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Informationen zum Dokument  BGer 9C_406/2013  Materielle Begründung
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BGer 9C_406/2013 vom 31.08.2013
 
{T 0/2}
 
9C_406/2013
 
 
Urteil vom 31. August 2013
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Kernen, Präsident,
 
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Glanzmann,
 
Gerichtsschreiberin Dormann.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
S.________,
 
handelnd durch seinen Vater,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Ausgleichskasse des Kantons Zug,
 
Baarerstrasse 11, 6300 Zug,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Ergänzungsleistung zur AHV/IV,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 25. April 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Der 1975 geborene S.________ bezieht seit Jahren Ergänzungsleistungen zu einer Rente der Invalidenversicherung. Mit Verfügungen vom 23. Februar, 2. April, 10. Mai, 1. Juni, 5. und 26. Juli, 4. September und 18. Oktober 2012 übernahm die Ausgleichskasse des Kantons Zug Kostenbeteiligungen im Sinne von Art. 64 KVG, d.h. von der Krankenversicherung abgerechnete Franchise und Selbstbehalt für medizinische Leistungen im Sinne von Art. 24 KVG. Mit Verfügung vom 23. November 2012 verweigerte sie die Kostenbeteiligung im Betrag von Fr. 21.10 mit der Begründung, für das Jahr 2012 sei die gesetzliche Limite von Fr. 1'000.- bereits erreicht (sog. "Quotenüberschuss"). Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 25. Januar 2013 fest.
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B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zug mit Entscheid vom 25. April 2013 ab.
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt der Vater von S.________, der Entscheid vom 25. April 2013 und der Einspracheentscheid vom 25. Januar 2013 seien aufzuheben und die vergütbare Kostenbeteiligung sei gestützt auf das Kalenderjahr, in welchem die Kosten anfielen, neu zu berechnen.
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Die Ausgleichskasse und das kantonale Gericht schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen:
 
1. Der Beschwerdeführer stellt sinngemäss ein Leistungsbegehren: Das Rechtsmittel zielt auf die Vergütung der Kostenbeteiligung im Umfang von Fr. 21.10, die von der Ausgleichskasse verweigert wurde.
5
2. 
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2.1. Es steht fest und ist unbestritten, dass dem Beschwerdeführer 2012 unter dem Titel Kostenbeteiligung insgesamt Fr. 1'000.- entrichtet wurden. Er macht geltend, die Ausgleichskasse habe eine weitere Vergütung verweigert, weil sie aus dem Vorjahr herrührende und von der Krankenversicherung erst 2012 abgerechnete Kostenbeteiligungen berücksichtigte. Somit hätte er Franchise- resp. Selbstbehaltkosten selber zu tragen, nur weil er am Jahresende 2011 behandelt worden sei und im Folgejahr medizinische Leistungen für mehr als Fr. 7'300.- beansprucht habe. Er hält dieses - von der Vorinstanz geschützte - Vorgehen für bundesrechtswidrig.
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2.2. Die Beschwerde kann u.a. wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140).
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Erwägung 3
 
