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Informationen zum Dokument  BGer 5A_247/2013  Materielle Begründung
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BGer 5A_247/2013 vom 15.10.2013
 
{T 0/2}
 
5A_247/2013
 
 
Urteil vom 15. Oktober 2013
 
 
II. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
 
Bundesrichterinnen Escher, Hohl,
 
Bundesrichter Marazzi, Herrmann,
 
Gerichtsschreiberin Friedli-Bruggmann.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Armin Neiger,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Y.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel von Arx,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Parteikostenvorschuss / unentgeltliche Rechtspflege (Ehescheidung),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn, Zivilkammer, vom 6. März 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Y.________ (1970) und X.________ (1968) heirateten am 19. Dezember 1996. Die Ehe blieb kinderlos. Die Ehefrau hat vier voreheliche Kinder.
1
B. Die Parteien leben seit dem 1. Oktober 2005 getrennt. Am 28. November 2011 leitete der Ehemann beim Richteramt Olten-Gösgen das Scheidungsverfahren ein. Gemäss Eheschutzurteil vom 14. November 2005 bezahlt der Ehemann der Ehefrau gegenwärtig monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. 1'500.--, zuzüglich Kinderzulagen.
2
C. Mit Verfügung vom 6. Februar 2012 verpflichtete die Amtsgerichtspräsidentin den Ehemann im Rahmen des Scheidungsverfahrens zur Leistung eines Prozesskostenvorschusses an die Ehefrau von Fr. 2'000.--. Mit Verfügung vom 16. Mai 2012 verpflichtete sie den Ehemann zur Leistung eines weiteren Vorschusses von Fr. 1'500.--, zahlbar in monatlichen Raten von Fr. 400.--, wobei ihm gleichzeitig Frist gesetzt wurde für die schriftliche Begründung der Scheidungsklage. Diese reichte er am 13. Juli 2012 ein. Die Ehefrau reichte ihre Klageantwort am 19. Oktober 2012 ein. Am 24. Oktober 2012 stellte die Ehefrau den Antrag, der Ehemann sei zu verpflichten, ihr einen weiteren Prozesskostenvorschuss von Fr. 7'000.-- zu leisten; eventualiter sei ihr die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren.
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2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege der Ehefrau wird insofern bewilligt, als sie von der Kostenvorschusspflicht befreit wird. Im Übrigen wird das Gesuch abgewiesen.
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3. Der Ehemann hat der Ehefrau letztmals einen Parteikostenvorschuss von Fr. 2'500.--, zahlbar in monatlichen Raten à Fr. 400.--, zu bezahlen.
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D. Gegen diesen Entscheid erhob die Ehefrau am 1. Februar 2013 Beschwerde an das Obergericht des Kantons Solothurn. Sie beantragte, in Ziff. 2 sei der zweite Satz und in Ziff. 3 sei "letztmalig" zu streichen. Ihr Antrag auf einen weiteren Prozesskostenvorschuss von Fr. 7'000.-- sei gutzuheissen, eventualiter die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Auch für das obergerichtliche Verfahren sei ihr die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Weiter beantragte sie die aufschiebende Wirkung, welche indes mit Präsidialverfügung vom 6. Februar 2013 verweigert wurde.
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E. Mit Beschwerde in Zivilsachen und subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom 8. April 2013 ist die Ehefrau an das Bundesgericht gelangt und sie beantragt, das Urteil vom 6. März 2013 sei aufzuheben. Die Sache sei an die Vorinstanz zurückzuweisen und diese sei anzuweisen, die Beschwerde vom 1. Februar 2013 mit zutreffender Kognition zu prüfen und neu zu urteilen. Eventualiter sei reformatorisch zu entscheiden und der Beschwerdegegner zu verpflichten, ihr einen Prozesskostenvorschuss von Fr. 7'000.-- zu bezahlen, resp. (sub) eventualiter sei ihr die unentgeltliche Prozessführung für das erstinstanzliche Verfahren zu gewähren. Für das bundesgerichtliche Verfahren beantragt sie ebenfalls die unentgeltliche Rechtspflege.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Das Bundesgericht überprüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob eine Beschwerde zulässig ist (BGE 135 III 212 E. 1 S. 216; 134 III 115 E. 1 S. 117; je mit Hinweisen).
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1.2. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid (Art. 75 BGG) betreffend einen Prozesskostenvorschuss (sog. Provisio ad litem) und subsidiär unentgeltliche Rechtspflege.
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1.3. Der Entscheid über die Prozesskostenvorschusspflicht stellt eine während dem Scheidungsverfahren angeordnete vorsorgliche Massnahme (Art. 98 BGG) und einen Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG (vgl. zuletzt Urteil 5D_30/2013 vom 15. April 2013 E. 1; BGE 134 III 426 E. 2.2 S. 431) in einer vermögensrechtlichen Angelegenheit dar. Die gesetzliche Streitwertgrenze ist nicht erreicht (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG). Der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Ausnahmetatbestand der Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG) ist nicht gegeben, weshalb die Beschwerde bezüglich Prozesskostenvorschuss als subsidiäre Verfassungsbeschwerde nach Art. 113 ff. BGG entgegenzunehmen ist. Die Frage des zulässigen Beschwerdewegs ist im Übrigen insofern ohne Belang, als im Zusammenhang mit vorsorglichen Massnahmen ohnehin nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden kann (Art. 98 BGG bzw. Art. 116 BGG).
