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Informationen zum Dokument  BGer 6B_441/2013  Materielle Begründung
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BGer 6B_441/2013 vom 04.11.2013
 
{T 0/2}
 
6B_441/2013
 
 
Urteil vom 4. November 2013
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Mathys, Präsident,
 
Bundesrichter Schneider, Denys,
 
Gerichtsschreiberin Andres.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Steiner,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
1.  Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
 
2. Y.________,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Carola Gruenberg,
 
Beschwerdegegnerinnen.
 
Gegenstand
 
Mehrfache Vergewaltigung; Öffentlichkeit des Verfahrens; Strafzumessung; Willkür, rechtliches Gehör,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 23. Oktober 2012.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
D.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
 
Erwägung 2
 
2.1. Der Beschwerdeführer rügt, das Öffentlichkeitsgebot gemäss Art. 30 Abs. 3 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK sei verletzt, da die Öffentlichkeit von der vorinstanzlichen Verhandlung ausgeschlossen worden sei.
1
2.1.1. Art. 6 Ziff. 1 EMRK räumt das Recht ein, dass unter anderem in Strafsachen öffentlich verhandelt wird. Art. 30 Abs. 3 BV garantiert dieses Recht nur, wenn eine mündliche Gerichtsverhandlung stattfindet (BGE 128 I 288 E. 2.3-2.6 S. 291 ff. mit Hinweisen). Der Öffentlichkeitsgrundsatz soll nicht nur Personen, die am Prozess beteiligt sind, eine korrekte Behandlung gewährleisten. Vielmehr will er auch der Allgemeinheit ermöglichen, festzustellen, wie das Recht verwaltet und die Rechtspflege ausgeübt wird, und liegt insoweit auch im öffentlichen Interesse (BGE 133 I 106 E. 8.1 S. 107 mit Hinweisen).
2
Der Ausschluss der Öffentlichkeit muss verhältnismässig, das heisst geeignet und erforderlich sein. Zudem muss ein angemessenes Verhältnis zwischen den Gründen für den Ausschluss der Öffentlichkeit und dem Interesse an der öffentlichen Verhandlung bestehen (Urteil 1C_332/2008 vom 15. Dezember 2008 E. 3.1 mit Hinweis auf die Rechtsprechung des EGMR; Grabenwarter/Pabel, a.a.O., § 24 N. 80; Müller/Schefer, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl. 2008, S. 971 f.).
3
2.1.2. Die erstinstanzliche Verhandlung fand auf Antrag des Opfers unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt (kantonale Akten, act. 46, 53). Der Beschwerdeführer opponierte nicht dagegen. Die Urteilseröffnung war öffentlich (kantonale Akten, Protokoll Bezirksgericht Affoltern, S. 41). Anlässlich der vorinstanzlichen Verhandlung erklärte der Vorsitzende einleitend, die Öffentlichkeit sei von der Verhandlung ausgeschlossen. Der Beschwerdeführer stellte vorfrageweise den Antrag, die Verhandlung sei abzunehmen, und es sei zur erneuten Berufungsverhandlung vorzuladen. Dabei sei die Öffentlichkeit, insbesondere der Gerichtsberichterstatter, zuzulassen. Das Gericht wies den Antrag ab (kantonale Akten, act. 185 S. 1 ff., act. 270 S. 24 ff.).
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2.1.3. Die Vorinstanz schloss die Öffentlichkeit von der Hauptverhandlung aus, ohne eine Interessenabwägung vorzunehmen. Da die Öffentlichkeit bereits von der erstinstanzlichen Verhandlung ausgeschlossen war, wäre vom anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer zu erwarten gewesen, dass er sich aktiv um eine publikums- oder medienöffentliche Hauptverhandlung vor Obergericht bemühte. Indem er dies erst anlässlich der vorinstanzlichen Verhandlung vorfrageweise tat, obwohl er gemäss eigenen Angaben bereits "wenige Tage" zuvor im Internet vom Ausschluss der Öffentlichkeit erfahren hatte, verstösst sein Verhalten gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Die Vorinstanz durfte annehmen, dass der Beschwerdeführer stillschweigend auf einen Antrag verzichtete, weshalb sie keine Interessenabwägung vornehmen musste.
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2.2. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 30 Abs. 3 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK, weil die Vorinstanz von einer öffentlichen Urteilsverkündung absah. Die Rüge wird nicht weiter begründet, weshalb darauf nicht einzutreten ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; 138 I 225 E. 3.2 S. 228).
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2.3. Gleiches gilt für die Rüge, die Vorinstanz habe sein rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt, da sie entgegen seinem Antrag "keine rechtsmittelfähige Verfügung" erlassen habe.
7
 
