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Informationen zum Dokument  BGer 1B_157/2013  Materielle Begründung
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BGer 1B_157/2013 vom 29.08.2013
 
{T 0/2}
 
1B_157/2013
 
 
Urteil vom 29. August 2013
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Aemisegger, Karlen, Eusebio, Chaix,
 
Gerichtsschreiber Störi.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Stiftung Sicherheitsfonds BVG, Geschäftsstelle, Postfach 1023, 3000 Bern 14,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
X.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecher Marc Wollmann,
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Region Berner Jura-Seeland, Ländtestrasse 20, Postfach 1180, 2501 Biel/Bienne,
 
Wirtschaftsstrafgericht des Kantons Bern, Speichergasse 8, 3011 Bern,
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern.
 
Gegenstand
 
Strafverfahren; Parteistellung,
 
Beschwerde gegen den Beschluss vom 19. März 2013 des Obergerichts des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen.
 
 
Sachverhalt:
 
A. X.________ veranlasste als Einzelzeichnungsberechtigter der Y.________ Vorsorgestiftung und als Verwaltungsratspräsident der Z.________ AG, dass Erstere der sich in geschäftlichen Schwierigkeiten befindlichen Letzteren ein de facto ungesichertes Darlehen von 1 Mio. Franken zukommen liess. Die Z.________ AG fiel am 2. September 2003 in Konkurs. Die Y.________ Vorsorgestiftung konnte die Darlehensforderung nicht mehr eintreiben, wurde zahlungsunfähig und am 23. September 2004 vom Amt für Sozialversicherung und der Stiftungsaufsicht des Kantons Bern in Liquidation gesetzt.
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B. Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt die Stiftung Sicherheitsfonds BVG, diesen Beschluss des Obergerichts aufzuheben, sie als Privatklägerin zum Strafverfahren zuzulassen und die Sache zur Beurteilung der Zivilklage ans Wirtschaftsstrafgericht zurückzuweisen.
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C. Das Kantonale Wirtschaftsstrafgericht verzichtet auf Vernehmlassung. X.________ beantragt, die Beschwerde abzuweisen und verzichtet auf eine ausführliche Stellungnahme. Der stellvertretende Generalstaatsanwalt verzichtet auf Vernehmlassung.
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Erwägungen:
 
1. Der angefochtene Entscheid bestätigt den Ausschluss der Beschwerdeführerin als Privatklägerin vom Strafverfahren. Er schliesst damit das Verfahren für sie ab. Es handelt sich um den Endentscheid einer letzten kantonalen Instanz in einer Strafsache, gegen den die Beschwerde in Strafsachen zulässig ist (Art. 78 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1, Art. 90 BGG). Die Beschwerdeführerin ist somit zur Beschwerde befugt, wenn sie sich als Privatklägerin am kantonalen Verfahren beteiligt oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat und sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung allfälliger Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. a und lit. b Ziff. 5 BGG).
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1.1. Der Beschwerdegegner hat der Y.________ Vorsorgestiftung nach der Überzeugung des Wirtschaftsstrafgerichts in strafbarer bzw. vertragswidriger Weise 1 Mio. Franken entzogen, womit eine Letzterer zustehende, zivilrechtliche Schadenersatzforderung entstanden ist (Art. 52 Abs. 1 BVG; ISABELLE VETTER-SCHREIBER, Kommentar BVG/FZG, Zürich, 3. A. 2013, N. 1 zu Art. 52). Die Beschwerdeführerin hat gestützt auf Art. 56 Abs. 1 lit. b BVG die offen gebliebenen Leistungen der Y.________ Vorsorgestiftung in Liquidation übernommen und ist nach Art. 56a Abs. 1 BVG in diesem Umfang in deren Ansprüche eingetreten. Sowohl die Leistungspflicht der Beschwerdeführerin als auch die gesetzliche Subrogation haben somit ihre Grundlage im öffentlichen Recht; das ändert aber nichts daran, dass es sich bei der Forderung der Y.________ Vorsorgestiftung in Liquidation gegen den Beschwerdegegner, in die sie im Umfang ihrer Insolvenzleistungen eingetreten ist, um eine zivilrechtliche Forderung handelt. Der Ausgang des Strafverfahrens gegen den Beschwerdegegner kann sich somit im Sinn von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG auf die Beurteilung der Zivilansprüche der Beschwerdeführerin auswirken.
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1.2. Als Rechtsnachfolgerin der unmittelbar geschädigten Y.________ Vorsorgestiftung ist die Beschwerdeführerin zwar nur mittelbar geschädigt, was zur Begründung der Befugnis zur Geltendmachung von Zivilforderungen im Strafverfahren grundsätzlich nicht ausreicht (Art. 115 Abs. 1 StPO; MAZZUCCHELLI/POSTIZZI in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 26 zu Art. 115; VIKTOR LIEBER in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2010, N. 9 zu Art. 121). Als gesetzliche Rechtsnachfolgerin ist die Beschwerdeführerin dagegen kraft der besonderen Bestimmung von Art. 121 Abs. 2 StPO zur Teilnahme am Strafverfahren befugt, wobei ihr nur jene Verfahrensrechte zustehen, die sich unmittelbar auf die Durchsetzung der Zivilklage beziehen. Die Beschwerdeführerin hätte somit im Strafverfahren als Zivilklägerin zugelassen werden müssen. Sie ist damit befugt, sich gegen ihren Ausschluss vom Strafverfahren vor Bundesgericht zur Wehr zu setzen (Art. 81 Abs. 1 lit. a BGG).
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1.3. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, womit auf die Beschwerde einzutreten ist.
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2. Mit der Beantwortung dieser Eintretensfrage ist zugleich auch der dem Bundesgericht unterbreitete Rechtsstreit materiell entschieden: Das Obergericht hat Bundesrecht verletzt, indem es den vom Wirtschaftsstrafgericht vorgenommenen Ausschluss der Beschwerdeführerin als Zivilklägerin vom Strafverfahren schützte.
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3. Damit ist die Beschwerde gutzuheissen, der angefochtene Entscheid des Obergerichts sowie der Beschluss des Wirtschaftsstrafgerichts betreffend den Ausschluss der Beschwerdeführerin vom Strafverfahren werden aufgehoben und das Wirtschaftsstrafgericht im Sinne der Erwägungen angewiesen, die Zivilklage der Beschwerdeführerin adhäsionsweise zu beurteilen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdegegner die Kosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung steht der nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin dagegen praxisgemäss nicht zu.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern vom 19. März 2013 sowie der Beschluss des Wirtschaftsstrafgerichts des Kantons Bern vom 8. Januar 2013 betreffend den Ausschluss der Beschwerdeführerin vom Strafverfahren werden aufgehoben und das Wirtschaftsstrafgericht wird angewiesen, die Zivilklage der Beschwerdeführerin im Sinne der Erwägungen adhäsionsweise zu beurteilen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, dem Wirtschaftsstrafgericht des Kantons Bern, der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern und dem Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 29. August 2013
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Der Gerichtsschreiber: Störi
 
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