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Informationen zum Dokument  BGer 6B_357/2013  Materielle Begründung
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BGer 6B_357/2013 vom 29.08.2013
 
{T 0/2}
 
6B_357/2013
 
 
Urteil vom 29. August 2013
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Mathys, Präsident,
 
Bundesrichter Schneider, Denys,
 
Gerichtsschreiberin Andres.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Hans Ludwig Müller,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Misswirtschaft usw.; Willkür, rechtliches Gehör,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 4. Februar 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Art. 325 Abs. 1 StPO listet abschliessend die Bestandteile der Anklageschrift auf (Niklaus Schmid, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2009, N. 1 zu Art. 325 StPO). Diese bezeichnet unter anderem "möglichst kurz, aber genau" die der beschuldigten Person vorgeworfenen Taten mit Beschreibung von Ort, Datum, Zeit, Art und Folgen der Tatausführung (lit. f) und die nach Auffassung der Staatsanwaltschaft erfüllten Straftatbestände unter Angabe der anwendbaren Gesetzesbestimmungen (lit. g). Das Gebot, sich möglichst kurz zu halten, dient vor allem dem Gebot der Waffengleichheit. Die beschuldigte Person kann im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft vor Beginn des Hauptverfahrens ihre Sicht der Dinge nicht darlegen (Niggli/Heimgartner, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 43 zu Art. 9 StPO; Christian Josi, "Kurz und klar, träf und wahr" - die Ausgestaltung des Anklageprinzips in der Schweizerischen Strafprozessordnung, ZStrR 1/2009 S. 73 ff., S.81 f.).
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1.2. In den Vorbemerkungen wird unter anderem ausgeführt, wann die Bar eröffnet, die A.Z.________ GmbH gegründet und der Konkurs über sie eröffnet wurden. Ebenfalls umschrieben wird, dass die Beschwerdeführerin als Geschäftsführerin der A.Z.________ GmbH die Bar führte und diverse Verbindlichkeiten für sie einging. Der Zweck der Bar habe in der Betreuung und Bewirtung von Gästen an den Bars, der Lounge und im Gartenrestaurant bestanden.
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1.3. In der Anklageschrift wird die A.Z.________ GmbH als "Firma Bar A.Z.________ GmbH", "Firma A.Z.________ GmbH", "Bar A.Z.________ GmbH", "A.Z.________ GmbH", "A.________ GmbH" oder schlicht "GmbH" bezeichnet. Die Staatsanwaltschaft hat keinen einheitlichen Begriff verwendet. Die Beschwerdeführerin erfährt dadurch jedoch keinen Nachteil. Es ergibt sich aus dem Kontext, dass es um die A.Z.________ GmbH geht. Auch wird die Gesellschaft durch die missverständliche Bezeichnung nicht fälschlicherweise in einen engen Zusammenhang zur Bar gesetzt, da sich dieser bereits aus dem Zweck der Gesellschaft ergibt.
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1.4. Die Beschwerdeführerin rügte bereits vor dem Bezirksgericht Meilen sinngemäss, die Falschbezeichnung der Gesellschaft verletze den Grundsatz der Waffengleichheit (kantonale Akten, act. 100 S. 4 f.). Demnach musste sich die Vorinstanz nicht mehr ausführlich mit der Rüge auseinandersetzen und durfte ohne eine Gehörsverletzung zu begehen auf die Erwägungen der ersten Instanz verweisen. Auch den Einwand, die Vorbemerkungen seien als reiner Tatsachenbericht formuliert, brauchte sie nicht zu erörtern. Art. 29 Abs. 2 BV verlangt nicht, dass sich die Begründung mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen widerlegt. Sie muss kurz die wesentlichen Überlegungen nennen, von denen sich das Gericht hat leiten lassen und auf die es seinen Entscheid stützt (vgl. BGE 138 IV 81 E. 2.2 S. 84 mit Hinweis). Durch den Hinweis auf die erstinstanzliche Begründung genügt die Vorinstanz diesen Anforderungen.
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1.5. Durch die Vorbemerkungen in der Anklageschrift wurde die Beschwerdeführerin nicht benachteiligt. Das Gebot der Waffengleichheit ist nicht verletzt.
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Erwägung 2
 
