VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 5A_350/2013  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 5A_350/2013 vom 08.07.2013
 
{T 0/2}
 
5A_350/2013
 
 
Urteil vom 8. Juli 2013
 
 
II. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
 
Bundesrichter Herrmann, Schöbi,
 
Gerichtsschreiberin Friedli-Bruggmann.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Donatus Strebel,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Z.________, vertreten durch Rechtsanwältin Séverine Zimmermann,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Aufschiebende Wirkung (Eheschutzmassnahmen; Obhut),
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 9. April 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
X.________ (1980, deutsche Staatsangehörige) und Z._________ (1978, deutscher Staatsangehöriger) sind die Eltern von Y.________ (2008).
1
 
B.
 
Am 19. Juli 2012 leitete X.________ beim Bezirksgericht Pfäffikon ein Eheschutzverfahren ein. Sie beantragte insbesondere, die Tochter sei für die Dauer des Getrenntlebens unter ihre Obhut zu stellen. Z.________ sei zur Leistung von Unterhaltsbeiträgen zu verpflichten und ihr sei die eheliche Wohnung zuzuteilen.
2
 
C.
 
Am 6. Februar 2013 reichten beide Parteien beim Bezirksgericht Pfäffikon im Rahmen des Eheschutzverfahrens einen Antrag auf (superprovisorische) Zuteilung der elterlichen Obhut für Y.________ ein.
3
 
D.
 
Z.________ erhob gegen das Eheschutzurteil Berufung an das Obergericht des Kantons Zürich. Er beantragte in der Hauptsache, die Tochter sei unter seine Obhut zu stellen. Weiter sei seiner Berufung die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
4
Das Obergericht gewährte mit Verfügung vom 9. April 2013 - ohne X.________ vorgängig Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt zu haben (was vorliegend streitig ist) - die aufschiebende Wirkung für das Berufungsverfahren. Es befand, damit gelte weiterhin die Regelung gemäss der erstinstanzlichen Verfügung vom 14. Februar 2013.
5
 
E.
 
Gegen diesen Entscheid hat X.________ (Beschwerdeführerin) mit Eingabe vom 10. Mai 2013 Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht. Sie beantragt, die Verfügung vom 9. April 2013 sei aufzuheben.
6
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Angefochten ist eine obergerichtliche Verfügung, mit der das Gesuch des Beschwerdegegners, seiner Berufung gegen einen erstinstanzlichen Entscheid sei die aufschiebende Wirkung zu gewähren, gutgeheissen worden ist. Der Entscheid, der die aufschiebende Wirkung bewilligt, stellt einen Zwischenentscheid dar; geht es dabei um die Obhutszuteilung von Kindern, ist ein drohender nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zu bejahen (BGE 137 III 475 E. 1 S. 476; Urteil 5A_303/2012 vom 30. August 2012 E. 1.1, nicht publ. in: BGE 138 III 565).
7
1.2. Da es sich beim Eheschutzverfahren um vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 98 BGG handelt, kann nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden (BGE 133 III 393 E. 5.1 S. 397). Hierfür gilt das strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG).
8
1.3. Soweit die Beschwerdeführerin direkt die Verfügung vom 14. Februar 2013 rügt, ist auf die Beschwerde zum Vornherein nicht einzutreten, weil Anfechtungsobjekt nur der oberinstanzliche Entscheid sein kann (Art. 75 Abs. 1 BGG).
9
 
