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Informationen zum Dokument  BGer 5A_945/2013  Materielle Begründung
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BGer 5A_945/2013 vom 24.12.2013
 
{T 0/2}
 
5A_945/2013
 
 
Urteil vom 24. Dezember 2013
 
 
II. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
 
Bundesrichter Marazzi, Herrmann,
 
Gerichtsschreiberin Friedli-Bruggmann.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
B.________,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Obergericht des Kantons Aargau, Kammer für Kindes- und Erwachsenenschutz,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Entschädigung der unentgeltlichen Anwältin (Platzierung eines Kindes),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Kammer für Kindes- und Erwachsenenschutz, vom 22. August 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
A. A.________ und C.________ sind die geschiedenen Eltern von D.________ (geb. 1997). Im Rahmen ihrer Scheidung im Jahr 2008 wurde ihnen die elterliche Sorge entzogen und D.________ wurde ein Vormund bestellt. Das Kind blieb in verschiedenen Institutionen untergebracht, bis der Vormund, unter Kenntnisnahme der Vormundschaftsbehörde Rheinfelden, D.________ vorübergehend beim Kindsvater platzierte. Die Kindsmutter, fortan vertreten durch Rechtsanwältin B.________, reichte Beschwerde gegen die Platzierung ein. Ab dem 1. Januar 2013 lag die Zuständigkeit für das Beschwerdeverfahren bei der Kammer für Kindes- und Erwachsenenschutz des Obergerichts des Kantons Aargau (hiernach Obergericht).
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B. Mit Verfügung des Obergerichts vom 21. Januar 2013 wurde Rechtsanwältin B.________ zur unentgeltlichen Rechtsvertreterin der Kindsmutter bestellt. Gleichentags wurde D.________ eine Rechtsanwältin als Kindesvertreterin beigeordnet.
2
C. Mit Entscheid vom 22. August 2013 wies das Obergericht die Beschwerde der Kindsmutter ab, soweit es darauf eintrat. Das der unentgeltlichen Rechtsvertreterin für ihre Aufwendungen geschuldete Honorar setzte es auf Fr. 1'300.-- (inkl. Auslagen und MWSt) fest. Der Betrag sei ihr von der Obergerichtskasse zu bezahlen (Ziff. 5).
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D. Die Kindsmutter führt gegen die Platzierung des Kindes Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht. In derselben Rechtsschrift ficht ihre Rechtsanwältin (Beschwerdeführerin) den Entscheid an in Bezug auf das ihr zugesprochene Honorar. Sie beantragt, Ziff. 5 des Entscheids vom 22. August 2013 sei aufzuheben. Ihr sei eine Entschädigung von mindestens Fr. 8'200.-- (inkl. Auslagen und MWSt) zu bezahlen. Eventualiter sei die Angelegenheit zur Festsetzung einer angemessenen Parteientschädigung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Vorinstanz verzichtete auf eine Stellungnahme.
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E. Die Beschwerde der Kindsmutter in der Hauptsache ist getrennt zu behandeln (vgl. separates Verfahren 5A_742/2013). Die Kindesvertreterin erhob in Bezug auf die ihr zugesprochene Entschädigung ebenfalls Beschwerde an das Bundesgericht (vgl. Verfahren 5A_701/2013).
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein Rechtsmittel zulässig ist (BGE 135 III 329 E. 1 S. 331 mit Hinweisen).
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1.2. Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Endentscheid (Art. 75 Abs. 1, Art. 90 BGG) betreffend Festsetzung der Entschädigung der unentgeltlichen Anwältin. In der Hauptsache ging es um eine Massnahme des Kindesschutzrechts im weitesten Sinne (Urteil 5A_742/2013 vom 24. Dezember 2013 E. 1.1), mithin um eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit in unmittelbarem Zusammenhang mit Zivilrecht (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG) ohne Vermögenswert. Die Zulässigkeit der Beschwerde gegen einen Nebenpunkt, wie dies die Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsanwältin darstellt, richtet sich nach der Hauptsache. Da vor der Vorinstanz die Hauptsache noch strittig war, ist auch die Beschwerde gegen die Entschädigung streitwertunabhängig zulässig (anders liegt der Fall, wenn vor der Vorinstanz nur noch das Honorar strittig war: Urteil 5A_480/2013 vom 22. August 2013 E. 1). Die Beschwerdeführerin ist im Sinne von Art. 76 Abs. 1 BGG berechtigt und die Beschwerdefrist ist eingehalten (Art. 100 Abs. 1 BGG), womit der Beschwerdeführerin die Beschwerde in Zivilsachen offen steht.
