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Informationen zum Dokument  BGer 2C_1018/2012  Materielle Begründung
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BGer 2C_1018/2012 vom 06.12.2013
 
{T 0/2}
 
2C_1018/2012
 
 
Urteil vom 6. Dezember 2013
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichter Seiler,
 
Bundesrichter Donzallaz,
 
Bundesrichter Stadelmann,
 
Bundesrichter Kneubühler,
 
Gerichtsschreiber Hugi Yar.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
1. X.________,
 
2. Y.________,
 
Beschwerdeführer,
 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard Jüsi,
 
gegen
 
Migrationsamt des Kantons Zürich,
 
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich.
 
Gegenstand
 
Aufenthaltsbewilligung/Familiennachzug,
 
Beschwerde gegen das Urteil des
 
Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4. Kammer, vom 5. September 2012.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
X.________ und Y.________ haben an ihren Anträgen und Ausführungen festgehalten.
1
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide ausgeschlossen, welche Bewilligungen betreffen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumen (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Für das Eintreten genügt, wenn die betroffene Person in vertretbarer Weise dartut, dass 
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1.2. Der beschwerdeführende Gatte ist ein anerkannter eritreischer Flüchtling, dem in der Schweiz Asyl gewährt wurde (vgl. Art. 49 AsylG [SR 142.31]). Er hat Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung im Kanton, in dem er sich rechtmässig aufhält sowie nach fünfjähriger rechtmässiger Anwesenheit - längerfristige Freiheitsstrafen bzw. erhebliche Verstösse gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorbehalten - auf die Niederlassungsbewilligung (Art. 60 AsylG; WALTER STÖCKLI, §11 Asyl, in: Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], Ausländerrecht, 2. Aufl. 2009, N. 11.47). Zwar kann der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf Familiennachzug in direkter Anwendung von Art. 44 AuG (Familiennachzug von Personen mit Aufenthaltsbewilligung) geltend machen (BGE 137 I 284 E. 1.2 S. 287 mit Hinweisen; MARTINA CARONI, Der Familiennachzug in der Schweiz - Gratwanderung zwischen Menschenrechten, Gleichberechtigung und restriktiver Zulassungspolitik, in: Achermann et al. [Hrsg.], Jahrbuch für Migrationsrecht 2012/2013, 2013, S. 3 ff., dort S. 19 f.). Er verfügt wegen seiner flüchtlings- und asylrechtlichen Situation indessen über ein 
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1.3. Auf die frist- (Art. 100 Abs. 1 BGG) und formgerecht (Art. 42 BGG) gegen den negativen, kantonal letztinstanzlichen 
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Erwägung 2
 
2.1. Der Gesetzgeber hat den ausländerrechtlichen Familiennachzug in den Art. 42 ff. AuG geregelt. Bezüglich eines solchen von ausländischen Personen, deren Aufenthaltsbewilligung auf einem gefestigten Anwesenheitsrecht beruht, ist trotz Fehlens eines gesetzlichen Bewilligungsanspruchs (Art. 44 AuG) das behördliche Ermessen beschränkt (vgl. Art. 96 AuG). Der Anwendungsbereich von Art. 8 EMRK ist berührt, wenn eine staatliche Entfernungs- oder Fernhaltemassnahme eine nahe, echte und tatsächlich gelebte familiäre Beziehung einer in der Schweiz 
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2.2. Der Nachzugsanspruch bei einer gefestigten Aufenthaltsbewilligung eines der Ehepartner besteht im Rahmen des Schutzes des Privat- und Familienlebens unter Berücksichtigung des gesetzlichen Systems, wenn der ausländische Ehegatte mit der hier gefestigt anwesenden Person zusammenwohnt (Art. 44 lit. a AuG), die Eheleute über eine bedarfsgerechte Unterkunft verfügen (Art. 44 lit. b AuG) und sie nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind. Zudem müssen die jeweiligen Nachzugsfristen eingehalten sein (Art. 73 Abs. 1 - 3 VZAE). Der Anspruch entfällt, wenn er rechtsmissbräuchlich geltend gemacht wird (bspw. Umgehungs- oder Scheinehe) oder einer der Widerrufsgründe von Art. 62 AuG vorliegt, d.h. insbesondere, wenn der Partner, für den die anwesende Person (mit) zu sorgen hat, der Sozialhilfe bedarf (Art. 51 Abs. 2 i.V.m. Art. 62 lit. e AuG, vgl. zu diesem Kriterium das EGMR-Urteil 
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Erwägung 3
 
