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Informationen zum Dokument  BGer 6B_408/2013  Materielle Begründung
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BGer 6B_408/2013 vom 18.12.2013
 
{T 0/2}
 
6B_408/2013
 
 
Urteil vom 18. Dezember 2013
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Mathys, Präsident,
 
Bundesrichter Schneider, Oberholzer,
 
Gerichtsschreiber Boog.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Fürsprecher Franz Müller,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Fahrlässige Tötung; willkürliche Beweiswürdigung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer, vom 27. November 2012.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
D.
 
 
E.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Das erstinstanzliche Gericht erachtete als strafrechtlich relevanten Arztfehler die Verletzung der Hohlvene durch das 
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1.2. Das Obergericht liess demgegenüber in seinem ersten Urteil ausdrücklich offen, ob das zu weite Vordringen des Kirschnerdrahtes bis zur Erfassung und Verletzung der Hohlvene unter den gegebenen Umständen eine Sorgfaltspflichtverletzung darstellte (angefochtenes Urteil S. 7/28; Urteil des Obergerichts vom 17. März 2009 S. 10 f., 19 ff. und 37 [act. 585 f., 594 ff. und 612]). Damit liess es auch dahingestellt, ob der Beschwerdeführer sich mit dem zur Kontrolle eingesetzten Röntgenbildverstärker hinreichend vertraut gemacht hatte und ob ein Bedienungsfehler oder ein zeitweiliger Defekt vorlag, wobei es ausführte, die Umstände deuteten eher auf eine Fehlmanipulation des Beschwerdeführers hin (Urteil des Obergerichts vom 17. März 2009 S. 19, 37 [act. 594, 612]). Die relevante Sorgfaltswidrigkeit erblickte es vielmehr im Verhalten des Beschwerdeführers 
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1.3. Das Bundesgericht erkannte in seinem Rückweisungsentscheid, die Feststellung des Obergerichts, wonach die Venenverletzung durch das Zurückziehen des Kirschnerdrahts zumindest verschlimmert worden sei, sei nicht unhaltbar. Das Obergericht habe insoweit ohne Bundesrechtsverletzung von einem (neuerlichen) Beizug von Sachverständigen absehen können (Urteil 6B_984/2009 vom 25. Februar 2010 E. 3.4.1). Das Bundesgericht hob das Urteil aber auf, weil die kantonale Instanz die sich in tatsächlicher Hinsicht stellenden Fragen zur Vermeidbarkeit des Erfolgseintritts nicht einem medizinischen Sachverständigen unterbreitet hatte (Urteil 6B_984/2009 vom 25. Februar 2010 E. 3.4.2).
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Erwägung 2
 
2.1. Die Vorinstanz führt im angefochtenen Urteil aus, die ursprüngliche Annahme, wonach es dem Beschwerdeführer noch vor dem Zurückdrehen des zu weit vorgebohrten Kirschnerdrahts ohne Weiteres möglich gewesen wäre festzustellen, ob die Hohlvene verletzt war, habe sich aufgrund der neuen Gutachten als unzutreffend erwiesen. Von dieser unrichtigen Prämisse sei auch das Bundesgericht ausgegangen. Die Bindungswirkung des Rückweisungsentscheids könne aber nicht soweit gehen, dass im Rahmen der Neubeurteilung zu Ungunsten des Angeschuldigten von einer offensichtlich unrichtigen Sachverhaltsannahme ausgegangen werden müsse. Der Sachzusammenhang erfordere vielmehr insoweit eine entsprechende Anpassung, um den verbindlichen Erwägungen des Bundesgerichts Rechnung zu tragen. Unberührt von der Kassation und insoweit verbindlich entschieden sei indes der Anfangszeitpunkt, in welchem der Beschwerdeführer die erforderlichen Massnahmen spätestens hätte einleiten müssen. Dieser liege bei 11.42 Uhr, mithin im Zeitpunkt, als der Beschwerdeführer festgestellt habe, dass er den Kirschnerdraht zu weit vorgebohrt und er infolgedessen erkannt habe, dass wegen der möglichen Verletzung eines wichtigen Gefässes Lebensgefahr bestand (angefochtenes Urteil S. 10 ff.).
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Erwägung 2.2
 
