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Informationen zum Dokument  BGer 6B_907/2017  Materielle Begründung
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BGer 6B_907/2017 vom 29.03.2018
 
 
6B_907/2017
 
 
Urteil vom 29. März 2018
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
 
Gerichtsschreiber Matt.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Häusermann,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Strafzumessung (gewerbsmässiger Betrug etc.); Willkür etc.,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 23. Mai 2017 (SB160499-O/U/dz).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Am 7. Juli 2016 sprach das Bezirksgericht Uster X.________ des gewerbsmässigen, teilweise versuchten Betrugs, der mehrfachen Misswirtschaft, des mehrfachen Diebstahls, der Urkundenfälschung, der Erschleichung einer falschen Beurkundung, der mehrfachen Geldwäscherei, der Unterlassung der Buchführung und des mehrfachen Fahrens ohne Berechtigung schuldig. Es verurteilte sie zu 36 Monaten Freiheitsstrafe, davon 27 Monate bedingt. Auf ihre Berufung hin, welche sie auf das Strafmass beschränkte, verurteilte sie das Obergericht des Kantons Zürich am 23. Mai 2017 zu 33 Monaten Freiheitsstrafe, davon 25 Monate bedingt sowie zu 90 Tagessätzen à Fr. 30.-- Geldstrafe bedingt.
1
 
B.
 
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, sie sei zu 20 Monaten Freiheitsstrafe und 90 Tagessätzen à Fr. 30.-- Geldstrafe, jeweils bedingt bei einer Probezeit von zwei Jahren, zu verurteilen. Eventualiter sei die Sache unter neuer Gerichtsbesetzung an das Obergericht zurückzuweisen. X.________ ersucht um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
Die Beschwerdeführerin kritisiert die Strafzumessung als unangemessen und unsachlich und rügt eine Verletzung der Begründungspflicht. Ausserdem berücksichtige die Vorinstanz die subjektive Tatschwere nicht.
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1.1. Das Bundesgericht hat die Grundsätze der Strafzumessung nach Art. 47 ff. StGB wiederholt dargelegt (BGE 136 IV 55 E. 5.4 ff.; 134 IV 17 E. 2.1; je mit Hinweisen). Entsprechendes gilt für die Bildung der Einsatz- und der Gesamtstrafe nach Art. 49 Abs. 1 StGB in Anwendung des Asperationsprinzips (BGE 141 IV 61 E. 6.1.2; 132 IV 102 E. 8 f.; je mit Hinweisen). Darauf kann verwiesen werden. Das Sachgericht hat die für die Strafzumessung erheblichen Umstände und deren Gewichtung festzuhalten und seine Überlegungen in den Grundzügen wiederzugeben, so dass die Strafzumessung nachvollziehbar ist. Dabei steht ihm ein erheblicher Ermessensspielraum zu. Das Bundesgericht greift in die Strafzumessung nur ein, wenn die Vorinstanz den gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn sie von rechtlich nicht massgebenden Kriterien ausgegangen ist oder wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen bzw. in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens falsch gewichtet hat.
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Erwägung 1.2
 
