VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 9C_88/2018  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 9C_88/2018 vom 30.05.2018
 
 
9C_88/2018
 
 
Urteil vom 30. Mai 2018
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Meyer, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless,
 
Gerichtsschreiberin N. Möckli.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Mark A. Glavas,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Zürich,
 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung (Invalidenrente),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
 
vom 8. November 2017 (IV.2016.01228).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Die 1963 geborene, zuletzt als Mitarbeiterin der B.________ beschäftigte A.________ meldete sich im Februar 2014 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich tätigte in der Folge verschiedene Abklärungen, wobei sie die Versicherte insbesondere durch Dr. med. C.________, Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin und Rheumatologie, und PD Dr. med. D.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, begutachten liess (Expertise vom 24./25. September 2015 samt Ergänzungen vom 22. März und 6. Mai 2016). Gestützt darauf verneinte die Verwaltung nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens mit Verfügung vom 29. September 2016 einen Rentenanspruch.
1
B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 8. November 2017 ab.
2
C. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Angelegenheit sei an die IV-Stelle zurückzuweisen, damit diese eine polydisziplinäre Begutachtung durchführe.
3
Erwägungen:
4
 
1.
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG).
5
1.2. Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde ans Bundesgericht zu prüfen, ob der angefochtene Gerichtsentscheid in der Anwendung der massgeblichen materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen (u.a.) Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). Hingegen hat unter der Herrschaft des BGG eine freie Überprüfung des vorinstanzlichen Entscheides in tatsächlicher Hinsicht zu unterbleiben. Ebenso entfällt eine Prüfung der Ermessensbetätigung nach den Grundsätzen zur Angemessenheitskontrolle.
6
1.3. Das Bundesgericht prüft unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht - vorbehältlich offensichtlicher Fehler - nur die in seinem Verfahren geltend gemachten Rechtswidrigkeiten (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389; siehe auch BGE 134 III 102 E. 1.1 S. 104 f.).
7
2. 
8
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die am 29. September 2016 durch die Beschwerdegegnerin verfügte Rentenablehnung bestätigte.
9
2.2. Der angefochtene Entscheid gibt die massgeblichen Rechtsgrundlagen zutreffend wieder. Es betrifft dies insbesondere die Bestimmungen und Grundsätze zum Rentenanspurch (Art. 28 IVG), zu den Begriffen der Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG) und der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG) sowie zum Beweiswert und Beweiswürdigung medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 125 V 351 E. 3a und 3b S. 352 f.; siehe ferner BGE 143 V 124 E. 2.2.2 S. 126 f.; 134 V 231 E. 5.1 S. 232; SVR 2017 IV Nr. 49 S. 148, 9C_338/2016 E. 5.5, und SVR 2008 IV Nr. 15 S. 43, I 514/06 E. 2.1.1). Darauf wird verwiesen.
10
3. 
11
3.1. Das kantonale Gericht erwog im Wesentlichen, die Expertise der Dr. med. C.________ und des PD Dr. med. D.________ vom 24./25. September 2015 erfülle die Kriterien an eine beweiskräftige medizinische Entscheidgrundlage. Die Einschätzung der behandelnden Psychiaterin Dr. med. E.________, gemäss deren Berichten vom 31. März und 14. November 2014 sowie 17. Januar 2016 stelle das gutachterliche Abklärungsergebnis nicht in Frage.
12
3.2. Die Beschwerdeführerin bringt dagegen vor, insbesondere das rheumatologische Teilgutachten der Dr. med. C.________ vom 24. September 2015 sei nicht verwertbar. Dieses basiere auf rechtswidrig aufgezeichneten Gesprächen, sei doch während der Untersuchungspausen das Tonband weitergelaufen. Dadurch sei ihre von Art. 179ter StGB und Art. 8 EMRK geschützte Privatsphäre verletzt worden. Weiter beanstandet die Beschwerdeführerin auch das psychiatrische Teilgutachten des PD Dr. med. D.________ vom 24. September 2015 und macht zudem geltend, ihre Schwindelbeschwerden seien im Rahmen der Begutachtung ungenügend abgeklärt worden.
13
4. 
14
4.1. Der angefochtene Entscheid enthält keine Feststellungen zum Ablauf der rheumatologischen Begutachtung. Aus den Akten ergibt sich (Art. 105 Abs. 2 BGG), dass die Beschwerdeführerin ihre Einwilligung zur Aufzeichnung der Untersuchungsgespräche durch Dr. med. C.________ erteilte (vgl. "Vollmacht vom 2. September 2015"). Unbestrittenermassen hat es die Gutachterin aber unterlassen, das Aufnahmegerät während der Unterbrüche der Untersuchung auszuschalten, als die Dolmetscherin jeweils im Behandlungszimmer mit der Beschwerdeführerin verblieb (Ergänzung der Dr. med. C.________ vom 22. März 2016).
15
Die Beschwerdeführerin leitet daraus ab, das Gutachten sei als Ganzes nicht verwertbar. Mit Blick auf die Einwilligung der Beschwerdeführerin zur Tonaufnahme anlässlich der Untersuchung und den Umstand, dass während der gutachterlichen Untersuchungspausen mit der Dolmetscherin dennoch eine Hilfsperson der Gutachterin im Untersuchungszimmer verblieb, erscheint fraglich, ob die durch   Art. 179ter StGB und Art. 8 EMRK geschützte Privatsphäre der Beschwerdeführerin durch die weiterlaufende Gesprächsaufnahme verletzt wurde. Dies kann, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen, jedoch offen gelassen werden.
16
 
