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Informationen zum Dokument  BGer 4A_306/2013  Materielle Begründung
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BGer 4A_306/2013 vom 31.07.2013
 
{T 0/2}
 
4A_306/2013
 
 
Urteil vom 31. Juli 2013
 
 
I. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
 
Bundesrichter Corboz, Kolly,
 
Bundesrichterinnen Kiss, Niquille,
 
Gerichtsschreiber Widmer.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Reto Fischer,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
B.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dominik Schorno,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Aberkennung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, III. Zivilkammer, vom 7. Mai 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Mit Entscheid vom 16. November 2010 erteilte der Einzelrichter des Kreisgerichts Werdenberg-Sarganserland B.________ (Beschwerdegegner) in der von diesem gegen A.________ (Beschwerdeführer) angehobenen Betreibung Nr. xxx des Betreibungsamtes M.________ auf Verwertung eines Grundpfandes für Fr. 127'274.30 nebst Zins und Betreibungskosten provisorische Rechtsöffnung.
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B. Am 29. Dezember 2010 reichte der Beschwerdeführer beim Vermittleramt Werdenberg eine Aberkennungsklage ein, mit der er die Feststellung des Nichtbestands der Forderung und des Grundpfandrechts verlangte.
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C. Der Beschwerdeführer beantragt mit Beschwerde in Zivilsachen, den Entscheid des Kantonsgerichts vom 7. Mai 2013 ausser in einem hier nicht interessierenden Entscheidpunkt aufzuheben. Auf die Aberkennungsklage sei einzutreten und die Sache daher zur materiellen Behandlung (Berufung und Anschlussberufung) an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei die Aberkennungsklage als negative Feststellungsklage gemäss Art. 85a SchKG entgegenzunehmen und die Sache daher zur materiellen Behandlung (Berufung und Anschlussberufung) an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Erwägungen:
 
