VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 8C_261/2018  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 8C_261/2018 vom 26.06.2018
 
 
8C_261/2018
 
 
Urteil vom 26. Juni 2018
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Maillard, Präsident,
 
Bundesrichter Frésard, Wirthlin,
 
Gerichtsschreiberin Elmiger-Necipoglu.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Roland Zahner,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
SWICA Versicherungen AG, Römerstrasse 37, 8400 Winterthur,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 28. Februar 2018 (UV 2016/59).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Die 1986 geborene A.________ war als Bürokauffrau bei der Genossenschaft B.________ tätig und in dieser Eigenschaft bei der SWICA Versicherungen AG (nachstehend: SWICA) gegen die Folgen von Unfällen versichert, als sie am 20. Dezember 2014 auf dem mit Schneematsch bedeckten Trottoir ausrutschte und auf das linke Knie fiel. Am 20. März 2015 erfolgte die Erstkonsultation bei Dr. med. C.________, FMH Fachärztin für Allgemeine Medizin, welche eine Kniekontusion links mit Traumatisierung des Hoffa'schen Fettkörpers diagnostizierte. Die SWICA anerkannte ihre Leistungspflicht für die Folgen dieses Ereignisses und erbrachte die gesetzlichen Leistungen. Nach medizinischen Abklärungen stellte sie mit Verfügung vom 3. September 2015 und Einspracheentscheid vom 26. Juli 2016 die Versicherungsleistungen per 26. März 2015 ein, da die über dieses Datum hinaus geklagten Beschwerden nicht mehr auf das Unfallereignis vom 20. Dezember 2014 zurückzuführen seien.
1
B. Die von A.________ hiergegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 28. Februar 2018 ab.
2
C. Mit Beschwerde beantragt A.________, unter Aufhebung des Einsprache- und des kantonalen Gerichtsentscheides sei die Angelegenheit an die SWICA zurückzuweisen, damit sie ein externes Gutachten veranlasse und hernach über die Leistungsansprüche neu verfüge.
3
Das Versicherungsgericht und das Bundesamt für Gesundheit verzichten auf eine Vernehmlassung. Die SWICA verweist auf den angefochtenen Gerichtsentscheid.
4
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).
5
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
6
2. Streitig und zu prüfen ist die Leistungspflicht der SWICA für die über den 26. März 2015 hinaus anhaltend geklagten Beschwerden, wobei die SWICA und das kantonale Gericht einen Kausalzusammenhang zwischen den Beschwerden und dem Unfall vom 20. Dezember 2014 über das genannte Datum hinaus verneinen.
7
3. 
8
3.1. Die Leistungspflicht des Unfallversicherers bei einem durch den Unfall verschlimmerten oder überhaupt erst manifest gewordenen krankhaften Vorzustand entfällt - wie schon das kantonale Gericht richtig festgehalten hat - erst, wenn der Unfall nicht mehr die natürliche und adäquate Ursache darstellt, der Gesundheitsschaden also nur noch und ausschliesslich auf unfallfremden Ursachen beruht. Dies trifft zu, wenn entweder der (krankhafte) Gesundheitszustand, wie er unmittelbar vor dem Unfall bestanden hat (status quo ante), oder aber derjenige Zustand, wie er sich nach schicksalsmässigem Verlauf eines krankhaften Vorzustandes auch ohne Unfall früher oder später eingestellt hätte (status quo sine), erreicht ist (RKUV 1994 Nr. U 206 S. 328 E. 3b [U 180/93] mit Hinweisen). Ebenso wie der leistungsbegründende natürliche Kausalzusammenhang muss das Dahinfallen jeder kausalen Bedeutung von unfallbedingten Ursachen eines Gesundheitsschadens mit dem im Sozialversicherungsrecht allgemein üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Da es sich um eine anspruchsaufhebende Tatfrage handelt, liegt die Beweislast - anders als bei der Frage, ob ein leistungsbegründender natürlicher Kausalzusammenhang gegeben ist - nicht beim Versicherten, sondern beim Unfallversicherer (RKUV 2000 Nr. U 363 S. 46 E. 2 [U 355/98] mit Hinweisen).
9
3.2. Die Vorinstanz erwog, dass bei der Beschwerdeführerin aufgrund der plica mediopatellaris ein anatomischer Vorzustand vorlag, welcher gemäss übereinstimmenden Aussagen der Ärzte auch, aber nicht ausschliesslich durch ein Unfallereignis symptomatisch werden könne. Dass dies bei der Beschwerdeführerin der Fall gewesen sei, erscheine zwar möglich, sei jedoch aufgrund der Akten und insbesondere auch durch die Beurteilung des Dr. med. D.________, dem behandelnden Arzt, nicht mit dem im Sozialversicherungsrecht geforderten Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt. Selbst wenn im Übrigen davon auszugehen wäre, dass die plica mediopatellaris im vorliegenden Fall überwiegend wahrscheinlich durch den Unfall am 20. Dezember 2014 aktiviert bzw. symptomatisch geworden sei, wäre zur Aktivierung nicht unbedingt ein Unfallereignis nötig gewesen, zumal eine Plica-Symptomatik ebenso wahrscheinlich durch Überbeanspruchung im Alltag ausgelöst werden könne. Wie Dr. med. E.________, Vertrauensarzt der Beschwerdegegnerin, überzeugend dargelegt habe, wären mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Beschwerden früher oder später auch ohne Sturzereignis im aktuellen Ausmass aufgetreten. Gestützt auf die Akten sei erstellt, dass die Kniebeschwerden der Beschwerdeführerin - spätestens - im Zeitpunkt der Leistungseinstellung am 26. März 2015 keine Unfallfolgen mehr darstellten.
