechnet. Bei einer lege artis vorgenommenen Kontrolle wären die Folgen vermeidbar gewesen. Die Vorgänge im Labor (Pipettierfehler, automatische Mutation der korrekt gespeicherten Blutgruppe ohne Bestätigungsrückfrage im Laborinformationssystem, keine Abschlusskontrolle) können den Kausalzusammenhang nicht unterbrechen. Wer eine spezifische Kontrollverantwortung innehat, muss mit Fehlern rechnen. Das (unbewusst) sorgfaltswidrige Handeln der Beschwerdeführerin war geeignet, "nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen oder mindestens zu begünstigen" (BGE 135 IV 56 E. 2.1 und E. 2.2).
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3.4.3. Die Beschwerdeführerin kann sich nicht auf den allgemeinen Vertrauensgrundsatz berufen, weil sie eine eigenständige Kontroll- und Sicherungsfunktion innehatte (ausführlich BGE 120 IV 300 E. 3d/bb, Mehrfachsicherungssystem). Die Letztverantwortung bei einer Transfusion tragen die Ärzte und in der zu beurteilenden Sache die unter ihrer Aufsicht wirkende Beschwerdeführerin. Die Fehler des Labors hätten durch die ärztliche Letztkontrolle im Operationssaal erkannt und damit vermieden werden können und müssen.
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3.5. Der tatbestandsmässige Erfolg wäre bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt nicht eingetreten. Er ist der Beschwerdeführerin zuzurechnen.
28
 
Erwägung 4
 
 
Erwägung 5
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Strafabteilung, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 20. Juni 2013
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Mathys
 
Der Gerichtsschreiber: Briw
 
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