2.2.1. Der Beschwerdeführer rügt zunächst, die Vorinstanz nehme zu Unrecht an, der Zeitpunkt von 11.42 Uhr, in welchem nach ihrer Auffassung die gebotenen Massnahmen hätten eingeleitet werden müssen, sei für das Neubeurteilungsverfahren verbindlich festgesetzt. Die Rückweisung durch das Bundesgericht sei mit dem Auftrag verbunden gewesen, die Fragen, die sich in tatsächlicher Hinsicht zur Vermeidbarkeit des Erfolgseintritts stellten, einem medizinischen Sachverständigen zu unterbreiten. Zum Prozessgegenstand habe demnach auch die Frage gehört, in welchem Zeitrahmen die tatsächliche Verletzung unter medizinisch-fachlichen Gesichtspunkten hätte erkannt und die weiteren Massnahmen, namentlich der Beizug der Bauch- und Gefässchirurgen, hätten eingeleitet werden müssen. Der neu berufene Gutachter sei in seinem Erstgutachten zum Schluss gelangt, eine Diagnostizierung der Venenverletzung sei im Zeitpunkt 11.42 Uhr nicht indiziert und die Unterbrechung der Operation aus medizinischer Sicht nicht geboten gewesen. Daraus ergebe sich zwingend, dass ihm (dem Beschwerdeführer) insofern keine Sorgfaltspflichtverletzung vorgeworfen werden könne. Der Gutachter habe den Zeitpunkt für einen erhärteten Verdacht einer Gefässverletzung, in welchem die als geboten bezeichneten Massnahmen hätten getroffen werden müssen, auf 11.55 Uhr festgesetzt. In diesem Zeitpunkt sei der Erfolgseintritt nach Einschätzung des Gutachters aber nicht mehr mit hoher Wahrscheinlichkeit vermeidbar gewesen. Denn nach der Auffassung des Gutachters habe dannzumal die Wahrscheinlichkeit für die Vermeidbarkeit eines tödlichen Ausgangs der Operation lediglich noch bei 60 bis 70% gelegen (Beschwerde S. 6 ff.).
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2.2.2. Im Eventualstandpunkt macht der Beschwerdeführer geltend, die Vorinstanz hätte die Vermeidbarkeit des Todeseintritts auch verneinen müssen, wenn der Zeitpunkt 11.42 Uhr als entscheidend angesehen würde. Denn er habe die Massnahmen, welche die Vorinstanz als geboten bezeichne, tatsächlich getroffen. Der auf das erste Ergänzungsgutachten (Zusatzfrage 1) gestützte Schluss der Vorinstanz, es sei um 11.42 Uhr mit grösster Wahrscheinlichkeit eine rechtzeitige Blutstillung möglich gewesen, stehe mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch und sei offenkundig unhaltbar. Die Aussage des Gutachters, auf welche sich die Vorinstanz stütze, beziehe sich offensichtlich auf die von der Vorinstanz zu Recht nicht mehr berücksichtigte Handlungsvariante, welche die Gefahr einer Querschnittslähmung miteingeschlossen habe. Damit erweise sich das angefochtene Urteil in diesem Punkt als widersprüchlich. Der Gutachter habe die Vermeidbarkeit eines tödlichen Ausgangs in der von der Vorinstanz als geboten bezeichneten Massnahmenabfolge ab 11.42 Uhr - mit Beginn der Laparotomie um 12.30 Uhr - anfänglich als möglich bezeichnet und im zweiten Ergänzungsgutachten deren Wahrscheinlichkeit auf 60 - 70% beziffert [act. 821]. Indem die Vorinstanz dennoch annehme, der Tod der Patientin hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit vermieden werden können, wenn spätestens um 12.30 Uhr mit der Laparotomie begonnen worden wäre, weiche sie ohne triftige Gründe vom Gutachten ab (Beschwerde S. 15 ff.).
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Erwägung 3
 