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1.4. Mit der subsidiären Verfassungsbeschwerde kann die Verletzung verfassungsmässiger Rechte geltend gemacht werden (Art. 116 BGG).
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2. Die Beschwerdeführerin kritisiert, ihr rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) sei in mehrfacher Hinsicht verletzt worden, indem sie das Opfer formeller Rechtsverweigerung geworden sei.
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2.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz habe im angefochtenen Entscheid offengelassen, ob auf ihre (kantonale) Beschwerde einzutreten sei, weil sie in ihrer Beschwerdeschrift nicht angegeben habe, auf welchen in Art. 321 Abs. 1 ZPO genannten Beschwerdegrund sie sich berufe. Die Vorinstanz habe dann aber keinen formellen Nichteintretensentscheid gefällt, sondern die Beschwerde "abgewiesen, soweit darauf eingetreten werde". Damit sei sie als Beschwerdeführerin im Ungewissen gelassen worden, ob auf ihre kantonale Beschwerde überhaupt eingetreten worden sei.
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2.2. Die weiteren Punkte, in denen die Beschwerdeführerin eine formelle Rechtsverweigerung geltend macht, fallen nicht in den Bereich des rechtlichen Gehörs, sondern betreffen die behaupteterweise falsche Auslegung von Art. 321 ZPO durch die Vorinstanz (nachfolgend E. 3) sowie die Sachverhaltsfeststellung (E. 4).
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3. Die Beschwerdeführerin rügt sinngemäss, die Vorinstanz habe einen zu strengen Massstab an die Begründungsdichte der kantonalen Beschwerde angelegt. Diese sei von einer "Rügepflicht", d.h. einer qualifizierten Begründungspflicht im Sinne des Rügeprinzips nach Art. 42 Abs. 2 BGG und Art. 106 BGG ausgegangen, was unter Art. 321 Abs. 1 ZPO nicht rechtens sei, da im Anwendungsbereich dieser Bestimmung weniger hohe Begründungsanforderungen gälten. Die Rüge ist nur unter Willkürgesichtspunkten zulässig, da auf die Beschwerde in Zivilsachen im Zusammenhang mit der unentgeltlichen Rechtspflege, wo eine freie Kognition gegeben wäre, vorliegend nicht einzutreten sein wird (vgl. nachfolgend E. 6; zur beschränkten Kognition bei der subsidiären Verfassungsbeschwerde: E. 1.3, 1.4).
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3.1. Art. 321 Abs. 1 ZPO (Beschwerde) und Art. 311 Abs. 1 ZPO (Berufung) verlangen übereinstimmend, dass die Rechtsmitteleingabe "schriftlich und begründet" einzureichen ist.
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3.2. Zu Art. 311 Abs. 1 ZPO hat das Bundesgericht ausgeführt, Begründen im Sinne der genannten Vorschrift bedeute, dass aufzuzeigen sei, inwiefern der angefochtene Entscheid als fehlerhaft erachtet werde. Dieser Anforderung genügt der Berufungskläger nicht, wenn er lediglich auf die vor der ersten Instanz vorgetragenen Vorbringen verweist, sich mit Hinweisen auf frühere Prozesshandlungen zufrieden gibt oder den angefochtenen Entscheid in allgemeiner Weise kritisiert. Die Begründung muss hinreichend genau und eindeutig sein, um von der Berufungsinstanz mühelos verstanden werden zu können. Dies setzt voraus, dass der Berufungskläger im Einzelnen die vorinstanzlichen Erwägungen bezeichnet, die er anficht, und die Aktenstücke nennt, auf denen seine Kritik beruht (BGE 138 III 374 E. 4.3.1 S. 375).
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3.3. In der Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO] vom 28. Juni 2006 wurde festgehalten: "Für die Anforderungen an die Beschwerdebegründung gilt das zur Berufung Gesagte" (BBl 2006 7221 ff., S. 7378).
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3.4. Die Frage braucht vorliegend nicht abschliessend beantwortet zu werden, da nach dem oben Gesagten für die Beschwerde mindestens dieselben Begründungsanforderungen gelten, wie für die Berufung. Die Beschwerdeführerin zeigt nicht rechtsgenüglich (Art. 106 Abs. 2 BGG) auf, inwiefern sie diesen nachgekommen wäre. Ist aber nicht einmal die Erfüllung der Berufungsvoraussetzungen dargetan, erübrigen sich weitere Ausführungen über die Begründungsanforderungen der Beschwerde.
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4. Die Beschwerdeführerin hält es weiter für willkürlich, dass die Vorinstanz keine "eigenen Überlegungen" zur Frage angestellt habe, ob ein einfacher Fall vorliege (der eine Kürzung des Anwaltshonorars resp. des beantragten Prozesskostenvorschusses rechtfertige). Dabei habe sie bereits in ihrer kantonalen Beschwerde die Feststellung der erstinstanzlichen Richterin - es handle sich um einen einfachen Fall resp. ein Prozesskostenvorschuss von total Fr. 6'000.-- reiche aus - ausdrücklich als willkürlich gerügt. Die Vorinstanz sei darauf nicht eingegangen.