Erwägung 3
 
3.1. Nach dem Anklagegrundsatz bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens und dient der Information der beschuldigten Person (Umgrenzungs- und Informationsfunktion). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind. Das Anklageprinzip bezweckt zugleich den Schutz der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person und dient dem Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl. Urteil 6B_130/2012 vom 22. Oktober 2012 E. 6.2, nicht publ. in: BGE 138 IV 209; BGE 133 IV 235 E. 6.2 f. S. 244 f.; je mit Hinweisen).
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3.2. Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt (Urteil S. 11), ist unter dem Gesichtspunkt der Informationsfunktion des Anklageprinzips massgebend, dass die angeklagte Person genau weiss, was ihr angelastet wird, damit sie ihre Verteidigungsrechte angemessen ausüben kann. Ungenauigkeiten in den Zeitangaben sind solange nicht von entscheidender Bedeutung, als für die beschuldigte Person keine Zweifel darüber bestehen können, welches Verhalten ihr vorgeworfen wird (siehe Urteile des Bundesgerichts 6B_233/2010 vom 6. Mai 2010 E. 2.3 und 6B_830/2008 vom 27. Februar 2009 E. 2.4; je mit Hinweisen).
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3.3. Die Vorinstanz hat sich mit den Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt und ist nicht in Willkür verfallen (Urteil S. 11 f.). Das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers und das Willkürverbot sind nicht verletzt.
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Erwägung 4
 