3.1. Im Falle eines bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheids hat die mit der neuen Entscheidung befasste kantonale Instanz ihrem Urteil die rechtliche Beurteilung, mit der die Rückweisung begründet wird, zugrunde zu legen. Jene bindet auch das Bundesgericht, falls ihm die Sache erneut unterbreitet wird. Aufgrund dieser Bindungswirkung ist es den erneut mit der Sache befassten Gerichten wie auch den Parteien, abgesehen von allenfalls zulässigen Noven, verwehrt, der Überprüfung einen anderen als den bisherigen Sachverhalt zu unterstellen oder die Sache unter rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, die im Rückweisungsentscheid ausdrücklich abgelehnt oder überhaupt nicht in Erwägung gezogen worden sind (BGE 135 III 334 E. 2 und E. 2.1 S. 335 f. mit Hinweisen). Die neue Entscheidung der kantonalen Instanz ist somit auf diejenige Thematik beschränkt, die sich aus den bundesgerichtlichen Erwägungen als Gegenstand der neuen Beurteilung ergibt. Das Verfahren wird nur insoweit neu in Gang gesetzt, als dies notwendig ist, um den verbindlichen Erwägungen des Bundesgerichts Rechnung zu tragen. Dabei kann sich die neue Entscheidung in den Grenzen des Verbots der reformatio in peius auch auf Punkte beziehen, die vor Bundesgericht nicht angefochten waren, sofern dies der Sachzusammenhang erfordert (BGE 123 IV 1 E. 1; 117 IV 97 E. 4; Urteil 6B_35/2012 vom 30. März 2012 E. 2.2).
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3.2. Das Bundesgericht erwog im Rückweisungsentscheid, das Obergericht habe ausdrücklich eingeräumt, dass sich die vorhandenen ärztlichen Gutachten nicht zur Vermeidbarkeit des Erfolgseintritts bei Ergreifung der notwendigen Massnahmen unmittelbar nach Feststellung der Verletzung der Hohlvene durch den Kirschnerdraht äusserten. Insbesondere sei nicht erhärtet, wie lange es gedauert hätte, die Patientin zwecks Abklemmen der verletzten Hohlvene von der Bauch- in die Rückenlage zu bringen und die Laparotomie auszuführen. Diese Zeitdauer erscheine für die Beurteilung der Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit das Verbluten der Patientin unter diesen Umständen hätte verhindert werden können, als wesentlich, zumal nach den gutachterlichen Stellungnahmen davon auszugehen sei, dass die Verletzung der Hohlvene zu einem grossen und raschen Blutverlust geführt habe. Bei dieser Ausgangslage wäre das Obergericht zwingend gehalten gewesen, die sich in tatsächlicher Hinsicht zur Vermeidbarkeit des Erfolgseintritts stellenden Fragen einem medizinischen Sachverständigen zur Beantwortung zu unterbreiten (Urteil 6B_984/2009 vom 25. Februar 2010 E. 3.4.2).
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3.3. Die Vorinstanz holte daraufhin bei Prof. E.________, Facharzt FMH für Chirurgie, ein Gutachten ein, welches dieser durch drei weitere Gutachten ergänzte. Bei deren Würdigung geht die Vorinstanz davon aus, der Experte verkenne, dass der Anfangszeitpunkt für das gebotene Handeln von spätestens 11.42 Uhr rechtskräftig bestimmt sei (angefochtenes Urteil S. 15). Dies lässt sich so nicht aufrechterhalten. Auf 11.42 Uhr setzt die Vorinstanz den Zeitpunkt fest, in welchem der Beschwerdeführer das zu weite Vorbohren des Kirschnerdrahts und damit die Gefahr einer Gefässverletzung mit der möglichen Folge des Verblutens erkannt hatte (angefochtenes Urteil S. 5 f./23, vgl. auch S. 10). In seinem ersten Entscheid nahm das Obergericht an, der Beschwerdeführer hätte in diesem Zeitpunkt die Operation unterbrechen und feststellen müssen, ob tatsächlich ein wichtiges Gefäss verletzt war (Urteil des Obergerichts vom 17. März 2009 S. 37 ff. [act. 612 ff.]). Gegenstand des ersten bundesgerichtlichen Verfahrens bildet denn auch der Vorwurf, der Beschwerdeführer sei dieser Pflicht nicht nachgekommen bzw. er sei dem Risiko der lebensgefährlichen Hohlvenenverletzung nicht angemessen begegnet. Nachdem sich aus den im Neubeurteilungsverfahren eingeholten Gutachten ergeben hatte, dass diese Abklärung nur mit erheblichem Zeitaufwand möglich gewesen wäre, knüpft die Vorinstanz an den Zeitpunkt 11.42 Uhr neu die Pflicht des Beschwerdeführers, allein aufgrund des blossen Verdachts einer Gefässverletzung seine Operation beschleunigt zu beenden sowie unverzüglich den Bauch- und Gefässchirurgen herbeizurufen und die Vorbereitungen für die Laparotomie zu veranlassen (angefochtenes Urteil S. 25). Ob dieser Vorwurf der Verletzung der Sorgfaltspflicht von der Anklageschrift noch gedeckt ist (vgl. Überweisungsbeschluss act. 353), kann offen bleiben. Jedenfalls bestand für den Beschwerdeführer im ersten bundesgerichtlichen Verfahren kein Anlass, die Festsetzung dieses Zeitpunkts zu rügen.
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Erwägung 4
 