3.1. Der Beschwerdeführer ist im November 2007 in die Schweiz gekommen. Am 11. Januar 2010 wurde ihm Asyl gewährt und gestützt hierauf eine Aufenthaltsbewilligung erteilt. Erst nach seiner Flucht heiratete er am 9. Oktober 2010 seine heutige Gattin. Seine Rechtsstellung hat in dem Sinne als gesichert zu gelten, dass er nur noch unter besonderen Umständen ausgewiesen oder in seine Heimat zurückgeschafft werden kann (Art. 63 bzw. 65 AsylG und BGE 135 II 110 ff.; 139 II 65 E. 4 und 5). Seine Beziehung zur Schweiz als Asylland ist relativ eng (BGE 122 II 1 E. 3d S. 10) : Sozialhilferechtliche Probleme können ihm persönlich flüchtlings- und asylrechtlich nicht entgegengehalten und seine ausländerrechtliche Anwesenheit darf nicht wegen solcher beendet werden; auf seine eigene finanzielle Situation kommt es somit nicht unmittelbar an (vgl. BGE 122 II 1 E. 3c S. 8). Nach Art. 23 FK ist ihm als anerkanntem Flüchtling ohne ausländerrechtliche Folgen vielmehr "die gleiche Fürsorge und öffentliche Unterstützung wie den Einheimischen" geschuldet.
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3.2. Birgt der Nachzug eines Familienangehörigen die Gefahr der Fürsorgeabhängigkeit der 
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3.3. Hieran ändert nichts, dass der Gesetzgeber im Ausländergesetz die Anspruchssituationen im Vergleich zur vorherigen Rechtslage (Bundesgesetz vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer; ANAG, BS 1 121) inzwischen umfassender geregelt und auf einen Bewilligungsanspruch im Rahmen von Art. 44 AuG ausdrücklich verzichtet hat. Dieser bezieht sich in erster Linie auf die Fälle eines freiwilligen Aufenthalts in der Schweiz und schliesst eine konventions- und verfassungskonforme Auslegung im Sinne der bisherigen Rechtsprechung (BGE 122 II 1 ff.) in Fällen nicht aus, in denen eine Person wegen staatlicher Verfolgung ihr Heimatland verlassen musste und eine Rückkehr bzw. ein Aufenthalt in einem Drittstaat, um das nachträglich begründete Familienleben pflegen zu können, nicht ernstlich in Betracht fällt.
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Erwägung 4
 
4.1. Die Gattin des Beschwerdeführers ist selber Eritreerin und hält sich nach ihren Abgaben ohne Aufenthaltsberechtigung im Sudan auf, wobei die Verhältnisse, denen sie dort ausgesetzt ist, als schwierig zu gelten haben. Zwar heiratete der Beschwerdeführer sie dort erst, nachdem er in der Schweiz Asyl erhalten hatte, ohne dass sie ihre eheliche Beziehung zuvor vertieft hätten vorbereiten oder bereits gemeinsam leben können, doch riskiert er, seinen Asylstatus zu verlieren, entschlösse er sich, zu seiner Frau in den Sudan zu ziehen. Entgegen den Überlegungen des Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich kann unter diesen Umständen nicht ohne weitere Abklärungen und rein vermutungsweise davon ausgegangen werden, das Zusammenleben sei "wohl auch" im Sudan möglich, wo die Heirat stattgefunden habe. Aufgrund der dortigen spezifischen Verhältnisse von eritreischen Flüchtlingen (vgl. hierzu etwa das Urteil des BVGer D-5921/2009 vom 30. März 2012 E. 5) und mit Blick auf den Asylentscheid zugunsten des Beschwerdeführers kann nicht gesagt werden, dass die Eheleute ihre Beziehung in zumutbarer Weise im gemeinsamen Heimatstaat oder (legal) in einem (anderen) Drittstaat leben könnten, zu dem engere Beziehungen bestünden als zur Schweiz (vgl. BGE 130 II 281 E. 3.3 S. 289).
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Erwägung 4.2
 