 
Erwägung 5
 
5.1. Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Dies soll zu der für einen korrekten und fairen Prozess erforderlichen Offenheit des Verfahrens beitragen und ein gerechtes Urteil ermöglichen (BGE 137 I 227 E. 2.1 S. 229 mit Hinweisen).
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5.2. Die Vorbringen des Beschwerdeführers genügen in weiten Teilen den qualifizierten Begründungsanforderungen nicht, da es sich um reine Mutmassungen und Behauptungen handelt. So bringt er beispielsweise vor, ein Polizist habe ihn grundlos auf den Oberschenkel geschlagen, es entspreche der allgemeinen Erfahrung, dass die Urteilsberatung spätestens eine Viertelstunde vor Öffnung des Saals beendet werde, die eigentliche Beratung habe höchstens 60 Minuten gedauert, oder er argumentiert, der Staatsanwaltschaft sei das Urteil im konkreten Fall bereits vor der Verhandlung bekannt gewesen. An der Sache vorbei gehen seine Ausführungen, soweit er sich allgemein zu den Umständen am Obergericht des Kantons Zürich äussert. So sollen die Urteile in Berufungsverfahren von den Referenten gemacht werden und diese den Parteien jeweils Prognosen erteilen.
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5.3. Soweit darauf eingetreten werden kann, sind die Vorbringen des Beschwerdeführers unbegründet. Er schliesst aus der Dauer der Urteilsberatung und aufgrund des Datums des Haftbefehls, dass das Urteil der Vorinstanz bereits vor der Berufungsverhandlung feststand.
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5.3.1. Bezüglich des Haftbefehls setzt sich der Beschwerdeführer nicht mit der Stellungnahme der Vorinstanz auseinander, welche diese im Haftbeschwerdeverfahren vor Bundesgericht einreichte. Die Vorinstanz führte nachvollziehbar aus, der Haftbefehl sei bereits am Vortag der Berufungsverhandlung entworfen worden, da mit einem Antrag auf Anordnung von Sicherheitshaft im Falle einer Verurteilung zu rechnen war. Durch das elektronische Texterstellungssystem sei das Datumsfeld auf der ersten Seite des Entwurfs automatisch ausgefüllt worden. Als der Haftbefehl nach der Urteilsberatung ausgefertigt wurde, sei das Datum auf der zweiten Seite korrekt eingetragen, jedoch versehentlich auf der ersten Seite nicht korrigiert worden. Die Polizei sei für den Fall einer Verhaftung bereits am Vortag aufgeboten worden. Dabei sei in Kauf genommen worden, dass die Polizisten allenfalls unnötigerweise aufgeboten würden. Dass die Vorinstanz Vorbereitungen traf, lässt nicht darauf schliessen, dass sie ihr Urteil zu diesem Zeitpunkt bereits gefällt hatte.
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5.3.2. Hinsichtlich der Dauer der Urteilsberatung erklärte die Vorinstanz, praxisgemäss werde der vorläufige Urteilsantrag des Referenten in einer internen Beratung nicht verlesen, da er der Gerichtsbesetzung schon von der Verhandlungsvorbereitung bekannt sei. Diskutiert würden hauptsächlich Punkte, in denen abweichende oder geänderte Meinungen vorlägen, und neue Vorbringen aus der Verhandlung. Im Antrag des Referenten seien die aus dem erstinstanzlichen Verfahren und der Berufungserklärung bekannten Argumente des Verteidigers behandelt worden. Gleiches gelte für die prozessualen Anträge der Verteidigung, die absehbar gewesen oder vor der Verhandlung gestellt worden seien. Soweit sich das Gericht über die Beurteilung einig gewesen sei, habe sich eine Beratung über die Vorbringen erübrigt. Das Plädoyer der Verteidigung sei zwar ausführlich gewesen, der daraus resultierende zusätzliche Beratungsaufwand habe sich in Grenzen gehalten, da viele Vorbringen bekannt oder zu erwarten gewesen seien. Die Plädoyernotizen hätten während der Beratung nicht erneut verlesen werden müssen, weil die Gerichtsbesetzung sowohl mit dem Inhalt der schriftlich vorliegenden Plädoyers als auch den Akten vertraut gewesen sei und sich während des Verlesens entsprechende Notizen gemacht habe.
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5.3.3. Das Bundesgericht hat das in der Schweiz weitverbreitete Referentensystem als verfassungsrechtlich zulässig beurteilt. Die vorläufige Meinungsbildung des Referenten und der darauf beruhende Antrag an die urteilende Kammer bringen für sich genommen keinerlei Voreingenommenheit zum Ausdruck und sind mit der Richtergarantie nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK vereinbar (BGE 134 I 238 E. 2.3 S. 241 f.; Urteil 1P.687/2005 vom 9. Januar 2006 E. 7.1; je mit Hinweisen). Selbstverständlich kann es auch den beiden anderen Richtern nicht verwehrt sein, sich aufgrund der Akten eine vorläufige Meinung zu bilden, und diese untereinander auszutauschen. Massgebend ist, dass die Richter innerlich frei sind, aufgrund der in der Verhandlung vorgetragenen Argumente und der aufgenommenen Beweise zu einem anderen Ergebnis zu gelangen. Der Beschwerdeführer vermag nicht darzulegen, dass dies nicht der Fall war.
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Erwägung 6
 