2.1. Im Anklagepunkt 3 wirft die Staatsanwaltschaft der Beschwerdeführerin unter dem Titel "Veruntreuung" vor, veranlasst zu haben, dass "sämtliches Mobiliar (Bars/Theken, Kücheneinrichtungsgegenstände) und sämtliche Lebensmittel", welche einzeln aufgezählt werden, aus dem Barlokal abtransportiert wurden. Sie habe in Kauf genommen, dass "diese Waren zumindest teilweise im Eigentum der A.Z.________ GmbH standen". Sie sei nicht im Stande gewesen, die Eigentumsverhältnisse für jeden Gegenstand in Erfahrung zu bringen.
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2.2. Aufgrund des Wortlauts der erstgenannten Sachverhaltsumschreibung verletzt die Vorinstanz weder das Willkürverbot noch das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin, wenn sie ausführt, die Staatsanwaltschaft werfe ihr die Veruntreuung aller Gegenstände vor (Urteil S. 8; erstinstanzliches Urteil S. 13 f.). Der Satz, "mangels fehlenden rudimentären Aufstellungen der Ein- und Ausnahmen (recte: Einnahmen und Ausgaben) oder einer Inventarliste war es ihr nicht möglich, die Eigentumsverhältnisse für jeden Gegenstand in Erfahrung zu bringen", enthält den Vorwurf, der (Eventual-) Vorsatz der Beschwerdeführerin habe sich auf alle Gegenstände bezogen. Ob diese tatsächlich der Gesellschaft gehörten und ob die Beschwerdeführerin dies gewusst bzw. in Kauf genommen hatte, musste das Gericht beurteilen. Es ist nicht zu beanstanden, wenn es nach der Beweiswürdigung davon ausging, dass nur die Getränke der Gesellschaft gehörten (Urteil S. 21; erstinstanzliches Urteil S. 35 f.; Beschwerde S. 16).
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Erwägung 3
 
3.1. Stellt ein Antragsberechtigter gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag, so sind alle Beteiligten zu verfolgen (Art. 32 StGB). Mit dem in Art. 32 StGB bzw. aArt. 30 StGB statuierten Grundsatz der Unteilbarkeit des Strafantrags soll verhindert werden, dass der Verletzte nach seinem Belieben nur einen einzelnen am Antragsdelikt Beteiligten herausgreift und unter Ausschluss der anderen bestrafen lässt (BGE 132 IV 97 E. 3.3.1 S. 99; 121 IV 150 E. 3a/aa S. 152; je mit Hinweisen).
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3.2. Die Vorinstanz stellt fest, der Geschädigte habe Strafanzeige wegen Verfügung über mit Beschlag belegte Vermögenswerte sowie Sachbeschädigung erstattet und Strafantrag gegen "die mutmasslichen Täter X.________ und Y.________" gestellt. Der Strafantrag sei so formuliert, dass "gegen die Täterschaft Strafuntersuchung (...) wegen Sachbeschädigung (...) zu eröffnen und durchzuführen sei". Die Beschwerdeführerin und ihre Mutter würden als mutmassliche Täterinnen namentlich erwähnt, aus dem Antrag gehe jedoch nicht hervor, dass der Geschädigte die Strafverfolgung auf die zwei genannten Personen habe beschränken wollen. Dass der Verteidiger des Geschädigten die Aussage des Ehemannes der Beschwerdeführerin gekannt habe, lasse nicht darauf schliessen, dass dieser bewusst aus dem Strafverfahren ausgeschlossen worden sei (Urteil S. 8; erstinstanzliches Urteil S. 16).
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3.3. Die Beschwerdeführerin begründet nicht, inwiefern die Vorinstanz Bundesrecht verletzt, wenn sie gestützt auf den willkürfrei festgestellten Sachverhalt zum Schluss kommt, der Geschädigte habe den Strafantrag nicht auf die Beschwerdeführerin und ihre Mutter beschränken wollen. Auf die Rüge ist mangels genügender Begründung nicht einzutreten (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 136 I 65 E. 1.3.1 S. 68). Da der Strafantrag vorbehaltslos gestellt wurde, waren die Strafbehörden nicht verpflichtet, den Geschädigten über die Unteilbarkeit des Strafantrags zu belehren. Das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin ist nicht verletzt.
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Erwägung 4
 
4.1. Sie rügt vorab ihre Feststellungen, die Bar namens A.________ in B.________ habe der "A.Z.________ GmbH" gehört, die Beschwerdeführerin habe dies gewusst und sie habe für die Gesellschaft gearbeitet. Indem die Vorinstanz von der Beschwerdeführerin ein grösseres Differenzierungsvermögen verlange als von der Staatsanwaltschaft, verstosse sie gegen die Grundsätze von Treu und Glauben, des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens (Art. 9 und 29 Abs. 2 BV sowie Art. 6 EMRK).
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4.2. Die Beschwerdeführerin beanstandet die vorinstanzliche Beweiswürdigung als willkürlich, wonach sie Getränke der A.Z.________ GmbH habe wegschaffen lassen. Nach dem erstinstanzlichen Gericht habe ein Freund der Beschwerdeführerin dem "A.________" und nicht der GmbH Getränke zur Verfügung gestellt.
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Erwägung 5
 
