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Informationen zum Dokument  BGer 5A_360/2013  Materielle Begründung
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BGer 5A_360/2013 vom 25.07.2013
 
{T 0/2}
 
5A_360/2013
 
 
Urteil vom 25. Juli 2013
 
 
II. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
 
Bundesrichter Marazzi, Herrmann,
 
Gerichtsschreiberin Friedli-Bruggmann.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Tim Walker,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Obergericht Appenzell Ausserrhoden, Einzelrichter, Fünfeckpalast, 9043 Trogen,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
unentgeltliche Rechtspflege (Beistandschaft),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden, Einzelrichter, vom 11. April 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Am 15. Oktober 2012 liess X.________ durch ihren Rechtsanwalt Martin Schnyder bei den sozialen Diensten Herisau ein Akteneinsichtsgesuch einreichen.
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B.
 
Am 10. Dezember 2012 erhob X.________ hiergegen Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Appenzell Ausserrhoden. Sie beantragte in der Hauptsache, die zuständige Behörde sei anzuweisen, Rechtsanwalt Martin Schnyder sämtliche mit dessen Schreiben vom 15. Oktober 2012 beantragten Akten zuzustellen.
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C.
 
Mit handschriftlicher Eingabe vom 11. März 2012 ersuchte Rechtsanwalt Tim Walker im Namen von X.________ um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Auf die Erhebung eines Kostenvorschusses sei zu verzichten.
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D.
 
Gegen diesen Entscheid gelangt X.________ an das Bundesgericht. In der Eingabe sind sowohl sie als auch Rechtsanwalt Tim Walker als Beschwerdeführer aufgeführt. Sie beantragen, der Entscheid vom 11. April 2013 sei aufzuheben und der Beschwerdeführerin sei einschliesslich bundesgerichtlichem Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Weitere Anträge betreffen die Kosten- und Entschädigungsregelungen sowie allfällige Vernehmlassungen.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Das Bundesgericht überprüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob eine Beschwerde zulässig ist (BGE 135 III 212 E. 1 S. 216; 134 III 115 E. 1 S. 117, je mit Hinweisen).
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1.2. Wird die unentgeltliche Rechtspflege in einem selbständigen Entscheid verweigert, ist dies ein Zwischenentscheid, der einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 129 I 129 E. 1.1 S. 131). Er unterliegt dem in der Hauptsache zulässigen Rechtsmittel (BGE 137 III 261 E. 1.4 S. 264). In der Sache geht es um eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit ohne Streitwert, die in unmittelbarem Zusammenhang mit Zivilrecht steht (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG). Somit ist die Beschwerde in Zivilsachen auch gegen den vorliegenden Zwischenentscheid grundsätzlich gegeben.
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1.3. Soweit Rechtsanwalt Tim Walker im eigenen Namen Beschwerde führt, ist darauf zum Vornherein nicht einzutreten. Gemäss Rechtsprechung wird dem (unentgeltlichen) Rechtsvertreter nur die Legitimation zuerkannt, bei bewilligter unentgeltlicher Rechtspflege die Höhe der ihm selbst zugesprochenen Entschädigung anzufechten; der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege steht demgegenüber nur der vertretenen Partei zu (Urteile 5P.396/1995 vom 14. Februar 1996 E. 2b, nicht publ. in: BGE 122 I 5; 5P.462/2002 vom 30. Januar 2003 E. 1.2).
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1.4. Da vorliegend die Voraussetzungen für die Beschwerde in Zivilsachen gegeben sind, ist auf die gleichzeitig erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde nicht einzutreten (Art. 113 BGG).
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1.5. In rechtlicher Hinsicht sind bei der Beschwerde in Zivilsachen alle Rügen gemäss Art. 95 f. BGG zulässig. Das Bundesgericht wendet grundsätzlich das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), was heisst, dass es behauptete Rechtsverletzungen (Art. 42 Abs. 2 BGG) mit freier Kognition prüft. Für die ebenfalls unter Art. 95 lit. a BGG fallende Rüge, Verfassungsbestimmungen seien verletzt, gilt indes das strikte Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG). Eine Verfassungsrüge muss in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet werden. Dies bedeutet, dass anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheides klar und detailliert darzulegen ist, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (BGE 135 III 232 E. 1.2 S. 234; 134 I 83 E. 3.2 S. 88).
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Erwägung 2
 