4.2.
 
4.2.1. Rechtsprechungsgemäss ist die Verwertbarkeit von rechtswidrig erlangten Beweisen in sozialversicherungsrechtlichen Verfahren grundsätzlich zulässig, es sei denn, bei einer Abwägung der tangierten öffentlichen und privaten Interessen überwögen letztere. Im Zusammenhang mit Videoaufnahmen, die im Rahmen einer unrechtmässigen Observation erhoben wurden, gilt ein Verwertungsverbot insbesondere insoweit, als es Handlungen im nicht öffentlich frei einsehbaren Raum betrifft (BGE 143 I 377 E. 5 S. 385 ff.; Urteil 8C_192/2017 vom 25. August 2017 E. 5.4.1 mit Hinweisen; zum öffentlich einsehbaren Raum: BGE 137 I 327).
17
4.2.2. Die Tonbandaufnahme während der Untersuchungspausen dokumentiert ein Gespräch in einem nicht öffentlichen Bereich (i.c. Besprechungszimmer), weshalb solche Aufnahmen regelmässig nicht verwertbar sind. Zu beachten ist hier jedoch, dass im Grundsatz eine Einwilligung zur Aufzeichnung der Untersuchungsgespräche vorlag und während der Unterbrüche der gutachterlichen Exploration stets die Übersetzerin - eine Hilfsperson des Gutachters (AHI 2004 S. 147,   I 245/00 E. 4.1.2) - zugegen war. Es wurden vorliegend somit keine privaten Unterhaltungen der Beschwerdeführerin aufgezeichnet. Dieser Umstand relativiert die Schwere einer allfälligen Verletzung der Privatsphäre der Beschwerdeführerin erheblich.
18
Unabhängig davon ist aber auch nicht ersichtlich, dass die Gutachterin aus den aufgezeichneten Gesprächen irgendwelche zusätzlichen Erkenntnisse erlangt und diese in ihre Beurteilung hätte einfliessen lassen. Die Beschwerdeführerin behauptet Entsprechendes zwar, begründet und belegt dies jedoch in keiner Weise, obwohl ihr zum einen die Tonbandaufnahmen und zum anderen die Expertise der Dr. med. C.________ vom 24. September 2015 zur Verifizierung ihrer Beanstandungen zur Verfügung standen. Die Mutmassung der Beschwerdeführerin erscheint im Übrigen sehr unwahrscheinlich, denn Dr. med. C.________ begutachtete den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin aus somatischer Sicht. Hierfür ist in erster Linie der internistisch-rheumatologische Status massgebend, wie er im rheumatologischen Teilgutachten als Ergebnis der Untersuchung der Beschwerdeführerin rapportiert wurde.
19
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in der Expertise der Dr. med. C.________ vom 24. September 2015 keine unrechtmässig erlangten Erkenntnisse verwertet worden sind. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin wird somit der Anspruch auf ein faires Verfahren im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht verletzt (vgl. BGE 143 I 377  E. 5.2.1 S. 386 f.). Es besteht daher, insgesamt betrachtet, kein Anlass, das betreffende Gutachten aus dem Recht zu weisen (vgl. auch Urteil 4A_200/2016 vom 5. Oktober 2017 E. 3.2).
20
