VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 9C_692/2013  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 9C_692/2013 vom 16.12.2013
 
{T 0/2}
 
9C_692/2013
 
 
Urteil vom 16. Dezember 2013
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Kernen, Präsident,
 
Bundesrichter Meyer, Borella,
 
Gerichtsschreiber Furrer.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
 
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
T.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Urs Glaus,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung (unentgeltlicher Rechtsbeistand
 
im Verwaltungsverfahren),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
 
vom 6. September 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Der 1969 geborene T.________ bezog mit Wirkung ab 1. Juli 2000 eine halbe und ab 1. Januar 2004 eine ganze Invalidenrente (Verfügungen vom 11. April 2002 und 18. März 2004). Im Rahmen einer im März 2012 eingeleiteten Rentenrevision hob die IV-Stelle des Kantons St. Gallen mit Verfügung vom 3. Januar 2013 die Invalidenrente gestützt auf die per 1. Januar 2012 in Kraft getretenen Schlussbestimmungen der Änderung des IVG vom 18. März 2011 (6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket [AS 2011 5659; BBl 2011 2723 und 2010 1817]; nachfolgend: SchlB IVG) per Ende Februar 2013 auf. Eine dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 25. März 2013 teilweise gut, hob die angefochtene Verfügung auf und wies die Sache zur Vornahme einer polydisziplinären Begutachtung an die IV-Stelle zurück.
1
Die IV-Stelle teilte T.________ am 26. April 2013 mit, dass eine umfassende medizinische Untersuchung notwendig sei, informierte ihn über die Modalitäten der Gutachtenvergabe und stellte ihm den Fragenkatalog zu. Gleichzeitig räumte sie ihm die Möglichkeit zur Einreichung von Zusatzfragen ein. Am 10. Mai 2013 ersuchte T.________ um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung. Die IV-Stelle wies das Gesuch mit Verfügung vom 29. Mai 2013 ab mit der Begründung, es stellten sich keine besonders schwierigen Rechtsfragen.
2
B. Die hiegegen erhobene Beschwerde des T.________ hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 6. September 2013 gut. In Aufhebung der Verfügung vom 29. Mai 2013 bewilligte es das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung für das Verwaltungsverfahren ab Datum der Gesuchstellung und ernannte Rechtsanwalt Dr. Urs Glaus zum unentgeltlichen Vertreter.
3
C. Die IV-Stelle erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und die Verfügung vom 26. April (recte: 29. Mai) 2013 sei zu bestätigen.
4
Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Stellungnahme, während der Beschwerdegegner auf Abweisung der Beschwerde schliesst.
5
 
Erwägungen:
 
1. Der angefochtene Entscheid gewährt dem Beschwerdegegner die unentgeltliche Rechtsverbeiständung für das (laufende) Verwaltungsverfahren. Da die Leistungsfrage im Hintergrund steht und noch nicht definitiv entschieden ist, liegt ein Zwischenentscheid vor (zur Publikation bestimmtes Urteil 9C_486/2013 vom 2. Dezember 2013 E. 2.2 und 2.3). Der nicht wieder gutzumachende Nachteil für die Beschwerdeführerin als das Administrativverfahren leitende IV-Stelle ist evident (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
6
2. Das kantonale Gericht hat die allgemein gültigen Voraussetzungen für den Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung nach Art. 29 Abs. 3 BV sowie deren Konkretisierung in Bezug auf das vorliegend einzig umstrittene Erfordernis der Erforderlichkeit der Vertretung im IV-Verwaltungsverfahren (Art. 37 Abs. 4 ATSG in Verbindung mit Art. 2 ATSG und Art. 1 Abs. 1 IVG) zutreffend dargelegt. Ferner hat es die hierzu ergangene Rechtsprechung (BGE 125 V 32; 132 V 200 E. 4.1 S. 200 f. und E. 5.1.3 S. 204) korrekt wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.
7
3. Die Vorinstanz erwog, vorliegend handle es sich um ein gestützt auf lit. a Abs. 1 SchlB IVG angehobenes Revisionsverfahren, bei welchem die Herabsetzung bzw. Aufhebung der bisherigen Rentenleistungen und damit der (teilweise) Verlust der formell rechtskräftig zugesprochenen finanziellen Existenzgrundlage drohe. Damit stehe ein besonders starker Eingriff in die Rechtsposition des Beschwerdegegners in Frage. Schon deshalb sei die sachliche Notwendigkeit gemäss Art. 37 Abs. 4 ATSG zu bejahen. Ins Gewicht falle weiter, dass es sich um ein Revisionsverfahren handle und zu den SchlB IVG noch keine gefestigte Rechtsprechung existiere, insbesondere zu einer allfälligen Wiedereingliederung. Damit sei von einer hohen rechtlichen Schwierigkeit auszugehen. Ferner seien auch komplexe tatsächliche Gesichtspunkte zu beurteilen wie die Tatbestandsmässigkeit des unklaren Beschwerdebilds sowie die Foersterkriterien. Hinzu komme, dass eine erste Verfügung der IV-Stelle aufgehoben und die Sache an die IV-Stelle zur polydisziplinären Begutachtung zurückgewiesen worden sei. Schliesslich sei der Rechtsdienst der IV-Stelle bereits substanziell im Verfahren involviert, weshalb eine Rechtsverbeiständung auch unter dem Gebot der Waffengleichheit geboten sei. Der Einwand, der Beschwerdegegner müsse sich mit dem Beizug von Fachleuten sozialer Institutionen behelfen, ohne dass eine zur Verfügung stehende Stelle benannt werde, ziele ins Leere. Da die Bedürftigkeit ausgewiesen und die Voraussetzung der Nichtaussichtslosigkeit erfüllt sei, sei die unentgeltliche Rechtsverbeiständung zu bewilligen.
8
 
