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Informationen zum Dokument  BGer 1C_73/2013  Materielle Begründung
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BGer 1C_73/2013 vom 03.09.2013
 
{T 0/2}
 
1C_73/2013
 
 
Urteil vom 3. September 2013
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Karlen, Chaix,
 
Gerichtsschreiber Härri.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
1. Y.________ SA,
 
2. X.________ SA,
 
Beschwerdeführerinnen,
 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Franz Hollinger,
 
gegen
 
Einwohnergemeinde Lupfig.
 
Gegenstand
 
Duldungsservitut,
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 31. Oktober 2012 des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 3. Kammer.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
1.1
1
Die Gesuchsgegnerinnen haben ab den Parzellen 669, 281, 750 und 844 gemäss Landerwerbsplan ca. 118 m², ca. 146 m², ca. 157 m² und ca 101 m², total ca. 522 m², zugunsten der Einwohnergemeinde Lupfig abzutreten. Die Einwohnergemeinde Lupfig hat die Abtretungen mit Fr. 335.00/m ² zu entschädigen.
2
Auf den Parzellen 669, 750 und 844 wird je folgende Duldungsservitut entschädigungslos errichtet:
3
Die Einwohnergemeinde Lupfig wird ermächtigt und angewiesen, die Rechtsänderungen zu gegebener Zeit gestützt auf die Mutationstabelle des Nachführungsgeometers und unter Nachweise der Zahlung der Entschädigung gemäss vorstehender Dispositiv-Ziffer 1.1 dem Grundbuchamt Brugg zur Eintragung anzumelden.
4
Alle mit der Enteignung gemäss vorstehenden Dispositiv-Ziffern 1.1 und 1.2 verbundenen Kosten, inkl. Vermarkungs-, Vermessungs- und Grundbuchkosten, werden von der Einwohnergemeinde Lupfig übernommen.
5
Die Entschädigung gemäss vorstehender Ziffer 1.1 wird 20 Tage nach Rechtskraft dieses Entscheids zur Zahlung fällig.
6
(Kostenfolgen)."
7
 
D.
 
Die Einwohnergemeinde Lupfig wird ermächtigt und angewiesen, die Rechtänderungen gemäss vorstehender Dispositiv-Ziffer 1. unter Nachweis der Zahlung der Entschädigung zu gegebener Zeit gestützt auf die Mutationstabelle des Nachführungsgeometers dem Grundbuchamt Brugg zur Eintragung anzumelden.
8
Alle mit der Enteignung gemäss vorstehender Dispositiv-Ziffer 1. verbundenen Kosten, inkl. Vermarkungs-, Vermessungs- und Grundbuchkosten, werden von der Einwohnergemeinde Lupfig übernommen.
9
Die Entschädigung gemäss vorstehender Ziffer 1. wird 20 Tage nach Rechtskraft dieses Entscheids zur Zahlung fällig."
10
 
E.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
 
Erwägung 2
 
2.1. Die Beschwerdeführerinnen bringen vor, der Gemeinderat habe im Gesuch vom 17. Dezember 2009 an die Schätzungskommission um Einleitung des Enteignungsverfahrens ausschliesslich die Enteignung betreffend den Gehweg beantragt, nicht dagegen eine Duldungsservitut für die Bäume. Mit dem Gesuch vom 17. Dezember 2009 habe der Gemeinderat den Streitgegenstand festgelegt. Die Schätzungskommission sei darüber hinausgegangen. Lediglich Ziffer 1.1 ihres Urteils sei vom Gesuch des Gemeinderates abgedeckt, nicht hingegen Ziffer 1.2. Insoweit habe die Schätzungskommission die Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) verletzt. Ebenso habe sie § 151 Abs. 1 des Gesetzes vom 19. Januar 1993 des Kantons Aargau über Raumentwicklung und Bauwesen (Baugesetz, BauG; SAR 713.100) willkürlich angewandt.
11
2.2. Es kann offen bleiben, ob sich die Beschwerdeführerinnen insoweit hinreichend mit dem angefochtenen Entscheid (S. 11 E. 1.8.2) auseinandersetzen und die Beschwerde den erhöhten Begründungsanforderungen nach Art. 106 Abs. 2 BGG genügt (hierzu BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254). Der Einwand ist jedenfalls unbegründet.
12
 