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4.1. Dieerstinstanzliche Richterin hatte ihren Entscheid damit begründet, dass die Verhältnisse einfach seien und demzufolge der Aufwand nicht allzu gross sein könne. Ein Betrag von (weiteren) Fr. 2'500.-- erscheine als angemessen, da Fr. 6'000.-- (das Total der insgesamt zugesprochenen Prozesskostenvorschüsse) üblicherweise dem Aufwand in komplizierten Verhältnissen entspreche. Überdies sei die 21-seitige Klageantwort der Beschwerdeführerin übermässig und daher nicht der ganze Aufwand zu ersetzen.
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4.2. Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin hat die Vorinstanz demnach das betreffende Vorbringen geprüft. Soweit sie rügt, dass die Vorinstanz dabei ihre Kognition nicht ausgeschöpft habe, übersieht sie, dass die Feststellung, es handle sich um eine einfache Angelegenheit, eine Sachverhaltsfeststellung darstellt. Die Sachverhaltskontrolle ist bei der Beschwerde beschränkt auf offensichtliche Unrichtigkeit (Art. 320 lit. b ZPO). Dem Vorwurf der Willkür in Bezug auf die Kognition ist damit der Boden entzogen.
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4.3. Im Verfahren der subsidiären Verfassungsbeschwerde kann das Bundesgericht Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie auf einer Verletzung verfassungsmässiger Rechte beruhen; ansonsten legt es seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den diese festgestellt hat (Art. 118 Abs. 1 und 2 BGG).
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4.4. Mithin ist keine Willkür dargetan, wenn die Vorinstanz davon ausging, dass ein weiterer Prozesskostenvorschuss von Fr. 2'500.-- angemessen sei, umso mehr als den kantonalen Instanzen in diesem Bereich Ermessen zukommt.
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5. Als willkürlich rügt die Beschwerdeführerin sodann sinngemäss, dass im angefochtenen Urteil der gewährte (reduzierte) Prozesskostenvorschuss als letztmalig bezeichnet worden ist. Dafür bestehe keine gesetzliche Grundlage. Die Richterin habe nicht wissen können, wie viel Zeit noch verstreichen werde, bis das Verfahren abgeschlossen sei. Zudem verfüge der Beschwerdegegner über Vermögen. Es sei daher unverständlich, weshalb die Geltendmachung eines zukünftigen Prozesskostenvorschusses verunmöglicht werden solle.
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5.1. Im Kontext betrachtet ist offensichtlich, dass die erstinstanzliche Richterin mit der Verwendung des Begriffes "letztmals" verdeutlichen wollte, dass ihrer Ansicht nach der zugesprochene Prozesskostenvorschuss den gebührenden Aufwand in einem solchen Fall decken müsste und der beim Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin darüber hinaus angefallene Aufwand als übermässig zu qualifizieren sei. Die Verwendung des Wortes ist demnach auf die aktuelle Lage bezogen und schliesst künftige Entwicklungen nicht aus. Gegen die Ablehnung eines allfälligen zukünftigen Vorschussgesuchs stünde der Beschwerdeführerin überdies ein Rechtsmittel zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund ist keine Willkür ersichtlich.
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5.2. Auf die Frage der dem Beschwerdegegner gewährten Ratenzahlung ist nicht einzugehen, da die Beschwerdeführerin hier keine konkrete Rüge erhebt (Art. 106 Abs. 2 i.V.m. Art. 117 BGG).
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6. Schliesslich rügt die Beschwerdeführerin, durch die "willkürliche Annahme, dass der erstinstanzlich zugesprochene Prozesskostenvorschuss genüge", sei eine Prüfung ihres Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege unterblieben. Vor diesem Hintergrund beantragt sie eventualiter, ihr sei durch das Bundesgericht die unentgeltliche (erstinstanzliche) Prozessführung und Verbeiständung zu gewähren.
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7. Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und sie hat den Beschwerdegegner für die Stellungnahme im bundesgerichtlichen Verfahren zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. In Bezug auf die Provisio ad litem für das Scheidungsverfahren wird die Beschwerde als subsidiäre Verfassungsbeschwerde entgegengenommen. Diese wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. In Bezug auf das subsidiäre Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das Scheidungsverfahren wird auf die Beschwerde nicht eingetreten.
 
3. Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird abgewiesen.
 
4. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
5. Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 250.-- zu entschädigen.
 
6. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 15. Oktober 2013
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: von Werdt
 
Die Gerichtsschreiberin: Friedli-Bruggmann
 
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