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Informationen zum Dokument  BGer 2C_641/2013  Materielle Begründung
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BGer 2C_641/2013 vom 17.12.2013
 
{T 0/2}
 
2C_641/2013
 
 
Urteil vom 17. Dezember 2013
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichter Seiler,
 
Bundesrichter Kneubühler,
 
Gerichtsschreiber Klopfenstein.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.X.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Vedat Erduran,
 
gegen
 
Migrationsamt des Kantons Thurgau,
 
Departement für Justiz und Sicherheit
 
des Kantons Thurgau.
 
Gegenstand
 
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 22. Mai 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
D.
 
 
E.
 
 
F.
 
 
G.
 
 
H.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist unzulässig gegen Entscheide auf dem Gebiet des Ausländerrechts betreffend Bewilligungen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumen (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG).
1
Gemäss Art. 42 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG; SR 142.20) haben ausländische Ehegatten und ledige Kinder unter 18 Jahren von Schweizerinnen und Schweizern Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, wenn sie mit diesen zusammenwohnen. Ein analoger Anspruch besteht zudem aufgrund des in Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 Abs. 1 BV garantierten Rechts auf Achtung des Familienlebens. Der Beschwerdeführer hat damit einen grundsätzlichen Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, und es steht ihm die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen. Auf das im Übrigen form- und fristgerecht (Art. 42 und Art. 100 Abs. 1 BGG) eingereichte Rechtsmittel kann eingetreten werden, zumal der Beschwerdeführer als Adressat des angefochtenen Urteils ohne Weiteres hierzu legitimiert ist (Art. 89 Abs. 1 BGG).
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1.2. Das Bundesgericht prüft frei die Anwendung von Bundesrecht mit Einschluss des Verfassungs- und Völkerrechts (Art. 95 lit. a und b BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat; es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Solche Mängel müssen in der Beschwerde rechtsgenüglich gerügt werden (Art. 106 Abs. 2 BGG).
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Erwägung 2
 
2.1. Die Ansprüche nach Art. 42 AuG erlöschen gemäss Art. 51 Abs. 1 lit. b AuG unter anderem dann, wenn Widerrufsgründe nach Art. 63 AuG vorliegen. Solche sind beispielsweise gegeben, wenn eine ausländische Person oder ihr Vertreter im Bewilligungsverfahren falsche Angaben gemacht oder wesentliche Tatsachen verschwiegen hat (Art. 63 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 62 lit. a AuG) bzw. die ausländische Person zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist (Art. 63 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 62 lit. b AuG). Von einer solchen wird praxisgemäss bei einem Freiheitsentzug von mehr als einem Jahr ausgegangen (BGE 135 II 377 E. 4.2 und 4.5 S. 379 ff.), wobei es keine Rolle spielt, ob die Freiheitsstrafe bedingt, teilbedingt oder unbedingt ausgesprochen wurde (Urteil 2C_515/2009 vom 27. Januar 2010 E. 2.1).
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2.2. Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, dass er in Deutschland zweimal zu langjährigen Freiheitsstrafen (von sechs und acht Jahren) verurteilt worden ist. Er macht aber geltend, dass er irrtümlich angenommen habe, die in Deutschland begangenen Straftaten hier nicht offenbaren zu müssen. Er habe die schweizerischen Behörden nicht absichtlich getäuscht.
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2.3. Aufgrund von Art. 90 lit. a AuG trifft die ausländische Person im Bewilligungsverfahren eine Mitwirkungspflicht in dem Sinne, dass sie gehalten ist, zutreffende und vollständige Angaben über die für die Regelung des Aufenthalts wesentlichen Tatsachen zu machen. Das Bundesgericht hat sich zu Umfang und Tragweite der ausländerrechtlichen Mitwirkungspflicht verschiedentlich ausgesprochen (Urteile 2C_595/2011 vom 24. Januar 2012 E. 3.3; 2C_403/2011 vom 2. Dezember 2011 E. 3.3.1 mit Hinweisen). Im Urteil 2C_136/2012 vom 17. April 2012 (E. 3.3) hielt es fest, nach Treu und Glauben werde nicht nur verlangt, dass das Bewilligungsverfahren in rechtsstaatlichen Bahnen verlaufe, sondern ebenso, dass die Gesuchstellenden alle Tatsachen bekanntgäben, die für den Entscheid von Bedeutung sein könnten. Für strafrechtlich relevantes Verhalten gelte dies in besonderem Masse, auch soweit es um Verurteilungen im Ausland oder dort hängige Strafverfahren gehe (genanntes Urteil, ebenda).
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Erwägung 3
 