6.1. Der in Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK garantierte Anspruch des Beschuldigten, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, ist ein besonderer Aspekt des Rechts auf ein faires Verfahren gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Eine belastende Zeugenaussage ist grundsätzlich nur verwertbar, wenn der Beschuldigte wenigstens einmal während des Verfahrens angemessene und hinreichende Gelegenheit hatte, das Zeugnis in Zweifel zu ziehen und Ergänzungsfragen zu stellen. Der Beschuldigte muss in der Lage sein, die Glaubhaftigkeit einer Aussage zu prüfen und ihren Beweiswert in kontradiktorischer Weise auf die Probe und infrage zu stellen. Das kann entweder im Zeitpunkt, in welchem der Belastungszeuge seine Aussage macht, oder auch in einem späteren Verfahrensstadium erfolgen (BGE 133 I 33 E. 3.1 S. 41; Urteile 6B_670/2012 vom 15. Juli 2013 E. 4.3 und 6B_251/2012 vom 2. Oktober 2012 E. 2.3.2; je mit Hinweisen).
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6.2. Der Beschwerdeführer setzt sich nicht mit diesen Grundsätzen auseinander bzw. legt nicht dar, inwiefern von diesen abgewichen werden sollte. So führt er einzig aus, die EMRK garantiere die Unmittelbarkeit, begründet jedoch nicht, dass und inwiefern die Vorinstanz kantonales Verfahrensrecht willkürlich angewendet hat. Diesbezüglich ist auf die Rüge nicht einzutreten.
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6.3. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe seinen Antrag auf Einvernahme seiner Ex-Frau und Mutter seiner Stieftochter zu Unrecht abgelehnt. Es gehe nicht nur darum, ob die damalige Ehefrau von den fraglichen Übergriffen etwas mitbekommen hätte. Auch das innerfamiliäre Beziehungsgeflecht sei zu klären.
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6.4. Ferner wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Abweisung seines Antrags auf Einvernahme seiner Stieftochter. Weil ihre Aussagen die einzigen direkten Beweismittel darstellten, sei es unvermeidbar, dass sich das Gericht einen persönlichen Eindruck mache. Eine erneute Einvernahme dränge sich auf, weil ihre Aussagen widersprüchlich und lückenhaft seien. Eine Befragung seiner Stieftochter vor Gericht sei deshalb angezeigt, weil die Vorinstanz zum Schluss gelangte, ab dem 14. Dezember 2002 sei von einer einvernehmlichen sexuellen Beziehung auszugehen. Seine Stieftochter hätte dazu befragt werden müssen.
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6.5. Schliesslich wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Abweisung seines Antrags, seine Stieftochter sei aussagenpsychologisch begutachten zu lassen. Die Vorinstanz habe das Aussagetüchtigkeitsgutachten willkürlich und aktenwidrig interpretiert respektive umgedeutet und damit Art. 9 BV verletzt. Entgegen den Ausführungen der Vorinstanz äussere sich das Gutachten nur zur Aussagetüchtigkeit seiner Stieftochter im Zeitpunkt der Begutachtung (2012), nicht jedoch für den Zeitraum der fraglichen Übergriffe (2000-2004) und der Einvernahmen (2008-2011). Auch schliesse die momentane Aussagetüchtigkeit nicht aus, dass die Stieftochter in den Jahren 2000-2004 eine verzerrte Wahrnehmung gehabt habe.