4.2.1. Nach der bundesgerichtlichen Praxis zum Familiennachzug von Flüchtlingen (mit Asyl) stehen finanzielle Gründe der Familienzusammenführung entgegen, wenn die Gefahr einer 
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4.2.2. Die entsprechende Praxis gilt unter dem neuen Recht fort (vgl. oben E. 3.2; siehe auch die Urteile 2C_639/2012 vom 13. Februar 2013 E. 4.5.2 und 2C_31/2012 vom 15. März 2012 E. 2.2) : Das Interesse, die öffentliche Fürsorge vor dem Risiko zusätzlicher Belastung zu bewahren, rechtfertigt nur dann eine massive Erschwerung oder gar ein Verunmöglichen des Familienlebens von anerkannten Flüchtlingen mit Asyl, wenn die entsprechende Gefahr in zeitlicher und umfangmässiger Hinsicht als erheblich zu gewichten ist; die Schweiz hat diesbezüglich gewisse Konsequenzen aus der Asylgewährung, der Ehefreiheit der Betroffenen (Art. 14 BV) und der damit verbundenen allfälligen künftigen Familienbildung zu tragen (BGE 122 II 1 E. 3a). Unternimmt der anerkannte Flüchtling mit Asylstatus alles ihm Zumutbare, um auf dem Arbeitsmarkt seinen eigenen und den Unterhalt der (sich noch im Ausland befindenden, nach der Flucht begründeten) Familie möglichst autonom bestreiten zu können, und hat er auf dem Arbeitsmarkt zumindest bereits teilweise Fuss gefasst, kann dies genügen, um den Ehegattennachzug zu gestatten und das Familienleben in der Schweiz zuzulassen, falls er trotz dieser Bemühungen innerhalb der für den Familiennachzug geltenden Frist unverschuldet keine Situation zu schaffen vermag, die es ihm erlaubt, die Voraussetzungen von Art. 44 lit. c AuG zu erfüllen, sich der Fehlbetrag in vertretbarer Höhe hält und in absehbarer Zeit ausgeglichen werden kann. Dem gefestigt anwesenden Flüchtling mit Asyl kommt ein Aufenthaltsrecht zu, das einen Familiennachzug ausserhalb des Familienasyls gebieten und die Schweiz im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verpflichten kann, den Betroffenen zu ermöglichen, die hierfür erforderlichen Voraussetzungen zu erfüllen (vgl. BGE 126 II 335 E. 2b/cc) bzw. im Sinne einer verfassungs- und konventionsrechtlichen Schutzpflicht zumindest weniger hohe Anforderungen an die finanzielle Unabhängigkeit zu stellen als in nicht asyl- und flüchtlingsrechtlich relevanten Fällen.
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4.3. Aufgrund des verbindlich und nicht willkürlich festgestellten Sachverhalts der Vorinstanz (Art. 105 Abs. 2 BGG) hat sich der Beschwerdeführer um seine Integration bemüht. Er besuchte verschiedene Deutschkurse und nahm an einem Beschäftigungsprogramm teil. Seit Januar 2012 ist er im Rahmen eines Bildungs-, Beschäftigungs- und Arbeitsintegrationsprogramms einer befristeten Tätigkeit als Betriebsmitarbeiter in einem Unterhaltszentrum nachgegangen. Seine Bemühungen um eine Arbeitsstelle auf dem freien Arbeitsmarkt haben indessen noch keinen Erfolg gezeitigt. Er hat sich bisher auch nicht teilweise auf diesem zu integrieren vermocht. Bei seiner Gattin handelt es sich um eine 26-jährige eritreische Staatsangehörige. Es dürfte dieser bei einer Einreise in die Schweiz aus sprachlichen und kulturellen Gründen schwerfallen, in absehbarer Zeit bereits substanziell zu den Kosten des gemeinsamen Haushalts beizutragen. Unter diesen Umständen durfte die Vorinstanz - jedenfalls zum Zeitpunkt ihres Entscheides, auf den abzustellen ist - im Rahmen der Beweiswürdigung bzw. der prospektiven Abschätzung der Entwicklung davon ausgehen, diese erscheine (noch) nicht hinreichend gesichert, dass im Falle des Nachzugs eine auf Dauer ins Gewicht fallende (zusätzliche) Fürsorgeabhängigkeit ausgeschlossen werden kann. Da der Beschwerdeführer inzwischen über die Niederlassungsbewilligung verfügt, wird die Frage allenfalls in einem neuen Verfahren gestützt auf die aktuellen Verhältnisse neu zu prüfen sein.
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Erwägung 5
 
5.1. Der angefochtene Entscheid verletzt kein Bundesrecht. Die Beschwerde ist deshalb abzuweisen.
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5.2. Dem Verfahrensausgang entsprechend würden die Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 BGG). Es kann jedoch ihrem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung entsprochen werden (Art. 64 BGG). Parteientschädigungen sind nicht geschuldet (vgl. Art. 68 Abs. 3 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. 
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen:
 
2.1. Es werden keine Kosten erhoben.
 
2.2. Den Beschwerdeführern wird Rechtsanwalt Bernhard Jüsi, Zürich, als unentgeltlicher Rechtsbeistand beigegeben und diesem aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'500.-- ausgerichtet.
 
3. 
 
Lausanne, 6. Dezember 2013
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Zünd
 
Der Gerichtsschreiber: Hugi Yar
 
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