3.1. Wenn eine ausländische Person durch ihr Verhalten einen Widerrufsgrund gesetzt hat, bleibt zu prüfen, ob diese Massnahme verhältnismässig bzw. in einer demokratischen Gesellschaft erforderlich erscheint, d.h., ob die öffentlichen Interessen am Widerruf der Bewilligung die privaten Interessen am Verbleib in der Schweiz überwiegen. Hierfür sind namentlich die Schwere des Delikts und des Verschuldens des Betroffenen, der seit der Tat vergangene Zeitraum, das Verhalten des Ausländers während diesem, der Grad seiner Integration bzw. die Dauer der bisherigen Anwesenheit sowie die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile zu berücksichtigen (Art. 8 Ziff. 2 EMRK; Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte 
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3.2. Der Beschwerdeführer bestreitet die Verhältnismässigkeit der Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung und macht eine Verletzung von Art. 8 EMRK geltend, da ihm die Anwesenheit in der Schweiz untersagt und damit sein Familienleben, d.h. die Beziehung zu seiner Frau und seinem Kind, vereitelt werde. Mit Blick auf die strafrechtlichen Verurteilungen bringt der Beschwerdeführer vor, seine von ihm begangenen Gewaltdelikte lägen in der Jugendzeit und damit weit zurück. Seit der Einreise in die Schweiz habe er sich mit Ausnahme nicht ins Gewicht fallender Verstösse gegen das Ausländergesetz mehr als sechs Jahre lang straffrei verhalten; dass er die hiesige Rechtsordnung nicht respektiere, treffe schlichtweg nicht zu. Er sei vielmehr sehr gut integriert und lebe heute in stabilen persönlichen, familiären und beruflichen Verhältnissen. Er komme für seinen Unterhalt und - zusammen mit seiner Ehefrau - denjenigen seiner Familie selber auf. Müsse er das Land verlassen, würden Frau und Kinder sozialhilfeabhängig. Ausserdem sei die Beziehung zu seiner Tochter in wirtschaftlicher und affektiver Hinsicht besonders eng. Eine Trennung der Familie könne seiner Frau und seinem Kind nicht zugemutet werden.
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3.3. Die Vorinstanz hat erwogen, zunächst sei die sechsjährige Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in der Schweiz zu relativieren; er habe sich nur deshalb so lange hier aufhalten können, weil er die Behörden gezielt getäuscht habe. Sodann sei ihm ein sehr schweres Verschulden vorzuwerfen, welches sich in dem gegen ihn verhängten Strafmass äussere. Er habe wiederholt, aus nichtigem Anlass, kaltblütig und rücksichtslos den Tod von Menschen verursacht bzw. in Kauf genommen. Der Umstand, dass er - obwohl bereits einschlägig verurteilt - am 27. Mai 2005 nochmals und wiederum aus nichtigem Anlass mit einem Messer auf seine unbewaffneten Opfer eingestochen habe, zeige seine Gefährlichkeit. Selbst unter Mitberücksichtigung der Tatsache, dass er die von ihm begangenen Verbrechen als Jugendlicher bzw. junger Erwachsener verübt habe, sei nach wie vor von einer potentiellen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auszugehen. Es bestehe daher ein äusserst gewichtiges öffentliches Interesse an der Fernhaltung des Beschwerdeführers.
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3.4. Der Beschwerdeführer bringt nichts vor, was die genannten Erwägungen der Vorinstanz als bundesrechts- bzw. konventionswidrig erscheinen lassen könnte:
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3.4.1. Zunächst ist daran zu erinnern, dass bei schweren Straftaten, Rückfall und wiederholter Delinquenz zum Schutz der Öffentlichkeit ausländerrechtlich selbst ein geringes Risiko weiterer Rechtsgüterverletzungen (Gesundheit, Leib und Leben usw.) nicht hingenommen werden muss. Ein gewichtiges öffentliches Interesse an der Wegweisung bzw. Fernhaltung der ausländischen Täterschaft besteht insbesondere bei Gewalt- und Betäubungsmitteldelikten (BGE 139 I 31 E. 2.3.2 S. 34; 130 II 176 E. 4.4.2 S. 190; 125 II 521 E. 4a/aa und 4a/bb S. 526 ff.; 122 II 433 E. 2c S. 436). Solche Delikte zählen im Übrigen zu den in Art. 121 Abs. 3 lit. a BV genannten Anlasstaten, deren Begehung dazu führt, dass die ausländische Person ihr Aufenthaltsrecht sowie alle Rechtsansprüche auf Aufenthalt in der Schweiz verliert (zur "praktischen Konkordanz" bei der Anwendung dieser Norm: BGE 139 I 31 E. 2.3.2 S. 34; Urteile 2C_170/2013 vom 20. Juni 2013 E. 2.3; 2C_1257/2012 vom 18. April 2013 E. 4.5). Dass die Straftaten im Ausland begangen wurden, ändert wie ausgeführt nichts (vorne E. 2.3).
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3.4.2. Mit Blick auf die "Reneja-Praxis" ist festzuhalten, dass die dort genannte, zwar nicht als feste Grenze zu handhabende "Zweijahresregel" vorliegend schon allein durch die vom Beschwerdeführer begangenen Delikte um ein Vielfaches überschritten wird. Ausserdem liegt der Widerrufsgrund im vorliegenden Fall nicht nur in der deliktischen Betätigung (Art. 62 lit. b AuG), sondern auch im Verschweigen vorbestehender, entscheidwesentlicher Tatsachen (lit. a dieser Norm). Der Unrechtsgehalt - sowohl derjenige des Verschweigens der Vorstrafen wie auch derjenige der hier begangenen ausländerrechtlichen Delikte - erreicht zwar bei Weitem nicht das Ausmass einer neuerlichen Straftat, die mit zwei Jahren Freiheitsstrafe geahndet würde, ist aber dennoch zu Ungunsten des Beschwerdeführers in Betracht zu ziehen. Zwar hält sich dieser nicht erst kurze Zeit in der Schweiz auf, doch wurde dieser Aufenthalt nur bewilligt, weil der Beschwerdeführer seine Straftaten verschwiegen hat. Verschweigt die um eine Bewilligung ersuchende ausländische Person die Existenz einer ausländischen Verurteilung zu sechs sowie zu acht Jahren Freiheitsstrafe, verletzt sie die ihr obliegende Mitwirkungspflicht in schwerwiegender Weise, was nicht zu schützen ist.
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3.4.3. Was Art. 8 EMRK betrifft, kann das Recht auf Achtung des Familienlebens nur angerufen werden, wenn eine staatliche Entfernungs- oder Fernhaltemassnahme gegen eine ausländische Person zur Trennung von Familienmitgliedern führt. Ist es den in der Schweiz anwesenheitsberechtigten Familienmitgliedern "ohne Schwierigkeiten" möglich, mit der ausländischen Person auszureisen, wird der Schutzbereich der genannten Garantie normalerweise nicht berührt (BGE 116 Ib 353 E. 3c S. 357; Urteil 2A.676/2006 vom 13. Februar 2007 E. 3.1); anders kann es sich beim kombinierten Schutzbereich von Privat- und Familienleben verhalten (vgl. BGE 130 II 281 E. 3.2 S. 286 ff.). Erscheint hingegen die Ausreise für die Familienangehörigen nicht von vornherein ohne Weiteres zumutbar (BGE 116 Ib 353 E. 3d S. 358), ist stets eine Interessenabwägung nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK geboten, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (vgl. zum Ganzen BGE 137 I 247 E. 4.1.1 S. 249; 135 I 143 E. 2.2 S. 147, 153 E. 2.1 S. 155; Urteile 2C_163/2013 vom 1. Mai 2013 E. 2.1; 2C_639/2012 vom 13. Februar 2013 E. 4.2).
13
 
Erwägung 4
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. 
 
2. 
 
3. 
 
Lausanne, 17. Dezember 2013
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Zünd
 
Der Gerichtsschreiber: Klopfenstein
 
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