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6.5.1. Soweit der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK rügt, ist darauf mangels genügender Substanziierung nicht einzutreten.
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6.5.2. Das Prüfen der Glaubhaftigkeit von Aussagen ist Teil der Beweiswürdigung und gehört damit zum Aufgabenbereich des Gerichts. Eine Begutachtung durch eine sachverständige Person drängt sich nur bei besonderen Umständen auf. Dies ist etwa der Fall, wenn schwer interpretierbare Äusserungen eines Kleinkinds zu beurteilen sind, bei Anzeichen ernsthafter geistiger Störungen, welche die Aussageehrlichkeit des Zeugen beeinträchtigen könnten, oder wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Zeuge durch Drittpersonen beeinflusst wird (vgl. BGE 129 IV 179 E. 2.4 S. 184 mit Hinweisen). Dem Richter steht bei der Frage, ob aufgrund der konkreten Umstände eine Begutachtung notwendig ist oder nicht, ein Ermessensspielraum zu (Urteil 6B_681/2012 vom 12. März 2013 E. 3.2 mit Hinweis).
23
6.5.3. Die Vorinstanz gelangt gestützt auf das forensisch-psychiatrische Sachverständigengutachten vom 8. März 2012 zum Schluss, die Aussagetüchtigkeit des Opfers sei durch keine relevante Psychopathologie eingeschränkt. Das Gutachten beziehe sich nicht nur auf den gegenwärtigen Zeitpunkt, sondern auch auf die aussagerelevante Zeitspanne. Ob das Opfer wahrheitsgemäss ausgesagt habe, sei nicht Gegenstand des Gutachtens, sondern mittels Aussagenanalyse vom Gericht zu prüfen (Urteil S. 28). Eine psychische Störung, welche die Aussagequalität beeinflussen könnte, könne ausgeschlossen werden. Es bestünden keine Anzeichen, dass das Opfer aufgrund aussergewöhnlicher Umstände in seiner Wahrnehmungs-, Erinnerungs- oder Wiedergabefähigkeit beeinträchtigt und zur wahrheitsgemässen Aussage nicht fähig oder nicht willens sein könnte. Ein Glaubhaftigkeitsgutachten müsse nicht eingeholt werden (Urteil S. 70).
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6.5.4. Gemäss dem Gutachten sind psychotische Phänomene nur massgebend, wenn plausibel nachgewiesene Symptomatik zu aussagerelevanten Zeitpunkten festgestellt werden müssten (kantonale Akten, act. 162 S. 61). "Aussagerelevante Zeitpunkte" seien Tatzeitpunkt, Anzeigezeitpunkt und Befragungszeitpunkte (a.a.O., S. 58). Das Opfer gebe an, der erste Übergriff habe zirka im Jahre 2001 stattgefunden. Eine Behandlung aufgrund relevanter psychischer Auffälligkeiten sei erst ab dem Jahr 2004 erfolgt. Wäre die Aussagetüchtigkeit für die Beschuldigung eines ersten sexuellen Übergriffs beeinträchtigt gewesen, müsste psychotische Symptomatik auch für diesen Zeitpunkt plausibel gemacht werden. Dies hätte der Sozialarbeiterin auffallen müssen, was nicht der Fall gewesen sei. Die Annahme von Aussageuntüchtigkeit für diesen aussagerelevanten Zeitpunkt (erste Übergriffe) sei daher nicht plausibel zu machen (a.a.O., S. 62). Als Zwischenfazit wurde