4.1. Gemäss Art. 117 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht. Fahrlässig begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (Art. 12 Abs. 3 StGB). Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung setzt somit voraus, dass der Täter den Erfolg durch Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht hat. Sorgfaltswidrig ist die Handlungsweise, wenn der Täter im Zeitpunkt der Tat auf Grund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen, und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat.
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4.2. Wo besondere, der Unfallverhütung und der Sicherheit dienende Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften (BGE 135 IV 56 E. 2.1 S. 64 mit Hinweisen). Fehlen solche, kann auf analoge Regeln privater oder halbprivater Vereinigungen abgestellt werden, sofern diese allgemein anerkannt sind (BGE 127 IV 62 E. 2d S. 65 mit Hinweis). Dasselbe gilt für entsprechende, allgemein anerkannte Verhaltensregeln, auch wenn diese von einem privaten oder halböffentlichen Verband erlassen wurden und keine Rechtsnormen darstellen.
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Erwägung 5
 
5.1. Im vorliegenden Verfahren wurde der gegen den Beschwerdeführer erhobene Vorwurf der Sorgfaltspflichtverletzung in allen kantonalen Instanzen unterschiedlich formuliert (vgl. E. 1). Die erste Instanz ging davon aus, sorgfaltswidrig sei das zu weite Vorbohren mit dem Kirschnerdraht in Verbindung mit einer eventuellen falschen Bedienung des zur Überwachung dienenden Bildverstärkers gewesen. Die Operation sei mithin nicht fachgerecht vorgenommen worden. Das Obergericht erblickte in seinem ersten Urteil die Sorgfaltspflichtverletzung im Zurückziehen des Drahts, ohne dass die Operation zuvor unterbrochen, die Patientin auf den Rücken gewendet und abgeklärt worden sei, ob eine Gefässverletzung vorlag. Die Vorinstanz gelangt aufgrund der neu eingeholten Gutachten im Neubeurteilungsverfahren nunmehr zum Schluss, die Sorgfaltspflichtverletzung liege darin, dass der Beschwerdeführer nicht bereits im Zeitpunkt des Verdachts einer Venenverletzung die Viszeral- und Gefässchirurgen herbeigerufen, das Personal und die Instrumente für die Vornahme der Laparotomie und das eventuelle Abklemmen des Gefässes organisiert habe (angefochtenes Urteil S. 25).
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5.2. Der im vorinstanzlichen Verfahren berufene Sachverständige äusserte sich in seinen Gutachten zu den Fragen, mit welchen Massnahmen und in welcher Zeit die tatsächliche Verletzung der Hohlvene vor dem Zurückziehen des Kirschnerdrahts hätte erkannt werden können, welche medizinischen Massnahmen sich nach der Feststellung der Verletzung aufgedrängt hatten, wie lange es gedauert hätte, die Patientin in die Rückenlage zu wenden und mit welcher Wahrscheinlichkeit der Tod der Patientin hätte vermieden werden können, wenn die medizinischen Massnahmen sofort nach der Feststellung des zu weiten Einbohrens des Drahtes ergriffen worden wären (act. 682 ff., 685 f.).
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"Wären um 11.42 Uhr unter den in der Fragestellung gegebenen Umständen die Voraussetzungen für eine Laparotomie rasch geschaffen (Gefässchirurgie im Saal, OP-Team bereit) und erst dann die Patientin gedreht worden, wäre mit grösster Wahrscheinlichkeit eine rechtzeitige Blutstillung möglich gewesen und damit der Tod vermieden worden. [...] Auch um 12.30 Uhr wäre in meinen Augen die Erhaltung des Lebens noch möglich gewesen, hätte man die Patientin erst in Anwesenheit des Gefässchirurgen gedreht und dann sofort laparotomiert, anstatt erst um 13.00 Uhr, als die Pupillen schon nicht mehr auf Licht reagierten" (act. 775).
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Im Ergänzungsgutachten vom 11. Januar 2012 (3. Gutachten; act. 821 ff.; angefochtenes Urteil S. 19 ff.) führte der Experte in Beantwortung der ihm gestellten weiteren Zusatzfragen (act. 814 f.) aus, er veranschlage die Wahrscheinlichkeit der Vermeidbarkeit des tödlichen Ausgangs bei einer raschen Intervention um 12.30 Uhr mit 60 - 70% (act. 821/827). Die weitere Diskussion um den Zeitpunkt der Venenverletzung scheine ihm irrelevant, da um 11.50 Uhr der Blutdruck noch regulär angegeben worden sei, d.h. dass trotz der Verletzung bis zu diesem Zeitpunkt der Blutverlust noch in Grenzen gewesen und der Blutdruck durch die selbstregulierenden Mechanismen des Organismus kompensiert geblieben sei (act. 823/828).
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5.3. Das Gericht würdigt Gutachten grundsätzlich frei. In Fachfragen darf es davon nicht ohne triftige Gründe abweichen. Ein Abweichen ist zulässig, wenn die Glaubwürdigkeit des Gutachtens durch die Umstände ernsthaft erschüttert ist. Umgekehrt kann das Abstellen auf nicht schlüssige Gutachten unter Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen gegen das Willkürverbot und gegen Verfahrensrechte der Parteien verstossen (BGE 136 II 539 E. 3.2; 133 II 384 E. 4.2.3; je mit Hinweisen).
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5.4. Wie der Beschwerdeführer zu Recht ausführt, erscheint der tödliche Ausgang der Operation auch nicht als mit hoher Wahrscheinlichkeit vermeidbar, wenn von 11.42 Uhr als massgeblichem Zeitpunkt ausgegangen wird. Es trifft zwar zu, dass der Sachverständige im Ergänzungsgutachten vom 4. August 2011 ausgeführt hat, im Zeitpunkt 11.42 Uhr wäre unter den in der Fragestellung gegebenen Umständen mit grösster Wahrscheinlichkeit eine rechtzeitige Blutstillung möglich gewesen und der Tod vermieden worden, wenn die Voraussetzungen für eine Laparotomie rasch geschaffen (Gefässchirurgie im Saal, OP-Team bereit) und erst dann die Patientin gedreht worden wäre (Ergänzungsgutachten vom 4. August 2011 [2. Gutachten] act. 775). Doch ergibt sich aus dem Zusammenhang der Antworten des Gutachters, dass sich die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung, welche vom Zeitpunkt 11.42 Uhr ausgeht, auf die Handlungsvariante bezieht, welche nach seiner Auffassung mit der Gefahr einer Querschnittsverletzung verbunden (Gutachten 28. Januar 2011 [1. Gutachten] act. 730) und daher, wie auch die Vorinstanz anerkennt, nicht zumutbar war (angefochtenes Urteil S. 23). Dem folgt offensichtlich auch die Vorinstanz, wenn sie erwägt, die Ansicht des Gutachters, wonach auch um 12.30 Uhr die Erhaltung des Lebens noch möglich gewesen wäre, beziehe sich wohl auf die Variante mit Beendigung der Operation 
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Erwägung 6
 
