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Informationen zum Dokument  BGer 2D_4/2013  Materielle Begründung
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BGer 2D_4/2013 vom 19.09.2013
 
{T 0/2}
 
2D_4/2013
 
 
Urteil vom 19. September 2013
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichter Donzallaz,
 
Bundesrichter Kneubühler,
 
Gerichtsschreiberin Hänni.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
Beschwerdeführerin,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Härdi,
 
gegen
 
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich, Migrationsamt, Postfach, 8090 Zürich,
 
Regierungsrat des Kantons Zürich,
 
Kaspar Escher-Haus, 8090 Zürich.
 
Gegenstand
 
Aufenthaltsbewilligung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungs-
 
gerichts des Kantons Zürich, 2. Kammer,
 
vom 19. Dezember 2012.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein Rechtsmittel zulässig ist (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 135 III 1 E. 1.1 S. 3; 134 III 520 E. 1 S. 521; 133 III 645 E. 2 mit Hinweis). Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG unzulässig gegen Entscheide betreffend die Erteilung oder Verweigerung von Bewilligungen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt. An einem Rechtsanspruch fehlt es, wenn keine gesetzliche Norm die Voraussetzungen der Bewilligungserteilung näher regelt und diesbezügliche Kriterien aufstellt (BGE 133 I 185 E. 6.5 S. 198). Für das Eintreten genügt ein potenzieller Anspruch im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen (BGE 137 I 305 E. 2.5 S. 315; 136 II 177 E. 1.1 S. 179).
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1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, wie die Vorinstanz ihn festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt bzw. vom Bundesgericht von Amtes wegen berichtigt oder ergänzt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 97 Abs. 1 BGG bzw. Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine entsprechende Rüge, welche rechtsgenüglich substanziiert vorzubringen ist (vgl. Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 136 II 304 E. 2.5 S. 314 mit Hinweisen), setzt zudem voraus, dass die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Auf rein appellatorische Kritik an der Sachverhaltsermittlung oder der Beweiswürdigung tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 137 II 353 E. 5.1 S. 356 und Laurent Merz, in: BSK Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 52 ff. zu Art. 42).
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1.3. Am 1. Januar 2008 ist das Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 16. Dezember 2005 (AuG; SR 142.20) in Kraft getreten. Nach Art. 126 AuG bleibt das alte Recht anwendbar auf Gesuche, die vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes eingereicht worden sind. Über den engen Wortlaut hinaus ist nach der Praxis das alte Recht auf alle Verfahren anwendbar, die vor Inkrafttreten des AuG eingeleitet wurden (Urteil 2C_478/2010 vom 17. November 2010 E.1, nicht publ. in: BGE 137 II 10; Urteile 2C_471/2012 vom 18. Januar 2013 E. 1.2; 2C_779/2011 vom 6. August 2012 E. 1.2; MARC SPESCHA, in: Spescha/Thür/Zünd/Bolzli [Hrsg.], Migrationsrecht, 3. Aufl. 2012, N. 1 zu Art. 126 AuG).
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1.4. Nicht einzutreten ist auf die Beschwerde insoweit, als die Beschwerdeführerin unabhängig vom Ergebnis des Entscheides über den Aufenthaltsanspruch die Wegweisung anficht. In dieser Hinsicht ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ausgeschlossen (vgl. Art. 83 lit. c Ziff. 4 BGG). Die Eingabe kann auch nicht als subsidiäre Verfassungsbeschwerde entgegengenommen werden, da die Beschwerdeführerin keine genügend substanziierten zulässigen Verfassungsrügen mit Bezug auf die Wegweisung erhebt (vgl. Art. 116 und 117 in Verbindung mit Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 137 II 305 E. 3.3 S. 310 f.; 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254, 396 E. 3.1 S. 399).
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Erwägung 2
 
2.1. Die Beschwerdeführerin hatte sowohl vor dem Migrationsamt als auch im vorinstanzlichen Verfahren von der Gelegenheit Gebrauch gemacht, die Umstände der Ehe aus ihrer Sicht darzulegen. Sie machte dabei namentlich geltend, die Aussagen ihres Ehegatten, wonach es sich bei der Ehe mit der Beschwerdeführerin um keine tatsächlich gelebte Beziehung handle, seien auf seine Drogensucht zurückzuführen. Die Vorinstanz hat die Aussagen der Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer freien Beweiswürdigung berücksichtigt, kam jedoch entgegen ihren Aussagen und gestützt auf polizeiliche Kontrollen sowie weitere Indizien (ebenso wie bereits zuvor der Regierungsrat) zum Schluss, die Aussagen ihres Ehegatten seien glaubwürdig. Zu den rechtlichen Folgerungen des Verwaltungsgerichts konnte sich die Beschwerdeführerin schliesslich in ihrer Beschwerde an das Bundesgericht äussern. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin liegt weder eine Rechtsverweigerung noch eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör vor (Art. 29 Abs. 2 BV; vgl. BGE 135 II 286 E. 5.1 S. 293; 132 II 485 E. 3.2 S. 494; 127 I 54 E. 2b S. 56).
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2.2. Die Vorinstanz hat verschiedene Indizien festgehalten, die gegen eine tatsächlich gelebte Ehebeziehung sprechen, etwa der Umstand, dass ihr Gatte für die Heirat Geld erhalten haben soll, dass sich die Beschwerdeführerin weder an die Umstände des Kennenlernens noch an den Ort der Hochzeitsfeierlichkeiten erinnern konnte; ebenso wenig war es ihr möglich, Angaben zur Wohngelegenheit ihres Gatten zu machen. Was die Beschwerdeführerin gegen die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz vorbringt, erschöpft sich in appellatorischer Kritik (vgl. oben E. 1.2). So sind die allgemein gebliebene Behauptung, in der türkischen Kultur bestehe ein anderes Verhältnis zur Ehe sowie ihre Rüge, wonach "im Zweifelsfall von einer tatsächlich gewollten ehelichen Gemeinschaft auszugehen ist" nicht geeignet, die vorinstanzlichen Feststellungen infrage zu stellen: Einerseits durfte das Verwaltungsgericht auf zahlreiche Indizien anstatt auf einen direkten Beweis abstellen (vgl. hierzu Urteil 2C_75/2013 vom 29. August 2013 E. 3.2 ff. mit zahlreichen Hinweisen). Andererseits substanziiert die Beschwerdeführerin nicht, wie sich das Eheleben stattdessen, entgegen den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen, konkret gestaltet haben soll. Vor diesem Hintergrund können die sachverhaltlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht als offensichtlich unrichtig gelten. Sie bleiben für das Bundesgericht verbindlich (vgl. Art. 105 Abs. 2 BGG).
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2.3. Die Vorinstanz durfte anhand der von ihr festgestellten, hier nur auszugsweise wiedergegebenen Indizien darauf schliessen, dass die Verheiratung erfolgte, um ausländerrechtliche Vorschriften zu umgehen. Damit steht der Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 7 Abs. 2 ANAG kein Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung zu. Auch aus Art. 14 BV und den weiteren, von der Beschwerdeführerin herangezogenen Bestimmungen zur Ehefreiheit kann sie keine Aufenthaltsansprüche für sich ableiten.
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Erwägung 3
 
Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz eine Verletzung von Art. 8 EMRK und Art. 13 BV (Recht auf Privatleben) vor. Sie macht geltend, sie lebe bei ihren Eltern und zu diesen bestehe eine substanzielle und affektive Beziehung. Sie sei auch beruflich in der Schweiz integriert und führe einen Restaurationsbetrieb.
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Aus dem von ihr angerufenen Recht auf Schutz des Privatlebens ergibt sich nur dann ein Aufenthaltsrecht, wenn die betroffene Person über besonders intensive, über die normale Integration hinausgehende private Bindungen gesellschaftlicher oder beruflicher Natur oder entsprechende vertiefte soziale Beziehungen zum ausserfamiliären bzw. ausserhäuslichen Bereich verfügt (BGE 130 II 281 E. 3.2.1 S. 286; 120 Ib 16 E. 3b S. 22). Zwar ist die Beschwerdeführerin beruflich integriert und nicht mehr sozialhilfeabhängig. Ihre Integration entspricht jedoch schon von der Dauer ihrer Anwesenheit her nicht den Voraussetzungen, welche ihr einen Aufenthaltsanspruch aus dem Schutz ihres Privatlebens verschaffen könnten (vgl. BGE 130 II 281 E. 3.2.1 S. 286; 126 II 377 E. 2c S. 384 ff.; Urteil 2C_494/2013 vom 2. Juni 2013 E. 4.3; vgl. das EGMR-Urteil Gezginci gegen die Schweiz vom 9. Dezember 2010 [Nr. 16327/05], Ziff. 60 ff. [keine Verletzung von Art. 8 EMRK durch die Verweigerung einer Aufenthaltsbewilligung bei einer Anwesenheit von 30 Jahren]). Zwar leidet die Beschwerdeführerin an einer entzündlichen Erkrankung der Augenhöhle (Orbitopathie). Um die diesbezügliche medizinische Behandlung im April 2013 abschliessen zu können, hatte ihr die Vorinstanz die Ausreisefrist verlängert, sodass nicht ersichtlich ist, welche medizinischen Probleme eine Rückkehr zurzeit verunmöglichten. Die Beschwerdeführerin hat einen Grossteil ihres Lebens in der Heimat verbracht, besuchte dort das Gymnasium und ist erst mit 22 Jahren in die Schweiz eingereist. Es wird von ihr nicht substanziiert, inwiefern eine erneute Integration in den dortigen Verhältnissen unzumutbar wäre (vgl. BGE 137 II 345 E. 3.2.3 S. 350). Da die Beschwerdeführerin volljährig ist und kein - über die normalen familiären Beziehungen hinausgehendes - Abhängigkeitsverhältnis von der in der Schweiz anwesenden Familie dargetan wird, verletzt der angefochtene Entscheid auch Art. 8 EMRK nicht (Schutz des Familienlebens; EGMR-Urteil  Shala gegen die Schweiz vom 15. November 2012 [Nr. 52873/09], Ziff. 40).
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Erwägung 4
 
Die Beschwerdeführerin rügt schliesslich sinngemäss, es stehe ihr eine Härtefallbewilligung nach ANAG zu. Ob ausserhalb des Anspruchstatbestandes eine Härtefallbewilligung gemäss Art. 4 ANAG in Verbindung mit Art. 13 lit. f der früheren Verordnung vom 6. Oktober 1986 über die Begrenzung der Zahl der Ausländer (BVO; AS 1986 S. 1791) bzw. nach neuem Recht gemäss Art. 30 AuG zu erteilen wäre, auf die kein Anspruch besteht, entzieht sich den Überprüfungsmöglichkeiten des Bundesgerichts im Rahmen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (vgl. Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Da die Beschwerdeführerin keine entsprechenden Verfassungsrügen erhebt, kann diese Frage auch nicht im Rahmen einer subsidiären Verfassungsbeschwerde überprüft werden (Art. 117 in Verbindung mit Art. 106 Abs. 2 BGG); ohnehin fehlte ihr diesbezüglich weitgehend die Legitimation zum Rechtsmittel (Art. 115 lit. b BGG; vgl. BGE 133 I 185 ff.).
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Erwägung 5
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen. Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 19. September 2013
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Zünd
 
Die Gerichtsschreiberin: Hänni
 
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