2.1. Die Vorinstanz hat im angefochtenen Entscheid das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege abgewiesen, weil diese ihre finanziellen Verhältnisse nicht innert der ihr gesetzten Frist dargelegt und damit ihre Mitwirkungspflicht verletzt habe. Das Gericht fügte unter Hinweis auf Art. 7 des kantonalen Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege (VRPG) und Art. 66 Abs. 3 des kantonalen Einführungsgesetzes zum ZGB (EG ZGB) an, dass im Anwendungsbereich des Kindes- und Erwachsenenschutzes die Regelung über den Stillstand der Fristen nicht zur Anwendung komme.
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2.2. Die Beschwerdeführerin lässt demgegenüber ausführen, dass ihr Akteneinsichtsgesuch (in dessen Rahmen sie das vorliegend streitige Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt hat) im Hinblick auf ein hängiges Scheidungsverfahren erfolgt sei. Dieses Scheidungsverfahren sei als Hauptverfahren zu betrachten, weshalb die Vorinstanz die ZPO hätte anwenden müssen. Damit hätte gemäss Art. 145 Abs. 1 ZPO der Fristenstillstand gegolten. Wenn man den Fristenstillstand berücksichtige, ergebe sich, dass die Vorinstanz das angefochtene Urteil noch vor Ablauf der Frist erlassen habe. Entsprechend habe diese ihren Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege (Art. 29 Abs. 3 BV, Art. 117 ff. ZPO) sowie Art. 1 lit. a und lit. b i.V.m. Art. 145 Abs. 1 ZPO verletzt.
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Erwägung 3
 
3.1. Aus den Akten geht hervor, dass vor luzernischen Gerichten ein Scheidungsverfahren der Beschwerdeführerin hängig ist. Sie wird in diesem Verfahren durch Rechtsanwalt Martin Schnyder vertreten, der auch das Akteneinsichtsgesuch bei der Vormundschaftsbehörde Herisau eingereicht hatte.
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3.2. Die Beschwerdeführerin hat gerade nicht im Rahmen des Scheidungsverfahrens um Akteneinsicht ersucht (was in Form eines entsprechenden Editionsbegehrens beim für die Scheidung zuständigen Gericht möglich gewesen wäre), sondern sie liess bei der Vormundschaftsbehörde ein unabhängiges Gesuch einreichen. Der negative Entscheid vom 27. November 2012 erwähnt denn auch keinen allfälligen Zusammenhang mit einem Scheidungsverfahren.
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3.3. Das Vormundschaftsrecht ist grundsätzlich nicht der ZPO unterstellt (Botschaft zur ZPO vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7221 ff., S. 7257).
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3.4. Nachdem die Beschwerdeführerin keine Verletzung kantonalen Rechts geltend macht (Art. 106 Abs. 2 BGG), erübrigt sich diesbezüglich eine Prüfung. Die weiteren Rügen der Beschwerdeführerin (überspitzter Formalismus im Sinne von Art. 29 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Verletzung von Art. 9 BV) beruhen sämtliche auf der Annahme, dass die ZPO hätte zur Anwendung kommen müssen, womit den Vorwürfen die Grundlage entzogen und darauf nicht einzutreten ist. Den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt (inkl. den im Zusammenhang mit der Frist massgebenden Daten) beanstandet die Beschwerdeführerin im Übrigen nicht.
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Erwägung 4
 
Schliesslich beanstandet die Beschwerdeführerin, dass ihr die Vorinstanz für das Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege eine Gebühr von Fr. 200.-- auferlegt habe. Damit habe die Vorinstanz gegen Art. 119 Abs. 6 ZPO in Verbindung mit Art. 1 lit. a und b ZPO verstossen, wonach keine Gerichtskosten erhoben werden dürften.
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Erwägung 5
 
Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ihrem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren kann nicht entsprochen werden, zeigen doch die vorstehenden Erwägungen auf, dass die Beschwerde von Beginn weg keinen Erfolg haben konnte (Art. 64 Abs. 1 BGG). Entschädigungen sind keine zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1 und Abs. 3 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde in Zivilsachen wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.
 
3. Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
4. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
5. Dieses Urteil wird den Parteien schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 25. Juli 2013
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: von Werdt
 
Die Gerichtsschreiberin: Friedli-Bruggmann
 
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