6.1. Bei diesem Ergebnis hält auch die im Neubeurteilungsverfahren vertretene Auffassung der Vorinstanz nicht vor Bundesrecht stand. Damit erweisen sich weder die Begründung der Vorinstanz noch diejenige des Obergerichts in seinem ersten Urteil, welche beide die Sorgfaltswidrigkeit des Beschwerdeführers an sein Verhalten 
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6.2. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz (Vernehmlassung S. 4) kann das Bundesgericht nicht selber auf der Grundlage der erstinstanzlichen Begründung unbesehen einen Schuldspruch fällen, weil jene sich nie mit den in der Voruntersuchung und im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten (rechtsmedizinisches Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Bern [IRM] vom 29. Dezember 2003; Orthopädisch-rechtsmedizinisches Gutachten des IRM vom 28. Juli 2004; Ergänzungsgutachten des IRM vom 6. Dezember 2005; Gutachten Prof. Dr. med. F.________, Schulthess Klinik Zürich, Wirbelsäulenzentrum, vom 4 Februar 2008) auseinandergesetzt hat und der Beschwerdeführer sich dementsprechend auch nicht hiezu äussern konnte. Zudem verfügt das Bundesgericht in Sachverhaltsfragen über keine freie Kognition.
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Erwägung 7
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 27. November 2012 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
 
2. Es werden keine Kosten erhoben.
 
3. Der Kanton Bern hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 18. Dezember 2013
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Mathys
 
Der Gerichtsschreiber: Boog
 
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