 
Erwägung 3.1
 
3.1.1. Die Kantone vergüten den Bezügerinnen und Bezügern einer jährlichen Ergänzungsleistung u.a. ausgewiesene, im laufenden Jahr entstandene Kosten für die Kostenbeteiligung nach Artikel 64 KVG (Art. 14 Abs. 1 lit. g ELG [SR 831.30]). Die Kantone bezeichnen die Kosten, die nach Absatz 1 vergütet werden können. Sie können die Vergütung auf im Rahmen einer wirtschaftlichen und zweckmässigen Leistungserbringung erforderliche Ausgaben beschränken (Art. 14 Abs. 2 ELG). Für die zusätzlich zur jährlichen Ergänzungsleistung vergüteten Krankheits- und Behinderungskosten können die Kantone Höchstbeträge festlegen. Diese dürfen jedoch bestimmte Beträge pro Jahr nicht unterschreiten (Art. 14 Abs. 3-5 ELG).
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3.1.2. Das kantonale Recht sieht diesbezüglich namentlich folgende Regelungen vor: Die Beteiligung nach Art. 64 KVG an Kosten für Leistungen, welche die obligatorische Krankenpflegeversicherung nach Art. 24 KVG übernimmt, wird vergütet (§ 8 der zugerischen Verordnung vom 18. Dezember 2007 über die Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten bei den Ergänzungsleistungen [ELKV; BGS 841.714]). Wird eine Versicherung mit höherer Franchise nach Art. 93 der Verordnung vom 27. Juni 1995 über die Krankenversicherung (KVV; SR 831.102) gewählt, so wird eine Kostenbeteiligung von höchstens 1000 Franken pro Jahr vergütet (§ 9 ELKV).
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Krankheits-, Behinderungs- und Hilfsmittelkosten werden nur für das Kalenderjahr vergütet, in dem die Behandlung vorgenommen oder der Kauf getätigt wurde (§ 3 Abs. 1 ELKV). Die Ausgleichskasse ist ermächtigt, allgemein auf das Datum der Rechnungsstellung bzw. das Datum der Abrechnung der Krankenversicherung abzustellen. Vorbehalten bleibt Abs. 3 (§ 3 Abs. 2 ELKV). Fällt die jährliche Ergänzungsleistung für Berechtigte oder für einzelne Familienangehörige dahin, so hat die Ermittlung der zu vergütenden Kosten nach Abs. 1 zu erfolgen. Das Gleiche gilt bei Wohnsitzverlegung Berechtigter, wenn der alte und der neue Wohnsitzkanton für die zeitlich massgebenden Kosten voneinander abweichende Kriterien nach den Absätzen 1 und 2 anwenden (§ 3 Abs. 3 ELKV).
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Erwägung 3.2
 