 
Erwägung 6
 
6.1. Die Vorinstanz erachtet den eingeklagten Sachverhalt als erstellt (Urteil S. 32 f.; erstinstanzliches Urteil S. 49 f.). Danach suchte die Beschwerdeführerin den Betreibungsbeamten auf. Während der Unterhaltung beschimpfte sie ihn und warf einen Kugelschreiber samt Sockel in Form einer massiven Metallkugel sowie einen Blumentopf in seine Richtung. Der Betreibungsbeamte blieb unverletzt, weil die Geschosse kurz vor ihm auf der Tastatur bzw. dem Telefongerät landeten.
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6.2. Gemäss Art. 285 Ziff. 1 StGB wird bestraft, wer eine Behörde, ein Mitglied einer Behörde oder einen Beamten durch Gewalt oder Drohung an einer Handlung, die innerhalb ihrer Amtsbefugnisse liegt, hindert, zu einer Amtshandlung nötigt oder während einer Amtshandlung tätlich angreift. Die Tatbestandsvariante des tätlichen Angriffs besteht in einer unmittelbaren, auf den Körper zielenden Aggression. Die Tätlichkeit muss von einer gewissen Intensität sein. Ein tätlicher Angriff liegt auch vor, wenn der Beamte ausweicht, mithin wenn lediglich ein Versuch einer Tätlichke it im Sinne von Art. 126 StGB vorliegt. Dass körperliche Auswirkungen unterbleiben, ist unerheblich (Stefan Heimgartner, in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 3. Aufl. 2013, N. 15 zu Art. 285 StGB; Donatsch/Wohlers, Strafrecht IV, Delikte gegen die Allgemeinheit, 4. Aufl. 2011, § 93 S. 390).
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6.3. Obwohl die Gegenstände den Beamten nicht getroffen haben, ist die Handlung der Beschwerdeführerin zumindest als versuchter tätlicher Angriff zu qualifizieren. Nachdem die Beschwerdeführerin die Gegenstände in Richtung des Betreibungsbeamten geworfen hatte, hing es ausschliesslich vom Zufall ab, ob sie diesen auch treffen würden.
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Erwägung 7
 
 
Erwägung 8
 
 
Erwägung 9
 
9.1. Sie rügt, die Vorinstanz verfalle in Willkür und verletze das rechtliche Gehör, wenn sie bezüglich der Anklagepunkte "Misswirtschaft/Unterlassung der Buchführung" von einem Fr. 100'000.-- übersteigenden Schaden ausgehe. Die Schulden hätten ca. Fr. 57'000.-- betragen. Der Konkursverlustschein über Fr. 93'274.20 betreffe die ausstehenden Mietzinsen der Lokalitäten in Zürich. Relevant seien für die vorgenannten Anklagepunkte nur die Schulden, die mit der Bar in B.________ zusammenhingen.
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9.1.1. Angesichts des Beitreibungsregisterauszugs und in Berücksichtigung, dass der Mietzins des Barbetriebs während eines Jahres nicht bezahlt wurde, geht die Vorinstanz von einem Fr. 100'000.-- übersteigenden Schaden aus. Aus dem Betreibungsregisterauszug ergebe sich eine Schadenssumme von Fr. 56'998.40. Hinzu komme ein Verlustschein über Fr. 93'274.20 für ausstehende Mietzinse. Selbst wenn ein Teil der ausstehenden Mietzinse durch das Depot in der Höhe von Fr. 40'000.-- gedeckt sein sollte, wie dies die Beschwerdeführerin unsubstanziiert behaupte, übersteige der Schaden Fr. 100'000.-- (Urteil S. 36).
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9.1.2. Der Beschwerdeführerin ist zuzustimmen, dass für die Strafzumessung bezüglich der Schuldsprüche wegen Misswirtschaft und Unterlassung der Buchführung nur Schulden wesentlich sind, die im Zusammenhang mit der Bar A.Z.________ bzw. der A.Z.________ GmbH entstanden. Es kann jedoch offenbleiben, ob der von der Vorinstanz berücksichtigte Verlustschein ausstehende Mietzinse der Räumlichkeiten in Zürich betrifft.
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9.1.3. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs genügt den Begründungsanforderungen nicht. Darauf ist nicht einzutreten.
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9.2. Die Beschwerdeführerin wendet ein, die hypothetischen Einsatzstrafen für den Verstrickungsbruch (Art. 169 StGB) und die Sachbeschädigung (Art. 144 StGB) seien zu hoch. Die Vorinstanz verletze Art. 47 StGB und Art. 9 BV, wenn sie straferhöhend berücksichtige, dass die Beschwerdeführerin während hängigem Verfahren weiter delinquiert habe.
20
 
Erwägung 10
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. 
 
2. 
 
3. 
 
4. 
 
Lausanne, 29. August 2013
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Mathys
 
Die Gerichtsschreiberin: Andres
 
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