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2. Die Beschwerdeführerin beanstandet die ihr als unentgeltliche Rechtsvertreterin zugesprochene Entschädigung.
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2.1. Die kantonalen Instanzen setzten die strittige Entschädigung gestützt auf kantonales Recht fest (§§ 3 bis 10 des Dekrets über die Entschädigung der Anwälte [Anwaltstarif; AnwT], SAR 291.150). Die Verletzung von kantonalem Recht prüft das Bundesgericht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; es gilt das Rügeprinzip). Die Verletzung kantonalen Rechts per se ist indes auch im ordentlichen Beschwerdeverfahren (abgesehen von hier nicht gegebenen Ausnahmen, vgl. Art. 95 lit. c-e BGG) kein Beschwerdegrund vor Bundesgericht. Vielmehr kann diesbezüglich nur gerügt werden, die Anwendung des kantonalen Rechts durch die Vorinstanz verletze das Bundesrecht im Sinne von Art. 95 lit. a BGG - namentlich das Willkürverbot (Art. 9 BV) oder andere verfassungsmässige Rechte - oder das Völkerrecht im Sinne von Art. 95 lit. b BGG (BGE 133 III 462 E. 2.3 S. 466; 133 II 249 E. 1.2.1 S. 251 f.).
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2.2. Nach § 3 Abs. 1 lit. b AnwT beträgt die Grundentschädigung in nicht vermögensrechtlichen Angelegenheiten des ordentlichen Verfahrens nach dem mutmasslichen Aufwand des Anwaltes sowie nach Bedeutung und Schwierigkeit des Falles Fr. 1'210.-- bis Fr. 14'740.--. In Summarsachen, worunter heute Kindesschutzsachen fallen, beträgt die Grundentschädigung 25-100 % dieser Ansätze (§ 3 Abs. 2 AnwT). Durch die Grundentschädigung sind Instruktion, Aktenstudium, rechtliche Abklärungen, Korrespondenz, Telefongespräche und eine Rechtsschrift sowie die Teilnahme an einer behördlichen Verhandlung abgegolten (§ 6 Abs. 1 AnwT). Wird das Verfahren nicht vollständig durchgeführt, vermindert sich die Entschädigung entsprechend den Minderleistungen des Anwaltes (§ 6 Abs. 2 AnwT). Für zusätzliche Rechtsschriften und Verhandlungen erhöht sich die Grundentschädigung um je 5-30 %, wobei überflüssige Eingaben nicht in Betracht fallen (§ 6 Abs. 3 AnwT). Im Rechtsmittelverfahren beträgt die Entschädigung des Anwaltes je nach Aufwand 50-100 % des nach den Regeln für das erstinstanzliche Verfahren berechneten Betrags (§ 8 AnwT).
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2.3. Zur Grundentschädigung äusserte sich das Obergericht in Bezug auf die angefochtene Entschädigung der Beschwerdeführerin nicht. Indes kann dem Entscheid entnommen werden, dass es der ebenfalls im Verfahren involvierten Kindesvertreterin eine Grundentschädigung von Fr. 1'200.-- zusprach, wovon wohl auch hier auszugehen ist. Das Obergericht erwog, zu berücksichtigen sei die fehlende Verhandlung, was einen Abzug von 25 % rechtfertige (§ 6 Abs. 2 AnwT); dies sei mit den zusätzlichen Aufwendungen als Folge der eingeholten Berichte mit weiteren Stellungnahmen zu verrechnen (§ 6 Abs. 3 AnwT). Ein Abzug von 10 % rechtfertige sich für das Rechtsmittelverfahren (§ 8 AnwT). Hinzu kämen Auslagen von ermessensweise pauschal Fr. 120.-- sowie MWSt von 8 %, was einen Anspruch von insgesamt rund Fr. 1'300.-- ergebe.
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2.4. Die Beschwerdeführerin rügt in erster Linie, die Vorinstanz sei bei der Festsetzung der Grundgebühr in Willkür verfallen. Das Obergericht führe lediglich aus, dass in summarischen Verfahren durchschnittlich 62.5 % der nach § 3 Abs. 1 lit. b AnwT festgesetzten Grundentschädigungen geschuldet seien. Rein rechnerisch bedeute dies wohl, dass es von einer Grundentschädigung von Fr. 1'920.-- ausgegangen sei und diese dann auf Fr. 1'200.