Erwägung 4
 
4.1. Die Beschwerde führende IV-Stelle verweist zunächst auf den Grundsatz, dass sich eine unentgeltliche Verbeiständung im sozialversicherungsrechtlichen Verwaltungsverfahren nur in Ausnahmefällen aufdrängt, in welchen schwierige rechtliche oder tatsächliche Fragen diese als notwendig erscheinen lassen (BGE 132 V 200 E. 4.1 S. 201 mit Hinweisen). Daraus vermag sie indessen mit ihren weiteren Vorbringen nichts zu ihren Gunsten abzuleiten.
9
Die Feststellung der Vorinstanz, wonach mit der revisionsweisen Überprüfung des seit 1. Juli 2000 bestehenden Rentenanspruchs ein besonders starker Eingriff in die Rechtsstellung des Beschwerdegegners drohe, wird von der Beschwerdeführerin nicht bestritten. Sie macht jedoch geltend, dieser Umstand allein sei nicht geeignet, die Notwendigkeit einer unentgeltlichen Verbeiständung zu begründen. Wie es sich damit letztlich verhält, kann mit Blick auf die nachfolgenden Erwägungen offen gelassen werden.
10
4.2. Im Zeitpunkt der Stellung des Gesuchs um unentgeltliche Verbeiständung ging es um die Wahrung der Parteirechte im anstehenden Begutachtungsverfahren. Es trifft zu, dass die hohe Bedeutung medizinischer Gutachten für sich allein genommen die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung nicht zu begründen vermag. Die gegenteilige Auffassung liefe darauf hinaus, dass der Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung in praktisch allen Verfahren bejaht werden müsste, in denen ein medizinisches Gutachten zur Diskussion steht, was der Konzeption von Art. 37 Abs. 4 ATSG als einer Ausnahmeregelung widerspräche. Es bedarf mithin weiterer Umstände, welche die Sache als nicht (mehr) einfach und eine anwaltliche Vertretung als notwendig erscheinen lassen (Urteil 9C_908/2012 vom 22. Februar 2013 E. 5.2 mit Hinweisen). Hier hatte das kantonale Gericht die Sache zur weiteren medizinischen Abklärung resp. zur Veranlassung eines polydisziplinären Gutachtens an die IV-Stelle zurückgewiesen, und der Beschwerdegegner war bereits im gerichtlichen Verfahren vertreten. Dieser Umstand spricht für die Erforderlichkeit der Vertretung (vgl. Thomas Ackermann, Aktuelle Fragen zur unentgeltlichen Vertretung im Sozialversicherungsrecht in: Schaffhauser/Kieser [Hrsg.], Sozialversicherungsrechtstagung 2010, S. 161 f.), zumal aufgrund der vorinstanzlichen Anweisung zur umfassenden medizinischen Abklärung nicht mehr vom Vorliegen eines einfachen Sachverhaltes ausgegangen werden kann. Ferner bringt die Beschwerdeführerin nichts vor, was die Erwägungen des kantonalen Gerichts zum Gesichtspunkt der Komplexität der sich stellenden Rechtsfragen im Zusammenhang mit den SchlB IVG als bundesrechtswidrig erscheinen liesse. Mithin erübrigen sich Weiterungen zur Rüge, in Fällen ohne komplexe Fragestellung habe sich die versicherte Person mit dem Beizug von Fach- und Vertrauensleuten sozialer Institutionen oder unentgeltlicher Rechtsberatungsstellen zu behelfen. Nach dem Gesagten ist schliesslich nicht mehr von Belang, wie es sich mit dem Einbezug des Rechtsdienstes unter dem Aspekt des Gebotes der Waffengleichheit verhält.
11
4.3. Unter Berücksichtigung der erheblichen Tragweite der Sache sowie der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten des Falles verletzt der kantonale Entscheid kein Bundesrecht. Die Beschwerde ist unbegründet.
12
5. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
13
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 16. Dezember 2013
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Kernen
 
Der Gerichtsschreiber: Furrer
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).