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Informationen zum Dokument  BGer 6B_463/2013  Materielle Begründung
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BGer 6B_463/2013 vom 25.07.2013
 
{T 0/2}
 
6B_463/2013
 
 
Urteil vom 25. Juli 2013
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Mathys, Präsident,
 
Bundesrichter Denys,
 
nebenamtlicher Bundesrichter Rüedi,
 
Gerichtsschreiberin Andres.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Julian Burkhalter,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
1.  Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, Postfach, 4001 Basel,
 
2. Y.________,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Einfache Körperverletzung mit gefährlichem Gegenstand, Notwehr,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Ausschuss, vom 20. März 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
A. X.________ fragte auf dem abendlichen Spaziergang mit seinem Hund auf dem Kasernenareal in Basel Y.________ und seine beiden Kollegen nach Zigaretten, eventuell auch nach Drogen. Sie schickten ihn weg und beschimpften ihn. X.________ nahm gemäss der Anklageschrift sein Arbeitsmesser hervor, klappte zwei Klingen aus und wetzte diese an der Stange eines Basketballkorbs. Y.________ drohte ihm Faustschläge und Fusstritte an. Dieser fügte Y.________ daraufhin am Gesäss eine Stichwunde von 2 cm Breite und 3 cm Tiefe zu und rannte weg. Die Jugendlichen verfolgten ihn bis zu einem Restaurant, wo er sich bis zum Eintreffen der Polizei aufhielt.
1
B. Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt verurteilte X.________ zweitinstanzlich wegen einfacher Körperverletzung mit einem gefährlichen Gegenstand zueiner bedingten Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu Fr. 10.-- sowie zur Leistung einer Genugtuung von Fr. 300.-- an Y.________. Dessen Schadenersatzforderung hiess es dem Grundsatz nach gut und verwies ihn zur Bestimmung der Höhe auf den Zivilweg.
2
C. X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben. Er sei unter Kosten- und Entschädigungsfolge freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
3
 
Erwägungen:
 
1. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung von Art. 339 i.V.m. Art. 405 Abs. 1 StPO geltend. An der Berufungsverhandlung sei die Zusammensetzung des Gerichts nicht bekannt gegeben worden. Neben den im Urteil aufgeführten Personen seien zwei Damen auf der Richterbank gesessen, deren Identität unklar geblieben sei. Indem das Gericht seine Zusammensetzung nicht bekannt gegeben habe, habe es gegen Art. 30 Abs. 1 BV, den Anspruch auf rechtliches Gehör und Art. 335 Abs. 1 StPO verstossen. Zudem habe er keine Vorfragen aufwerfen können. Vielmehr sei das Gericht direkt zur Befragung des Beschwerdeführers geschritten. Gemäss Art. 339 Abs. 3 StPO hätte die Vorinstanz unverzüglich über seine Beweisanträge sowie seinen Antrag auf Ausschluss des Privatklägers befinden müssen.
4
1.1. Die mündliche Berufungsverhandlung richtet sich nach den Bestimmungen über die erstinstanzliche Hauptverhandlung (Art. 405 Abs. 1 StPO). Die Verfahrensleitung eröffnet die Hauptverhandlung, gibt die Zusammensetzung des Gerichts bekannt und stellt die Anwesenheit der vorgeladenen Personen fest (Art. 339 Abs. 1 StPO). Anschliessend können das Gericht und die Parteien Vorfragen aufwerfen (Abs. 2). Das Gericht entscheidet unverzüglich über die Vorfragen, nachdem es den anwesenden Parteien das rechtliche Gehör gewährt hat (Abs. 3).
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1.2. Gemäss Protokoll der Berufungsverhandlung vom 20. März 2012 (recte: 2013) wurde der Beschwerdeführer befragt, ohne dass zuvor die Zusammensetzung des Gerichts bekannt gegeben worden war (vorinstanzliche Akten, act. 362 ff.). Die Tonaufzeichnung setzt mitten in der Befragung des Beschwerdeführers ein, weshalb ihr nicht entnommen werden kann, ob die Verfahrensleitung zuvor die Zusammensetzung des Gerichts mitteilte (a.a.O., act. 369). Auch in der Vorladung findet sich kein entsprechender Hinweis (a.a.O., act. 357). Es ist davon auszugehen, dass die Verfahrensleitung die Zusammensetzung des Gerichts nicht bekannt gab.
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1.3. Der Beschwerdeführer beantragte in seiner Berufungserklärung die Befragung einer Auskunftsperson (vorinstanzliche Akten, act. 331). Mit der Vorladung zur Hauptverhandlung wurde dieser Antrag abgewiesen (a.a.O., act. 357).
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1.4. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz hätte unverzüglich über seine Beweisanträge befinden müssen. Gemäss Art. 339 Abs. 2 lit. d StPO können die erhobenen Beweise Gegenstand der Vorfragen sein. Dabei geht es um eine formelle Prüfung (Niklaus Schmid, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2009, N. 7 zu Art. 339 StPO; Thomas Fingerhuth, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2010, N. 14 zu Art. 339 StPO), wobei in diesem Verfahrensstadium über die Frage der Gültigkeit von Beweisen nicht endgültig zu entscheiden ist (Niklaus Schmid, a.a.O., N. 8 zu Art. 339 StPO). Auch ergibt sich aus Art. 339 Abs. 3 StPO nicht, dass über die Zulassung neuer Beweisanträge unverzüglich zu befinden ist. Die Rüge ist unbegründet.
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1.5. Der Beschwerdeführer bringt vor, der Beschwerdegegner habe sich zu spät als Privatkläger konstituiert.
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2. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Abweisung seiner Beweisanträge und rügt eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs, der Unschuldsvermutung sowie der Art. 139 und 343 StPO.
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2.1. Nach den aus Art. 29 Abs. 2 BV fliessenden Verfahrensgarantien sind alle Beweise abzunehmen, die sich auf Tatsachen beziehen, die für die Entscheidung erheblich sind (BGE 127 I 54 E. 2b S. 56). Das hindert das Gericht aber nicht, einen Beweisantrag abzulehnen, wenn es in willkürfreier Würdigung der bereits abgenommenen Beweise zur Überzeugung gelangt, der rechtlich erhebliche Sachverhalt sei genügend abgeklärt, und es überdies in willkürfreier antizipierter Würdigung der zusätzlich beantragten Beweise annehmen kann, seine Überzeugung werde auch durch diese nicht mehr geändert (vgl. BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236 f.; 134 I 140 E. 5.3 S. 148; je mit Hinweisen).
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2.2. Die Vorinstanz erwägt, die beantragte Auskunftsperson sei zur Tatzeit nicht am Tatort gewesen und könne daher keine sachdienlichen Angaben machen. Eine weitere Einvernahme des Beschwerdegegners und seiner zwei Kollegen erübrige sich, weil sie bereits dreimal befragt und in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung mit dem Beschwerdeführer konfrontiert worden seien (Urteil S. 4 f.).
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3. Der Beschwerdeführer beanstandet die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung. "In dubio pro reo" (Art. 10 StPO, Art. 6 Ziff. 2 EMRK) sei von seinen Aussagen auszugehen, wonach es nie zu einem Schleifvorgang an der Basketballstange gekommen sei.
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4. Der Beschwerdeführer macht geltend, der Messerstich, den er dem Beschwerdegegner beigebracht habe, sei als angemessene Notwehrhandlung im Sinne von Art. 15 StGB zu werten, weshalb er freizusprechen sei. Falls von einer Überschreitung der Grenzen der Notwehr ausgegangen werde, sei Art. 16 Abs. 2 StGB anzuwenden.
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4.1. Wird jemand ohne Recht angegriffen oder unmittelbar mit einem Angriff bedroht, so ist der Angegriffene und jeder andere berechtigt, den Angriff in einer den Umständen angemessenen Weise abzuwehren (Art. 15 StGB).
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4.2. Umstritten ist einzig die Angemessenheit der Abwehr. Der Beschwerdeführer provozierte den Beschwerdegegner mit dem Wetzen des Messers, weshalb das Mass der zulässigen Abwehr einzuschränken ist (vgl. BGE 104 IV 53 E. 2 S. 56 f.; 102 IV 228 E. 2 S. 230). Er verletzte den Beschwerdegegner mit dem Messer am Gesäss, nachdem dieser ihm Faustschläge und Fusstritte angedroht hatte. Während der Beschwerdegegner das Rechtsgut der körperlichen Integrität lediglich bedrohte, verletzte der Beschwerdeführer dieses Rechtsgut. Der Einsatz des Messers war daher unangemessen.
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5. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Ausschuss, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 25. Juli 2013
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Mathys
 
Die Gerichtsschreiberin: Andres
 
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