-- (62.5 %) reduziert habe, weil ein summarisches Verfahren zur Diskussion stehe. Das Obergericht habe aber nicht begründet, weshalb die Grundentschädigung auf diesen Betrag anzusetzen sei; es habe namentlich den mutmasslichen Aufwand der Anwältin und die Bedeutung und Schwierigkeit des Falles nicht gewichtet. Bezüglich Bedeutung wäre zu berücksichtigen gewesen, dass es um einen massiven Eingriff in die Familienstruktur und die verfassungsmässigen Rechte der Kindsmutter gehe. Die Angelegenheit könne zudem rechtlich nicht als einfach bezeichnet werden, seien doch die Kompetenzen des eingesetzten Vormunds sowie der Vormundschaftsbehörde und die Einordnung der Platzierung eines Kindes bei einem nicht sorgerechtsberechtigten Elternteil rechtlich unklar. In tatsächlicher Hinsicht habe sie sich in umfangreiche Vorakten einlesen müssen, welche das Verhältnis innerhalb der Familie und die medizinische Situation der Tochter aufzeigten, und sie habe diese dokumentieren müssen, da sich die Vormundschaftsbehörde mit diesen Fragen in ihrem Entscheid nicht auseinandergesetzt habe. Die Vorinstanz habe sodann übergangen, dass das Verfahren zum Zeitpunkt seiner Einleitung dem kantonalen Verwaltungsrecht unterstanden habe, welches gar kein summarisches Verfahren kenne. Aufgrund des Zuständigkeitswechsels per 1. Januar 2013 hätten überdies die Anträge erneuert werden müssen. Zum Vergleich fügt sie an, dass gemäss ständiger Praxis des Obergerichts die Grundentschädigung für ein Eheschutzverfahren (summarisches Verfahren) bei Fr. 2'500.-- angesetzt werde, diejenige für ein Scheidungsverfahren (ordentliches Verfahren) bei Fr. 3'630.--.
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2.5. Die Beschwerdeführerin rügt sodann, die Vorinstanz habe einen Überlegungsfehler gemacht, indem sie einen Abzug von 10 % für ein Rechtsmittelverfahren getätigt habe. Ein solcher Abzug werde in der Regel vorgenommen, wenn eine Partei bereits im erstinstanzlichen Verfahren vertreten gewesen sei, was hier gerade nicht der Fall sei. Der Abzug recht fertige sich damit nicht.
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2.6. Was die zusätzlichen Eingabe n anbelangt, welche die Vorinstanz mit insgesamt 25 % berücksichtigte (verrechnet mit dem Abzug von 25 % für die fehlende Verhandlung), macht die Beschwerdeführerin zwar höhere Zuschläge von insgesamt 80 % geltend. Sie erhebt diesbezüglich aber ebenfalls keine rechtsgenügliche Rüge (E. 2.1), womit hierauf nicht einzutreten ist.
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2.7. Schliesslich beanstandet die Beschwerdeführerin das Honorar auch im Ergebnis als willkürlich. Die Vorinstanz entschädige sie für ihren Aufwand mit Fr. 1'085.-- (ohne Auslagen von Fr. 120.-- und MWSt von Fr. 95.--). Das ergebe beim Stundenansatz als Fachanwältin SAV Familienrecht von Fr. 250.-- einen entschädigten Aufwand von 4.3 Stunden resp. beim üblichen Stundenansatz von Fr. 220.-- einen solchen von 4.9 Stunden. Sämtliche von ihr getroffenen Vorkehren seien erforderlich gewesen und die Stellungnahmen allesamt von der Vorinstanz selbst eingefordert worden. Die neuen Schritte hätten jeweils mit der Klientin besprochen werden müssen. Im Übrigen habe sie mehrmals das Verfahren vorantreiben müssen, da sich der Entscheid verzögert habe. Insgesamt macht sie einen Aufwand von Fr. 8'200.-- geltend (Fr. 3'600.-- Grundentschädigung; Abzug 20 % für fehlende Verhandlung; Zuschlag 30 % für zwei Stellungnahmen zu Eingaben der Gemeinde und des Vormunds; Zuschlag 20 % für Stellungnahme zu Eingabe der Kindesvertreterin und des Kindsvaters; Zuschlag 30 % für Stellungnahme zum Bericht der Kinderpsychiaterin; Zuschlag 30 % gemäss Art. 7 AnwT; Spesen von Fr. 120.--; hierauf MWSt von 8 %, wobei sie den Gesamtbetrag auf die nächsten ganzen hundert Franken abrundete).
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2.8. Die Festsetzung der Entschädigung erweist sich damit auch im Ergebnis als willkürlich.
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3. Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Kanton Aargau aufzuerlegen, da Vermögensinteressen des Kantons betroffen sind (Art. 66 Abs. 4 BGG; v gl. Urteil 5A_168/2012 vom 26. Juni 2012 E. 6). Der Kanton Aargau hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG; Urteil 5A_168/2012 vom 26. Juni 2012 E. 6).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Ziffer 5 Abs. 1 des Urteils des Obergerichts des Kantons Aargau vom 22. August 2013 wird aufgehoben und die Sache wird im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 700.-- werden dem Kanton Aargau auferlegt.
 
3. Der Kanton Aargau hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 24. Dezember 2013
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: von Werdt
 
Die Gerichtsschreiberin: Friedli-Bruggmann
 
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