3.2.1. Die Kostenbeteiligung gemäss Art. 64 KVG setzt sich zusammen aus der Franchise, die für Erwachsene mindestens Fr. 300.- pro Jahr beträgt (Art. 103 Abs. 1 und Art. 93 Abs. 1 KVV), und dem Selbstbehalt, dessen jährlicher Höchstbetrag sich auf Fr. 700.- beläuft (Art. 103 Abs. 2 und Art. 93 Abs. 2 KVV). Gemäss Art. 14 Abs. 1 lit. g ELG - und laut § 8 ELKV - sind diese Kosten im Rahmen der Ergänzungsleistungen zu vergüten. Die bundesrechtliche Regelung lässt Einschränkungen durch das kantonale Recht in zweierlei Hinsicht zu: Einerseits darf die Vergütung der Franchise auf deren Minimalbetrag beschränkt werden, wenn für die Krankenversicherung eine erhöhte Franchise (vgl. Art. 93 Abs. 1 KVV) gewählt wurde ( CARIGIET/KOCH, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, 2. Aufl. 2009, S. 207). Dies entspricht der früheren bundesrechtlichen Ordnung (Art. 7 der bis 31. Dezember 2007 geltenden Verordnung vom 29. Dezember 1997 über die Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten bei den Ergänzungsleistungen [aELKV; AS 1998 239 resp. 2003 4299]; RALPH JÖHL, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, in: Soziale Sicherheit, SBVR Band XIV, 2. Aufl. 2007, S. 1902 Rz. 381), die mit § 9 ELKV in das kantonale Recht übernommen wurde. Anderseits ist es zulässig, für die Vergütung der gesamten jährlichen Krankheits- und Behinderungskosten (Art. 14 Abs. 1 lit. a-g ELG) einen Höchstbetrag festzulegen (E. 3.1.1), wovon der kantonale Gesetz- resp. Verordnungsgeber mit dem Erlass von § 2 ELKV Gebrauch machte. Darüber hinaus belässt das Bundesrecht in Bezug auf die hier interessierende Kostenbeteiligung keinen Raum für eine Beschränkung der Vergütung; vorbehalten bleibt einzig das formelle Erfordernis der rechtzeitigen Geltendmachung des Anspruchs (vgl. Art. 15 ELG).
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3.2.2. Während für die Erhebung der Kostenbeteiligung durch die Krankenversicherung das Behandlungsdatum massgebend ist (Art. 103 Abs. 3 KVV), stellt die Ausgleichskasse für die Vergütung dieser Kosten auf das Datum der Krankenversicherungs-Abrechnung ab (§ 3 Abs. 2 ELKV). Somit kann im Bereich der Ergänzungsleistungen die in einem bestimmten Jahr anfallende Kostenbeteiligung den Betrag von Fr. 1'000.- übersteigen, auch wenn die Krankenversicherung jeweils lediglich die Mindestfranchise berücksichtigt. Es lässt sich indessen nicht sachlich begründen - und im Übrigen auch aus §§ 8 und 9 ELKV nicht herleiten -, die im Rahmen der Ergänzungsleistungen zu vergütende Kostenbeteiligung von vornherein auf jährlich Fr. 1'000.- zu beschränken. Solches Vorgehen ist bundesrechtswidrig: Zulässig ist - unter Vorbehalt des Höchstbetrages gemäss Art. 14 Abs. 3-5 ELG - lediglich die Verweigerung der Mehrkosten für eine allfällig gewählte höhere Franchise (E. 3.2.1), weshalb sich die Limitierung auf den Betrag von Fr. 1'000.- pro Jahr nur auf die Kostenbeteiligung gemäss KVG beziehen kann, nicht aber auf deren Vergütung im Rahmen der Ergänzungsleistungen.
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Nach dem Gesagten braucht die vom Beschwerdeführer (implizite) aufgeworfene Frage, ob § 3 Abs. 2 ELKV Bundesrecht verletze, nicht beantwortet zu werden (vgl. aber Art. 1 Abs. 2 aELKV; JÖHL, a.a.O., S. 1870 Rz. 327) : Auch unter Anwendung dieser Bestimmung - die insbesondere im Zusammenhang mit der Beschränkung auf Höchstbeträge gemäss § 2 ELKV resp. Art. 14 Abs. 3-5 ELG zum Tragen kommt - ändert sich nichts am Ausgang des Verfahrens (E. 3.3).
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3.3. Gemäss verbindlicher (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG) vorinstanzlicher Feststellung beläuft sich die jährliche Franchise des Beschwerdeführers auf Fr. 300.-. Bei den umstrittenen Leistungen handelt es sich um Selbstbehalt im Sinne von Art. 64 Abs. 2 lit. b KVG. Hinweise dafür, dass die Krankenversicherung diesen zu Unrecht geltend gemacht haben soll, etwa weil damit die jährliche Limite von Fr. 700.- (E. 3.2.1) überschritten würde, sind nicht ersichtlich. Weiter fehlen Anhaltspunkte dafür, dass die bis zum Erlass der Verfügung vom 23. November 2012 insgesamt angefallenen Krankheits- und Behinderungskosten den Höchstbetrag gemäss § 2 ELKV resp. Art. 14 Abs. 3-5 ELG erreichten oder gar überschritten. Schliesslich wurde die Vergütung rechtzeitig geltend gemacht (Art. 15 ELG). Der Beschwerdeführer hat daher - über die 2012 bereits bezogene Kostenbeteiligung von Fr. 1'000.- hinaus - Anspruch auf Ergänzungsleitungen im Umfang von Fr. 21.10.
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4. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der obsiegende Beschwerdeführer hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 2 BGG), da er nicht anwaltlich vertreten ist und keine besonderen Verhältnisse vorliegen, die eine Entschädigung für weitere Umtriebe rechtfertigen (Urteil 9C_1094/2009 vom 31. Mai 2010 E. 4 mit Hinweisen).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 25. April 2013 und der Einspracheentscheid der Ausgleichskasse des Kantons Zug vom 25. Januar 2013 werden aufgehoben. Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer Krankheits- resp. Behinderungskosten von Fr. 21.10 zu vergüten.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Sozialversicherungsrechtliche Kammer, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 31. August 2013
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Kernen
 
Die Gerichtsschreiberin: Dormann
 
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