5. Im Weiteren ist zu prüfen, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die gutachterliche Beurteilung der Dr. med. C.________ und des PD Dr. med. D.________ vom 24./25. September 2015 als beweiskräftig qualifizierte.
21
5.1. Die Beschwerdeführerin klagt zum einen über Schwindelbeschwerden und ist der Ansicht, diese hätten im Rahmen eines polydisziplinären Gutachtens hals-nasen-ohrenärztlich abgeklärt werden müssen. Es sind jedoch keine konkreten Hinweise für eine otolaryngologische Ursache dieser Beschwerden erkennbar, beruft sich doch die Beschwerdeführerin einzig auf den Bericht ihrer Psychiaterin Dr. med. E.________ vom 31. März 2014. Entsprechend wurden von den behandelnden Ärzten auch keine derartigen Abklärungen empfohlen oder veranlasst. Es durfte somit in antizipierter Beweiswürdigung auf weitergehende Untersuchungen verzichtet werden. Die diesbezügliche Beweiswürdigung des kantonalen Gerichts ist entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht willkürlich (BGE 140 III 16 E. 2.1 S. 18 f. mit Hinweisen).
22
5.2. Die Beschwerdeführerin lässt der gutachterlichen Beurteilung vom 24./25. September 2015 sodann zum anderen erneut - wie im vorinstanzlichen Verfahren - die abweichende Einschätzung ihrer behandelnden Psychiaterin Dr. med. E.________ gegenüberstellen (Berichte vom 31. März und 14. November 2014 sowie 17. Januar 2016). Der Gutachter PD Dr. med. D.________ setzte sich damit im psychiatrischen Teilgutachten vom 24. September 2015 und in seiner Ergänzung vom 6. Mai 2016 jedoch eingehend auseinander und legte dar, weshalb er von den von Dr. med. E.________ gestellten Diagnosen einer schweren depressiven Episode und einer Angststörung sowie der von ihr attestierten vollständigen Arbeitsunfähigkeit abwich. Aspekte, welche im Rahmen der Begutachtung unerkannt oder ungewürdigt geblieben wären, werden keine aufgezeigt. Das kantonale Gericht kam deshalb in Anbetracht des Grundsatzes, dass es die unterschiedliche Natur von Behandlungs- und Begutachtungsauftrag nicht zulässt, ein Administrativgutachten stets in Frage zu stellen und zum Anlass weiterer Abklärungen zu nehmen, wenn die behandelnden Ärzte zu anderslautenden Einschätzungen gelangen (SVR 2017 IV Nr. 49 S. 148, 9C_338/2016 E. 5.5), zu Recht zum Schluss, auf die Expertise des PD Dr. med. D.________ könne abgestellt werden.
23
6. Die übrigen Erwägungen des angefochtenen Entscheids zur Ermittlung des Invaliditätsgrads werden von der Beschwerdeführerin nicht beanstandet. Offensichtliche Mängel sind diesbezüglich nicht ersichtlich. Es kann daher darauf abgestellt werden (vgl. E. 1.3 hiervor).
24
7. Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
25
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 30. Mai 2018
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Meyer
 
Die Gerichtsschreiberin: Möckli
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).