Erwägung 2
 
Die Beschwerdeführerin rügt unter anderem eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV), da sowohl der superprovisorische Entscheid vom 14. Februar 2013 als auch der (vorliegend angefochtene) Entscheid betreffend aufschiebende Wirkung erlassen worden seien, ohne ihr vorgängig das rechtliche Gehör zu gewähren. Zudem sei ihr im angefochtenen Entscheid nicht einmal eine Frist für eine nachträgliche Stellungnahme angesetzt worden. Die Begründung des Beschwerdegegners sei ihr erst mit der Fristansetzung zur Berufungsantwort vom 29. April 2013 zur Kenntnis gebracht worden, womit sich die 30-tägige Frist zur Erhebung der vorliegenden Beschwerde faktisch auf neun Tage verkürzt habe.
10
2.1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 29 Abs. 2 BV ist formeller Natur. Ist er verletzt worden, führt dies ungeachtet der Erfolgsaussichten in der Sache selbst zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides (BGE 137 I 195 E. 2.2 S. 197; 135 I 187 E. 2.2 S. 190). Die entsprechenden Rügen sind deshalb vorweg zu prüfen.
11
2.1.1. Gemäss Art. 315 Abs. 4 lit. b ZPO hat die Berufung gegen vorsorgliche Massnahmen, zu denen auch Eheschutzmassnahmen gehören (BGE 137 III 475 E. 4.1 S. 477 f.), keine aufschiebende Wirkung. Indes kann die Vollstreckung vorsorglicher Massnahmen ausnahmsweise aufgeschoben werden, wenn der betroffenen Partei ein nicht leicht wieder gutzumachender Nachteil droht (Art. 315 Abs. 5 ZPO). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung hat die Rechtsmittelinstanz der Berufung gegen den erstinstanzlichen Entscheid nur in Ausnahmefällen aufschiebende Wirkung zu gewähren. Sie verfügt jedoch über einen grossen Ermessensspielraum, der es ihr erlaubt, den Umständen des konkreten Falles Rechnung zu tragen (BGE 138 III 565 E. 4.3.1 S. 566; 137 III 475 E. 4.1 S. 478).
12
2.1.2. Weder dem Gesetzestext selbst noch der Botschaft zur ZPO (Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7221 ff.) lässt sich entnehmen, ob vor der Gewährung der aufschiebenden Wirkung gemäss Art. 315 Abs. 5 ZPO der Gegenpartei zwingend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden muss.
13
2.1.3. Im gesamten Anwendungsbereich der ZPO wird jedoch das rechtliche Gehör durch Art. 53 Abs. 1 ZPO garantiert. Als Norm des Allgemeinen Teils gilt diese grundsätzlich für alle Verfahren der ZPO (vgl. Botschaft zur ZPO, BBl 2006 S. 7240). Der Normgehalt entspricht demjenigen von Art. 29 Abs. 2 BV (Urteil 4A_527/2011 vom 5. März 2012 E. 2.6, nicht publ. in: BGE 138 III 213).
14
2.1.4. Das Bundesgericht hat bereits früh bejaht, dass sich der Gehörsanspruch nicht nur auf Endentscheide, sondern auch auf grundlegende prozessleitende Verfügungen erstrecken kann, wo die Gefahr einer Beschwer der Partei besteht. Soweit keine gesetzlichen Regeln bestünden, sei dabei im Einzelfall oder für bestimmte Fallgruppen in Abwägung der dort entwickelten Gesichtspunkte zu entscheiden (ausführlich BGE 105 Ia 193 E. 2 und E. 4 S. 194 ff. mit weiteren Hinweisen).
15
2.1.5. Anders als in der ZPO wurde für den Bundeszivilprozess die Pflicht zur Gewährung des rechtlichen Gehörs vor dem Erlass vorsorglicher Verfügungen ausdrücklich gesetzlich verankert (Art. 81 Abs. 3 BZP).
16
2.2. Wie oben ausgeführt (E. 2.1.3), entspricht der Normgehalt von Art. 53 Abs. 1 ZPO demjenigen von Art. 29 Abs. 2 BV. Der in der Verfassung verankerte Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits stellt er ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheides dar, welcher in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu gehört insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines solchen Entscheides zur Sache zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 135 II 286 E. 5.1 S. 293). Vorliegend betroffen ist insbesondere das Äusserungsrecht als Teilgehalt des rechtlichen Gehörs.
17
2.3. Die Vorinstanz hat demnach das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin verletzt.
18
3. In Gutheissung der Beschwerde ist die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache zur Gehörsgewährung und neuem Entscheid an das Obergericht zurückzuweisen (Art. 107 Abs. 2 BGG). Die weiteren von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Rechtsverletzungen sind demnach nicht zu prüfen (BGE 135 I 187 E. 2.3. S. 191).
19
 
Erwägung 4
 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden Beschwerdegegner aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und er hat die Beschwerdeführerin für den im bundesgerichtlichen Verfahren angefallenen Aufwand zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG ). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren wird somit gegenstandslos.
20
Demnach erkennt das Bundesgericht:
21
 
Erwägung 1
 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 9. April 2013 aufgehoben und die Sache an das Obergericht zurückgewiesen.
22
 
Erwägung 2
 
Die Gerichtskosten für das bundesgerichtliche Verfahren von Fr. 1'500.-- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.
23
 
Erwägung 3
 
Der Beschwerdegegner hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.
24
 
Erwägung 4
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
25
Lausanne, 8. Juli 2013
26
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
27
des Schweizerischen Bundesgerichts
28
Der Präsident: von Werdt
29
Die Gerichtsschreiberin: Friedli-Bruggmann
30
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).