1. Mit dem heutigen Entscheid in der Sache wird das Gesuch des Beschwerdeführers, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu erteilen, gegenstandslos.
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2. Zu prüfen ist, ob die Aberkennungsklage innert der Frist von Art. 83 Abs. 2 SchKG eingereicht wurde.
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2.1. Nach Art. 83 Abs. 2 SchKG kann der Betriebene innert 20 Tagen nach der Rechtsöffnung auf dem Weg des ordentlichen Prozesses beim Gericht des Betreibungsortes auf Aberkennung der Forderung klagen.
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2.2. Nach Art. 404 Abs. 1 ZPO gilt für Verfahren, die bei Inkrafttreten der ZPO rechtshängig sind, das bisherige Verfahrensrecht bis zum Abschluss vor der betroffenen Instanz. Auslegungsbedürftig ist, was unter " 
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3. Für den Fall, dass der Vorinstanz gefolgt würde, bringt der Beschwerdeführer vor, es wäre überspitzter Formalismus, wenn der ausdrücklich angebrachtermassen wegen Unzuständigkeit erklärte Rückzug des richtig eingereichten Vermittlungsbegehrens zum Rechtsverlust führen würde. Es läge eine unbillige Härte vor, die jeder vernünftigen Interessenabwägung widersprechen würde. Zudem wäre zu berücksichtigen, dass nach Konsultation des erwähnten ZPO-Kommentars von Sutter-Somm/Seiler und Sutter-Somm/Hedinger sowie des kantonsgerichtlichen Handbuchs für das Verfahren vor den Schlichtungsbehörden der angebrachtermassen erklärte Rückzug des Vermittlungsbegehrens in einem offensichtlichen Rechtsirrtum erfolgt sei. Das kantonsgerichtliche Handbuch halte auf S. 94 klar fest, dass "die vor den Schlichtungsbehörden per 1. Januar 2011 pendenten Verfahren noch nicht anhängig" seien und dass "die Rechtshängigkeit mit dem Inkrafttreten der neuen ZPO eintritt". Dann aber sei die ZPO anwendbar. Nach Treu und Glauben wäre das Kantonsgericht, das diesen Leitfaden verfasst habe, verpflichtet gewesen, dem offensichtlichen Rechtsirrtum Beachtung zu schenken und die Voraussetzungen gemäss Art. 33 Abs. 4 SchKG für eine Wiederherstellung der Frist als erfüllt zu betrachten.
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3.1. Überspitzter Formalismus als besondere Form der Rechtsverweigerung ist gegeben, wenn für ein Verfahren rigorose Formvorschriften aufgestellt werden, ohne dass die Strenge sachlich gerechtfertigt wäre, wenn die Behörde formelle Vorschriften mit übertriebener Schärfe handhabt oder an Rechtsschriften überspannte Anforderungen stellt und damit dem Bürger den Rechtsweg in unzulässiger Weise versperrt (BGE 135 I 6 E. 2.1 mit Hinweisen).
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3.2. Ob die Vorinstanz nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen wäre, den behaupteten Rechtsirrtum zu berücksichtigen, entscheidet sich danach, ob sie zuvor eine die konkrete Angelegenheit betreffende Vertrauensgrundlage geschaffen hat, auf die sich der Beschwerdeführer berechtigterweise verlassen durfte (vgl. BGE 137 II 182 E. 3.6.2; 131 II 627 E. 6.1 S. 636 f.; 130 I 26 E. 8.1 S. 60; 129 I 161 E. 4.1 S. 170). In der Beschwerde beruft er sich auf das Handbuch des Kantonsgerichts St. Gallen für das Verfahren vor den Schlichtungsbehörden, Ausgabe Dezember 2010. Darin wird auf S. 94 zum Übergangsrecht ausgeführt, dass die vor den Schlichtungsbehörden per 1. Januar 2011 pendenten Verfahren noch nicht anhängig seien, weil nach bisherigem kantonalem Zivilprozessrecht die Rechtshängigkeit erst durch Einreichung der Klage beim Gericht eintrete. Diese Verfahren seien nicht nach bisherigem Recht weiterzuführen; vielmehr komme per 1. Januar 2011 die neue ZPO zur Anwendung. Dies bedeute, dass die Rechtshängigkeit mit dem Inkrafttreten der neuen ZPO eintrete und Verhandlungen nach dem 1. Januar 2011 nach neuem Recht zu erfolgen hätten. Auch wenn die in diesen Richtlinien vertretene Auffassung, die vor den Schlichtungsbehörden per 1. Januar 2011 pendenten Verfahren seien nach neuem Recht weiterzuführen, nicht zutreffend ist (vgl. Erwägung 1.2), geht daraus nicht hervor, dass die Schlichtungsbehörden in Angelegenheiten, in denen nach Art. 198 ZPO ein Schlichtungsverfahren entfällt, sachlich nicht mehr zuständig wären, wenn sie vor Inkrafttreten der ZPO angerufen worden waren, und dass den Anwälten in einer solchen Konstellation ein Rückzug des Schlichtungsbegehrens empfohlen worden wäre. Der Beschwerdeführer kann mithin sein von ihm gewähltes Vorgehen (Rückzug der Klage angebrachtermassen) nicht auf die genannten Richtlinien abstützen. Abgesehen davon legt er nicht dar, dass er sich damals am 5. Januar 2011, als er sich zum Rückzug entschloss, effektiv von diesem Handbuch hatte leiten lassen. Er belegt auch nicht mit Aktenhinweisen, solches im kantonalen Verfahren behauptet zu haben. Damit scheiden die genannten Richtlinien als Vertrauensgrundlage aus, zumal sie sich nicht auf die konkrete Angelegenheit des Beschwerdeführers beziehen.
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3.3. Schliesslich ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer nicht darlegt, im kantonalen Verfahren eine Wiederherstellung der Frist gemäss Art. 33 Abs. 4 SchKG verlangt zu haben. Der Vorwurf, die Vorinstanz hätte die dafür geltenden Voraussetzungen bejahen müssen, geht daher ins Leere.
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4. Die Vorinstanz prüfte, ob die Eingabe vom 25. Januar 2011, wie der Beschwerdeführer erstmals in seiner Berufungsantwort eventualiter geltend gemacht hatte, "wenigstens in Bezug auf die strittige Forderung" als negative Feststellungsklage im Sinne von Art. 85a SchKG entgegen zu nehmen sei.
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4.1. Sie verneinte dies mit einer doppelten Begründung, die jede für sich den Nichteintretensentscheid selbständig zu stützen vermag:
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4.2. Beruht der angefochtene Entscheid auf mehreren selbständigen Begründungen, die je für sich den Ausgang des Rechtsstreits besiegeln, so hat der Beschwerdeführer darzulegen, dass jede von ihnen Recht verletzt; andernfalls kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden (BGE 133 IV 119 E. 6.3 S. 120 f.).
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4.3. Der Beschwerdeführer wendet sich einzig gegen die Hauptbegründung der Vorinstanz. Indem er den Erwägungen der Vorinstanz lediglich den Hinweis auf eine Kommentarstelle, wonach jede zu spät eingereichte Aberkennungsklage als negative Feststellungsklage nach Art. 85a SchKG entgegen zu nehmen sei, gegenüberstellt und sich erneut auf eine unbillige Härte beruft, präsentiert er schon diesbezüglich keine rechtsgenügende Begründung seiner Beschwerde; es fehlt jegliche Auseinandersetzung mit den eingehenden Erwägungen der Vorinstanz (vgl. BGE 134 II 244 E. 2.1). Sodann lässt er die selbständig tragende Eventualbegründung der Vorinstanz gänzlich unangefochten. Bezüglich der Entgegennahme der Eingabe vom 25. Januar 2011 als negative Feststellungsklage nach Art. 85a SchKG kann daher auf die Beschwerde nicht eingetreten werden, so dass nicht zu prüfen ist, ob die Begründungen der Vorinstanz vor Bundesrecht standhalten.
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5. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Dem Beschwerdeführer wird für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt und es wird ihm Rechtsanwalt Reto Fischer als Rechtsvertreter beigegeben.
 
3. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
4. Rechtsanwalt Reto Fischer wird aus der Bundesgerichtskasse ein Honorar von Fr. 2'500.-- ausgerichtet.
 
5. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, III. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 31. Juli 2013
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Klett
 
Der Gerichtsschreiber: Widmer
 
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