festgehalten, es könne nicht plausibel belegt werden, dass beim Opfer zu aussagerelevanten Zeitpunkten (inkl. der Jahre 2004-2008) eine schwerwiegende psychische Störung im Sinne einer klassischen psychiatrischen Erkrankung überdauernd die Voraussetzungen der Aussagetüchtigkeit tangiert hätte (a.a.O., S. 63). Der Gutachter setzt sich in der Folge mit den Verdachtsdiagnosen der "artifiziellen Störung" und der "Pseudologia phantastica" auseinander (a.a.O., S. 63 ff.). Beim Opfer würden keinerlei Hinweise für eine "artifizielle Störung" und eine Persönlichkeitsstörung bestehen. Aus forensisch-psychiatrischer Sicht sei es nicht gerechtfertigt, über die Phänomene, die 2006 den Klinikaufenthalt prägten, die Aussagetüchtigkeit des Opfers infrage zu stellen (a.a.O., S. 65 ff.). Es spreche wenig dafür, dass während der jetzigen Begutachtung von Persönlichkeitszügen auszugehen sei, die im Sinne einer "Pseudologia phantastica" gewertet werden müssten. Für aussagerelevante Zeitpunkte sei ein solches Phänomen nicht mehr plausibel zu machen. Der Gutachter schloss, aus forensisch-psychiatrischer Sicht sei davon auszugehen, das Opfer sei zum jetzigen Zeitpunkt als psychisch unauffällige Zeugin zu behandeln. Bei der Beurteilung ihrer Aussagen seien allenfalls normalpsychologisch zu wertende Phänomene zu berücksichtigen (a.a.O., S. 70). Abschliessend führte der Gutachter aus, in der Phase der Stabilisierung (gemeint ist im Jahr 2008) sei es erstmals zu ausführlichen Aussagen zu Übergriffen durch den Beschwerdeführer gekommen. Es sei nicht plausibel zu machen, das Opfer habe zu diesem Zeitpunkt unter so bedeutsamer Psychopathologie gelitten, dass dadurch sein Aussageverhalten ungünstig beeinflusst worden wäre. Dies gelte auch für die Zeit des weiteren Verfahrens (a.a.O., S. 71).
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6.5.5. Die vorinstanzliche Würdigung des Gutachtens, wonach das Opfer zu den aussagerelevanten Zeitpunkten aussagetüchtig war, ist nicht zu beanstanden. Gestützt auf die Ausführungen des Gutachters konnte die Vorinstanz willkürfrei davon ausgehen, dass die Aussagetüchtigkeit im Tatzeitpunkt, im Zeitpunkt der Anzeige und der Einvernahmen sowie im Begutachtungszeitpunkt durch keine relevante Psychopathologie eingeschränkt war. Dem Gutachter waren die Lebensgeschichte des Opfers und die Berichte der verschiedenen Institutionen, in welchen es sich aufgehalten hatte, bekannt. Er setzte sich damit auseinander und liess sie in seine Beurteilung einfliessen. Auch ging er davon aus, dass die Sozialarbeiterin psychotische Störungen beim Opfer bemerkt hätte. Demnach konnte die Vorinstanz eine verzerrte Wahrnehmung der Übergriffe ausschliessen. Da keine Anzeichen einer psychischen Störung beim Opfer bestanden, durfte sie den Antrag des Beschwerdeführers auf ein aussagenpsychologisches Gutachten abweisen, ohne ihr Ermessen zu überschreiten. Das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers und sein Recht auf ein faires Verfahren sind nicht verletzt.
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Erwägung 7
 