10
3.3. Das kantonale Gericht stützte seine Erwägungen wesentlich auf die Aktenbeurteilung des Dr. med. E.________, Vertrauensarzt und FMH Facharzt der Allgemein- und Unfallchirurgie, vom 30. Juli 2015. Bestehen bei Berichten eines versicherungsinternen Arztes auch nur geringe Zweifel an der Zuverlässigkeit und der Schlüssigkeit seiner Feststellungen, so sind rechtsprechungsgemäss ergänzende Abklärungen vorzunehmen (BGE 139 V 225 E. 5.2 S. 229, 135 V 465 E. 4.6 S. 471, 125 V 351 E. 3b/ee S. 353 f., 122 V 157 E. 1d S. 162).
11
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz vermag der zuvor genannte Bericht des Dr. med. E.________ nicht gänzlich zu überzeugen, denn die Aussagen in seiner Aktenbeurteilung sind teilweise widersprüchlich und teilweise nicht nachvollziehbar begründet. So bejahte er zwar die Frage, ob das Ereignis vom 20. Dezember 2014 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Mitursache der festgestellten gesundheitlichen Störung ist. Weiter vorne im Bericht wies er jedoch darauf hin, dass der Unfall (nur) möglicherweise dazu geführt habe, dass die plica mediopatellaris symptomatisch geworden sei. Auffällig sei hierbei, dass die erste ärztliche Behandlung erst Monate später stattgefunden habe. Im Übrigen führte Dr. med. E.________ aus, dass der Unfall vom 20. Dezember 2014 lediglich zu einer vorübergehenden Verschlimmerung des Vorzustands geführt habe, und der status quo sine spätestens vier Wochen nach dem Unfall erreicht gewesen sei. Ohne weitere Begründung oder Hinweis auf einschlägige Literatur fügte Dr. med. E.________ schliesslich hinzu, dass es keine posttraumatische Plica-Symptomatik gebe.
12
3.4. Die Zweifel an der Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit der versicherungsinternen Feststelllungen werden darüber hinaus dadurch bestärkt, dass Dr. med. D.________, FMH Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, in seinem Bericht vom 21. Dezember 2015 zu bedenken gibt, dass der zeitlich verzögerte Arztbesuch bei einer posttraumatischen Plica-Symptomatik sehr typisch sei. Es handle sich dabei erfahrungsgemäss um eine Beschwerdesymptomatik, die nicht besonders schlimm, aber auf Dauer doch als sehr störend empfunden werde. Typischerweise finde der Arztbesuch erst mehrere Wochen oder gar Monate nach dem Schmerzbeginn statt. Das typische spontane Auftreten einer Plica- mediopatellaris-Symptomatik sei eher zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr. Ein Auftreten einer Plica-Schmerzsymptomatik bei der betroffenen Patientin ohne Unfallereignis erscheine ihm eher unwahrscheinlich.
13
3.5. Da es die Beschwerdegegnerin vorliegend unterlassen hat, ergänzende Abklärungen im Sinne einer versicherungsexternen medizinischen Begutachtung im Verfahren nach Art. 44 ATSG zu tätigen, welche angesichts der widersprüchlichen Aktenlage notwendig gewesen wären, konnten die (teilweise) konträren Auffassungen der beiden Fachärzte weder bereinigt werden, noch konnte gestützt auf die vorliegenden Akten eine abschliessende Beweiswürdigung zur strittigen Frage vorgenommen werden. Die Angelegenheit ist demzufolge antragsgemäss an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen, damit sie zur Frage, ob der Unfall zumindest Teilursache für den geklagten Gesundheitsschaden ist bzw. war, und ob - und gegebenenfalls wann - der status quo sine vel ante erreicht wurde (vgl. E. 3.1 hiervor), ein versicherungsexternes Gutachten einhole und alsdann über den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Versicherungsleistungen neu verfüge.
14
4. Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Rückweisung der Sache zu ergänzenden Abklärungen und neuem Entscheid mit noch offenem Ausgang gilt hinsichtlich der Kosten- und Entschädigungsfolgen als volles Obsiegen der Beschwerdeführerin, weshalb die Beschwerdegegnerin als unterliegende Partei die Gerichtskosten zu tragen und der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu entrichten hat (Art. 66 Abs. 1, Art. 68 Abs. 1 und Abs. 2 BGG, BGE 133 V 642).
15
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 28. Februar 2018 und der Einspracheentscheid vom 26. Juli 2016 werden aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verfügung an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
 
3. Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.
 
4. Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung für das vorangegangene Verfahren an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zurückgewiesen.
 
5. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 26. Juni 2018
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Maillard
 
Die Gerichtsschreiberin: Elmiger-Necipoglu
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).