Erwägung 3
 
3.1. Die Beschwerdeführerinnen bringen vor, die Vorinstanz habe bei der Bejahung der gesetzlichen Grundlage für die Duldung der baulichen Massnahmen im Zusammenhang mit den Bäumen auf andere Bestimmungen abgestellt als die Schätzungskommission. Die Vorinstanz hätte daher den Beschwerdeführerinnen vor ihrem Urteil Gelegenheit geben müssen, sich zur beabsichtigten Änderung der gesetzlichen Grundlage zu äussern. Indem die Vorinstanz das nicht getan habe, habe sie den Anspruch der Beschwerdeführerinnen auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt.
13
3.2. Nach der Rechtsprechung verlangt der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV nicht, dass eine Partei die Gelegenheit erhalten muss, sich zu jedem möglichen Ergebnis, das von der entscheidenden Behörde ins Auge gefasst wird, zu äussern. Die Behörde hat in diesem Sinne nicht ihre Begründung den Parteien vorweg zur Stellungnahme zu unterbreiten. Es genügt, dass sich die Parteien zu den Grundlagen des Entscheids, insbesondere zum Sachverhalt sowie zu den anwendbaren Rechtsnormen vorweg äussern und ihre Standpunkte einbringen können (BGE 132 II 485 E. 3.4 S. 495 mit Hinweis).
14
3.3. Diese Möglichkeit stand den Beschwerdeführerinnen vollumfänglich offen. Die Vorinstanz hat ihren Entscheid im von ihnen erwähnten Punkt im Übrigen nicht grundlegend anders begründet als die Schätzungskommission. Die Vorinstanz hält dafür, als gesetzliche Grundlage für die Duldung der baulichen Massnahmen im Zusammenhang mit der Pflanzung der Bäume seien die Bestimmungen von §§ 130 ff. BauG, insbesondere § 132 Abs. 1 lit. c, heranzuziehen (angefochtener Entscheid S. 7 ff. E. 1.5). Nach dieser letzteren Bestimmung gilt als Enteignungstitel der Erschliessungsplan. Darauf hat im Kern auch die Schätzungskommission abgestellt (S. 11 E. 5.2) und die Beschwerdeführerinnen konnten sich dazu äussern (Beschwerde vom 14. September 2011 an die Vorinstanz S. 4).
15
 
Erwägung 4
 
4.1. Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, die baulichen Massnahmen gemäss der Duldungsservitut seien durch den Erschliessungsplan als Enteignungstitel nicht abgedeckt. Damit fehle es an der gesetzlichen Grundlage für den Eingriff in die Eigentumsgarantie.
16
4.2. Gemäss Art. 26 Abs. 1 BV ist das Eigentum gewährleistet. Ein Eingriff in dieses Grundrecht bedarf nach Art. 36 Abs. 1 BV einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage.
17
4.3. Die durch die geplanten Bäume bewirkte Beeinträchtigung der Nutzung der Parzellen der Beschwerdeführerinnen ist äusserst gering, da die Bäume vor der Baulinie stehen sollen, d.h. auf einem nicht bebaubaren Teil der Parzellen. Der Raum, den die Bäume beanspruchen, ist im Vergleich zur Grösse der Parzellen sehr klein. Die Kosten für die Pflanzung und den Unterhalt der Bäume sowie für die erforderliche Anpassung des Zaunverlaufs trägt die Gemeinde. Die Bäume verursachen den Beschwerdeführerinnen also keinen Aufwand. Angesichts dessen kann der Eingriff in die Eigentumsgarantie nicht als schwer betrachtet werden. Entsprechend hat das Bundesgericht bereits im Urteil vom 4. Oktober 2004 entschieden (E. 2.4). Es beschränkt sich damit auf eine Willkürprüfung.
18
4.4. Die Vorinstanz erwägt, die für die Baumbepflanzung erforderlichen baulichen Massnahmen im Bereich des Stammes bzw. Wurzelwerks seien vom Erschliessungsplan als Enteignungstitel miterfasst. Die Ansicht der Beschwerdeführerinnen, wonach für die baulichen Massnahmen der Baumbepflanzung neben dem Erschliessungsplan ein zusätzlicher Enteignungstitel erforderlich sei, erscheine als zu formalistisch. Bereits aufgrund der Einzeichnung der Bäume auf der Grenze zwischen dem Gehweg und den Grundstücken im Erschliessungsplan ergebe sich und sei voraussehbar gewesen, dass dem Stamm bzw. Wurzelwerk der Bäume durch adäquate gartenbauliche Massnahmen Rechnung getragen werden müsse. Eine diesbezügliche Kenntnis der Beschwerdeführerinnen dürfe vorausgesetzt werden (S. 8 E. 1.5.4).
19
 
Erwägung 5
 
 
Erwägung 6
 
6.1. Die Beschwerdeführerinnen wenden unter Hinweis auf den Bericht von Maurice Perrinjaquet (Eidg. dipl. Gärtnermeister) vom 8. April 2001 (act. 51) ein, es gebe weniger weit gehende Lösungen. Der Eingriff in die Eigentumsgarantie sei daher unverhältnismässig (Beschwerde S. 8 oben).
20
6.2. Gemäss Art. 36 Abs. 3 BV müssen Einschränkungen von Grundrechten verhältnismässig sein.
21
 
Erwägung 7
 
7.1. Die Beschwerdeführerinnen bringen vor, der projektleitende Ingenieur habe am Augenschein der Schätzungskommission unstreitig gesagt, der Metallstabzaun werde durch die Pflanzung der Bäume nicht tangiert. Die Vorinstanz nehme an, die Beschwerdeführerinnen könnten daraus nichts für sich ableiten. Das sei unhaltbar und beruhe auf einer willkürlichen Anwendung kantonalen Rechts.
22
7.2. Die Vorinstanz prüft unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes (Art. 9 BV), ob die Beschwerdeführerinnen aus den Aussagen des Ingenieurs anlässlich des Augenscheins der Schätzungskommission etwas für sich herleiten können und verneint dies. Sie gibt dafür (S. 12 f. E. 3.2) mehrere selbständige Begründungen. In einem solchen Fall muss der Beschwerdeführer sämtliche Begründungen anfechten. Unterlässt er dies, genügt er seiner Begründungspflicht nicht und kann auf die Beschwerde insoweit nicht eingetreten werden (BGE 133 IV 119).
23
 
Erwägung 8
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. 
 
2. 
 
3. 
 
Lausanne, 3. September 2013
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Der Gerichtsschreiber: Härri
 
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