7.1. Die Vorinstanz würdigt die Aussagen des Opfers ausführlich (Urteil S. 29-69) und setzt sich dabei mit den Einwänden des Beschwerdeführers auseinander (z.B. Urteil S. 36, 38, 41 ff., 57 ff.). Im Hinblick auf die komplizierten Familien- und Wohnverhältnisse des Opfers widmet sie sich eingehend seiner biografischen Entwicklung (Urteil S. 16-22). Dabei verkennt sie nicht, dass es ein schlechtes Verhältnis zu seiner Mutter hatte, nach den Übergriffen mehrfach fremd platziert wurde, teilweise auf der Strasse lebte und Cannabis konsumierte sowie mehrfach mittels FFE hospitalisiert wurde.
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7.2. Soweit der Beschwerdeführer sein Recht auf ein faires Verfahren über den Anspruch auf rechtliches Gehör hinausgehend als verletzt sieht, ist auf die Rüge mangels genügender Substanziierung nicht einzutreten.
28
7.3. Die Willkürrügen sind unbegründet. Aus der Aussagenanalyse der Vorinstanz ergibt sich, dass genügend Angaben des Opfers vorhanden waren, um diese zu analysieren. Sie führt willkürfrei aus, entgegen dem Argument der Verteidigung könne angesichts der Vielzahl der geschilderten, gleichartigen und repetitiven Übergriffe nicht erwartet werden, dass sich jeder einzelne in das Gedächtnis des Opfers eingebrannt hätte (Urteil S. 42 f.).
29
7.4. Angesichts des regelmässigen erheblichen und langjährigen Missbrauchs sowie des Zeitraums von mehreren Jahren seit der Tat bis zu den Aussagen (Handlungen von 2000-2004, Erstaussage am 11. November 2008) sind exakte Details in den Aussagen nicht zu erwarten. Das Opfer wies selbst auf gewisse Erinnerungslücken hin (Urteil S. 37). Weil die Übergriffe, abgesehen von der Steigerung in ihrer Intensität, stets gleich abgelaufen sein sollen, ist nicht erstaunlich, dass sich das Opfer nicht an jeden einzelnen Vorfall erinnern und diesen detailliert schildern kann. Auffällig wäre demgegenüber, wenn es jede Begebenheit zeitlich exakt einordnen und den Ablauf genau beschreiben könnte. In dieser speziellen Konstellation ist es nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz die Opferaussagen in globo würdigt und nicht prüft, ob sie hinsichtlich jedes einzelnen Übergriffs glaubhaft sind. Weil sie von weiteren Beweismittel bestätigt werden, durfte die Vorinstanz die Aussagen des Opfers willkürfrei als glaubhaft bezeichnen und bei der Beweiswürdigung darauf abstellen.
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7.5. Die Vorinstanz setzt sich im Rahmen der Aussagenwürdigung auch mit der Glaubwürdigkeit der Stieftochter und den weiteren Umständen auseinander. Sie legt deren biografische Entwicklung ausführlich dar, prüft die Möglichkeit einer Falschbelastung aus Rache und begründet einleuchtend, wieso seine Stieftochter trotz der Übergriffe beim Beschwerdeführer blieb. Das Verhältnis zu ihrer Mutter sei schwer gestört gewesen. Diese habe sie völlig abgelehnt, weshalb sie keine Alternative gehabt habe, als beim Beschwerdeführer zu bleiben. Sie habe stark unter dem Liebesentzug der Mutter gelitten und sich eine intakte Familie gewünscht. Der Stiefvater sei ihre wichtigste Bezugsperson gewesen (Urteil S. 52 ff.). Die Vorinstanz äussert sich auch zu den Vorbringen im Zusammenhang mit dem Tagebuch (Urteil S. 62 f.). Die relativ späte Anzeigeerstattung im Jahr 2008 erachtet sie als nachvollziehbar und die Erklärung des Opfers als glaubhaft. Es habe einen langwierigen Prozess durchlaufen und sich zur Anzeige entschlossen, als sich seine Situation stabilisiert habe. Jedoch habe es bereits zuvor gegenüber verschiedenen Personen von den sexuellen Übergriffen berichtet bzw. diese angedeutet (Urteil S. 46 ff.). Gestützt auf das forensisch-psychiatrische Gutachten schliesst sie eine psychische Störung des Mädchens aus. Von einer eingehenden Analyse der Glaubwürdigkeit des Opfers durfte die Vorinstanz deshalb willkürfrei absehen.
31
7.6. Die Rüge des Beschwerdeführers, die Vorinstanz verletze seinen Anspruch auf rechtliches Gehör, indem sie sich nicht mit seinen Vorbringen befasste, ist unbegründet. Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV muss sich die Begründung nicht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzen und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegen. Sie muss kurz die wesentlichen Überlegungen nennen, von denen sich das Gericht hat leiten lassen und auf die es seinen Entscheid stützt (BGE 138 IV 81 E. 2.2 S. 84). Die Vorinstanz hat die Einwände des Beschwerdeführers ausreichend erörtert und erklärt, weshalb sie diese für nicht stichhaltig erachte (Urteil S. 36, 38, 41 ff., 57 ff.). Aus der Beschwerde ergibt sich, dass er über die notwendigen Informationen verfügte, um das Urteil anzufechten.
32
 
Erwägung 8
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 4. November 2013
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Mathys
 
Die Gerichtsschreiberin: Andres
 
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