1.2.1. Die Vorinstanz erwägt, hinsichtlich der objektiven Tatschwere des gewerbsmässigen Betrugs als schwerstes Delikt fielen die lange Deliktsdauer von dreieinhalb Jahren, der Deliktsbetrag von 1.5 Millionen Franken sowie die persönliche Bereicherung von Fr. 350'000.-- ins Gewicht. Die Beschwerdeführerin habe die deliktische Tätigkeit mit grossem Aufwand detailliert geplant und eigens sog. Vermittlungsgesellschaften gegründet, um Provisionen von Versicherungsgesellschaften erhältlich zu machen. Die grosse Anzahl von 551 vermittelten Versicherungsanträgen sowie die aufgewendete Zeit und Sorgfalt seien trotz des Doppelverwertungsverbots auch im Rahmen des qualifizierten Tatbestandes zu berücksichtigen. Die Beschwerdeführerin habe ein sehr hohes Mass an krimineller Energie aufgewendet und namentlich dafür gesorgt, dass die Prämien rechtzeitig bezahlt worden seien und sich gar bezahlter Untervermittler bedient, wobei sie deren eigene Strafbarkeit in Kauf genommen habe. Wenngleich sie nicht Urheberin des Betrugsmodells gewesen sei und die Tätigkeiten der Maklergesellschaften nicht koordiniert habe, sei ihr als Gesellschafterin und Geschäftsführerin einer der Vermittlungsgesellschaften eine tragende Rolle im System zugekommen. Auch habe sie ihrem Ex-Ehemann verschiedene Aufträge erteilt. Eine Opfermitverantwortung sei abzulehnen, da die betrügerische Absicht der Beschwerdeführerin angesichts des betriebenen Aufwands auch nicht erkennbar gewesen wäre, wenn die Versicherungen ihre Fachkenntnisse überprüft hätten. So habe sie etwa eigens einen Betreibungsregisterauszug gefälscht, um den Abschluss von Zusammenarbeitsverträgen zu begünstigen. Auch die Gründung mehrerer Gesellschaften sowie die Einzahlung der Versicherungsprämien am Wohnort der jeweiligen Versicherten hätten der Verschleierung gedient. Die Raffiniertheit des Vorgehens dränge die Unterlassung umfangreicher Kontrollen durch die Versicherungen in den Hintergrund. Die objektive Tatschwere sei erheblich.
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In subjektiver Hinsicht sei zu beachten, dass die Beschwerdeführerin direktvorsätzlich gehandelt habe. Ein allfälliges wirtschaftliches Unvermögen ihres Ex-Ehemannes relativiere die Delinquenz nicht, da die Familie nie in prekären finanziellen Verhältnissen gelebt habe. Die deliktische Tätigkeit sei auch nicht bloss auf die Überbrückung einer kurzfristigen finanziellen Notlage ausgerichtet gewesen. Die Beschwerdeführerin habe die erlangten Mittel zudem nicht nur für elementare Bedürfnisse verwendet, sondern namentlich Fr. 92'000.-- in einen Sänger und die Renovation eines Hauses in Kroatien investiert. Ferner hätte sie die eingesetzte Energie ebenso gut in eine legale Tätigkeit oder die Stellensuche investieren können. Gleiches gelte für ihren Ex-Ehemann, der sie bei der deliktischen Tätigkeit unterstützt und derart zum Unterhalt der Familie beigetragen habe. Wohl habe eine gewisse Abhängigkeit zum Mitbeschuldigten bestanden, welcher sie ins System eingeführt habe und dem sie einen Teil der Einkünfte habe abgeben müssen. Eine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit im Sinne von Art. 19 StGB oder Schuldminderungsgründe gemäss Art. 48 StGB lägen aber nicht vor. Die sehr umtriebige Beschwerdeführerin habe zugegeben, dass das erzielte Einkommen für die Motivation im Vordergrund gestanden habe. Angesichts der in erster Linie finanziellen Interessen mindere die genannte Abhängigkeit das Verschulden bloss leicht. Insgesamt wiege dieses erheblich und rechtfertige eine Einsatzstrafe von 5 Jahren. Aus dem Werdegang und den persönlichen Verhältnissen würden sich keine strafmassrelevanten Besonderheiten ergeben. Die Vorstrafenlosigkeit sei neutral zu werten. Das vollumfängliche Geständnis der Beschwerdeführerin im Verlauf des Verfahrens wirke hingegen wesentlich strafmindernd, während eine besondere Strafempfindlichkeit nicht vorliege. Der in Kroatien lebende 15-jährige Sohn werde grösstenteils vom Ehemann und der Mutter betreut; die Beschwerdeführerin besuche ihn nach eigenen Angaben nur ab und zu. Es sei nicht ersichtlich, dass er auf ihre ständige Anwesenheit angewiesen wäre. Angesichts der langen Verfahrensdauer von nunmehr 6 Jahren und des kooperativen Verhaltens sei die Einsatzstrafe auf 30 Monate zu reduzieren.
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1.2.2. Hinsichtlich der zeitlich und sachlich eng mit dem gewerbsmässigen Betrug zusammenhängenden und daher gemeinsam zu beurteilenden mehrfachen Misswirtschaft, mehrfachen Geldwäscherei, Urkundenfälschung, Erschleichung einer falschen Beurkundung und Unterlassung der Buchführung wiege die objektive Tatschwere noch leicht. Die Begehung all dieser Delikte zeuge indes von einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber der Rechtsordnung und den Teilnehmern im Geschäftsverkehr. Das Verhalten der Beschwerdeführerin zeige eine gewisse Unverfrorenheit. In subjektiver Hinsicht sei zu beachten, dass sie sich nicht um die Pflichten als Gesellschafterin gekümmert, unrichtige Angaben gegenüber dem Notar gemacht und nie die Absicht gehegt habe, überhaupt eine ernsthafte Geschäftstätigkeit zu betreiben. Es sei ihr vielmehr von Anfang an um das Erzielen eines unrechtmässigen Vorteils gegangen. Insgesamt führe die subjektive Tatschwere zu keiner veränderten Gewichtung des Verschuldens. Dieses wiege insgesamt noch leicht. Aufgrund der Tatkomponente sei die hypothetische Einsatzstrafe um rund fünf Monate zu erhöhen. Für die Täterkomponente gelte das zum gewerbsmässigen Betrug Gesagte. Das Geständnis sowie die lange Verfahrensdauer wirkten sich deutlich strafmindernd aus, sodass die hypothetische Einsatzstrafe insgesamt um drei Monate auf 33 Monate Freiheitsstrafe zu erhöhen sei. Ein vollständig bedingter Vollzug sei ausgeschlossen, ein teilbedingter hingegen angezeigt. Angesichts der Delinquenz trotz Untersuchungshaft und laufendem Strafverfahren (mehrfacher Diebstahl) könne der unbedingt zu vollziehende Teil nicht beim Minimum liegen, sondern sei auf acht Monate zu erhöhen.
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1.3. Die Vorinstanz begründet die Strafzumessung ausführlich und überzeugend. Es ist nicht ersichtlich, dass sie sich von sachfremden Kriterien hätte leiten lassen, dass sie relevante Kriterien ausser Acht gelassen oder das ihr zustehende Ermessen überschritten bzw. willkürlich ausgeübt hätte.
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1.3.1. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist eine Verletzung der Begründungspflicht nicht ersichtlich. Solches ist insbesondere nicht darin zu erblicken, dass die Vorinstanz die subjektive Tatschwere hinsichtlich des gewerbsmässigen Betrugs aufgrund einer gewissen Abhängigkeit vom Mitbeschuldigten als leicht vermindert beurteilt, tatsächlich aber keine Strafminderung vorgenommen habe. Die Vorinstanz setzt die Einsatzstrafe vielmehr offensichtlich unter Berücksichtigung dieser Umstände fest. Dass sie das Verschulden weiterhin als erheblich beurteilt, ist unter den dargelegten Umständen ebenso wenig zu beanstanden wie die Strafhöhe von fünf Jahren, welche namentlich angesichts des Strafrahmens von bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe dem Verschulden entspricht. Die leichte Strafminderung aufgrund der attestierten Abhängigkeit vom Mitbeschuldigten musste mithin nicht zu einem "keineswegs leichten" Verschulden führen. Ebenso verkennt die Beschwerdeführerin, dass eine Einsatzstrafe von bloss 54 statt 60 Monaten für den gewerbsmässigen Betrug im Ergebnis zu keiner deutlich tieferen Gesamtstrafe hätte führen müssen. Eine Verletzung der Strafzumessungsgrundsätze und insbesondere des vorinstanzlichen Ermessens sind nicht ersichtlich.
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1.3.2. Als offensichtlich unbegründet erweist sich sodann der Einwand, die Vorinstanz berücksichtige die bescheinigte "gewisse" Abhängigkeit der Beschwerdeführerin vom Mitangeklagten in Bezug auf die mit dem gewerbsmässigen Betrug zusammenhängenden Delikte nicht und lasse Art. 48 lit. a Ziff. 4 StGB ausser Acht. Die Vorinstanz geht insoweit trotz der Deliktsmehrheit, der - zu Recht - attestierten Gleichgültigkeit gegenüber der Rechtsordnung und den Teilnehmern im Geschäftsverkehr, der deliktischen Motivation, etwa zur Gesellschaftsgründung sowie der völligen Vernachlässigung von Gesellschafterpflichten weiterhin von einem noch leichten Verschulden aus. Wenn sie diesen Delikten lediglich mit einer Straferhöhung um drei Monate Rechnung trägt, wobei sie das Verhalten der Beschwerdeführerin und die Verfahrensdauer explizit berücksichtigt, erscheint dies mehr als grosszügig. Vor dem Hintergrund des in subjektiver Hinsicht als unverfroren bezeichneten und auf eine rein deliktische Tätigkeit ausgerichteten Verhaltens kann keine Rede davon sein, dass insoweit eine Strafminderung angezeigt gewesen wäre. Die neutrale Gewichtung dieser Faktoren ist jedenfalls nicht zu beanstanden. Gleiches gilt für die Strafreduktion hinsichtlich des gewerbsmässigen Betrugs um die Hälfte von 60 auf 30 Monate aufgrund der Verfahrensdauer und des kooperativen Verhaltens der Beschwerdeführerin. Deren Forderung, wonach die Strafe infolge des Geständnisses um ein Drittel und wegen der Verfahrensdauer um ein weiteres Drittel zu reduzieren sei, ist nicht nachvollziehbar. Sie lässt ausser Acht, dass die Beschwerdeführerin nicht sogleich kooperiert hat. Zudem befand sie sich lediglich während 36 Tagen in Untersuchungshaft. Inwiefern eine Strafmilderung gemäss Art. 48 lit. d StGB angezeigt gewesen sein soll, zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf. Insbesondere behauptet sie nicht, sie hätte den Schaden soweit zumutbar ersetzt. Auch eine Strafmilderung nach Art. 48 lit. e StGB kommt nicht in Frage. Diese bedingt gemäss Rechtsprechung, dass zwei Drittel der Verjährungsfrist abgelaufen sind (BGE 140 IV 145 E. 3.1 je mit Hinweis). Dies ist angesichts der Verjährungsfrist des gewerbsmässigen Betruges von 15 Jahren (Art. 97 Abs. 1 lit. b StGB) und der Verfahrensdauer von sechs Jahren nicht der Fall, was die Beschwerdeführerin auch nicht behauptet.
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1.3.3. Die bedingte Geldstrafe von 90 Tagessätzen à Fr. 30.-- für den mehrfachen Diebstahl und das mehrfache Fahren ohne Berechtigung beanstandet die Beschwerdeführerin nicht. Darauf ist nicht einzugehen.
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Erwägung 2
 
Die Beschwerde ist abzuweisen. Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung ist infolge Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ihrer finanziellen Lage ist bei der Bemessung Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 29. März 2018
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Der Gerichtsschreiber: Matt
 
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